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Fußballfans, gebt den Menschen ihre Räume wieder zurück!

Wir sind bekannt dafür, gerne mal deutlich (für manche auch mal zu deutlich) anzusprechen, was uns stört. Vieles davon findet bei uns im Verein oder in dessen Umfeld statt. Das ist nur logisch: Wir sind Fans des FC St. Pauli. Da kennen wir uns aus und messen unseren Verein an den Maßstäben und Werten, die er sich selbst aufgelegt hat. Heute wollen wir über etwas schreiben, dass unsere Fanszene betrifft, keine Frage, das sich aber auch durch alle Fanszenen hinweg zieht. Sehen wir jetzt schon die Kommentare vom erhobenen Zeigenfinger, FC Doppelmoral, gekränkte Egos und ähnliches vor uns? Natürlich. Aber wir glauben, dass alle Fanszenen sich dringend einmal damit auseinander setzten sollten. Worum es geht? Räume, die Fußballfans einnehmen und ihre teilweise Rücksichtslosigkeit dabei.

Wenn man ehrlich ist betrifft das Thema nicht nur uns Fußballfans – es ist ein gesellchaftliches Thema. Denn ja wir Fußballfans sind nicht die einzigen, die sich in Räumen, die sie sich mit anderen teilen, rücksichtslos verhalten. Ganz im Gegenteil. Das Thema betrifft auch Junggesell*innenabschiede, Kegelgruppen, Weinwanderer*innen, und viele andere. Besonders dann, wenn im Rahmen dieser Gruppen Alkohol konsumiert wird. Diese und ähnliche Gruppen dürfen sich gerne mit angesprochen fühlen, wir sind jedoch nicht Teil dieser. Deswegen konzentrieren wir uns im Folgenden auf Fußballfans. Denn die kennen wir, da sind wir Teil von und können uns von dem Thema auch nicht ausnehmen. Wir waren schließlich auch schon mal jung, laut und betrunken.

Wahrscheinlich sind wir inzwischen alt und spießig geworden. Wahrscheinlich sind wir auch etwas müde von viel zu vielen Fahrten mit dem Magischen FC. Wahrscheinlich haben wir über die Jahre aber auch Selbstreflexion gelernt und gelernt zuzuhören. Jahrelang haben wir versucht dagegen zu argumentieren, wenn Menschen meinten Fußballfans seien so schlimm, sie hätten Angst, wenn sie in Zügen das Abteil mit ihnen teilen müssten oder am Rastplatz neben ihnen ein Bus Fans aussteigt. Aber wisst ihr was? Man kann Menschen Gefühle nicht absprechen. Und wenn Zugbegleiter*innen, Fahrgäste, Familien regelmäßig Angst bekommen, sich gestört fühlen oder ihren Platz aufgeben müssen, weil wir als Fans uns in diesem Zug so verhalten, wie wir uns verhalten, dann ist es dringend an der Zeit dies einmal ernsthaft zu reflektieren und zu überlegen, wie sich dies in Zukunt ändern lässt.

Es wäre einfach an dieser Stelle zu sagen „Die haben ja nur so ein schlechtes Bild von uns wegen den Medien“ oder „Das sind alles Vorurteile“ aber das ist zu billig, feige und kann nicht unser Anspruch an unsere Fanszene sein, sich so aus der Affäre zu ziehen. Und nein(!), dass heißt nicht, dass wir die Berichterstattung vieler Medien über Fußballfans gut heißen. Ganz im Gegenteil. Aber schauen wir uns doch einmal unsere Beobachtungen aus den letzten Zugfahrten zu Außwärtsspielen an. Wichtig: Wir reden hier ganz klar von Fahrten mit regulären Zügen der DB. Züge für die sich jede*r ein Ticket kaufen kann. KEINE Sonderzüge. Hier also unsere Beobachtungen erstmal nur als Aufzählungen:

  • Laute Musik aus Musikboxen oder Handys
  • Gegröhle und Mitgesinge
  • Alkohol trinken schon am Morgen
  • Betrunken durch die Gänge schwanken/ nicht mehr gerade gehen können
  • Schreiende Kommunikation über mehrere Sitzreihen hinweg
  • Verschmutzung der Toiletten sowohl mit Klopapier und Exkrementen als auch mit Aufklebern und Eddings
  • Rauchen in den Türen
  • Aufhalten der Weiterfahrt um zu Rauchen
  • Besetzen des Bordbistros

