Liebe Lesende,
der Verein hat nun verkündet, dass unser Trainer uns erhalten bleibt. Details nennt der Verein – wie üblich – nicht.
Das hat lange gedauert und Unsicherheit in einer solchen wichtigen Personalie sind nie gut. Ja, „Trainer kommen, Spieler gehen – nur St. Pauli bleibt bestehen“ ist auch eine Wahrheit, aber natürlich ist es nicht die einzig wahre. Klare Grenzen und Vorgaben machen Arbeiten immer leichter. Und die gab es nun mal nicht. Irgendwann ist dann auch jede Lösung besser als gar keine Lösung. Denn auch für einen Spieler ist Klarheit einfach besser.
Insofern ist es gut, dass es nun eine Lösung gibt. Und es ist auch gut, dass Hürzeler sein Talent hier noch ein bisschen ausbauen kann und Erfahrung sammeln kann, bevor er in der Champions League trainiert. Wobei es natürlich am besten wäre, wenn er dies mit dem FCSP tun würde.
Wie kam es dazu?
Überlegen wir also, wie es zu dem Verlauf kam. Wir haben das ganz bewusst zu 99 % nicht kommentiert, während es keine Klarheit gab. Wir sind uns auch bewusst, dass es ein gesteigertes Interesse an solchen Fragen gibt, aber wir mögen da nicht die Informationsquelle sein. Das überlassen wir gerne anderen Quellen, die zum größten Teil auch aufgrund von kapitalistischen Dynamiken darüber schreiben müssen, weil es eben Interesse auf ihre Publikationen lenkt. Wir sind in der glücklichen Lage, von diesem Blog nicht finanziell abhängig zu sein. Daher können wir eben auch mal ein Thema links liegen lassen.
Versteht uns nicht falsch: Es ist der Job der Sportpresse, auch so etwas zu recherchieren und zu hinterfragen. Wir sind halt keine Sportpresse, sondern Fans mit einer Meinung. Trotzdem sind Spekulationen natürlich immer nur die halbe Wahrheit. Weil die Infos häufig genug von einer Seite kommen und diese Seite natürlich ein Interesse hat. Es ist ein schwieriges Feld, und wir beneiden niemanden, der das macht.
Daher haben wir auch keinen allgemeinen Text zu der ganzen Sache geschrieben. Nun, wo das Ganze fertig ist, möchten wir aber trotzdem drüber schreiben. Und wie ihr es beinah gewohnt seid, holen wir ein bisschen aus.
Allgemein
Ein Vertrag kommt zustande, wenn zwei übereinstimmende Willenserklärungen vorliegen. In der Praxis wird dies so laufen, dass eine Partei ein Angebot macht und die andere Partei „Ja“ sagt. Und zwar nur „Ja“. Ein „Ja, aber…“ ist für Jurist*innen die Ablehnung des Angebotes verbunden mit einem neuen Angebot.
Wir Allerweltsbürger*innen sind Vertragsverhandlungen in einem solchen Stil nicht gewöhnt. 99,9 % aller Verträge, die wir abschließen, sind Massengeschäftsverträge, und wir können das Angebot nur annehmen oder es sein lassen. Niemand geht zum Zeitschriftenhändler und sagt „Ich möchte die 11Freunde, aber ich möchte dafür nur 6 EUR zahlen“. Und wenn wir in unserer Welt mal einen Vertrag „verhandeln“, dann ist es meistens die Frage des Preises, nicht der sonstigen Modalitäten.
Hinzu kommen diverse AGB (da gehört kein „s“ ran!), die ganz viele Vertragsfragen regeln, bevor wir uns überhaupt eine*n Handwerker*in, eine*n Autohändler*in etc. ausgesucht haben. Und das ist nicht nur von Nachteil. Müssten wir jeden Autokaufvertrag von null an verhandeln, sollten wir als Normalbürger*innen auch immer eine Jurist*in zu den Verhandlungen mitnehmen. Das Leben würde unendlich kompliziert werden.
