Liebste Lesende,
wir leben in einer Zeit, in der Recht und die Bindung an Recht nicht mehr viel zählen. Zu viele Menschen wollen sich einfach nicht an Recht halten, wenn es unbequem wird. Vielen Menschen ist der Rechtsstaat ein Dorn im Auge und es ist nur „Bürokratie“ bei der Durchsetzung dessen, was man für richtig hält. Und nein, wir müssen dafür nicht mal in die Vereinigten Staaten von Amerika blicken. Es reicht ein Blick in den Alltag. Wenn Menschen von Cops zusammengeschlagen werden,dann reicht einer entspannten Mehrheit der Menschen ein „wird schon was gemacht haben“ als Ausrede. Oder man stellt die rhetorische Frage „Der böse Junge wird von den Cops zusammengeschlagen. Finden Sie das richtig?“ Und dann lässt man die „Aug um Aug, Zahn um Zahn“-Meute mit aus den Lefzen sabberndem Schleim sich austoben. Wer da noch bedächtig sagt, dass dies vielleicht ein Gericht entscheiden sollte und es dafür einen Strafrahmen gibt, wird niedergebrüllt und der Sympathie für den Straftäter verdächtigt. Verhältnismäßigkeit? Angemessenheit der Strafe? Vergesst es! Immer rauf auf das Schwein!
In so einem Klima gedeihen nebenbei auch solche Ideen wie „Straftätern die Staatsbürgerschaft entziehen“. Ja, es ist vordererst Rassismus, der so etwas begünstigt. Aber auch, dass Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit nicht als Wert an sich mehr gesehen werden. Everything goes, wenn man einmal eine Tat, die mit Strafe belegt wurde, begangen hat.
Unser geltendes (!!!) Strafgesetzbuch normiert (!!!!) die sogenannte Vereinigungstheorie der Strafzwecktheorien. Man erlaube uns an dieser Stelle, die Definition auszugsweise zu zitieren.
„Aus den §§ 38 ff. StGB lässt sich entnehmen, dass das im geltenden Strafrecht die Vereinigungstheorie gilt. Die Grundlage der Strafzumessung bildet die persönliche/individuelle Schuld des Täters, vgl. § 46 Abs. 1 S. 1 StGB. Im Ausgangspunkt handelt es sich bei der Strafe um eine repressive Übel-Zufügung, die dem gerechten Schuldausgleich dient. Ein reines Vergeltungsstrafrecht gilt nicht, weil die Strafe kein Schuldausgleich um ihrerselbst willen ist. Die Strafe erfüllt auch präventive Zwecke, wobei die Spezialprävention im Sinne des Resozialisierungsgedankens vorrangig ist, vgl. §§ 46 Abs. 1 S. 2, 47 Abs. 1, 56 Abs. 1 StGB. Der Spezialprävention dient der Vorrang der Geldstrafe vor einer Freiheitsstrafe und die Möglichkeit der Bewährung, vgl. §§ 47 Abs. 1, 56 Abs. 1 StGB. Generalpräventive Erwägungen finden nur dort Berücksichtigung, wo es für die Verteidigung der Rechtsordnung notwendig ist, vgl. § 56 Abs. 3 StGB.“
„Die Grundlage der Strafzumessung bildet die persönliche/individuelle Schuld des Täters“ zitieren wir noch einmal. Und wollen fragen: 1. Wer glaubt daran noch? 2. Was hat die Staatsbürgerschaft mit der persönlichen und indivduellen Schuld zu tun? Nichts, aber das müssen wir euch linksversifften Leser*innen hoffentlich nicht erklären. Hoffentlich!
Ja, Strafprozessrecht und Strafrecht schützt Täter*innen. Und ist doch der Unterschied zwischen Willkürstaat und Rechtsstaat.
Bedenkt dies, wenn mal wieder jemand von der in Teilen rechtsradikalen CDU was von „Rechtsstaat“ labert. Oder Dinge relativiert, die ihm/ihr in den Kram passen. Letzteres ist klassischer Willkürstaat.
Und so müssen wir Menschen, die sich eine kommunistische Utopie wünschen (und das ist immer noch mehr Star Treck als DDR, ihr Pisser!), die bürgerliche Idee des Menschenrechtsstaats mit individuellem Eigentum verteidigen. Es ist ein Elend!
