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Unsere Utopie hat Hansakrieger

Oder

Gedanken auf dem FC St. Pauli-Kongress 

Liebste Lesende, 

dieses Wochenende trafen sich grob 200 St. Paulianer*innen, um am FC St. Pauli-Kongress teilzunehmen. Auch wir waren vor Ort. 

Erwartet im folgenden Bericht nun keine Zusammenfassung der Ergebnisse oder inhaltliche Themen. Was aus diesem Kongress wird, wird sich zeigen. So wird wahrscheinlich auch nur die Zukunft zeigen, ob dieser Kongress ein Erfolg war oder nicht. Ggf. müssen wir handelnde Personen auch an Versprechen der Nacharbeit erinnern. 

Das Ganze war als eine sehr offene Ideenwerkstatt konzipiert und jede*r von euch, der/die mal pädagogische Fortbildungen besucht hat, kann sich vorstellen, was das heißt. Viel Gruppenarbeit, Flipcharts und Metaplanwände. Uns fehlte eigentlich nur noch die namentliche Nennung von Herrn Schulz von Thun für ein Bingo. 

Was wir euch jetzt liefern wollen, sind Gedanken, die uns durch den Kopf gingen, als wir lauschten und in Gruppen arbeiteten. 

Wir sind eigentlich ganz schön toll

Ja, es werden gleich auch kritische Gedanken kommen, aber welcher Verein stellt bitte für drei Tage Räumlichkeiten und Verpflegung zur Verfügung und lässt 200 Menschen komplett offen diskutieren? Wir behaupten, dass selbst bei den demokratisch organisierten Vereinen die meisten dies nicht zulassen würden, weil sie Angst vor der Revolution hätten. Gelenkte Demokratie ist doch viel bequemer. 

Der FCSP lässt dazu noch Gruppen sich zufällig zusammensetzen und sich selbst moderieren. 

Das ist so basisdemokratisch schön wie plenumsanstrengend. 

Daher mal vorab Danke! an alle Funktionsträger*innen und noch mehr an die lohnarbeitenden Menschen im Umfeld dieses Vereines, die ihr komplettes Wochenende opferten. Denn auch bei einem tollen Arbeitgeber und kompletter Hingabe für die eigene Lohnarbeit ist das brutal. Danke euch! Und das beinhaltet ausdrücklich Mitarbeitende des Fanladens. Aus Gründen. 

Es ist immer komisch, wenn ein Präsident als Gleicher in einer Gruppe sitzt, aber alle Funktionsträger*innen, die wir erlebt haben, haben das aus unserer Sicht gut gelöst. Zugehört, wo man zuhören muss, auch mal reden, wo man reden muss. Es war allerbest. 

Danke aber auch an alle Teilnehmer*innen, die sehr offen und zu 99 % auch sehr respektvoll miteinander umgingen. Und Danke an das Personal von Securityfirma und Catering, die sich ebenfalls ein ganzes Wochenende um die Ohren schlugen. 

Offenheit vs. Ziel

Plenumsanstrengend ist aber auch Teil einer Offenheit. So ging auch mal der Fokus verloren und wir hatten das Gefühl, dass Arbeitsgruppen sich ins Nichts verliefen. Teilweise war die Abgrenzung nur schwer erkennbar. So gab es einen Bereich „Verein“ und einen Bereich „Stadion“. Und in beiden wurde dann das Gleiche diskutiert. Ja, es ist ein Tanz auf dem Drahtseil. 

Wir sind Kartoffeln 

Die Demografie dieses Kongresses war weiß, Stehplatz, 30 bis 70 Jahre alt, das Alter dabei auf einer Normalverteilungskurve so verteilt, dass 40 bis 55 überwiegte. Mehr Männer als Frauen, PoCs waren die Ausnahme, die die Regel bestätigten. 

Mehrfach wurde als Wert „Diversität“ genannt und mehrfach stellten Menschen fest, dass wir das gerade in solchen Settings nicht sind. Wenn dieses AHA-Erlebnis aber auch bei Gerd, Dauerkarte Gegengerade seit 1910 (das ist eine fiktive Person, angelehnt an einer Charakter der schon mal in der Viva geschrieben hat), ankommt, dann hat dieser Kongress schon was gebracht. Und es kam bei Gerd an. 

