Liebste Lesende,
auch Fußball wurde gestern am Millerntor gespielt. Selbst guter Fußball, aufregender Fußball von zwei wirklich guten Truppen. Unser Team war dabei selbst noch das etwas bessere. Nur zwei harmlose Torschüsse erlaubte es Hannover und hatte selber gute Möglichkeiten, bekam aber am Ende kein Ball ins Tor. Liebend gerne hätten wir nun lang erörtert, ob Hürzeler nicht häufiger als zweimal hätte wechseln sollen; einen Zoller auf der Bank zu lassen, ist schon ein Luxus…
Aber es kam anders. Weil neben dem Platz Mist passierte. Zwei Dinge vorab:
1. Wir spekulieren nicht über Details oder wilde Räuberbanden-Geschichten, die im Internet umhergehen.
2. Den zahlreichen Verletzten wünschen wir gute Besserung!
Grob war folgendes passiert: Im Gästeblock gab es eine Auseinandersetzung, die Polizei fühlte sich bemüßigt, deswegen in den Gästeblock zu gehen. Die Auseinandersetzung fand am Pufferblock zum Heimbereich statt, die Polizei kam durch das Mundloch. Danach eskalierte es vollkommen. Eine weitere Einheit der Polizei erschien im Innenraum, sprühte einmal Pfeffer in die Menge, und zwar insbesondere in den Bereich Richtung Haupttribüne, und verschwand wieder. „Wie so ein Karnevalsumzug, nur mit Pfeffer statt Kamelle. Immer fröhlich rein, während man vorbeizieht“, sagte jemand in unserem Umfeld. Im gesamten Zeitraum flogen auch genügend Gegenstände in Richtung Polizei und in Richtung der Besucher*innen aufder Haupttribüne.
Die Polizei (Achtung, keine gute Quelle!) sprach von einer Person, die im Gästeblock gelegen habe und Hilfe benötigte.
Wir verweisen ergänzend auch auf die Stellungnahme des FCSP.
„Die haben schon was gemacht“
Ja, wir hören sie schon, die „aber die haben doch was gemacht“-Kommentare und auch „Gästeblöcke sind keine rechtsfreien Räume“. Kamen auch schon in unseren Kommentaren.
Diese Parolen sind so pauschalisiert und damit auch entmenschlichend, sie könnten von Polizeigewerkschaftern (das muss man echt nicht gendern) stammen.
Fakt ist: In so einem Gästeblock stehen round about 2.000 Menschen. Es ist eng, meistens selbst so eng, dass man sich unwohl fühlt. Rein und raus gehen ist nur mit viel Bitten, Nachfragen, „Entschuldigung“ und durch Drängeln möglich.
Von diesen 2.000 haben in jeder dieser Situationen die wenigsten „was gemacht“ oder eine Straftat begangen. Den komplett ausufernden Landfriedensbruch, bei dem es schon reicht, am falschen Ort zur falschen Zeit zu sein, ignorieren wir jetzt mal. Senden aber solidarische Grüße an die Betroffenen des nächsten Rondenbarg-Prozesses.
Fakt ist: Nur die wenigsten prügeln sich, werfen Gegenstände oder machen irgendwas Verbotenes. Die meisten stehen da nur und wollen Fußball gucken und ihr Team supporten.
Und mal ganz davon ab: Auch die, die „was gemacht“ haben, sind nun nicht plötzlich rechtlos. So funktioniert das nicht. Wir sind hier nicht in einer dystopischen Zukunft, in der „hat was gemacht“ alles rechtfertigt. Oder sind wir es doch? Eigentlich nicht, dafür gibt es das schöne Wort Verhältnismäßigkeit.
„Warum sind diejenigen, die nichts gemacht haben, nicht einfach gegangen?“ Ja, auch das haben wir in diesem Internet gelesen. Siehe oben. Und in einem Ausgang standen dann eine Horde Robocops. Wir wissen nicht wie eure Erfahrungen mit solchen Polizeieinheiten sind, aber unsere ist, dass ein „Entschuldigung, darf ich mal kurz durch?“ da eher weniger Erfolg hat. Insbesondere wenn man auch noch seine 5 Lieblingsmenschen mitnehmen möchte.
Das Verhältnis von Polizei und Fans als schlecht zu bezeichnen, ist ein Euphemismus. Da ist nichts mehr zu retten. Wir sparen uns hier mal die Herleitung. Wenn Polizei und Fans aufeinander treffen, wird es zu Spannungen kommen.
Dies alles weiß auch die Hamburger Polizei. Sie kennt das Millerntor. Sie hat auch schon mit Fans zu tun gehabt.
Wie lösen?