Wir schweifen ab. Warum schreiben wir das alles? Weil auch der DFB gerne und immer wieder dazu neigt Recht zu sprechen, ohne in seine eigene Verfahrensordnung zu blicken. Und so kannst du beim Sportgericht auch fröhlich einen Würfel werfen, aus der „Rechts- und Verfahrensordnung“ wirst du nur sehr bedingt erfahren, was bei einem Verfahren dort rauskommt.
Und niemals vergessen: Scheiß Union!
Neuestes Beispiel? Das Spiel Union – Bochum.
Wir fassen den Sachverhalt mal zusammen: Der Torhüter der Bochumer Patrick Drewes wird in der 92. Minute von einem Feuerzeug aus dem Unioner Block getroffen. Er „geht erst noch ein paar Schritte zurück und dann fast auf der Torlinie zu Boden. Er fasst sich an den Kopf. Die medizinische Abteilung eilt zur Behandlung auf den Platz.“ (Zitat aus dem Ticker des Kickers). Es kommt zu einer Unterbrechung, vielen Unterredungen und nach 27 Minuten (Zeit auch laut Ticker) geht es weiter, wobei beide Truppen den Ball nur noch hin- und her spielen, bis der Schiedsrichter abpfeift. Bochum spielt nach der Unterbrechung mit einem Feldspieler im Tor, der Torhüter kehrt nicht zurück. Das Wechselkontingent der Bochumer war ausgeschöpft.
Was in dieser Zusammenfassung nicht steht: Ob der Drewes hätte weiterspielen können, welche Verletzungen er davon getragen hat oder ob er vielleicht „simuliert“. Ihr werdet später sehen, warum.
Das Ganze wird vor dem DFB-Sportgericht verhandelt und dieses entscheidet in erster Instanz, dass das Spiel für Bochum zu werten sei. Wir als Öffentlichkeit haben beim DFB leider nie die ganzen Urteilsgründe. Das ist eigentlich eine Frechheit, sollte schnellstens geändert werden und würde die Transparenz deutlich verbessern. Aber so ist es leider nunmal. Uns ist aber bekannt, dass das Sportgericht ausformulierte Urteile schreibt. Nur leider nicht für die Öffentlichkeit.
Es ist leider so, dass es immer schwieriger ist, die Überlegungen eines Gerichtes nachzuvollziehen, wenn nicht die gesamten Gründe vorliegen. Häufig auch, weil die Öffentlichkeit Urteile falsch deutet oder nicht versteht. („Arbeitslose dürfen laut Gericht kein Lotto spielen“ ist hier das beste Beispiel. Das steht in dem Urteil einfach nicht.)
Dieses Nichtkennen der wahren Gründe des Urteils sollte daher im Folgenden immer mitgedacht werden.
Berufung durch Dritte
Erstmal ist dieses Urteil natürlich bitter, weil es einfach Dritte betrifft. Bochum gewinnt 2 Punkte in einem engen Abstiegskampf. Union verliert einen Punkt in einem engen Abstiegskampf. Vereine, die auch in den Abstiegskampf verwickelt sind, haben nichts falsch gemacht, müssen aber mit ansehen, dass dieser Kampf eventuell gar nicht auf dem Platz entschieden wird.
Es ist daher nur verständlich, wenn sich der FC St. Pauli und Kiel der Berufung von Union anschließen. Für diese beiden Vereine muss sich das ungerecht anfühlen.
Selbst wenn wir an dieser Stelle mal annehmen würden, dass das Urteil der ersten Instanz ohne Zweifel richtig wäre, ist dies der einzig richtige Schritt. Möglichkeiten offenhalten, in der Diskussion bleiben und auch von einem Berufungsgericht gehört zu werden ist hier die Devise.
Kurzer formaler Check
Können Kiel und der FCSP denn einfach Berufung einlegen? Immerhin sind beide Vereine nicht beteiligt gewesen. Ja, können sie. Siehe § 26 Nr. der Verfahrenordnung sagt, dass Berufung auch einlegen können „auch zunächst nicht am Verfahren beteiligte […] Vereine […], die ein unmittelbares berechtigtes Interesse an der Entscheidung nachweisen“. Ein berechtigtes Interesse wird hier wohl keines Beweises bedürfen. Es liegt auf der Hand. Wobei: Der DFB-Gerichtsbarkeit ist das wohl nicht so klar, denn im Kicker steht, dass man dies auch in der Verhandlung entscheiden wolle. Die einzige Vermutung, die wir aufstellen können ist, dass man dafür das „unmittelbar“ sehr eng verstehen müsste.
