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Glücksspiel mit Kompetenzanteil

Mit Bwin hat der FC St. Pauli einen Sportwettenanbieter unter seinen Sponsoren. In dieser Saison veranstaltet Bwin mit dem Verein ein Tippspiel. Dies wollen wir im Folgenden beleuchten und hinterfragen.

Wie läuft das Tippspiel?

Das Tippspiel ist ein klassisches Tippspiel auf kicktipp.de. Durchgeführt wird es von der GVC Services Limited, Teil der GVC Holdings PLC in Gibraltar, kurz „bwin“. Getippt wird bis zum Anpfiff des Spiels. Es werden Spieltags-, Hinrunden- und Rückrundensieger*innen ermittelt. Die Teilnahme ist kostenlos und altersunabhänig; gewinnberechtigt sind allerdings nur Personen mit einem Mindestalter von 18 Jahren.
Zu gewinnen gibt es für die Spieltagssieger*innen ein signiertes Heimtrikot der aktuellen Saison und einen 10-Euro-Freebet-Gutschein von Bwin. Außerdem erhalten die Erst-, Zweit- und Drittplatzieren der Hin- bzw. Rückrunde VIP-Tickets für ein Heimspiel, beflockte Trainingskits oder einen 100-Euro-Gutschein des Fanshops. Innerhalb der Saison werden also folglich 34 Wettgutscheine über 10 Euro vergeben. Und damit sind wir schon bei dem Problem: Mit diesem Preis wird eine verdammt niedrige Eintrittsschwelle zu Sportwetten geschaffen.

Sportwettenanbieter im deutschen Fußball

Der FC St. Pauli ist beiweitem nicht der einzige Fußballverein in Deutschland, der Werbung für Sportwetten macht. Bei unserer Recherche haben wir herausgefunden, dass alle Vereine der Ersten und Zweiten Bundesliga – außer Erzgebirge Aue (ausgerechnet Aue!) – Sportwettenanbieter als Sponsoren haben.
Frankfurt, Heidenheim, Hertha, Kiel, Leverkusen und Mainz machen sogar Werbung für mehr als einen Anbieter. Der SC Paderborn und der VFL Osnabrück haben mit Sunmaker einen Wettanbieter als Haupt- und Trikotsponsor. Und bei Fortuna Düsseldorf heißt das Stadion Merkur Spiel-Arena. In der folgenden Tabelle haben wir die Vereine und die jeweiligen Wettanbieter aufgeführt. Wir haben Lotto Bayern und ähnliches mitaufgenommen, da auch hier auf Fußballergebnisse gewettet werden kann. Es kann aber sein, dass wir bei den Vereinen Anbieter übersehen haben.


