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Alle oder keine*r? – Die Saison 21/22

Nun steht sie also fast vor der Tür, die Saison 21/22. Und somit erstmalig auch wieder die Chance seit fast einem Jahr, ein Spiel des FC St. Pauli im Stadion zu erleben. Heute gehen die ersten Tickets für das Heimspiel gegen Kiel in den Verkauf. Im Kollektiv befinden sich Menschen, die reinkönnten, wenn sie wollten (dank Jahreskarte Süd) und Menschen, die – Stand jetzt – keine Chance haben, reinzukommen (trotz ADK und Saisonabo seit vielen Jahren). Morgen steht er also an, der erste Ticketverkauf und wir haben uns ein paar Gedanken dazu gemacht, ob es ein Stadionbesuch für uns unter diesen Bedingungen eine Option ist. Vorweg: Das ist natürlich eine höchst individuelle Entscheidung, die wir hier auch nur bedingt beleuchten können. Und zudem eine höchst privilegierte, die viele langjährige Anhänger*innen des FCSP aktuell gar nicht treffen können, weil sie eben aktuell gar keine Option haben, eine Karte zu erwerben.

Auch für mich gilt, dass ich – gerade zu Beginn der Pandemie – Anhängerin von „alle oder keine*r“ war. Aber für mich haben sich die Vorzeichen geändert: So war Corona damals eine vorübergehende Erscheinung, die wir „in ein paar Monaten“ überwunden haben werden. Für mich wandelt es sich immer mehr zu einem Dauerzustand. Dinge, die lange komplett selbstverständlich waren (volle Kneipen, in luftarmen Clubs tanzen, im ÖPNV eng auf eng kuscheln, sich unbedacht in großen Menschenmengen bewegen) werden meiner Einschätzung nach noch lange Zeit auf sich warten lassen. Das heißt auch, dass das Gefühl von damals „wir bleiben jetzt ein paar Monaten den Stadien fern und gehen dann wieder alle gemeinsam rein“ einfach nicht mehr der Realität entspricht. 

Tatsache ist, dass nicht alle, die wollen, reinkönnen. Und auch nicht alle, die könnten, reinwollen. 

Wie solidarisch verhalte ich mich mit den Leuten, die reinwollen, aber nicht können, weil ich mein Privileg der Jahreskarte ausnutze, dass ich mich überhaupt um eine Karte bewerben kann? Ich persönlich bin vor einigen Jahren von der GG auf die Süd gewandert – eine Tatsache, die nun überhaupt nur dazu führt, dass ich mir diese Gedanken machen kann. Wäre ich damals (mit Saisonabo) auf der GG geblieben, wäre ich nun ausgeschlossen. Ein ganzer Freundeskreis hat – weil sie auf der „falschen“ Tribüne stehen und obwohl sie größtenteils sogar länger und in gleicher Regelmäßigkeit zum FCSP gehen – aktuell keine Option. Das ist doof, darüber kann man elendig lange diskutieren und auch eure Kommentare in den letzten Monaten haben immer wieder gezeigt, dass das ein Thema ist, das für viel Diskussionsstoff sorgt. Aber auch ein Thema, das der FCSP auf dem Schirm hat. Zumindest ein bisschen:

„Man darf aber auch nicht vergessen, dass noch weitere Gruppen auf vieles verzichtet haben, insbesondere natürlich unsere Mitglieder, die ihr übliches Vorkaufsrecht überhaupt nicht in Anspruch nehmen konnten. Auch da denken wir über Lösungen nach, wie wir sie wieder mit einbinden und den Stadionbesuch möglich machen können. Und auch in dieser Hinsicht bekommen wir positive Signale von unseren Dauerkarteninhaber*innen, dass viele bereit wären, ihre Ansprüche zugunsten anderer auch mal hintenanzustellen. Das ist gelebte Solidarität und im allerbesten Sinne st. paulianisch!“

Jetzt kann man natürlich sagen, dass das zu wenig Solidarität ist, dass auch diese Gruppen von Anfang an mitbetrachtet hätten werden sollen. Gut ist, dass es überhaupt ein Thema ist, das diskutiert wurde und zu dem in der Umfrage vor einigen Wochen ja auch explizit Fragen gestellt wurden.

