Liebste Lesende, heute ist unsere Vizepräsidentin Christiane Hollander zurückgetreten. Dazu ein paar persönliche Worte unseres Seniors:
Im Allgemeinen
In unserem Verein ist es so, dass wir von ehrenamtlichen Menschen ganz schön viel Zeit verlangen. Diese Zeit neben einem Beruf aufzubringen ist nicht einfach und kann sehr anstrengend sein. Das kann man eigentlich nur machen, wenn man den eigenen Verein als ganzen Lebensinhalt sieht und irgendwie daneben einem Beruf nachgeht, oder wenn man das auf eine eng begrenzte Zeit macht. Oder man macht es nicht gut.
Ehrenamt ist dabei immer eine Berufung, und es soll irgendwo auch eine Erfüllung sein. Wenn es das nicht ist, sollte man es lassen. Glaubt mir, ich spreche aus Erfahrung, wie schwierig und wie zeitintensiv es ist, einen e.V. zu betreiben. Und da spreche ich über kleine Kümmelvereine und nicht über einen Verein, der nebenbei noch ein mittelständisches Wirtschaftsunternehmen ist.
Unsere Teilhauptamtlichkeit für die Vizepräsident*innen ist da ein kleiner abfedernder Faktor, aber so ein Vereinsleben hält sich selten bis nie an die „Acht Stunden pro Woche“-Abmachung. Nur mal als Beispiel: Dieser Verein hat eine Satzungskommission und allein diese tagt gern mal 2 Stunden – das ist dann schon 1/4 der wöchentlichen Arbeitszeit. (Das ist natürlich ein hinkendes ggf. fiktives Beispiel) Und da hast du noch keine bleibenden Werte geschaffen. Also natürlich schon, denn die Satzungskommission ist toll, aber Ihr wisst, was ich meine.
Wenn man das alles bedenkt, dann ist es verständlich, dass Vizepräsident*innen bei uns mal zurücktreten, bevor ihre Amtszeit abgelaufen ist. Es ist historisch eher die Regel als die Ausnahme. Die Präsidien, die in einer Besetzung vier Jahre durchgehalten haben, kann man in meiner Zeit an einer Hand abzählen. Und gefühlt brauche ich dafür nicht mal alle Finger.
Der Spagat zwischen „Professionalisierung“ und „Vereinbarkeit mit Job, Familie etc.“ ist ein sehr weiter, und er wird es beim FCSP immer breit bleiben. Außer wir wollen Berufsfunktionär*innen, die aufgrund von Vermögen und/oder stattlicher Rente eine Vollzeitbeschäftigung leisten können. Das macht das Kandidat*innenfeld nicht gerade divers.
Aber wir sprechen hier nur über die Belastung. Nicht darüber, dass fünf Menschen sich einig sein oder zumindest kontrovers immer zu einem Kompromiss kommen müssen. Keine Ahnung, ob und wie häufig das beim FCSP eine Rolle spielt; aus der Erfahrung mit einem Kümmelverein kann ich Euch sagen, dass auch dies Kraft bis zur Aufgabe kosten kann.
Und es ist insbesondere beim FCSP nicht einfach – die hier geforderte Partizipation hat eben auch immer eine Gegenseite. Es ist gut, dass unser Verein lebt, es ist aber auch für Amtsinhaber*innen anstrengend.
Für den Verein selbst ist ein Rücktritt trotzdem nie gut, denn Wahlperioden haben ihre zeitliche Berechtigung. Man muss sich einarbeiten, man muss ins Laufen kommen und es dauert, bis man alle Winkel kennengelernt hat. Und wenn jemand zurück tritt, dann geht immer auch Wissen verloren.
Nebenbei: Die in § 23 Nr. 3 unserer Satzung genannte sechsmonatige Frist zur Amtsniederlegung bei ehrenamtlichen Präsidiumsmitgliedern ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Sie ist Unsinn, insbesondere bei ehrenamtlichen Menschen. Wenn es nicht mehr geht, dann geht es nicht mehr.
Im Speziellen
In der Biografie, die ihr Arbeitgeber auf seiner Internetseite veröffentlich hat, steht bei Christiane so schön „Nebenbei ist sie Vizepräsidentin des FC St. Pauli.“ Ich lache bereits. „Nebenbei“ spricht gegen alles, was ich eben geschrieben habe.