Jeder vernünftig denkende Mensch würde nun sagen: „Oh da braucht es wohl mal einen Eingriff von außen, dann müssen wir uns mal was Schnelles/ Kluges überlegen.“
Es gibt Lösungen. Man kann mit Gästeblöcken kommunizieren. Erinnert ihr euch an die Supportunterbrechungen wegen Sanitäter*innen im Gästeblock? Ultras bekommen so etwas sehr schnell kommuniziert. Jeder Verein hat Fanprojekte vor Ort, viele Vereine haben eigene Ordner*innen mit, auch Vorsänger*innen können ansprechbar sein und mit ihrem Block kommunizieren. All diese Möglichkeiten kann man nutzen. Oder halt behelmte Polizei durch einen von zwei Ausgängen zwängen.
Bemerkenswert dabei: Beim Pokalspiel gegen Schalke war der Pufferblock durchgehend mit Polizei besetzt, gegen Hannover nicht. Nein, wir wollen garantiert NICHT mehr Polizei, aber dieser Widerspruch ist in einem „wir sind Herrscher über alles“-Gedanken der Polizei auffällig.
Es wird also weder der Pufferblock (nach unserem Wissen auch mit einem Zugang zum Gästeblock ausgestattet) oder ein Fluchttor näher am Geschehen genutzt, noch Ordner*innen etc. eingebunden, nein, man geht da behelmt rein. Schneidet dem halben Gästeblock jede Bewegung ab und latscht mitten in ein Umfeld, dass einem eher nicht wohlgesonnen ist. Das macht man nur, wenn man Bock auf Stress hat und entweder in einem schlechten amerikanischen Film unterwegs ist oder man halt Polizist*in in Kevlarvollkontaktschutz mit Helm und Visier ist. Wichtig: Man muss Bock haben.
Niemand kann uns erzählen, dass die Polizei nicht wusste, was zu 99,9 % passieren würde. Was war denn der Plan? Mit einer Robocop Einheit durch einen vollen Block zu gehen? „Entschuldigung, dürfen wir mal kurz …?“ Macht aus einem lokalen Konflikt ganz schnell einen im gesamtem Gästeblock.
Der Polizei muss klar sein, dass dies Reaktionen auslöst und ihre Gegenreaktion viele unbeteiligte Menschen verletzen wird. Es ergibt schon Sinn, dass Polizei sich in den letzten Jahren massiv aus Fußballblöcken herausgehalten hat. Es ist ja nicht so, dass Dynamiken in Menschengruppen nicht hinreichend erforscht sind.
Es mag Fälle geben, wo man das in einer Polizeilogik alles rechtfertigen mag, uns fällt es aber sehr schwer, diese zu bilden. Und selbst dann muss man Fragen stellen. Siehe oben.
Pfeffer durch den Zaun
Was nie Sinn macht ist, sich vor einen Block zu stellen und durch den Zaun Pfeffer zu ballern. Man darf nie vergessen, was Pfefferspray eigentlich sein soll. Ein Mittel, das die Verwendung von Schlagstöcken und Schusswaffen vermeiden soll. Sprich jemanden individuell polizeilich zu behandeln, den ich sonst noch mehr verletzen müsste. (Achtung, das ist Polizeilogik, wir übernehmen das jetzt an dieser Stelle, ohne die Kritik daran auszuführen.)
Pauschal mal an einem Gästeblock vorbei ziehen und Pfeffer reinballern? Nicht sinnvoll. Auch gerade weil man damit auch noch den gestonedten Kiffer komplett eskaliere. Und das passierte auch hier.
Was man auch nie vergessen darf, bevor hier „Selbstschutz“ kommt: Wir sprechen hier über Plastikbecher und Plastikstangen vs. Kevlarvollkontaktschutz sowie über einen Zaun im Zwischenbereich.
Und wenn, dann muss ich da auch als Polizei stehen bleiben. Pfeffer rein ballern und „was dann passiert, ist nicht unser Problem“, ist auch nicht gerade sinnvoll.
All das ganze Handeln wirkt halt nicht wie „Lösung finden“, sondern wie „jetzt lassen wir es mal knallen“. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Da helfen auch noch so viele Erklärbärtweets nichts. Mal ganz davon ab, dass diese pauschale Rechtfertigung des eigenen Handelns bei jeder anderen Institution sofort in der Luft zerrissen werden würde.
Dass die Ordner*innen besonnen und hilfreich reagierten, wird auch von Hannoveraner Seite hervorgehoben. Die bekommen genug von dem ganzen Kram mit ab, für wahrscheinlich Mindestlohn, organisieren dann Wasser zum Augenausspülen für betroffene Menschen und lassen auch den Sprung von Fans in den Innenraum zu. Das ist gut und richtig.