Und inhaltlich?
Ist das Urteil schon komisch. Und das liegt nicht an der Frage, ob Patrick Drewes objektiv hätte weiterspielen können. Union suggeriert ja gerne in Nebensätzen, dass man dies nicht glaube, aber so richtig Beweise scheint niemand darüber erhoben zu haben. Und es wäre nunmal eines Beweises zugänglich gewesen. In der Pressemitteilung des DFB wird es auch vorsichtig formuliert. Da steht „an seinen Kopf verletzt und dadurch in seiner Einsatzfähigkeit eingeschränkt worden ist“. Das ist doch deutlich was Anderes, als „konnte definitiv nicht mehr weiterspielen“.
Die Fragen kommen woanders auf. Wenn man sich die besagte Ordnung so durchliest, dann könnten hier zwei Normen passen. Einmal § 17. Den wir jetzt nicht vollständig abdrucken, sondern nur in einem kleinen Auszug. Und ihn danach noch ein bisschen zusammenfassen.
§ 17 Einspruch gegen die Spielwertung
[…]
2. Einsprüche gegen die Spielwertung können unter anderem mit folgender
sachlicher Begründung erhoben werden:
[…]
b) Schwächung der eigenen Mannschaft durch einen während des Spiels
eingetretenen Umstand, der unabwendbar war und nicht mit dem Spiel und einer dabei erlittenen Verletzung im Zusammenhang steht. […]
§ 17 definiert keine wirkliche Rechtsfolge, wenn ein solcher Einspruch begründet ist. Nur bei dem schuldhaften Einsatz eines gedopten Spielers wird eine Rechtsfolge (Wertung mit 2-0 für den Gegner) vorgeschrieben. In seiner Nr. 6 schreibt der Paragraph auch noch, dass „Wird auf Spielwiederholung erkannt, ist das Spiel grundsätzlich am gleichen Ort neu auszutragen.“
Daraus kann man nur folgern, dass dies eine der möglichen Strafen sein könnte, und daraus, dass die 2-0 Wertung in einem Fall vorgeschrieben wird, kann man folgern, dass dies noch eine Möglichkeit wäre.
Seien wir ehrlich: Das ist keine gute Gesetzestechnik. Wir sprechen hier immerhin von einem Verbandsstrafrecht. Und das sollte eigentlich klar benennen, welche Folgen wann einen Verein erwarten. Das tut es nicht. Auch, dass in dem zitierten Teil ein „unter anderem“ steht und dann diverse Vergehen komplett unterschiedlicher Art genannt werden, macht es nicht besser.
Was man aus § 17 nicht lesen kann ist, wann auf Wiederholung und wann auf 2-0 Wertung entschieden werden sollte.
Ist denn der Tatbestand, den wir da zitieren erfüllt? Natürlich kann man sagen, dass die Verletzung durch einen Zuschauer im Zusammenhang mit einem Spiel vor Zuschauer*innen steht, aber so wird das nicht gemeint sein, daher wollen wir mal annehmen, dass der Tatbestand erfüllt ist.
Es gibt aber auch noch § 18 „Verfahren bei Nichtaustragung eines Bundesspieles (Verzicht, Nichtantreten, verspätetes Antreten, Spielabbruch)“. Dieser normiert u.a. folgendes:
„4. Wird ein Bundesspiel ohne Verschulden beider Mannschaften vorzeitig abgebrochen, so ist es an demselben Ort zu wiederholen. Trifft eine Mannschaft oder ihren Verein oder beide Vereine ein Verschulden an dem Spielabbruch, ist das Spiel dem oder den Schuldigen mit 0:2-Toren für verloren, dem Unschuldigen mit 2:0-Toren für gewonnen zu werten. Hat der Unschuldige im Zeitpunkt des Abbruchs ein günstigeres Ergebnis erzielt, so wird dieses Ergebnis gewertet. Dies gilt entsprechend, wenn eine Tochtergesellschaft beteiligt ist.“
Okay werdet ihr jetzt sagen. Es gab ja keinen Spielabbruch. Also: nicht einschlägig. Next! Da habt ihr aber die Rechnung ohne den Richter gemacht, der in der Pressemitteilung wie folgt zitiert wird:
„Wenn ein Spieler durch einen Feuerzeugwurf aus dem Publikum verletzt wird und das Spiel danach nicht mehr fortsetzen kann, stellt dies eine strafbare Handlung und einen schweren Verstoß gegen die Fußball-Rechtsordnung dar, der stets einen Spielabbruch rechtfertigen würde. Solche Verstöße müssen eine eindeutige spieltechnische Rechtsfolge nach sich ziehen. Dies kann nur eine Spielwertung zu Gunsten des geschädigten Vereins sein. Das Ergebnis kann nicht durch einen ‚Nicht-Angriffspakt‘ der beteiligten Vereine entschieden werden, solche Vereinbarungen widersprechen den Grundprinzipien des sportlichen Wettbewerbs.“
Okay. Übersetzt heißt das „wenn Teams nicht genug Elan zeigen, tun wir so, als ob abgebrochen wurde“. Da kommen bei uns natürlich Fragen auf. Es steht im Zeitpunkt dieses Vorfalles 1-1 in der Nachspielzeit eines sehr wichtigen Abstiegsduells. Wie viel nach vorne spielen müssen Verein A und Verein B, damit es nicht wie ein „Nicht-Angriffspakt“ aussieht? Muss es extrem offensichtlich sein? Reicht Österreich-Deutschland? Oder Hürzeler-Fußball? Hängt das DFB-Urteil dann davon ab, dass jeder Verein noch mal aufs Tor schießt?
