Zum Inhalt springen

Polizisten sind auch nur Menschen

Na, liebe Lesende, habt Ihr euch bei der Überschrift auch gefragt, was in euren Hetzblog gefahren ist? Aber jetzt haben wir wenigstens Eure Aufmerksamkeit. 

Vorab

1. Allen Betroffenen gute Besserung. Wenn ihr betroffen seid, die Braun-Weiße Hilfe bietet einen Termin an:

„DERBY SPRECHSTUNDE +++

Du gehörst zu den Betroffenen der #Polizeigewalt beim Derby? Dann komm zur Sprechstunde von Fanhilfe FCSP und Fanladen St. Pauli

Donnerstag | 20.10.2022 | 18:00 -19:30h | Fanladen“

2. Es gibt auch auf FCSP-Seite Fehlverhalten zu kritisieren und Konsequenzen zu diskutieren. Auch da muss vieles hinterfragt und geändert werden. Das geschieht, aber nicht jetzt und nicht hier. 

3. Und „der hat ja was gemacht“ rechtfertigt eben keine Polizeigewalt. Polizei ist nicht Richter*in und Vollstrecker*in. Dafür ist sie nicht zuständig. Wer glaubt, dass „wenn er was gemacht hat, dann ist alles erlaubt“, der kann sich im Folgenden gerne eines Besseren belehren lassen. 

4. Das Statement des HSV Supporter Club sei hier dokumentiert:

Es ist nicht das erste Mal, dass Gästefans sich in der Richtung äußern. Da muss der Verein FC St. Pauli ran. 

5. Es ist wichtig, dass es die Videos vom Tag gibt. Man sieht den medialen Impact und die erreichte Reichweite und Aufmerksamkeit. Dennoch ist es genau so wichtig, die Persönlichkeitsrechte der Menschen zu wahren, die unvermummt und ohne Helm zu sehen sind. Nehmt euch die 5 Minuten vor dem Hochladen von Videos. Es gibt inzwischen genug gute Apps zum Verpixeln von Gesichtern. Zudem kann in solchen Situationen jede Abwehrreaktion als Angriff oder Widerstand ausgelegt werden und da will man es den Strafverfolgungsbehörden dann doch wirklich nicht zu leicht machen. 

Theoretische Grundlagen

Habt Ihr mal den Wikipedia-Eintrag zu „unmittelbarem Zwang“ gelesen? Da stehen Dinge drin, die nichts mit der gelebten und von Gerichten tolerierten polizeilichen Praxis zu tun haben. Daher hier mal ein paar Zitate aus der Reihe „wenn es nicht so traurig wäre, dann würden wir nun sehr laut und sehr zynisch lachen“: 

„Die Einwirkung auf Hals und Wirbelsäule ist verboten. Das lernen Polizisten im Einsatztraining. Die Gefahr von Wirbelverletzungen ist zu groß. Auch entsteht rasch ein Erstickungsrisiko. Die sogenannte Bauchlagenfesselung ist durch ministerielle Anordnungen untersagt. Dadurch, dass sich dabei ein Beamter auf den Rücken eines Gefesselten kniet, entsteht das Problem, dass dabei die Lunge gestaucht wird. Auch das „Nachtreten“ darf nicht passieren und ist als Körperverletzung im Amt strafbar.“

oder

„Es gilt prinzipiell und grundlegend das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Das heißt, dass auch die Polizei Gewalt generell nur ausnahmsweise anwenden darf und nur dann, wenn sie eine polizeiliche Maßnahme auf andere Weise nicht durchsetzen kann.“

Was ist Freitag passiert? 

Quasi alles, was hätte nicht getan werden dürfen. 

Die Ausgangslage ist von mehreren Menschen beschrieben worden. Der Marsch der Rauten latscht die Glacischaussee runter und es kommt zu hektischen Szenen auf der FCSP-Seite. Die hier bewusst nicht genauer beschrieben sind. Wir glauben, dass jedem klar ist, was gemeint ist. 

