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Nordkoreasolidarität ist wichtig

„Ich will Sie dabei haben, Johnny.“

„Lassen Sie mich einfach in Ruhe.“

„Was wollen Sie tun? Hier in dieser schäbigen Wohnung sitzen und sich selbst bemitleiden, oder da raus gehen und Ihr Land retten?“

„Ich werd‘ hier sitzen bleiben.“

„Wir könntеn uns um schöne Dinge kümmern“ singt „Team Scheisse“ so schön. Und eigentlich wollten wir diesen Artikel nicht schreiben – alleine schon, weil wir niemanden mehr überzeugen und es einfach viel bessere Quellen als uns gibt. Aber wir haben auch Puls. Also schreiben wir doch.

Wir sind etwas verwirrt. Es sollte seit Jahren klar sein, dass viele einflussreiche (!) Gruppierungen und Institutionen rund um den FC St. Pauli es nicht so mit der Nationalmannschaft haben. Diese EM haben das Jolly Roger und USP diese Haltung etwas öffentlicher gemacht als bisher und plötzlich gehen die Kommentarspalten nicht mehr zu. Schon bei der Bitte des Vereines, Nationalfahnen zu Hause zu lassen (eine seit Jahren gelebte Praxis in großen Teilen unseres Stadions) bei der Aufstiegsdemo, gingen die Leute steil. 

Gucken wir aber erst einmal an, was diese beiden Institutionen gepostet haben

Jolly

USP 

"VEREINSLIEBE STATT VATERLANDSLIEBE" gegenüber des #fuckuefa Fanfests. #fcsp #em24

[image or embed]

— Ultrà Sankt Pauli (@ultrasanktpauli.bsky.social) Jun 14, 2024 at 09:12

Wir wissen, dass es in Zeiten des Internets und sehr flexibler Wahrheiten müßig ist, aber vielleicht solltet Ihr erst einmal lesen, was da steht,bevor Ihr das Internet zu schwallert. „Kann ich denn die DFB-Mannschaft nicht gut finden?“. Natürlich kannst Du das. „Ich bin also Nazi, wenn ich ein DFB-Trikot trage?“. Nein, das steht da nicht. Lies nochmal! 

Das Jolly stellt Hausregeln (!) auf und schreibt noch „Bitte respektiert das!“, und die Leute gehen steil, als ob ihnen gerade gesagt wurde, dass sie ohne Abendbrot ins Bett müssten. Wenn doch Euer Support so „unverkrampft“ und „unpolitisch“ etc.pp. ist, warum habt Ihr dann damit ein Problem? Warum nicht „Okay, dann gehe ich halt in 1.000 andere Kneipen, wo ich mit meinem DFB/Schottland-what ever-Trikot die Spiele verfolgen kann“? 

Staat Nation Kapital Kacke!

Ganz einfach: Weil es ausgrenzend wird. Wer nicht mitmacht, verrät die Nation. Nein, es geht eben nicht um eine eher zufällige Auswahl von Spielern mit ähnlichen Geburtsorten, sondern es geht gleich um „die Nation“. „die Deutschen“ gegen „die Ungarn“. Dann wird dieser Gleichsetzung gerne noch ein Klischee zugeordnet. Na, was für Stichworte kommen Euch in den Sinn, wenn Ihr „die Italiener“ lest? 

Und das soll alles unproblematisch sein? Das ist es eben nicht. Nationalmannschaften sind unsinige Ausgrenzungen, das Spiel mit Ressentiments und Chauvinismus, sie sind Stärkung von Patriotismus* und das ist nie unproblematisch. Es gibt nicht das „entspannte Deutschland“ und „wir stehen doch für Toleranz und Demokratie“. So etwas nennt man cherry picking und blindes Zurechtdrehen. Genau das ist Patriotismus: Verklärung eines Landes. 

Und das ist eben auch nicht von dem Support einer Verbandsauswahl zu trennen. Niemand schreibt „Die Auswahl des DFB hat aber gut gespielt“. Nein, es hat immer „Deutschland gut gespielt“. Die „nun sind wir wieder wer“-Artikel im Spiegel haben wir alle noch in guter Erinnerung. Nichts ändert sich, wenn eine Verbandsauswahl gut oder schlecht spielt. 