Das ist bei so einem Trainer*innenvertrag schon was ganz anderes. Da ist die Verhandlungslage sehr viel freier, und gerade wenn man nicht auf Platz 18 liegend dringend einen neuen Trainer braucht, haben da beide Seiten auch die Möglichkeit, Wünsche jeglicher Art zu äußern. Laufzeiten, die Möglichkeit den Vertrag vorzeitig zu beenden, Mitspracherechte bei Spielerverpflichtungen, Garantien zu Budgets etc. etc. sind nur die paar Beispiele, die uns sofort einfallen. Der Fantasie sind hier beinah keine Grenzen gesetzt. Und da haben wir noch gar nicht über das Thema „Gehalt“ gesprochen.
Trainer*innen und Spieler*innen nehmen sich genau aus dieser sehr freien Verhandlungslage Berater*innen. Das ist auch richtig und gut so. Man nehme nur unser Gedankenexperiment von oben. Wenn ihr einen Autokauf frei aushandeln wolltet, würdet ihr euch auch um eine kundige Vertretung bemühen. Diese Berater*innen sind Parteivertreter*innen – sie sollen und müssen einseitig handeln. Es ist für sie vollkommen irrelevant, ob das ist gut für die Gegenseite, die Welt oder sonst wen. Das Wort „Parteivertreter“ ist ein juristisches (und da Jurist*innen stockkonservativ sind, gendern die natürlich nicht und es ist hier mal ungegendert wiedergegeben). Dieser Grundsatz ist dem Recht so wichtig, dass es für den Verrat an der eigenen Partei mit § 356 StGB einen eigenen Straftatbestand geschaffen hat.
Die Kunst der guten Beratung ist natürlich, mit seiner Partei intensiv darüber zu sprechen, was eigentlich das Beste ist. Und da beginnen die Probleme. Ist es „besser“, mit dem FCSP aufzusteigen, dann souverän die Klasse zu halten, hier in Hamburg nie wieder ein Bier bezahlen zu müssen und absolute Legende zu sein? Dabei aber das Risiko zu haben, dass in der Bundesliga die eigene Spielweise nicht funktioniert und man auf den Bauch fällt und danach man nicht mehr als Talent gilt, das mit jedem Verein in Verbindung gebracht wird? Das Beispiel „Florian Kohlfeld“ hat wahrscheinlich jede Beratungsagentur vor Augen. Man fällt sehr schnell aus dem Sternenhimmel „Top-Trainer“, und nur sehr wenige Trainer*innen bleiben sehr lange in diesem Himmel. Die meisten werden irgendwann gefeuert und haben massive Kratzer am Image. Außer man heißt Jürgen Klopp, der wird nie gefeuert.
Daher kann es auch „das Beste“ sein, sofort zu einem möglichst gut bezahlenden Bundesligisten zu wechseln, dort eine Zahl auf dem Gehaltszettel zu finden, die die Möglichkeiten des FCSP WEIT übersteigt und die dafür sorgt, dass man sich nach diesem Engagement zumindest um das weitere Auskommen bis zum eigenen Ableben keine Sorgen mehr machen muss. Natürlich auch mit dem Risiko, dass das nicht funktioniert und man nach drei Monaten erhebliche Kratzer am Image hat. Aber immerhin fürs Leben ausgesorgt hat.
Dies zu beantworten und die ganzen möglichen Zwischenstufen zu finden, dies ist die Kunst einer guten Beratung und Verhandlung.
Fußball ist schnelllebig, verschleißt seine Protagonist*innen unfassbar schnell und spuckt sie dann aus wie ein gebrauchtes Kaugummi. Das Business ist super eklig und so etwas wie Dankbarkeit gibt es nicht.
