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Tschüss Vaddern

Leider muss dieser Blog schon wieder einen Nachruf veröffentlichen. Diesmal leider sehr persönlich, denn der Vater des Seniors ist dieses Wochenende verstorben. Dies ist sein Nachruf. 

Meine Eltern haben der Legende nach ihre eigene Hochzeitsfeier verlassen, um in Ruhe die Sportschau gucken zu können, mein bürgerlicher Vorname ist von einem Weltmeister des Jahres 1966 geklaut. Zu behaupten, dass mir Fußball nicht in die Wiege gelegt wurde, wäre gelogen. 

Vaddern war eigentlich eine Raute.  Meine große Schwester hat mit ihm auch große Spiele gegen Inter Mailand im alten Vokspark gesehen. Zu Zeiten, wo man sich für solche Spiele noch mehr oder minder spontan Karten kaufen konnte. Einmal hatte er bei den Rauten eine Dauerkarte – für die schlechtesten Saisons in den 70ern.Danach hat er sich geschworen, nie wieder eine Dauerkarte für Sport zu haben. 

Hatte er gut 15 Jahre später und dann sehr lange für den anderen Hamburger Verein. Muddern war gebürtige St. Paulianerin und überzeugte ihn so um 1984, da doch mal hin zu gehen. Guter Zeitpunkt. Ich als Buttje hab mich noch ein bisschen gewehrt, meine Schwester war da klüger (oder auch nicht) und ging gleich mit zum FCSP. Dann wurde es zu unserem 14tägiger Familienausflug. Bald auch auswärts in unserem Familienford. Ja, ich bin so ein „von den Eltern zum Fußball geschleppt“-Mensch. Seinen Verein sucht man sich halt nicht aus. Und so stehen meine Schwester und ich immer noch am Familienplatz. Dank Muddern und dank Vaddern. 

Ich erinnere sein „dass ich das erleben darf“ mit Tränen in den Augen, als wir unseren Pokallauf mit einem Einzug ins Pokalhalbfinale krönten. Aufstiege wurden beim Italiener gefeiert. 

Ihr fragt Euch, woher ich das Genörgel beim Fußball habe?  Von ihm! Ich zitiere seinen Kommentar zum Magdeburg-Spiel „Grauenvoll Gekicke.  Magdeburg klar besser und ohne große Probleme,  ein 0:0 zu halten. 😴“. Das konnte man defintiv anders sehen, aber so war er. Ergebnisorientiert. Und nebenbei galt auch für ihn, dass das ohne sein Genörgel einfach nicht gut werden kann. Ich werde es vermissen. 

Ebenso werde ich die WhatsApp mit „Bist Du in xyz?“ an Auswärtsspieltagen vermissen. Die Antwort war meistens „ja“.

Vaddern spielte auch selber aktiv Fußball und Handball – Vaddern spielte und ich grub irgendwelche Sprunggruben um. Der Stadt Glückstadt schulde ich garantiert noch eine komplette Sprunggrube. Ich war zu klein, um zu erinnern, was meine Schwester währenddessen gemacht hat, aber „dieser kleine Hosenschieter“ hat sie garantiert gedacht. Lange nachdem Vaddern schon bei Philipps ausgeschieden war kickte er noch für deren Sportgemeinschaft. Im Fußball war er meistens als Torhüter unterwegs. Das Talent habe ich nur bedingt geerbt. 

Vaddern war ein politischer Mensch. Und neben dem FCSP ist er garantiert schuld, dass ich so bin. Geboren in einen Arbeiter*innenhaushalt und Sohn eines Heizungsmonteurs und einer Fischverkäuferin ist er Beispiel einer Zeit, in der ein Aufstieg noch möglich war. Erster in der Familie mit Abitur, dann bei der Seeberufsgenossenschaft im öffentlichen Dienst. Das war ihm zu langweilig, und so lernte er Lochkarten und Magnetbänder und bediente die ersten Computer, später dann in leitender Position. 

Immer ein Herz für die Schwachen und wie so viele von seiner Generation am Ende ein eher enttäuschter Sozialdemokrat. 