Hey, selbst Wikipedia (!!!) schreibt über Patriotismus, dass „[…] die Unterscheidung zwischen Patriotismus und Nationalismus oder Chauvinismus keine Grundlage in der Realität hat“ und zitiert dafür sozialwissenschaftliche Studien. Wenn Ihr so wollt, zitiert USP auch nur diese Studien. Boah ey, diese studentischen Ultras, selbst ihre Dissplakate sind noch wissenschaftlich belegt!

Hinzu kommt noch, dass Länder so unfassbar zufällig, lächerlich und von Herrschenden auferzwungen sind. Allein die Grenzen von „Deutschland“ haben sich in den letzten 300 Jahren gefühlt 1000 mal verschoben. Vor 300 Jahren gab es so etwas wie „Deutschland“ noch nicht einmal. Da ist genügend Scheiße passiert, für die man sich schämen sollte. Aber – Halt, „Kollektivschuld“ wird ja abgelehnt. Kollektiv bitte unbedingt mitzumachender Patriotismus ist aber wichtig! HÄ?  

Wir als FCSP-Fans stehen insbesondere auch für einen Fußball, bei dem eben nicht das Gehirn ausgeschaltet und alles abgenickt wird, weil es vom FCSP kommt. Uns sollte also genau diese Form der Pauschalisierung zuwider sein, eine kritische Distanz zum Konstrukt „Nation“ eigentlich tief in unserer DNA verwurzelt sein.  Wer das über den Haufen wirft, dem können wir nur „check yourself“ zurufen. 

Können wir den Reiz von diesen Turnieren verstehen? Natürlich. Da wird ja kein schlechter Ball gespielt. Diese meist zusammengewürfelten Truppen machen das Leistungsniveau enger und damit spannender. Hey, wir wollen das nicht sagen, aber Schotten mit ihrem Dialekt? Wer das nicht mag, der hat nie gelebt. Es bleibt aber eben doch problematisch. Sehr nur u.a. die Fans der ungarischen Mannschaft mit ihren Gigi-Anspielungen, sehr die diversen Fotos von „Lads“ mit Nazi-Insignien und Sprüchen auf einschlägigen Social Media Accounts. Sehr auch die diversen rassistischen Vorfälle, die im Anschluss an Spiele des DFB passieren. Sorry, wir sind nicht bereit, das zu ignorieren, und es erscheint uns ein zu hoher Preis für ein paar nette Kicks. Dabei haben wir noch nicht mal ein Wort über korrupte Verbände und Steuerfreistellungen für die UEFA verloren. 

Selbst auf Twitter kann man das nebenbei als nicht-FCSP-Fan sehr differenziert sehen. Geht. Unglaublich.

Ein paar Klarstellungen

Vielleicht noch ein paar Klarstellungen, weil wir das gelesen haben. 

1. Keines dieser Plakate ist „deutschfeindlich“. Jede der getätigten Aussagen bezieht sich grundsätzlich auf Nationen. Das ist etwas Anderes. Es wird eben nicht ein besonderer Nationalstolz kritisiert und andere gutgeheißen, sondern es werden alle kritisiert. Damit hat auch die Linke traditionell ein erhebliches Problem. 

2. Das ist nicht „irgendeine Bubble, die den Verein kaputt macht“. Diese Bubble besteht aus der relevanten Kneipe und der führenden Gruppe der Fankurve. Das ist keine isolierte Bubble. Nein, das sind Leute, die seit Jahren diesen Verein prägen (und ihre direkte Mitbestimmung nutzen, die Du als Mitglied ebenfalls hast) und sich für ihn den Arsch aufreißen, während Du im Internet pöbelst. Diese Haltung haben sie nicht erst seit gestern und nutzen dafür die Meinungsfreiheit (das ist nebenbei etwas, auf Du immer verweist, wenn Du so stolz bist auf Dein Schland). Wenn Dir diese Haltung jetzt erst auffällt, dann fragt sich dieser irrelevante Pöbelblog echt, unter welchem Stein Du in den letzten Jahren geschlafen hast. 

3. Checkt Ihr mal TikTok? Wahrscheinlich noch weniger als wir. Ja, wir Zukunftsverweiger*innen haben da mal einen Account eingerichtet um ihn dann nicht zu nutzen. Wir können Euch aber sagen, dass ein Reingucken in Fußballthemen da eine komplette Parallelwelt offenbart. Ihr glaubt es nicht. Irgendein*e Sozialwissenschaftler*in muss bitte mal über Fußballtiktok wissenschaftlich schreiben. In dieser Parallelwelt kann halt auch irgendwer mit „Ganz viel Meinung. Ganz viel Fußball“ (Selbstbeschreibung auf Twitter, das „wenig Ahnung“ haben wir nur mitgedacht) meinen, dass er sich nun wegen des USP-Banners schäme, St. Pauli Fan zu sein. 21.000 Follower*innen. Uff. 