Ich bin bekanntermaßen Jurist. Und ich mag Jurist*innen, die irgendwie nicht Jurist*innen sind. Und so eine Juristin ist Christiane. Lebt schon ewig im Viertel und kennt die ganze Umwandlung des Viertels. Kennt noch Zeiten, in denen man „einfach ein Sofa auf die Straße gestellt hat und geredet hat“, wie sie das mal so schön sagte. Eine Juristin, deren Herz für die Schwachen schlägt, die sich für Mieter*innen einsetzt und aus dieser Denke kommt, ist eine erfrischende Erscheinung, wenn Jurist*innen bei mittelgroßen Wirtschaftsunternehmen eher aus der Richtung „Er berät Mandanten in den Bereichen Handels- und Gesellschaftsrecht, Mergers & Acquisitions sowie Immobilienrecht“ kommen. (Satz geklaut bei der beruflichen Biografie unseres ehemaligen Vizepräsidenten Gernot Stenger, der an dieser Stelle herzlich gegrüßt sei, und ehrlich gesagt: Fanräume ist insbesondere auch sein Verdienst.)
Christiane glaubt an das Gute im Menschen. Sie hat ein Herz für Menschen. Leicht zynisch würde ich sagen: Das alleine macht sie schon zu einer unüblichen Juristin. Leicht im Scherz sage ich immer, dass einer der Gründe, warum ich Jurist geworden bin, ist, dass ich nix mit Menschen machen will. Da ist Christiane lobenswert anders.
Das alles hat mir an ihr gefallen. Ich habe zu wenig Einblick zu sagen, ob sie ihren Job (HALT! Kein Job!) persönlich nun gut gemacht hat oder nicht.
Sie wird in ihren sechs Jahren ganz viel mitverantwortet haben, bei dem die Richtung aus meiner Sicht stimmt; das könnt Ihr alles in MV-Berichten und Zwischenberichten nachlesen. Dafür Danke. Wir (und ich) hatten auch immer was zu meckern… und können natürlich jetzt auch über den Zeitpunkt des Rücktrittes meckern, weil er so kurz nach der MV erfolgt und wir daher eine Nachfolge nicht sofort wählen können.
Persönlich wird ihr dieser Verein mal dafür danken können, dass unsere Satzung hoffentlich irgendwann einmal von all den Unklarheiten befreit ist, die zur Zeit noch darin stehen. Ich verrate kein Geheimnis, dass kluge Menschen (und ich) schon etwas länger versuchen, da einen Grund hinein zu bekommen. Ein nicht immer einfaches, aber am Ende hoffentlich lohnendes Geschäft. Und dies auch, weil Christiane mein Inselinteresse an komischen Formulierungen in unserer Satzung teilte und einen Änderungsversuch anstieß.
Danke auch für die – auch kontroversen – Gespräche und Gedankenaustäusche. Wir als Blog verlieren eine Leserin, die auch mal zum Telefon griff, wenn ihr was nicht gefiel. Das war okay. Und die Führung eines mittelständischen Wirtschaftsunternehmen mit riesigem Sportverein bringt auch mal andere Sichtweisen mit sich als das Schreiben eines kommunistischen Pöbelblogs.
Liebe Christiane, ich wünsche Dir alles Gute, wünsche Dir immer Erfolg für „Deine“ Mieter*innen und wünsche Dir, dass du am FCSP als ehemalige Vizepräsidentin weiterhin viel Spaß hast. Und dass Du Deinen 61. Geburtstag nun in eine große Party verwandeln kannst. Wir werden uns über den Weg laufen. Und du darfst uns natürlich weiterhin gerne lesen und anrufen.
Der Hinweis, dass ein Posten kaum oder nur mit großen Schwierigkeiten nebenbei zu leisten ist, stimmt. Zumal der FCSP nicht mal mehr ein mittelständisches Unternehmen ist, sondern dem mit einem Umsatz von 60 Millionen Euro bereits entwachsen ist (und welche Firma hat schon 37.000 Mitglieder?).
Auf den Mitgliederversammlungen, insbesondere bei der letzten, ist mir aufgefallen, dass die Präsidiums-Mitglieder (ebenso die vom Aufsichtsrat) gefühlt permanent in irgendwelchen Meetings steckten, so jedenfalls hörte sich das an. Satzungskommisssion, Tarifvertrag, dutzende Arbeitsgruppen zu tausenden von Themen…
Bevor weitere ehrenamtliche Mitglieder verschlissen werden oder nur noch Fulltime-Rentner oder Hauptamtliche diesen Job machen können, sollte man überlegen, wie man das verändern kann. Meine persönliche Lebens- und Berufserfahrung sagt mir, dass die wirklich wichtigen Themen auf der Strecke bleiben können, wenn man sich zu lange und intensiv in Nebenbereichen aufhält. Welche Themen Priorität haben sollten und welche nicht, möchte ich jetzt gar nicht beurteilen. Aber könnte es sein, dass der katastrophal gelaufene Wechsel des Lagers und die miese finanzielle Bilanz der letzten Saison auch etwas mit der Überlastung der haupt- und ehrenamtlichen Menschen zu tun hat? Ich weiß es nicht, aber die Vermutung liegt nahe.