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Recht des Sports – Der Kind-Fall

Liebe Lesende, 

herzlich willkommen zu einer neuen Folge aus den Untiefen des Rechts des Sports. Ich habe heute für Euch: Hannover. Ich verspreche in naher Zukunft aber noch weitere Folgen, weil mir noch mehr unter den Nägeln brennt.  

50 + 1 heißt nicht immer 50 + 1

Hannover 96 e.V. darf Martin Kind nicht als Geschäftsführer seiner ausgegliederten Fußballgesellschaft absetzen. So urteilte zu Beginn des Monats das Landgericht Hannover (32 O 119/22) in erster Instanz. Bisher liegt nur eine Pressemitteilung des Landgerichtes vor, jedoch kein Urteil in Volltextform. Auch rechtskräftig ist dieses Urteil nicht. Und so ganz eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint, ist die Frage vielleicht nicht. Im Einzelnen: 

Was sagt 50 + 1 nochmal? 

50 + 1 verlangt nicht, dass der Verein die Mehrheit des Kapitals hält. Nach der Regelung in § 8 Nr. 3 der Satzung des DFL e.V.  reicht es aus, dass ein Verein „mehrheitlich beteiligt“ ist. Dies wird dann wie folgt definiert: 

„Der Mutterverein ist an der Gesellschaft mehrheitlich beteiligt („Kapitalgesellschaft“), wenn er über 50 % der Stimmenanteile zuzüglich  mindestens eines weiteren Stimmenanteils in der Versammlung der  Anteilseigner verfügt. Bei der Kommanditgesellschaft auf Aktien muss der Mutterverein oder eine von ihm zu 100 % beherrschte Tochter die Stellung des Komplementärs haben. In diesem Fall genügt ein Stimmenanteil des Muttervereins von weniger als 50 %, wenn auf andere Weise sichergestellt ist, dass er eine vergleichbare Stellung hat wie ein an der Kapitalgesellschaftt mehrheitlich beteiligter Gesellschafter. Dies setzt insbesondere voraus, dass dem Komplementär die kraft Gesetzes eingeräumte Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis uneingeschränkt zusteht.“

Der Sachverhalt in Hannover

Hannover hat seine Profiabteilung nicht einfach in eine Gesellschaft ausgegliedert, die der Verein zu 50 % plus einem Stimmanteil hält und ein Investor zu 50 % minus einem Stimmanteil hält. Die Konstruktion ist etwas komplizierter und im Detail bei der Süddeutschen beschrieben. 

Ich möchte das ein bisschen vereinfacht darstellen, es bleibt trotzdem kompliziert: 

Die Profiabteilung ist in eine KGaA eingebracht, an der Kind (über eine Zwischengesellschaft) 100 % des Kapitals hält. Bei einer KGaA ist aber nicht „das Kapital“ geschäftsführend, sondern die persönlich haftende Gesellschafterin. Dies ist bei der Hannoverschen Konstruktion eine GmbH, die zu 100 % dem Verein gehört, aber eben kein Kapitalanteil an der KGaA hat. Wir nennen sie mal im folgenden Management GmbH.

Diese Management GmbH hat einen Geschäftsführer, der wiederum auch die Geschäfte der KGaA führt, da der persönlich haftende Gesellschafter nach Gesetz die Geschäfte einer KG führt, egal, ob sie nun aA im Namen hat oder nicht. Mir als Juristen drehen sich die Zehennägel um, wenn irgendwo steht, dass Kind Geschäftsführer der KGaA ist. Kein Fremdgeschäftsführer in einer KG, Freund*innen der Sonne!

Geschäftsführer dieser Management GmbH ist Martin Kind. Der Gesellschaftsvertrag der Management GmbH regelt, dass der Geschäftsführer von einem Aufsichtsrat bestellt wird, der aus vier Personen besteht, wobei Kind zwei und der Verein zwei bestimmt. Sprich: Wenn die sich nicht einig werden, dann passiert gar nix. 50 + 1? 

Gesellschaftsverträge kann man ändern. Und da dies Aufgabe der Gesellschafter ist, kann der e.V. in der Management GmbH theoretisch diese Regelung ändern und den Aufsichtsrat verändern etc. Damit sah man bei der DFL die Voraussetzungen für 50 + 1 noch erfüllt an, denn wenn es hart auf hart kommt, kann der Verein über eine Satzungsänderung und dann eine Weisung seine Stimmrechte durchsetzen, wie es die Regelung vorsieht. 

Nicht so bei der Management GmbH. Die Süddeutsche weiß zu berichten, dass zwischen Kind und dem e.V. ein sogenannter „Hannover 96 Vertrag“ geschlossen wurde, der den Verein verpflichtete, die Satzung der Management GmbH nur mit Zustimmung von Herrn Kind zu ändern. Laut Süddeutsche finden sich folgender Passus in diesem Vertrag: 

„H96 e.V. verpflichtet sich, die Satzung der H96 Management GmbH nicht bzw. nicht ohne vorherige

schriftliche Zustimmung der H96 S&S zu ändern, zu ergänzen oder zu ersetzen. […] Die vorstehende Regelung gilt insgesamt, insbesondere aber für den Passus der Satzung, der Funktion (Bestellung der Geschäftsführung der Gesellschaft) und Besetzung des Aufsichtsrats der Hannover 96 Management GmbH regelt.“

Was dabei spannend ist: Dieser Passus war in der Vorzeit häufiger geändert worden. So sah er von September 2018 bis Januar 2019 sehr umfassende Zustimmungserfordernisse des Aufsichtsrates vor. Dies wurde nach Gesprächen mit der DFL dann im Januar 2019 geändert (Quelle dafür ist Köster SpuRt, 2019, 67).