Verein

Anbieter

Aue

Augsburg

Lotto Bayern

Bielefeld

XTiP

Bochum

LeoVegas Sport

Braunschweig

Sportwetten.de

Bremen
Betway

Darmstadt

Skybet

Dortmund
Bwin

Düsseldorf

Merkur

Bayern

Tipico

Frankfurt

Tipwin/ Lotto Hessen

Freiburg

Lotto Baden-Württemberg

Fürth

Lotto Bayern

Gladbach

Unibet

Hannover

Skybet

Heidenheim

Lotto Baden-Württemberg/ Tiptorro

Hertha
Betway/ Lotto Berlin

Hoffenheim
Interwetten

HSV

Admiralbet

Kiel

Lotto Schleswig-Holstein/ Skybet

Köln
Bwin

Kralsruhe

Neo.bet

Leipzig

Unibet

Leverkusen
KB88.com/ Tipwin

Mainz

fb88.com/ Lotto Rheinland-Pfalz

Nürnberg

Lotto Bayern

Osnabrück

Sunmaker

Paderborn

Sunmaker

Regensburg

Lotto Bayern

Sandhausen

Skybet

Schalke
Bet-at-home

St. Pauli
Bwin

Stuttgart
Tiptoro

Union
Bwin

Wolfsburg
Interwetten

Würzburg
Bwin

DFB
Bwin

Nationalmannschaft
Bwin

DFB Pokal
Bwin
1. BundesligaTipico
2. BundesligaTipico

3. Liga
Bwin

Ligen Frauen
Bwin

Aber nicht nur die Vereine machen Werbung für Sportwetten. Bwin führt in seinem Portfolio außerdem auch den DFB, die Nationalmannschaft, die 3. Liga und die Frauenligen als Werbepartner auf. Bundesliga 1 und 2 werden von Tipico gesponsert. Während der Vorberichterstattung zur Bundesligakonferenz liefen am Samstag Werbungen für fünf verschiedene Wettanbieter (Tipico, Skybet, Mybet, Betway, Unibet).
Neben der Werbung über Sponsorships machen auch Prominente aktiv Werbung für Sportwetten. Sei es Oliver Kahn für Tipico, Podolski für Xtip oder Rapper Specter für Hpybet. Der Effekt? Sportwetten werden normalisiert und rücken immer weiter in die Mitte der Gesellschaft.
Im Interview mit Buisnesspunk gab Peter Reinhard, Geschäftsführer von Hpybet, an, dass man sich bewusst für einen Rapper als Werbefigur entschieden hätte, um eine jüngere Zielgruppe und Menschen mit Migrationshintergrund zuerreichen ( https://www.business-punk.com/2019/12/mit-hiphop-fuer-sportwetten-werben-ein-gespraech-mit-hpybet-ueber-marketing/2/).
Wie zynisch das ist, zeigt sich bei der Betrachtung der Erhebung zum Thema Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Laut der Studie für das Jahr 2019 sind besonders junge Männer, Menschen mit niedrigem Einkommen und Menschen mit Migrationshintergrund gefährdet, ein problematisches oder pathologisches Spielverhalten zu entwickeln.

Und es lohnt sich für die Anbieter. Im Jahr 2019 machten sie einen Umsatz von 9,3 Milliarden Euro, Tendenz steigend. (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/sportwetten-deutschland-legal-1.4782648). Aber auch für die Vereine ist die Zusammenarbeit lukrativ. So zahlt Tipico dem FC Bayern München 5,5 Millionen Euro pro Saison (https://www.mittelstand-nachrichten.de/verschiedenes/tipico-und-der-fc-bayern-schliessen-sponsorendeal/). Kein Wunder also, dass die Vereine eher ein Auge zudrücken, wenn es um die Gefahren von Sportwetten und die rechtliche Lage geht.

Problematisches und pathologisches Spielen

Laut der DSM-5 (5. Auflage des Handbuchs “Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders”, dies gilt als das dominante Bewertungssystem für psychiatrische Krankheiten), gibt es neun Kriterien (https://www.lsgbayern.de/information/gluecksspielsucht-daten-fakten/definition-pathologischen-gluecksspielens) für eine „Störung durch Glücksspielen“:

  • Notwendigkeit des Glücksspielens mit immer höheren Einsätzen, um eine gewünschte Erregung zu erreichen.
  • Unruhe und Reizbarkeit bei dem Versuch, das Glücksspielen einzuschränken oder aufzugeben.
  • Wiederholte erfolglose Versuche, das Glücksspielen zu kontrollieren, einzuschränken oder aufzugeben.
  • Starke gedankliche Eingenommenheit durch Glücksspielen (z. B. starke Beschäftigung mit gedanklichem Nacherleben vergangener Spielerfahrungen, mit Verhindern oder Planen der nächsten Spielunternehmung, Nachdenken über Wege, Geld zum Glücksspielen zu beschaffen).
  • Häufiges Glücksspielen in belastenden Gefühlszuständen (z. B. bei Hilflosigkeit, Schuldgefühlen, Angst, depressiver Stimmung).
  • Rückkehr zum Glücksspielen am nächsten Tag, um Verluste auszugleichen (dem Verlust „hinterherjagen“ [„Chasing“]).
  • Belügen anderer, um das Ausmaß der Verstrickung in das Glücksspielen zu vertuschen.
  • Gefährdung oder Verlust einer wichtigen Beziehung, eines Arbeitsplatzes, von Ausbildungs- oder Aufstiegschancen aufgrund des Glücksspielens.
  • Verlassen auf finanzielle Unterstützung durch andere, um die durch das Glücksspielen verursachte finanzielle Notlage zu überwinden.