Gleiches gilt andersrum für mich übrigens auch für Gästefans. Auch die gehören für mich elementar zur Fußballkultur dazu. (Auch wenn ich mir nettere Gäst*innen vorstellen kann als Dresden und Rostock. Unfreundliche Grüße.) Auch die Kieler*innen haben keinerlei Chance, ihr Team beim ersten Auswärtsspiel der Saison zu begleiten.

Man kann das ganze jetzt auch andersrum sehr pragmatisch sehen: Bei einer Zulassung von einem Drittel werden viele Menschen, die normalerweise Spiele des FCSP mitbekommen könnten, nicht dabeisein können. Hier wurde nun eine Grenze gezogen, über die man diskutieren kann und soll. Es werden aber nicht alle Interessierten unter diesen Umständen reinkommen können.

Die Gesundheit

Ein wichtiger Abwägungsfaktor, den jede*r für sich selbst betrachten muss. Ich persönlich halte bei der vorgesehenen Auslastung, bei der aktuellen Inzidenz und mit dem Status als Geimpfte das Risiko für mich persönlich aktuell vertretbar. Einerseits ist „genug“ Platz, so dass ich mich bei potentiellen Situationen, in denen viele Menschen aufeinandertreffen, entsprechend zurückziehen kann. Zudem ist mit der 3G-Vorgabe (Geimpft, Genesen, Getestet) ein zusätzliches Sicherheitsnetz eingezogen, das sicherlich nie perfekt sein kann. Aber eben zusätzliche Sicherheit bietet. Die EM hat zu vielen, vielen Infektionen geführt. Aber vor allem an Orten, an denen genau diese Bedingungen wenig bis nicht gegeben waren. In Budapest und St. Petersburg galten deutlich laschere Vorgaben (kein 3G, nach allem was man so auf Fotos und Fernsehbildern sah war auch „Abstand halten“ und „Maske auf“ ein eher unbekanntes Konzept) und die Grundinzidenz war jeweils sehr viel höher.

Zumal die Frage ja auch ist, wie viele Menschen sich direkt im Stadion infiziert haben und wie viele auf gemeinsamen An- und Abreisen sowie bei dem drumrum. Was übrigens den Fußball nicht entschuldigen soll – die Verantwortung des Fußballs endet nicht am Stadiontor. Aber für mich eine Rolle spielt, wenn ich das Risiko abschätze. Ich komme immer zu Fuß oder mit dem Rad ans Millerntor und bin nicht gezwungen, mich durch Menschenmassen zu begegnen.

In England bei den Halbfinal- und Finalspielen war die Auslastung deutlich (!) höher als sie bei den kommenden Spielen am Millerntor sein wird, zumal sich zahlreiche Menschen ziemlich gewaltsam trotzdem Zutritt verschafft haben, die kein Ticket hatten.

Und ja, auch nach den Spielen in München gab es einige wenige Infektionen. Aber die wird es immer geben, so lange wir nicht konsequent ZeroCovid durchziehen.

Die Fußballkultur

Zu meinem Fußballerleben gehören volle Stadien, gehören Gesänge, gehören Fans von 2 Teams. Gehört das eng-auf-eng (auch wenn es einfach beschissen ist, wenn Männer gerade in solchen Situationen ihre Hände nicht bei sich lassen können). Früh ins Stadion rein, um auf „unseren“ Plätzen zu sitzen. Dazu gehört auch aktiver Support, Fangesänge. Das kollektive Erleben. Die Kurve, die komplett eskaliert beim Siegtor in der 93. Minute. Schlecht sehen, weil die Sicht aus der Süd einfach nicht so geil ist. Vorsänger*innen, die versuchen uns mehr oder weniger liebevoll zu motivieren.