Aus Sicht der geneigten Fußballfans, die nicht so rational da rangehen und die im Notfall auch eher am Verein als Trainer*innen oder Spieler*innen hängen, können Berater*innen in dieser Situation nur nervig oder anstrengend sein.
Und bis hierhin haben wir noch kein Wort darüber gesagt, dass Berater*innen nicht immer gut sind. Da ist auch viel Gelaber und viel Übertreibung (und wir formulieren jetzt sehr vorsichtig) im Business vorhanden.
Vereine möchten natürlich erfolgreiche leitende Angestellte lange, möglichst preiswert und möglichst früh an sich binden. Borni will jetzt bald Spieler für die Saison 24/25 klar machen, und in diesen Verhandlungen „Unser Trainer steht fest, du und dein Berater können sehen, wie sich Spieler unter dem entwickelt haben“ sagen zu können, ist bei ungefähr gleicher finanzieller Ausstattung immer ein riesiges Argument. Auch ist so ein Trainer*innengehalt ein Teil des sportlichen Budgets und das ist bei uns nicht unendlich. Selbst im Falle eines Aufstieges nicht.
Diesen Zielkonflikt gilt es in Verhandlungen aufzulösen, und im besten Fall geht das geräuschlos, frühzeitig und ohne dass die Presse einmal nachfragen muss. Das gilt auch, wenn man sich schnell einig ist, dass man sich eben nicht einig ist.
Aber wir haben nicht immer den „besten Fall“. Mal zieht sich das hin und häufig haben Deadlines auch die Wirkung, dass genau bis zur Deadline verhandelt und 5 Sekunden vor der Deadline alles nochmal auf den Kopf gestellt wird.
Fakt ist: Es ist ziemlich egal, ob Partei A bis zuletzt auf „Freibier für alle“ bestanden hat oder nicht. Wenn Partei A um 23:59 des Deadlinetages sagt „Okay, Freibier war uns dann doch nicht so wichtig“, dann hat man sich geeinigt und alles ist gut. Und wenn sie um 00:01 sagt „Ohne Freibier keine Chance“, dann ist das so.
Wie nun weiter?
Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen. Wenn wir mit Hürzeler aufsteigen, dann hat er etwas geschafft, das wir in diversen Saisons vorher nicht geschafft haben. Dies wäre außergewöhnlich, insbesondere in einer Saison, in der Topeinkäufe (Zoller, Nemeth) nicht einschlagen und man einen wichtigen Spieler der letzten Saison nach Köln verloren hat. Würde man dabei noch den Verein aus dem Volkspark in der 2. Liga lassen, wäre etwas Historisches geschaffen.
Wenn wir nun eine 2022-Saison hinlegen, dann wäre das Image des Trainers sowieso leicht angekratzt. Dann kann man sich auch von allen Seiten fragen, ob und wie man weiter miteinander arbeiten kann. Ja, das klingt jetzt hart, aber irgendwann gibt es kein Zurück mehr.
Wir haben nun eine schwierige Situation. Super mieses Spiel gemacht, zwei wichtige Spieler verletzt. Wir haben keine Krise (ey, wir haben immer noch 15 Punkte in der Rückrunde geholt, während wir in der Hinrunde zu diesem Zeitpunkt 13 hatten!), aber ein bisschen angeknockt sind wir schon. Nun zeigt sich, wo der Hammer hängt. Wenn Hürzeler das hin bekommt, dann ist er ein richtig Großer.
Natürlich wird auch die „Ist das Verhältnis gestört?“-Frage kommen. Und ganz ehrlich: Wenn eine Partei im Rahmen der Vertragsverhandlungen sich so angegangen fühlt, dass nach Unterschrift keine vertrauensvolle Zusammenarbeit mehr möglich ist, dann ist es ein grober handwerklicher Fehler, den Vertrag überhaupt zu unterschreiben. Und das immer wieder zitierte „Image“ ist so etwas von egal. Bayern ist das schon immer egal, und die holen relativ häufig die Meisterschaft. Nein, sie haben es zu ihrem Image gemacht mit diesem komischen „Mia san Mia“. Nein, da sollte der FCSP sich wirklich kein unendliches Vorbild dran nehmen, aber die Sorge um das eigene Image ist immer ein schlechter Ratgeber. Das sieht man jeden Tag in der Politik.