So etwas passiert (man kann sagen: leider) bei ungefähr jedem Derby und die Hamburger Polizei hat das schon mehrfach mit einer Kesselung, einer Polizeikette und ganz im Notfall mit ein bisschen Wasserwerfertaktik gelöst und dann war nach ein bisschen Hektik wieder Ruhe. So geht sie auch wöchentlich mit jeder Demo in der Schanze (das ist ein Klischee) um, die nicht angemeldet wurde. 

Wollen wir das? Nein! Ist das im Detail akzeptabel? Auch nein! Wir erläutern hier nur die etablierte Praxis der Polizei Hamburg; das ist kein Gutheißen. Wir müssen an dieser Stelle aber nicht näher darauf eingehen, denn diesmal läuft es anders. Zu einem Zeitpunkt, zu dem sich alles schon wieder halbwegs beruhigt hat, griff die Polizei direkt in die Menschenmenge vor dem Stadion an der Gegengerade ein und „geht in die Offensive“, um mal hier eine unpassende Fußballformulierung zu nutzen.

Dies geschah bewusst, gezielt und in einem Bereich, in dem ganz viele Menschen stehen, die mit der Situation vorher gar nichts zu tun haben und auch keine Möglichkeit bekommen, aus dem Weg gehen, denn die zuständige Einheit geht direkt, schnell und aggressiv in diese gemischte Menschenmasse. 

Alle sind Beteiligte

Wenn man als Polizei so agiert und dabei noch mit „genug“ Brutalität vorgeht, macht sie ganz bewusst alle Unbeteiligten automatisch zu Beteiligten. Das geht von ihr aus. Der Polizei ist klar, dass Umstehende sich echauffieren werden. Und dies sieht sie sofort wieder als Handhabe, auch diese Leute in die Gewalt einzubeziehen. 

Dieses „Wo wir sind, gibt es keine Unbeteiligten“ ist bewusst extrem eskalativ und darauf ausgerichtet, Action zu bekommen. Das ist nirgendwo und nie gerechtfertigt. Polizei ist eben keine Hooligantruppe, die den Thrill suchen darf. Und die treffen sich für ihre Matches in der Regel bewusst da, wo es eben keine Unbeteiligten gibt, die zwischen die Fronten geraten.

Der Polizei war bekannt, wo sich Fans des HSV sammeln. Ihr war klar, dass sie die Rauten auf ihrem Marsch aus Altona irgendwie zum Gästeeingang bringen muss. In jeder Einsatzbesprechung war klar, dass die Glacischaussee der schwierige Bereich sein wird. 

Der Polizei war auch klar, wo sich Fans des FCSP sammelten. Es wäre ein einfaches gewesen, Wege vorab und kommuniziert kurzfristig zu sperren, so dass im Ansatz ein Gerenne schon vorab hätte verhindert werden können. Dies gilt insbesondere, da das HGF eben nicht frei war, sondern mit Baustelle und Zirkus nur enge Durchgänge hatte. Die Polizei entschied sich jedoch, diese Wege offen zu lassen. Was passierte war vorhersehbar: Es kam zu Hektik und damit zu einer Situation, die nie ungefährlich ist. Dies nahm nun eine BFE-Einheit zum Anlass, alles wegzuprügeln, was ihnen im Weg stand. Es war dabei egal, ob Du (Achtung Klischees) Normalo, Ultra, Familienvater warst oder einfach zur falschen Zeit am falschen Ort standest. Soviel auch zum Mythos, dass einem ja nix passiert, wenn man sich normkonform verhält. Es war dabei auch egal, ob Du im direkten Bereich des Geschehens vor der GG oder vor der Süd warst, bis wohin die Cops alles wegprügelten, was ihnen gerade so im Weg stand.