Erinnert ihr euch, als wir am 26. August 2019 mit einem Wechselgesang des ganzen Stadions den Ball gegen Kiel förmlich über die Torlinie gesungen haben? DAS ist Fußball im Stadion für mich.

Kurzum: All das, was mir ein Stadionbesuch unter Coronabedingungen nicht ermöglicht. 

Dessen bin ich mir bewusst, wenn ich mich um eine Karte bemühen werde. Ich erwarte das auch nicht. Ich vermisse es nach wie vor tierisch. Aber ich will es unter den aktuellen Umständen nicht erleben. Mir persönlich wäre das zu riskant. Das paradoxe ist: Weil es eben all das, weshalb ich normalerweise zum Fußball gehe, nicht möglich ist. Ich gehe da mit anderer Erwartungshaltung ran, als an meine Stadionbesuche früher. Alleine schon, dass ich gegen Hertha sitzen werde. Ich weiß wirklich nicht, wann ich zuletzt bei einem Fußballspiel saß. Die Erinnerung sagt gerade „irgendwann in den 90ern“.

Dazu gehört für mich auch: Ich werde nicht organisiert supporten. Auch wenn ich richtig Bock habe, die Jungs mit allem was geht nach vorne zu brüllen. Ich werde es nicht tun. Ein Aux Armes, das nicht von der Süd angestimmt wird? Während die Leute, die es normalerweise anstimmen, gar nicht oder nur teilweise da sind? Undenkbar. Organisierte Fangesänge? Unter diesen Umständen nichts meins. Das heißt nicht, dass ich ausschließen will, dass ich das Spiel emotional miterlebe und das gegebenenfalls auch laut kundtun werde. Meine Nachbar*innen wissen, wovon ich spreche. Aber dann als spontane Äußerung, nicht als organisierte Aktion. Nicht mit dem, was ein bis zum letzten Platz ausgefülltes Millerntor so ausmacht. 

Und ich persönlich finde, es stünde auch jeder anderen Person gut, nicht organisiert zu supporten, so lange die entsprechenden Gruppen nicht allergrößtenteils wieder ins Stadion können. 

Die Fußballmüdigkeit

Auch mir geht es so, dass ich in den vergangenen Monaten immer weniger interessiert verfolgt habe, was den FCSP so umtreibt. Fast 500 Tage ohne richtigen Stadionbesuch und ein sich immer weiter selbst überbietendes Geifern nach mehr Geld und eine Liga, die häufig weit von der Lebensrealität der Menschen in diesem Land waren, haben ihre Spuren hinterlassen. Hatte ich früher 5 Minuten nach Ansetzung der Spiele Anreisen besprochen, Urlaubstage genommen und konnte all das auswendig aufzählen, weiß ich gerade nicht mal, gegen wen wir am 2. Spieltag spielen. (Ist übrigens Aue, ich habe nachgeguckt).

Also ja, die Fußballmüdigkeit, sie ist definitiv auch bei mir da. Aber klar ist auch, dass ich die Spiele des FCSP auch in der kommenden Saison – Stand jetzt – verfolgen werde. Und ganz ehrlich? Da ist ein Stadionbesuch unter Coronabedingungen immer noch schöner als die bekloppte Sky-Übertragung, die mich regelmäßig in den Wahnsinn treibt.

Das Fazit?

Ich werde am Samstag erstmalig seit dem 1. März 2020 (übrigens genau 500 Tage später) wieder ein Spiel des FCSP im Millerntor verfolgen. Ich werde mich auch um ein Ticket gegen Kiel bemühen. Und dann mal schauen, was ich mit dem Derby mache (und hoffen, dass ich diese Entscheidung erst treffen muss, nachdem ich Kiel „ausprobieren“ konnte). 