Wir sind doch Fans
Dieser Text ist bis hierin viel zu nüchtern für Fans. Wir wollen aufsteigen, am besten am 32. Spieltag. Nach Schlusspfiff den Volkspark abreissen?* Es wäre ein Traum! Wir wollen Bundesliga, und wenn Hürzeler das schafft, sind wir die Ersten, die ihm ein Denkmal bauen.
*Das meinen wir natürlich nur verbal. Nicht, dass die Hamburger Polizei noch irgendwelche Durchsuchungen bei uns startet, weil zur Zeit ja alles zu einer Aufforderung zur Straftat gedeutet wird. Nebenbei juristisch zu Unrecht. Aber das ist was für einen anderen Tag.
Wir sind St. Pauli – wir 28.000 auf den Rängen, ihr Spieler auf dem Rasen und du an der Seitenlinie, Fabian. Lasst uns gemeinsam Historisches schaffen! Wir für euch, ihr für uns.
St. Pauli ist die einzige Möglichkeit!
Ich sehe der Verlängerung mittlerweile zwiespältig entgehen und das hat Gründe.
1. Der fcsp wirft im Dezember 2022 den Cheftrainer und einen von zwei Co-Trainern raus. Nur einer darf bleiben – und wird direkt zum neuen Chefcoach. Mit 29 Jahren. Ich finde dass man da als Fabi nur ein Jahr später etwas dankbarer sein kann als dies nun offenbar der Fall gewesen ist. Über Monate rumverhandeln und dem Verein so auch Zeit für die Planung nehmen zeugt nicht zwingend von „ich brenne für den Verein“ sondern eher von „ich bin hier Arbeitnehmer“. Ist sehr wahrscheinlich eine zu romantische Einstellung im Milliardengeschäft Fußball, aber wäre so ein Hickhack mit Ewald oder Schulle denkbar gewesen? Wohl kaum. Meine Güte, du bist 31, steigst nach einem Bombenjahr in die Bundesliga auf. Altersarmut wird in deinem Leben wohl eher weniger eine Rolle spielen. Da jetzt auf dem immerwieder gleichen Möglichkeiten rumzuhacken hat mich nach ein paar Wochen nur noch die Augen rollen lassen.
2. Das wird – sollten wir denn den Fahrstuhl nach oben nehmen – an der Seitenlinie ein spannendes Erstligajahr. In zwanzig Spielen (die man ALLE nicht verloren hat) fünf gelbe dann sammeln, dazu merkwürdige etwas kindisch anmutende Äußerungen wenn es mal nicht so läuft wie zuletzt die Schiedsrichterkritik nach dem Auftritt auf Schalke lässt auf einen hohen Ruhepuls in einer Liga in der wir nicht alles zu Klump schießen werden schließen. Da wird’s mal durch Täler geben, in denen ein ruhiger, analytischer (ist er ja sonst) Trainer mehr wert ist, als ein beleidigtes Kind. Und Spiele ohne Trainer an der Seite sind im Abstiegskampf auch eher so meh.
Liest sich mitunterm sicherlich etwas düster. Das ist aber vermutlich einfach noch der Restfrust aus diesem ewigwährenden Geschacher. Wir spielen mit Fabi des besten Fußball seit (hier irgendeine mittelalterliche Jahreszahl einfügen) und es ist schön, dass er bleibt. Jetzt kann der Fokus auf den Saisonendspurt und auf das nächste Jahr gerichtet werden. Und auf die Verhandlung mit Cello und Co. Aber das ist ein anderes Thema.
Forza!