Wenn es einen klaren Arbeitsauftrag an uns alle gibt von diesem Kongress, dann ist es der, dies zu ändern.

Wir haben sexistische Reflexe

Mehrfach kam es vor, dass Dinge von weiblich gelesenen Personen gesagt wurden, in der weiteren Gruppendiskussion nicht aufgegriffen, dann von Männern wiederholt wurden und ab da in der Diskussion eine Rolle spielten. Wir wollen da niemanden Absicht unterstellen, aber es zeigt, wie automatisch Männern eine höhere Kompetenz zugeschrieben wird, wie Männer als Macher gelten etc. 

Ja, das sind alles keine neuen Erkenntnisse und es ist auch kein Wunder, dass diese Sachen noch beim FCSP vorhanden sind, aber wenn man es – mal wieder – so offen sieht, dann fällt es auf und ist berichtenswert. 

Unterschiedliche Flughöhe

Die Teilnehmer*innen schwankten von Hardcorevereinspolitikmensch zu Mensch, der noch nie bei einem Spiel in unserem Stadion war. Und solche Menschen haben zwangsläufig unterschiedliches Wissen. Teilweise erstaunt es, wie lange Menschen zum FCSP gehen können, ohne zu wissen, dass es den Fanladen gibt. 

Ist Information eigentlich eine Hol- oder eine Bringschuld? Das ist eine uralte Frage, denn ALLE Informationen über den FCSP-Dschungel finden sich auf der Homepage. Zumindest als Anknüpfungspunkt. Auf der anderen Seite wissen wir, dass die Aufmerksamkeit von Menschen in Zeiten von X (ehem. Twitter) und TikTok nicht zwingend für eine lange Recherche auf einer Homepage reicht. Und das ist kein Vorwurf an die eine oder die andere Seite. Wir empfanden das auch als sehr konstruktiv, dass immer wieder nach Möglichkeiten gesucht wurde, diese Lücke zu schließen. 

Die Person, die für diesen Kongress das erste Mal in unserem Stadion war, kann ihre Geschichte im Detail bei Gelegenheit gerne selber erzählen. Sehr stark zusammen gefasst: Hat uns während Corona entdeckt, fand die Botschaften in unserem Stadion cool, wohnt weit weg, ist bisher gescheitert, Karten zu bekommen, und hat gedacht, dass dieser Kongress mal eine Möglichkeit sei, den Verein näher kennenzulernen und sich auch ohne Livespielerfahrung einzubringen. Und stellte sich dann noch als cool heraus. Wir hoffen, dass das bald klappt mit dem ersten Spiel. Sehr süß ist dann, wenn diese Person im Gespräch zu einer der Stimmen des AFM-Radios sagt „Hey, ich kenn dich – also nicht dich, aber deine Stimme!“ Es ist nicht alles schlecht in diesem Verein. 

Utopie ohne Geld

Es wurden Utopien gebildet. Man merkt immer wieder, wie sehr Geld ein Feind von Utopien ist. Daher kannten die meisten Utopien denn auch keines. Geld bestimmt alles. Fehlendes Geld hemmt alles. Das wird sich nicht ändern, diesen Umstand können wir immer nur versuchen zu mindern, aber nie ganz beheben. Ist so. 

Weiter, immer weiter

Donnerstag ist MV. Das Ritual der Partizipation. Und auch das ist ein Gedanke, den wir hatten: Wie verhindern wir, dass wir zwar immer sagen, dass wir einen Austausch im Verein haben wollen, aber ihn eigentlich immer dann verhindern, wenn er schwierig, zeitintensiv, aber auch nötig wäre? Ist „Mitmachverein“ mehr als eine Sonntagsrede? 