Bevor ihr jetzt in eine Abwehr- und Verteidigungshaltung fallt (kein Problem ist ein menschlicher Reflex – atmet kurz durch. Alles gut? Dann weiter lesen. Sonst atmet noch mal tief durch), stellt euch mal vor, ihr hättet nichts mit Fußball am Hut. Ihr hättet Samstag morgens einen frühen Zug nach Frankfurt gebucht, um eure Eltern zu besuchen und 200, oder nein lass es 20 Menschen sein, verhalten sich so wie oben beschrieben. Was würde das mit euch machen? Wie würdet ihr euch fühlen? Und welchen Einfluss hätte dies auf euer Bild von diesen Menschen? Wäre euch nicht auch unwohl? Vielleicht müsst ihr in FFM umsteigen und habt Angst um euren Umstieg. Vielleicht habt ihr auch einfach Angst weil 20 Betrunkene (sind wir ehrlich größtenteils Männer) um euch herum sind, die herumgröhlen und euch unerwünscht nahe kommen. Vielleicht traut ihr euch nicht aufzustehen, weil ihr dann an der Gruppe vorbei müsst, die den ganzen Gang blockiert. Vielleicht müsst ihr eigentlich dringend aufs Klo, aber da steht der Boden schon seit 30 Minuten nach Abfahrt unter Wasser und ihr müsstet euch in eine Schlange betrunkener Männer stellen. Vielleicht hattet ihr auch vor zu lesen, zu schlafen, etwas zu entspannen, und um euch herum wird zu laute, schlechte Musik in noch schlechterer Qualität gespielt. Vielleicht habt ihr ein kleines Kind dabei. Oder seid schon älter. Oder habt Schwierigkeiten mit Lautstärke.

Ja das sind viele Vielleichts. Aber es sind auch Perspektiven. Reale Perspektiven. Und es wird Zeit, dass wir als Fußballfans diese wahrnehmen, anerkennen, respektieren und unser Verhalten anpassen. Ihr möchtet jetzt vielleicht argumentieren, dass wir doch ganz nett seien, jedem brav Platz machen würden und es überhaupt viel schlimmere gäbe. Aber erstens geht es nicht darum, ob sich andere noch schlimmer verhalten und zweitens knallen da Eigen- und Fremdwahrnehmung brutal ineinander. Es mag gut sein, dass wir uns für besser als alle anderen halten, vielleicht sind wir es auch (eher nein), aber zum einem spiegelt sich dies nicht in unserem Verhalten wieder und zum anderen selbst wenn es so wäre, wissen wir das, aber die 400 anderen Menschen im Zug wissen es nicht. Klar ist auch, dass in einem ICE sehr viele Menschen mit sehr vielen Wünschen und Bedürfnissen aufeinander treffen und man wird es nicht jedem Recht machen können und alle Bedüfnisse unter einen Hut zu bekommen, ist unmöglich. Aber mit ein bisschen mehr Rücksicht und Verständnis ist schon vielen geholfen.

Züge, Rastplätze, Restaurants, Bahnhöfe, allgemein öffentliche Plätze sind Räume für alle. Und es tut uns leid, dass so sagen zu müssen, aber Fußballfans walzen oft diese Räume hinein ohne Rücksicht auf Verluste. Viel zu oft reisen sie Plätze für alle an sich und wer im Weg ist, hat halt Pech gehabt. Wer sich beschwert wird belächelt oder im schlimmsten Fall angegriffen. Ja, wir sind ehrlich, es amüsiert uns auch, wenn wir mit der kompletten Szene an einem Bahnhof ankommen und die Menschen maximal irritiert sind, was da denn jetzt gerade passiert. Aber auch wir müssen uns eingestehen, dass wir in diesen Situationen Menschen auch Angst machen. Und das was für uns Stimmen und Gesten des Supports sind, für Menschen von außerhalb extrem brutal und militaristisch wirkt. Stellt euch doch mal vor, ihr wollt einen Sonntagsausflug mit der Familie machen und auf einmal stehen da 400 komplett in schwarz gekleidete, teilweise vermummte Gestalten gegenüber, die irgendwas in die Gegend brüllen. Ist irgendwie nicht so cool, oder?

Wir als Fußballfans können uns nicht immer über das Bild von uns in der Gesellschaft und in den Medien beschweren und uns ungerecht behandelt fühlen, um dann im selben Moment mit 10 Kasten Bier morgens um 6 in einen ICE zu steigen und den kompletten Zug zu unserem zu erklären. So geht das nicht. Wir führen uns oft auf, als wären wir die einzigen Menschen auf dieser Welt, als wäre alles unsere Party und wer sich daran gestört fühlt, ist halt Spießer und soll sich nicht so anstellen. Aber die bittere Wahrheit ist, dass wir als Fußballfans oft die sind die die „Party“ der anderen sprengen. Wir sind viel zu oft die, die den Tag fremder Menschen negativ beeinflussen und wenn es nur ist, dass wir ihnen auf einer vier stündigen Bahnfahrt ein ungutes Gefühl geben.