Bemerkenswert: Am 01.07.2019 reichte Kind Klage gegen die 50 + 1-Regelung ein, am 11.07.2019 zieht er sie zurück. 

Der Verein hält nun im Jahr 2022 eine Gesellschafterversammlung der Management GmbH ab, beschließt dortselbst die Abberufung von Kind und beruft sich auf wichtige Gründe. Dieser klagt dagegen. 

Die Entscheidung des LG Hannover ist laut der Pressemitteilung des Gerichtesl ziemlich formalistisch und eindeutig. 

Zuständig für eine Abberufung ist der Aufsichtsrat der Management GmbH; dieser hat keinen Beschluss  gefasst, also gibt es keine Abberufung. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob man wichtige Gründe hat oder nicht, denn hierdurch verändert sich natprlich nicht die Zuständigkeit für die Abberufung. 

Und da es den „Hannover 96 Vertrag“ gibt, darf der Verein auch nicht die Satzung der GmbH ändern, und damit Feierabend. Das Gericht betont noch einmal, dass auch die 50 + 1-Regelung keine Rolle für die Entscheidung spielt. 

Ist diese Entscheidung richtig? 

Erstmal: Natürlich spielt 50 + 1 für das Gericht keine Rolle, es muss allein nach den Verträgen zwischen Kind und Verein entscheiden. Dass diese Parteien sich gegenüber Dritten ggf. verpflichtet haben, ihre Verträge NICHT so zu gestalten, kann ggf. Folgen im Verhältnis zu diesen Dritten haben, aber nicht untereinander. 

Was aber ist dieser „Hannover 96 Vertrag“ eigentlich juristisch? Meines Erachtens verpflichtet sich der Verein hier gegenüber einem Nichtgesellschafter (!), in seiner eigenen Gesellschaft seine Stimmrechte nur in gewisser Weise wahrzunehmen. Das klingt für mich wie ein sogenannter Stimmbindungsvertrag.

Diese sind unter Gesellschaftern üblich und auch zweifelsfrei zulässig. Insbesondere dort, wo mehrere Familienmitglieder Anteile an einer Gesellschaft halten, wird häufig so eine Vereinbarung getroffen. 

Fraglicher sind solche Verträge aber mit Nichtgesellschaftern, da ist die Zulässigkeit nämlich unter Jurist*innen umstritten. Das juristische Schrifttum ist mit großer Mehrheit der Meinung, dass sie unzulässig seien. Nachweis: MüKoHGB § 119 Rdnr. 37. Begründet wird das damit, dass es insbesondere in Personengesellschaften wie der KGaA eben keine fremde Person geben soll, die die Geschicke leitet. Die Rechtsprechung hält sie aber nichtsdestotrotz für zulässig. Und das ist erstmal für die Praxis interessant. 

Nun kommt aber der interessante Part, und ggf. würde ich als e.V. versuchen, diesen Strohhalm zu umklammern: Das letzte Mal wirklich entschieden hat der BGH das am 29.05.1967, und das ist ein, zwei Tage her. Seitdem ist dies anscheinend nie wieder zur Entscheidung an den BGH herangetragen worden. Angesichts des sehr deutlichen Schrifttums könnte man nun überlegen, ob heutige Richter*innen immer noch dieser Ansicht sind. 

Wenn man jedoch über diese Hürde kommt, dann ist die Entscheidung rechtlich klar und eindeutig. 

Die Rolle der DFL

Laut Süddeutscher Zeitung soll die DFL den „Hannover 96 Vertrag“ genehmigt haben. Dabei kann es sich eigentlich nicht um ein Versehen gehandelt haben. Klar, man kann in einem Vertrag mal was übersehen oder falsch interpretieren, aber dieser Vertrag ist im August 2019 geschlossen worden und gerade einmal sieben Monate zuvor war die DFL genau an dieser Frage der Durchsetzbarkeit der Rechte des e.V. in dieser Gesellschaft dran. Sie war also super sensibilisiert! 

Angesichts der Tatsache, dass Kind im gleichen Zeitraum seine Klage gegen 50 + 1 zurück gezogen hat, stellt sich natürlich die Frage, ob dies nicht genau der Kompromiss war. Kind klagt nicht und die DFL winkt diesen Vertrag, der offensichtlich gegen 50 + 1 verstößt, durch. 

Aus meiner Sicht spricht sehr viel genau dafür. 

Kartellrechtlich

Ich hatte an dieser Stelle ja schon über 50 + 1 und Kartellrecht geschrieben. Und da nun könnte diese Nummer noch zu einem zusätzlichen Problem für die DFL werden. Denn wenn man seine Regeln nicht lebt und sie nicht einheitlich durchsetzt, dann wird das kartellrechtlich noch problematisch. Aber das ist im Detail etwas für einen anderen Tag. 

Ein Kommentar

  1. […] hat der Bundesgerichtshof  die Revision im Fall Martin Kind vs Hannover 96 e.V. zugelassen. Wir hatten uns mit diesem Rechtsstreit schon im Jahre 2022 befasst, als das Landgericht Hannover de… Den alten Artikel als Grundlage für diesen könnt Ihr Euch gern […]

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