Dieser Kongress hier war ein Anfang, er ist aber nicht das Ende. Und es ist immer für alle Beteiligte, insbesondere auch für alle Vereinsmenschen, anstrengend und nervig. Und das ist nicht böse gemeint, denn auch solche Menschen haben nur eine bedingte Kapazität und sollen neben nervigen Mitgliedern (und Blogger*innen) auch noch ein riesiges Wirtschaftsunternehmen führen und repräsentieren. 

Auch hier bleibt eine Utopie utopisch, es ist aber schön zu sehen, dass der FCSP wenigstens versucht, ihr nah zu kommen. Packen wir’s an.

5 Kommentare

  1. Jens Jens

    Danke für den Bericht!
    Als Teilnehmer finde ich mich hier sehr gut wieder.
    Auf dem Kongress, bzw zum Abshcluss hätte ich mir mehr Dank an die Organisation und an die Unterstützung für den Verein (Rahmen und Beteiligung) gewünscht!

  2. Nadia Nadia

    Danke für den Bericht. Er spiegelt sich meinen Eindruck wider. Ich hätte auf den Teiö mit der utopischen Insel verzichten können und dafür dann einen Teil der Zeit nutzen wollen, den neu gefundenen potentiellen Arbeitsgruppen Zeit zu geben, sich erstmals zusammenzufinden und zu organisieren. Alles in allem bin ich aber sehr zufrieden und gehe positiv da raus. Wie ihr sagt: nun ist es an uns, dafür zu sorgen und ggf. auch daran zu erinnern, dass der Kongress nicht hier endet, denn eigentlich geht es jetzt ja erst richtig los.

  3. Raphael Raphael

    Danke für den ersten EIndruck vom Kongress. Das Thema Diversität ist alt. Wurde schon vor mehr als einer Dekade in diversen Medien angesprochen. Die große Diskrepanz zum
    Beispiel in Sachen Migrationshintergrund. Hamburg 37 % (bei U30Jährigen 55 %) – im Stadion? 5 %? Es hat aber immer noch niemand eine Idee gefunden, wie man dies ändern kann. Nicht mal auf die Frage, warum das eigentlich so ist, gibt es eine wirklich befriedigende Antwort. Das Thema Frauenquote wurde ja angepackt, aber was ist mit den anderen, die nicht männlich, weiß und 40-60 Jahre alt sind?

  4. Nadine Nadine

    Danke für den Bericht.
    ich war auch vor Ort und finde es gut zusammen gefasst. Bin sehr gespannt, was nun aus unseren erarbeiteten Ergebnissen wird und wie es nun weiter geht.

  5. Thorsten Thorsten

    Vielen Dank für den Beitrag, in dem ich mich gut wiederfinde.
    Einen Punkt möchte ich noch ergänzen:

    SEHR UNTERSCHIEDLICHE ERWARTUNGEN
    „Zukunftskongress“ und „Aktueller Themenkongress“ klingen ähnlich, sind jedoch zwei sehr unterschiedliche Dinge. Sie benötigen auch unterschiedliche methodische Herangehensweisen.
    Mir kam es vor, als ob einige Teilnehmer:innen mit der Erwartung gekommen sind, dass in den drei Tagen alle aktuellen Probleme thematisiert und dafür konkrete Lösungen generiert werden. Das stand jedoch nicht in der Einladung.

    Mir hat der Kongress gefallen: Habe gute Gespräche mit St. Paulianer:innen außerhalb meiner Bubble geführt, neue Perspektiven und Denkanstöße erhalten.
    Beim Openspace fehlte mir die Vorstellung der Themen mit Mikrofon, um die einzelnen Anliegen der Themengeber:innen zu verstehen und einen besseren Überblick zu erhalten.

    Auf die Zusammenfassung der aggregierten Werte, genauen Themen in den einzelnen Workshops, Lösungsideen und Projektgruppen bin ich sehr gespannt. Glaube, dass wir diese in der Retrospektive anders bewerten als heute.

    Meine beiden größten Highlights standen schon vorher fest: Es gab nach 14 Jahren überhaupt den Kongress 2.0 und er wurde extern begleitet und wird es hoffentlich auch weiterhin.

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