Es wird Zeit, dass wir uns das endlich eingestehen und unser Verhalten reflektieren. Das gilt für alle Fanszenen aber besonders für unsere. Wir können uns nicht immer für ach so tolerant und inklusiv halten (Spoiler: sind wir nicht) und uns dann sobald man uns mal aus Hamburg rauslässt, aufführen wie die Axt im Wald und jegliche andere Perspektive vergessen, weil wir ja jetzt auswärtsfahren und unseren Egotrip durchziehen müssen.

Und hey, wir wissen es betrifft nicht alle. Wir wissen es gibt genug Leute bei uns die einfach nur froh sind, dass sie es rechzeitig in den Zug geschafft haben uns ganz entspannt zum Spiel fahren wollen. Ihr seid nicht gemeint. Aber wir denken, das wisst ihr.

Es ist eine Sachen wie wir uns in unserem Stadion, Fanbussen, Sonderzügen verhalten, aber es ist eine andere Sache, wenn wir uns im öffentlichen Raum bewegen und uns diesen mit anderen Menschen teilen. Wie so oft ist auch hier das Stichwort consent. Wenn wir in unseren eigenen Räumen (seien es Fanbusse, Sonderzüg, etc.) bewegen, wissen alle Beteiligte, auf was sie sich einlassen. Alle kennen die Spielregeln. Auch wenn sich auch hier nicht immer daran gehalten wird. Aber dann gibt es regulierende Maßnahmen und Menschen, die sich darum kümmern. Sobald wir aber unsere Bubble, in welcher Form auch immer, verlassen, kennen wir zwar die Spielregeln, aber alle anderen um uns herum kennen sie nicht. Die anderen haben nicht ihre Zustimmung dazu geben, mit schlechtem Punkrock beschallt zu werden. Sie haben nicht ihre Zustimmung dazu gegeben auf ekelige Toiletten gehen zu müssen. Sie haben nicht zugestimmt, an jedem Halt 5 Minuten länger stehen und sich zum 200x anhören zu müssen, dass doch jetzt bitte endlich das Rauchen in den Türen eingestellt werden soll, da sonst die Bundespolizei gerufen werde. Wir als Fußballfans bringen fremde Menschen regelmäßig in Situationen, denen sie nicht zugestimmt haben, auf die sie kein Einfluss haben, und die negative Gefühle bei ihnen hinterlassen. Wir stülpen fremden Menschen unsere internen Verhaltensmuster über und erwarten, dass sie dies tolerieren. Es wird Zeit, dass wir uns das eingestehen und unser Verhalten ändern. Wir und unsere komischen Fußballvereine sind nicht der Mittelpunkt der Welt, auch wenn wir dies viel zu gerne glauben.

Wäre es nicht viel besser, wenn wir uns unsere Energie sparen, um dann im Block so richtig laut sein zukönnen? Was bringt es uns, wenn wir schon besoffen aus dem Zug fallen, um dann im Stadion weiter zu trinken? Wäre es nicht viel besser, alles für den Club im Block in die Tat umzusetzen, statt in einem vollen ICE, wo es die Mannschaft sowieso nicht mitbekommt? Weil sind wir ehrlich, von laut „St. Pauli! St. Pauli!“ gebrüllt irgendwo im nirgendwo zwischen Celle und Uelzen hat sich noch kein Spieler unterstützt gefühlt.

Und jetzt? Jetzt atmen wir nochmal tief durch. Wir und unser kleiner Pöbelblog werden die Welt nicht ändern können. Wollen wir auch gar nicht. (Also eigentlich schon, aber dass unser Radius klein ist, wissen wir natürlich.) Vielleicht sind wir mit unserem Gedankengang auch komplett auf dem Holzweg. Aber vielleicht kann es ein Denkanstoß sein.

3 Kommentare

  1. Marko Marko

    Au ja, genau so! Danke für diesen Beitrag!

  2. Birger Birger

    Endlich gewinnt der Kapitalismus. was nicht wirtschaftlich sinnvoll ist (anfeuern außerhalb des Stadions) soll man sich sparen und wenn schon laut im Zug, dann bitte der im Ruhewagen telefonierende Anzugträger, der damit der Wirtschaft hilft, und bitte kein Bier trinkender Fußballfan.

    *mit der Formulierung habt ihr angefangen 😉

  3. Philipp Philipp

    Ja. Ich unterstütze diese Zeilen voll und ganz.
    Ich gehe mittlerweile gern mit meinen Kindern zum Spiel.
    Leider muss ich Ihnen viel zu oft Handlungen anderer Fans unseres magischen FCs erklären, über die ich eigentlich nicht mit Grund- und Vorschülern sprechen möchte…!

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