Ja klar, hier ist es sehr offensichtlich. Aber Fragen bleiben. Denn hier wird ein Nichtabbruch einem Abbruch gleichgestellt. Und ist es wirklich ein vergleichbarer Sachverhalt, wenn die beiden Teams in der Nachspielzeit (!) die Zeit einfach runter laufen lassen? Man kann hier sehr gut Zweifel haben. Insbesondere weil ja die Ordnung den Abbruch als Sonderfall regelt, alle anderen Dinge aber nicht.
Nebenbei: Fuck Corona! Denn wir hatten so etwas schon mal. In Hoffenheim. Mit Bayern. Nach einer Beleidigung gegen Hopp. Corona führte aber dazu, dass das Verfahren eingestellt wurde. Meint ihr, dass in diesem Fall ein DFB-Richter auf die Idee gekommen wäre, das Spiel nachträglich für Hoffenheim zu werten? (Ja, Hoffenheim war damals nicht gegen die Wertung vorgegangen. Aber so rein fiktiv? Es stand nebenbei 6-0 für Bayern.)
§ 9a rockt
Aber halt! Da steht doch was von Verschulden. Und Präsident Zingler lässt sich wie folgt zitieren (laut Homepage von Union)
„Viel schlimmer ist es jedoch, wenn jemand versucht, sich aus diesen für keinen Veranstalter zu verhindernden Ereignissen einen Vorteil zu verschaffen, insbesondere dann, wenn auch unbeteiligte Dritte dadurch erheblich benachteiligt werden. Das ist hier der Fall: Der eigentliche unsportliche Skandal hat nach dem Ereignis auf dem Rasen und heute vor Gericht stattgefunden.
Wir werden daher alle uns zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel ausschöpfen und gegen das heutige Urteil vorgehen. Dieses Urteil schadet dem Fußball enorm, wird das nicht zu akzeptierende Werfen von Gegenständen aber nicht verhindern. Vielmehr setzen wir uns der Gefahr aus, dass in Zukunft nicht die sportlichen Leistungen der Mannschaften entscheiden, wie ein Spiel ausgeht, sondern mögliche Schmähungen, Beleidigungen, Rauch oder eben der Wurf eines Gegenstandes.“
Erstmal ist das faktisch richtig. Kein Veranstalter kann das ernsthaft verhindern. Auch Scanner, Nacktuntersuchungen, Netze und alles Sitzplätze könnten nicht verhindern, dass Alltagsgegenstände in Richtung Feld fliegen. Oder man müsste jeden Menschen vor dem Eintritt durchsuchen, als ob er in den Knast gehen würde. Alles unmöglich.