Wir müssen feststellen, dass es für die Polizei keine Safespaces und keine Unbeteiligten gibt. Jede*r ist überall am Millerntor von Polizeigewalt konkret gefährdet. Selbst direkt vor der Gegengerade ist Mensch nicht sicher. Oder auch (Achtung Klischee!) nicht beim VIP-Aufgang vor der Süd. Wir kennen viele Menschen, die genau diesen Bereich vor der Gegengerade als ihren Safespace definiert haben und die diesen jetzt hinterfragen. Wir als Fanszene müssen hier einen Umgang finden.

Das wurde von einer Polizei veursacht, die nur eine Boxerei wollte und bekam. Dafür spricht auch, dass uns im Nachklapp mehrere Menschen unabhängig voneinander ansprachen, dass nicht etwa „gehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen“ aus den Helmen schallte, sondern Aufforderungen, doch herzukommen oder sich gerade zu machen. 

Ein zusätzlicher Bericht über einen Hitlergruß lässt zumindest den Schluss zu, dass auch das Element „Zecken kloppen“ ein zusätzlicher Faktor gewesen sein kann… 

https://twitter.com/poolshark1910/status/1580928706431721474?s=46&t=EybdyLk4o7IX0YKKQxIOeA

Kein Versagen, sondern gewollt

Es ist also kein „taktisches Einsatzversagen“ oder eine schlechte Taktik. Es waren genau die Taktik und der Plan, die gewünscht waren und die unnötig Menschen gefährdet und verletzt haben.

Warum driften Theorie und Praxis so weit auseinander? Weil die Öffentlichkeit die Polizei für unfehlbar hält. Weil die Öffentlichkeit  auch komplett akzeptiert, dass „der wird schon was gemacht haben“ alles rechtfertigt und damit der Polizei eine außerrechtliche Stellung als Ermittler, Richter und Vollstrecker zugesteht. 

Wir haben am Freitag nach dem Derby nachts schlaflos im Bett liegend noch ein wenig im Internet rumgelesen. Und an all die Stiefellecker*innen und Polizeilover da draußen: Wenn Eure einzigen Argumentationslinien „die werden schon angefangen haben“ und „scheiß Fußballfans“ sind, dann macht Ihr ja direkt klar, dass man mit Euch nicht reden kann und dass Ihr für kein ernsthaftes Gespräch zu haben seid. Wie sehr kann man sich die Welt machen, wie sie einem gefällt? Und wieso bemüht ihr diese Logik jede Woche aufs Neue? Merkt Ihr nicht, dass bei jedem neuen Video über Polizeigewalt das gleiche Muster dahinter steckt? Und könnt Ihr keine besseren Beschäftigungen finden, als diese zu entkräftigen? Malt doch einfach Rautentapeten. Da sind ja sogar die kreativer.

Wir müssen uns wehren

Wir müssen uns gegen diese eskalierende Polizeigewalt wehren. Und der FCSP muss sich dagegen wehren für uns. Da muss Polizeigewalt genau mit diesem Wort kritisiert werden. Da müssen Kontakte auf das minimalste und unfreundlichste reduziert werden. „Aber wir sind vom Bierverkauf abhängig und dafür brauchen wir die Genehmigung der Polizei“ ist eine faule Ausrede. Wieviele Verletzte ist Euch das Astra wert? Einer pro Spiel? Mehr? Wer für seinen Konsum Menschen gefährden will, dem ist nicht mehr zu helfen.

Ach ja: Und so ein täglicher Brief an Andy, dass er gerne mal austreten kann, wäre auch geil. Sowieso kann der gerne mal ne Rakete betreten, die weit weg fliegt und nie wieder kommt. 

Und wenn es nach uns geht, dann können diese Briefe auch alle weiteren St. Paulianer*innen erhalten, die ernsthaft und immer noch eine Mitgliedschaft in einer sogenannten Polizeigewerkschaft für eine gute Idee halten.

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Blue Captcha Image
Refresh

*