Ich weiß, dass es nicht „der normale“ Stadionbesuch werden wird. Ich weiß, dass viele leider aktuell nicht reinkönnen. Aber es kribbelt zu sehr in den Fingern, mal wieder ein Spiel im Stadion zu erleben und nicht Sky dauerhaft anmaulen zu müssen. Nein, es wird auf keinen Fall so wie beim letzten Spiel gegen Sandhausen. Als wir supporteten, als wir uns mit Dudes, die sexistische Kackscheiße von sich gaben, angelegt haben.

Menschenmassen, durchdrängeln, organisierten Support wird es nicht geben. Stattdessen Sitzplatz, Abstand, Maske.

Ich halte das in meiner individuellen Risikobetrachtung bei den aktuellen Inzidenzen und den mir bekannten Vorkehrungen des FC St. Pauli (und geimpft) für vertretbar. Wie es dann war, werde ich sicherlich in diesem Blog weiterhin beleuchten.

Und vor allem hoffen wir, dass diese Diskussionen bald obsolet wird. Dass wir Corona so weit im Griff haben, bei Niedrigsinzidenzen und einer Impfquote von über 90% (Leute, lasst euch impfen – ihr schützt damit euch selbst und vor allem auch die, die nicht geimpft werden können), dass wir guten Gewissens Stadien vollmachen können.

2 Kommentare

  1. Maggi Maggi

    Ich verstehe bei dem Thema das Solidaritätsprinzip eh nicht. Es ist schon seit einer gefühlten Ewigkeit so, dass Menschen, die rein wollten, nicht rein kamen. Die Platzkapazitäten sind begrenzt. Wo ist da die Solidarität mir alldenjenigen, die nicht mehr in ein ausverkauftes Stadion bei voller Auslastung rein passen? Wo ist die Solidarität bei Auswärtsspielen, wo die Kapazitäten noch begrenzter sind? Genau: Es macht keinen Sinn, weil es nicht anders geht. Solidarität macht hier doch nur Sinn, wenn eine Forderung dahinter steht: Welche sollte das sein? „Baut das Stadion auf 40.000 aus! Bis dahin sind wir solidarisch und bleiben auch draußen! „Wir haben nun mal nur für ca. 30.000 Besucher:innen Platz. Und genauso haben wir jetzt gerade nur für ca. 9.000 Besucher:innen Platz. Ich verstehe nicht, wieso diejenigen unter den 21.000, die jetzt noch gerne rein würden, mehr Solidarität verdient haben, als diejenigen, die bei ausverkauftem Haus auf der Strecke bleiben.
    Anders wäre es, wenn man die Entscheidung 9.000 reinzulassen, grundsätzlich in Frage stellen würde. Wenn man sagt: „Das ist doch Bullshit, macht das Stadion voll.“ Sprich wenn man der Meinung wäre, dass die 21.000 Dauerkarteninhaber:innen, die jetzt nicht rein können, zu Unrecht ausgesperrt werden. EM rules sozusagen. Aber das ist ja gar nicht der Grund. Ich denke, dass gerade diejenigen, die hier das Solidaritätsprinzip einfordern, zum überwiegenden Teil Menschen sind, denen Hygienemaßnahmen und Schutz wichtig sind. Und die nicht nach vollen Stadien schreien, weil sie die steigenden Infektionsgefahren und Risiken für die Gesundheit Dritter, erkennen und respektieren. Ich glaube es ist weitgehend Konsens, dass ein Schritt in Richtung Normalität richtig ist, dabei jedoch Vorsicht angebracht ist und dass auch diese Entscheidung eine vermutlich richtige ist. Die Forderung „macht das Stadion voll“ gibt es also hier nicht.
    Und daher verstehe ich nicht den Unterschied zwischen „in Pandemiezeiten mit denen solidarisch sein, die keine Karte kriegen“ und „in anderen Zeiten mit denen solidarisch sein, die keine Karte kriegen“.

  2. […] der 5%-Gästefans-Entscheidung hatte ich ja schon ein paar Gedanken geäußert, beim MagischenFC könnt Ihr jetzt weitere Gedanken zum Besuch des morgigen Testspiels und weiteren Spielen nachlesen […]

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