Ein Verschulden von Union Berlin als Veranstalter wird hier auch niemand annehmen. Aber es gibt da einen § 9a Nr., der folgendes normiert:
„Vereine und Tochtergesellschaften sind für das Verhalten ihrer Spieler, Offiziellen, Mitarbeiter, Erfüllungsgehilfen, Mitglieder, Anhänger, Zuschauer und weiterer Personen, die im Auftrag des Vereins eine Funktion während des Spiels ausüben, verantwortlich.“
Diese Zurechnung ist absolut und ohne Ausstiegsmöglichkeit formuliert und damit eindeutig. Im Internet kam nun häufig der Gag auf, dass man sich dann ja in den entsprechenden Block stellen könne und gezielt Torhüter abwerfen könne, wenn einem ein Verein nicht gefalle. Dies ist prinzipiell richtig, trotzdem würden wir dazu nicht raten, denn a. ist die persönliche Folge für einen sehr schmerzhaft und b. ist „ihre Fans“ dem Beweis zugänglich. Union hätte also ohne weiteres hier Beweis anbieten können, dass es sich eben nicht um einen ihrer Fans gehandelt habe. Der geneigte Juramensch möchte an dieser Stelle gleich darauf hinweisen, dass substanzloses Bestreiten der Marke „dies sind keine Fans“ nicht ausreicht. Und soweit wir das überblicken können, ist dies von Union nie behauptet worden. Nebenbei: Rein theoretisch hätten wir diesen Fall gerne mal. Denn das wäre lustig. Es wird festgestellt, dass ein Kiel-Fan dieses Feuerzeug geworfen hat. Dann wäre bei einer strengen Befolgung plötzlich Kiel für den haftbar. Obwohl sie an diesem Tag sonst nicht anwesend waren. Wir würden sooo viel Popcorn holen.
Man kann diese Norm nebenbei für fragwürdig halten. Aber sie ist nun auch nicht gerade neu. Wir haben schon 2012 Artikel geschrieben, wo es um diese Norm geht. Zu ihrer Zukunft lest bitte am Ende des Artikels.
Präzedenz?
Gibt es wenige. Man will beinah sagen: Zum Glück! Das oben benannte Hoffenheim – Bayern Spiel wurde nie vor dem Sportgericht verhandelt. Die ARD nennt zwei Beispiel von 1988 und 1994, die beide mit Wiederholungsspielen abgeurteilt wurden. Ganz alten Menschen unter uns wird noch das Büchsenwurfspiel vom Bökelberg ein Begriff sein. Auch dort: Wiederholungsspiel. Etwas neuer ist das Beispiel Bayern Hof, denen zwei Punkte abgezogen wurden, was zu deren Abstieg geführt hätte. Dieser Fall ist aber auch nicht wirklich vergleichbar und hielt vor ordentlichen Gerichten auch nicht stand. Weil der angebliche Treffer nicht wirklich beweisbar war.
Alle ähnlichen Fälle sind also uralt oder eher nicht als Vergleich geeignet. Ein Wiederholungsspiel ist hier natürlich auch eine schlechte Lösung, denn dass Bochum nochmal zumindest ein Unentschieden in Berlin holt, hat eine gewisse Nichtwahrscheinlichkeit.
Fakt ist auch: Präzedenz spielt im deutschen eine untergeordnete Rolle. Aber richtig ist, dass man bisher eher zu einer Spielwiederholung geneigt hat. Und so richtig sehen wir keinen Grund in dem Tatbestand, um hier härter zu agieren. Außer vielleicht dem Zeitgeist, der glaubt, dass härtere Strafen irgendwelchen abschreckenden Charakter haben. Haben sie nebenbei nicht.
Mündliche, schriftliche und wahre Gründe
Es gibt bei Urteilen immer drei Arten von Gründen. Einmal die, die mündlich vom Richter vorgetragen werden, dann die, die im schriftlichen Urteil niedergeschrieben werden. Und dann gibt es auch noch die wahren Gründe. Und so wenig wir uns das zugestehen wollen, so sind Jurist*innen auch nur Menschen und dies selbst wenn sie beim DFB Recht sprechen. Sie sind nicht unfehlbar und lassen sich durch Gesagtes außerhalb der Sache auch beeinflussen. Nebenbei: Dies ist auch eines von diversen Argumenten gegen die Todesstrafe. Und auch einer der Gründe, warum Anwält*innen euch immer raten werden, die Fresse zu halten.
Die wahren Gründe werden einem nie erzählt. Man kann sie nur vermuten. Aber wir sagen es mal so. Dieses hier
„“[…] Wir können uns aber nicht für eine andere Person entschuldigen. Wenn wir uns als Verein etwas vorzuwerfen hätten, dass wir als Organisation falsch reagiert hätten, würden wir das selbstverständlich tun können, keine Frage.“ (Quelle und ja da ist bewusst eine Sekundärquelle angegeben.)
ist eher nicht förderlich. Union sollte § 9a bekannt sein. Union trägt seine Fans immer vor sich her. Da muss man in diesem Fall auch mal sagen „okay, dann müssen wir uns auch entschuldigen“. Ja, da will natürlich jemand vermeiden, dass irgendwas wie ein Schuldeingeständnis aussieht, aber das ist unglücklich. Und sagen wir es mal so: Das wird auch ein Gericht erreichen und das wird dann nicht gerade als Einsicht und Bedauern gewertet.