Wenn Du Vaddern entspannt erzählen lassen wolltest, dann hast du ihm einen Grill hingestellt. Da konnte er relaxen und entspannen. Anders als an schönen Stränden in Florida oder Hawaii, da war eher einmal den Strand hoch- und runterrennen angesagt und dann weiter, da war nix mit Relaxen. „Es wird sonst so spät“ ist ein Dogma in meiner Familie, welches ich nur halb so konsequent lebe wie Vaddern und meine Schwester. 

Er war immer an allem interessiert und geistig voll da, er schrieb einem WhatsApp-Nachrichten und war penibel bei seiner Buchhaltung. Er war bodenständig, fuhr seine alten Autos weiter, so lange sie halt fuhren, auch wenn andere sich darüber mokierten. Er war der jüngste „ältere Mann“, den ich kannte, weil er irgendwie nicht richtig alt wurde. Einer, der ewig an allem Anteil nimmt.

Bei uns in der Familie war Reden über Gefühle nicht immer eine Stärke (ich untertreibe hier), aber Vaddern war da, wenn man ihn brauchte. Vaddern hasste Krankenhäuser, aber für seine Lieben konnte er da Stunden verbringen. Und sich bei Krankheit liebevoll, um sie kümmern. Oder einen überall hinfahren, wenn man Krücken hatte, wie er es nach meiner Knie-OP machte. Viel Kraft in Pflege stecken? Für ihn selbstverständlich. 

Leider kam irgendwann der Krebs. Und ging. Und kam doch wieder. Silvester wäre er 80 Jahre alt geworden. Es war ihm nicht vergönnt. Krebs ist ein Arschloch.

Mach es gut, Vaddern. Du wirst mir fehlen. Deine liebevolle Art, dein Genörgel über Fußball. Die ganzen Familiengeschichten, die du immer erzählt hast. Das Grillen mit Bier und viel Spaß. Der Weg zu seinem Haus nach Lauenburg wird fehlen. Dort lebte er mit seiner zweiten Frau, die ich seit meiner Geburt kenne, weil sie eng mit meinen Eltern befreundet war. In ihrem Haus bin ich ungefähr so viel rumgeturnt wie zu Hause. Es war immer wie eine Kindheitserinnerung, hier raus zu fahren und Vaddern auf dem Sofa zu sehen. Alles wird mir fehlen. 

Und so gibt es nur noch mich und meine Schwester aus dem Familienauto, das in den 90ern zu Werder, zu Leverkusen und auch zu Stahl Brandenburg gefahren ist. Letzteres ein so einschneidendes Erlebnis, dass wir bis 2003 nicht mehr in den Osten gefahren sind. Erst dann haben meine Schwester und ich begonnen, den Osten für uns zu entdecken. Und sie entdeckte ihre Liebe zu Tangermünde, denn es gab kein Familiengrillen, bei dem nicht mindestens ein Mal von Tangermünde geschwärmt wurde. Auch das wird mir irgendwie fehlen, denn ohne das Lächeln und den „Was willst du da denn schon wieder?“-Spruch meines Vaters sind die Geschichten meiner Schwester zwar immer noch gut, aber nicht mehr so gut.

Ich wünsche allen mit mir Trauernden viel Kraft. 

Lieber FC St. Pauli: Steig auf für Dein verstorbenes Mitglied, meinen Vater. 

Euer Senior. 

3 Kommentare

  1. Birthe Birthe

    Der Nachruf ist so schön und mit so viel Respekt geschrieben, man hat sofort ein Bild Deines Vaters vor Augen und wäre gern mal mit Euch auswärts gefahren bzw. hätte ihn gerne kennengelernt.

    Ich wünsche Dir und Euch ganz viel Kraft in dieser Zeit!
    Auf dass der FC St. Pauli wirklich für ihn aufsteigt.

  2. Gerrit Gerrit

    Als jemand, dessen Vater im vergangenen Frühjahr (an Krebs. Achtzigjährig. In Lauenburg) gestorben ist: mein tief empfundenes Beileid. Und meine Bewunderung für diesen Nachruf.

  3. Dirk Dirk

    Mein Beileid! Und tiefste Anerkennung für diesen Nachruf! Dieser ist sehr schön geschrieben und auch ohne dich oder deinen Vater zu kennen, habe ich einen Kloß im Hals…

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