Wir sagen es, wie es ist: Wir sind stolz (sic!) auf USP und das Jolly. Wir haben immer wieder geschrieben, dass der FCSP viel deutlicher, viel unbequemer sein muss. Ihr seid es. Nicht wie 2006, wo das Clubheim noch in Nationalfahnen geschmückt war und im Jolly auch noch im Deutschlandtrikot geguckt wurde. Klare Kante! Niemals so nötig wie jetzt. Das habt Ihr sehr gut gemacht. Auch wenn Ihr unser Lob nun wirklich nicht braucht. 

4. Natürlich fühlten sich dann auch irgendwelche polnischen Nazihools bemüßigt, das Banner abzureißen. So viel nebenbei zu „In Europa kennt Euch keine Sau“. Was es dann natürlich nicht zu lesen gab war: „Fand ich jetzt auch nicht so geil, das Plakat, aber Nazis sind scheiße, die sollen sich verpissen!“ Nein, man fand das gut und erklärte polnische Nazis (!!!) zu Ehrenmännern oder ähnlichem. Und auch unsere ach so unpolitischen Rauten fanden das zuhauf geil. Wenn das Dein Rautenbuddy ist, der doch sonst immer ganz toll ist, dann fällt es auch auf Dich zurück, lieber FCSP-Mensch. Klare Kante. So wichtig!. (Eine kritische Auseinandersetzung muss selbstverständlich nicht bei Twitter oder Ähnlichem verkündet werden, kann privat passieren, sie sollte aber stattfinden.)

5. 2023 haben die ganz wundervollen Blocknachbarn einen Schal mit dem Spruch „Vereinsliebe statt Vaterlandsliebe“ aufgelegt. Dieser fand so reißenden Absatz, dass er nachgeordert werden musste. Was damals fehlte: Aufregung von irgendwelchen Paulis und ellenlange Diskussionen im Internet. 

6. Als Fan eines Clubs kann man nebenbei das bisher geschriebene auch zu einem eigenen „check yourself“-Moment nutzen. Fußballvereine sind häufig genug genauso Mittel des lokalen Patriotismus. Ressentiments werden nur zu gerne über den gegnerischen Club gelegt. Das sind ähnliche Mechanismen, die man immer wieder hinterfragen sollte. 

2 Kommentare

  1. Jan Jan

    Danke für das 6. – ich stelle mir auf der Metaebene schon lange die Frage, ob all die Scheiße, die Fans „nur wegen Fußball“ im Namen ihres Vereins verzapfen, nicht als quasi gelebter Lokalpatriotismus genauso problematisch ist wie der Patriotismus auf nationaler Ebene. Schön, dass ihr das auch so seht und auch mal so deutlich schreibt! Auf der Metaebene stellt das dann eventuell sogar die Aussage „Vereinsliebe statt Vaterlandsliebe“ zur Diskussion. Auch wenn klar ist, wer der Adressat dieser Aussage ist und ein Teil dieser ja nun auch darauf reagiert hat, indem die polnischen Hools das Banner entwendet haben. Und die Absender*innen zählen definitiv zu den „Guten“. Aber auch sie betreiben ja auf ihre Weise auch sagen wir mal Diskriminierung des Lokalrivalen. Insofern stellt sich für mich schon die philosophische Frage, ob in einer idealen Welt eine FCSP Fanszene, die sich in so vielem angenehm von anderen abhebt, auch auf das Dissen und damit ausgrenzen, diskrimieren anderer Fanszenen verzichten sollte. So wie es früher ja viel mehr als heute zumindest teilweise praktiziert wurde. Mal ganz davon ab, dass ja auch einige wenige, auf die Werte des FCSP nichts gebende, Menschen gibt, die auch Fans anderer Vereine überfallen, abziehen etc. pp. oder sogar eigene Fans angehen, wenn die ihnen signalisieren, dass sie ihr Verhalten problematisch finden… Sommerpause… Zeit für philosophische Gedanken im Fußballkontext. 😉

  2. Oliver Oliver

    Das ist ein sehr kluger Artikel. Alles sooo richtig.
    Danke.

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