Ostvereine gegen Pyrotechnik oder so
Weil es gerade so passt. Diverse Ostvereine (böse Zungen sprechen auch von einem „who is who des Grauens“, aber dies wäre ein bisschen gemein, immerhin steht da ja auch Babelsberg hinter) wollen die Verbandsstrafenpraxis ändern. Und ihre Argumente sind nicht von der Hand zu weisen.
Erstmal ist die Weiterreichung natürlich eine de facto Bestraftung des zündenden neben dem Strafrecht. Die natürlich nur erfolgt, weil die konservativen Kräfte des DFB die strafrechtliche Folge als nicht ausreichend ansehen. Klassischer konservativer Move nebenbei. Dieses „zu weiche“ Strafrecht, der „scheiß Gerichte“? Absoluter Klassiker. Deswegen auch hier die Umgehung. Natürlich wäre es gut, wenn man dies lassen würde.
Und natürlich wäre da die Abschaffung des § 9a eine Möglichkeit. Jedoch: Der ist ja gerade nicht für Pyro geschaffen worden. Sondern dafür, dass Vereine gegen rassistische Gesänge von Fans vorgehen. Und da hat er auch seine Berechtigung.
Denn seien wir ehrlich. Dieses Zitat
„Auf der anderen Seite hätten die Vereine selbstverständlich die umfangreichen Sicherheitsanforderungen für die Durchführung von Spielen unter dem Dach des Verbandes konsequent einzuhalten und umzusetzen“. Verstöße müssten daher „mit dem gebotenen Augenmaß und einer einzelfallgerechten Entscheidung“ sanktioniert werden.“
geht am Kern der Sache vorbei. Die Vereine machen alles Denkbare. Siehe oben. Wäre dies nicht der Fall, kann niemand gegen eine Geldstrafe sein. Pyro an sich ist schlichtweg nicht zu verhindern für die Vereine. Siehe oben.
In einem Punkt möchten wir jedoch widersprechen. Die Vereine sind nicht gezwungen, sich diesen Ordnungen zu unterwerfen. Diese werden durch Verbandstage beschlossen. Und es gilt dann auch darum, Mehrheiten zu organisieren. Ein erster Schritt für so etwas ist ein solches Bündnis.
Ganz herzlichen Dank für diese Einordnung!!!Es ist immer wieder eine große Freude, Eure Beiträge zu lesen.
Herzliche Grüße Sabine
Kleiner Kommentar zum letzten Punkt: „Die Vereine sind nicht gezwungen, sich diesen Ordnungen zu unterwerfen. Diese werden durch Verbandstage beschlossen.“
Das ist natürlich formal richtig, interessanterweise haben wir in Deutschland aber ja zwei verbandsrechtliche Ordnungen – DFB und DFL. Betroffen von den harten Pyro-Sanktionen sind hauptsächlich (wenn auch nicht nur), Clubs der DFL und manchmal ein paar Drittligisten im DFB. Der DFB ist jedoch verbandsrechtlich extrem viel breiter organisiert und die, die über das Verbandsrecht entscheiden, sind eben zu großen Teilen nicht von den Pyro-Strafen betroffen (folgen also eher abstrakten Überlegungen zu Strafbarkeit und haben auch ggf. andere Vorstellungen darüber, was große Clubs mit großen Stadien zu leisten imstande sind und was nicht). Durch diese Struktur ist es fast unmöglich, im DFB verankerte Normen, die auch den PROFI-Fußball betreffen zu ändern. Die Argumente liegen seit Jahren auf der Hand und es reicht dennoch nicht.
In Österreich ist das z.B. anders: dort werden Pyrostrafen vor allem durch das Pendant der DFL geregelt. D.h. es gibt die Strafen auch, aber das System funktioniert anders und mehr Teile des Geldes fließen auch an Clubs zurück, um ihre Sicherheitskonzepte zu verbessern. Änderungen sind auch besser möglich, weil man eben nur eine kleine Gruppe von Clubs überzeugen muss.