Liebe Menschen im Umfeld des fcsp: Wir müssen reden.
Wir haben ganz schön die Schnauze voll. Jeden Spieltag, egal ob auswärts oder daheim, derselbe Mist. Jeden Spieltag dieselben Ansprachen und in 99% der Fälle dieselben Reaktionen darauf. Worum es geht? Um das Filmen und Fotografieren im Block.
Bevor uns jetzt gleich wieder die Worte verdreht und uns Dinge in den Mund gelegt werden, die wir nie so gesagt/geschrieben haben: Es geht uns nicht darum, jemandem zu verbieten, das Spielfeld zu fotografieren (machen wir auch), die wehenden Flaggen oder den Elfmeter zu filmen. Es geht uns um das Abfilmen von Menschen in einem Schutzraum ohne deren Erlaubnis.
Fußballstadien sind Orte, an denen Menschen für drei Stunden ihren Alltag vergessen können. Raum, um alles, was sich über die Woche angestaut hat, loslassen zu können. Raum, um auszubrechen aus ihrem starren Arbeits-ich. Raum, in dem sie nicht an Erwartungen gebunden sind. Raum für Emotionen, Raum, in dem man euphorisch, wütend, verletzlich sein kann. Für viele von uns ist unser Stadion unser zweites Zuhause. Unser Safespace. Und ihr filmt uns dabei.
Viele Menschen in diesem Verein haben Berufe, in denen sie bestimmte Rollenbilder erfüllen müssen. Berufe, in denen Fußballfan zu sein als Problem gesehen wird. Ein Kollektivmitglied musste sich schon mal beim Vorgesetzten für das Freizeitverhalten rechtfertigen. Der Grund? Fotos in social media. Sollte eure Reaktion jetzt sein, dass Arbeit ja wohl vorginge und dass man für den Job das eigene Freizeitverhalten komplett anpassen müsse, dann solltet ihr vielleicht einmal dringend euer Verhältnis zum Kapitalismus reflektieren. Aber selbst wenn ihr so denkt: Euer Handeln, im Stadion Menschen abzufilmen, hat Konsequenzen. Nicht nur für euch.
Nicht zu unterschlagen auch der Fakt, dass ihr mit euren fröhlichen Fotos aus dem Block den Cops in die Hände spielt. Denn auch die Cops schauen sich eure Fotos an. Und das garantiert nicht, weil sie die Stimmung am Millerntor überprüfen wollen. Solltet ihr jetzt denken: “Dann werden die, nach denen sie gucken, schon was gemacht haben; selbst schuld”, dann möchten wir eure Bubble ungern zum Platzen bringen, aber im Zweifel verwenden die die Fotos auch gegen euch. Du hast mal neben dem „bösen Hooligan“ gestanden? Dann wirst du den wohl kennen und bist sehr verdächtig. Wir haben schon erlebt, wie Zivis in Nürnberg mit Aktenordnern herumliefen, in denen Fotos von allen möglichen Fans drin waren. Unabhängig davon, ob die einer Straftat verdächtig waren. Cops lieben Verknüpfungen und die Speicherung von Daten, selbst wenn diese Speicherung eigentlich illegal ist.
Rechtlich ist die Sachlage sehr deutlich. § 22 KUG verbietet das Veröffentlichen oder Verbreiten von Aufnahmen ohne Zustimmung der*des Fotografierten. Ausnahmen bestehen für berühmte Personen (kein juristischer Begriff), aber diese Ausnahme greift hier nicht. Denn niemand bei uns ist so berühmt. Bei einem gewissen Gemüselieferanten aus Dresden kann man das nebenbei gerne diskutieren, insbesondere weil er seine Fresse selber genug in die Kamera gehalten hat, aber so eine Person haben wir bei uns nicht.
Achtung! In den Ticket-AGB (Ziffer 8.4.) räumt sich der FCSP ein sehr umfangreiches Nutzungsrecht von Bildern von Fans ein. Aber das gilt eben für IHN, nicht für dich. Mit dir haben wir keinen Vertrag.
Ja, auch wir fotografieren Choreos und stellen sie ins Internet. Aber wenn man das macht, dann schaut man darauf, dass a) da keine Gesichter (oder Dinge, anhand derer man Menschen identifizieren könnte) zu sehen sind und b) wenn sie das sind, dann verpixelt man diese. Gibt Apps dafür. Kann jede*r.
Wisst ihr, was uns richtig wütend macht? Wenn man euch im Stadion darauf hinweist und ihr den Hinweis nicht annehmt. Meistens treffen wir auf die folgenden Reaktionen:
– Argumentieren
„Ich stell das gar nicht ins Internet. Das ist nur für Tante Hilde zuhause.“ Ja ne, ist klar. Und selbst wenn: Auch Tante Hilde geht es nichts an, wer im Stadion war und wie die Person sich dort verhalten hat.
– Beschimpfen
Wir haben hier schon alles gehört.
„Du Schlampe.“
„Du Naziblockwart.“
„Du hast hier gar nichts zu melden.“
„Wir sind hier nicht beim Tennis.“
„Geh zurück in die Küche.“
Reicht als Auszug, oder? Zum Geschlecht der Menschen, die diese Aussagen getroffen haben, äußern wir uns nicht. Ihr könnt es euch denken.
– Ignorieren und einfach weiter machen
Auswärts in Heidenheim letzte Saison. Wir: „Kannst du bitte aufhören, in den Block zu filmen?“ Person schaut uns an, geht zwei Stufen runter, zückt wieder das Handy und filmt weiter.
– Erst reagieren, wenn ein Mann etwas dazu sagt
Diese Variante ist immer unser persönliches Highlight. Eine Frau weist euch auf etwas hin und ihr ignoriert sie und macht am besten noch Witze mit euren Kumpels darüber. Ein Mann weist euch darauf hin und ihr seht es sofort ein und packt das Handy weg.
Euer Sexismus stinkt zum Himmel.
– Video löschen
Diese Variante kommt äußerst selten vor. Wir freuen uns aber immer wieder, wenn Menschen ihr Verhalten reflektieren, andere Grenzen akzeptieren, und ihr Verhalten anpassen können. Grüße an den Herrn in Darmstadt.
Wie immer geht es hier um Grenzen. Und um das Akzeptieren von Grenzen, die vielleicht nicht eure sind, aber die klar von anderen geäußert werden und die ihr überschreitet und damit anderen Menschen ihr Fußballerlebnis madig macht. Es geht auch um das Einnehmen von Räumen. Wir haben das Gefühl, dass die Diskussionen und der Ärger über das Gefilmtwerden im Block in letzter Zeit wieder zunimmt. Vor allem zu Hause. Überlegt euch das nächste Mal, bevor ihr fremde Menschen im Stadion filmt, was ihr euch da herausnehmt.
Ja, so ein Stadionbesuch ist aufregend. Gerade wenn es vielleicht das erste Mal am Millerntor ist. Und wir verstehen, dass ihr das teilen wollt. Aber fremde Menschen abzufilmen ist nicht der richtige Weg.
Unser Schutzraum, unsere Freude, unser Ärger, unsere Trauer ist nicht euer Homeentertainment, nicht für Tante Hilde und es ist erst recht nicht für eure Insta-, Youtube- oder TikTok-Follower.
…und selbst wenn man so ein berühmter Gemüseverkäufer ist, kann es passieren, dass einen in Frankfurt der letzte Döner im Nacken trifft.
Es könnte noch ergänzt werden: 99 Prozent aller Handyvideos (und 95 % aller Handyfotos) im Stadion sind qualitativ Schrott! Was soll das also?