Im Nachgang kommt es im Viertel noch zu ordentlichen Ausschreitungen. Wir haben das nicht im Detail beobachtet, aber „G20 Vibes“ trifft es wohl ganz gut.
Folge des Ganzen: Die Hamburger Feuerwehr rückt zu einer Großschadenlage an. Was wir Lai*innen nicht zu 100 % verstehen können (danke an den Menschen, der das (nicht nur) uns versucht hat zu erklären), was aber grob „verdammt viele Verletzte, die einen Rettungswagen benötigen“ heißt. Das wäre alles nicht nötig gewesen.
Wir müssen Fragen stellen
Wir müssen aber auch Fragen stellen.
Warum meinen Menschen, ihren Support hochzufahren, wenn die Vorsänger der Südkurve den solidarisch unterbrechen? Man muss Hannover nicht mögen, was uns angesichts gewisser Tweets hoffentlich auch niemand unterstellt. Aber eine spontane Solidarität ist immer gut. Denn schon in zwei Wochen können 2.600 braun-weisse Menschen in genau so einer Situation stecken. Sowieso müssen wir über Fanverhalten bei Gelegenheit sprechen.
Man kann sich fragen, ob man jede Gästemannschaft beim Einlauf zum Warmmachen auspfeifen muss.
Man kann sich das noch mehr fragen, wenn da am Todestag von Robert Enke Torhüter seines Vereines zum Warmmachen erscheinen.
Wir müssen uns fragen, ob unser Gästeblock nicht verbessert werden kann. Zu häufig kommt es dort zu Konflikten. Sicher, vieles ist baulich in Stein gemeißelt, aber trotzdem müssen wir da ran. Gastfreundschaft sollte immer höchstes Ziel sein. Selbst wenn die Gäste aus Hannover oder Rostock kommen.
Wir als Verein müssen uns auch fragen, ob wir das Handeln der Polizei beeinflussen können. Wahrscheinlich nicht, weil die ja null auf andere hören, aber gerade als offizieller Verein müssen wir da Kanäle nutzen. Und auch in den Konflikt gehen. So ist es Rotz.
Jetzt aber noch was Gutes zum Schluss
Der Spieltag wurde genutzt, um auf Seenotrettung im Mittelmeer und die rassistische Politik der EU aufmerksam zu machen. Das vom Verein gestaltete Video ist beeindruckend, die Werbebanden mit Daten von im Mittelmeer ertrunkenen Menschen zu bestücken ein aufweckender Schlag in die Magengrube.
Fight Fortress Europe!
Danke an den Verein und auch danke an die Werbepartner*innen, die so etwas bei uns ermöglichen.
Dass es während des Abspielen der Videos wieder irgendwelche Dullis gibt, die meinen, dass dies nun der Moment für fröhlichen Support sei, merken wir ebenso mit Kopfschütteln an wie dass der Gästeblock meint, direkt danach „Scheiss St. Pauli“ anzustimmen.
Weiterer Lesestoff:
Moin Moin,
Iich stimme der ausführlichen und guten Betrachtung in der Masse zu, finde nur, dass zu sehr in Schwarz-Weiß-Schubladen gedacht wird (auf der einen Seite die böse böse Polizei und auf der anderen Seite wir, die über alle Zweifel erhaben sind und die immer Alles richtig machen). So naiv kann man doch nicht sein zu glauben, dass die Polizei ohne Grund in einen rappelvollen Block geht (..die sind auch nicht lebensmüde und es soll ja auch noch denkende Menschen unter der Schutzausstattung geben). Soweit ich das beurteilen kann, haben die kein Ermessensspielraum mehr, wenn sie Straftaten in entsprechender Schwere feststellen und müssen was unternehmen. Ein blindes Sprühen von Pfefferspray in den Block beim bloßen Vorbeigehen geht aber überhaupt nicht.
Aus meiner Sicht sollte man nicht die immer gleichen Feindbilder pflegen, sondern mehr miteinander reden als übereinander. Dazu zählt dann aber auch, dass man schaut, was in den eigenen Reihen besser laufen kann. Unsere eigene Security z.B. erinnert manchmal mehr an Kartenabreißende im Kino, als an aufmerksames Sicherheitspersonal, welches Probleme frühzeitig erkennt und vorbeugend aktiv wird (da könnte ich genügend aktuelle Negativbeispiele von der Süd nennen).
Und wir sollten uns bei aller Emotionalität auch manchmal etwas mehr zurücknehmen und erst überlegen! Der Sport und der Support sollten immer im Vordergrund stehen!
Viele Grüße
Roland
[…] schreibt der Magische FC Blog: https://www.magischerfc.de/2023/11/fussball-waere-auch-gewesenDas schreibt die Polizei HH: POL-HH: […]