Für die Diagnose einer „Störung durch Glücksspiel“ müssen mindestens vier Kritierien innerhalb von zwölf Monaten erfüllt sein.

Die BZgA ermittelt in ihrer Studie
https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/BZgA-Forschungsbericht_Gluecksspielsurvey_2019.pdf auch, welche soziodemographischen Faktoren problematisches und pathologisches Spielen begünstigen können. So sind zumeist jüngere Männer betroffen. Charaktereigenschaften wie “Sensation Seeking” und Impulsivität sowie ungünstige soziale Einflüsse durch Peers und die Familie können die Enstehung von problematischem und pathologischem Spielen begünstigen. Desweiteren geht die Studie davon aus, dass es einen großen Zusammenhang mit stoffgebundenen Süchten gibt. So gibt es Hinweise, dass vor Beginn des pathologischen Spielens bei drei von vier Betroffenen eine Suchterkrankung wie z.B. Alkoholmissbrauch vorlag.

Laut der BZgA sind zwischen 0,2 und 1,5 Prozent der Erwachsenen in Deutschland spielsüchtig. Insgesamt haben 79,9 Prozent der Männer und 70,7 Prozent der Frauen schon einmal ein Glücksspiel gespielt. Für Sportwetten liegt der Wert bei 10 Prozent der Bevölkerung.

In der folgenden Tabelle ist dargestellt, wie viel Prozent der verschiedenen Altersgruppen in ihrem Leben schon Erfahrungen mit Sportwetten (Lebenszeitprävalenz) gemacht haben. Verteilt auf die verschiedenen Altersgruppen sieht das wie folgt aus:


Altersgruppe

16-17

18-20

21-25

26-35

36-45

46-55

56-70

Lebenszeitprävalenz

2,8 %

5,4 %

10,3 %

10,0 %

7,1 %

6,5 %

6,7 %

Laut Angaben der Seite www.schon-verloren.de ist in Hamburg jede 7. Person, die wegen einer Glücksspielproblematik ambulat betreut wird, abhängig von Sportwetten.

Welche Arten von Sportwetten gibt es?

Man unterscheidet drei Arten von Sportwetten: Toto, Oddset und Livewetten.
Toto ist die klassische Sportwette, bei der auf den Spielausgang von Fußballspielen gewettet wird.
Bei Oddset geschieht das Gleiche, nur das hier auf feste Quoten gewettet wird.
Livewetten sind die riskanteste Form der Sportwetten. Hierbei wird während des Spiels auf ein Ereignis gewettet. Der Zeitdruck, unter dem die Spieler während des Wettens stehen, erhöht das Gefährdungspotential, da die Spieler keine Ruhephase haben, um Einsätze und Wetten abzuwägen. In Deutschland ist diese Form der Sportwette nur eingeschränkt zulässig: “Wetten während des laufenden Sportereignisses sind unzulässig, da sie ein überaus hohes Suchtpotenzial aufweisen. Davon abweichend können Sportwetten, die Wetten auf das Endergebnis sind, während des laufenden Sportereignisses zugelassen werden (Endergebniswetten). Wetten auf einzelne Vorgänge während des Sportereignisses (Ereigniswetten) sind ausgeschlossen“ (Auszug aus Paragraph 21, Absatz 4 des Glücksspielstaatsvertrages).
Personen, die an Livewetten teilnehmen, haben ein fünffach höheres Risiko für problematisches bzw. abhängiges Spielverhalten. Trotzdem ist es möglich, darauf zu wetten, wer die nächste Ecke schießt oder die nächste gelbe Karte bekommt. Die Rechtslage ist hier eine einzige Grauzone.

Sportwetten werden auch als Glücksspiel mit Kompetenzanteil bezeichnet, da Wissen und Erfahrung die Gewinnchance beeinflussen. Dieser Faktor ist aber gering und wird von Spieler*innen häufig überschätzt. Aus diesem Grund gelten Sportwetten als Glücksspiel mit erhöhtem Gefährdungspotential. Im Forschungsbericht der BZgA (https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/BZgA-Forschungsbericht_Gluecksspielsurvey_2019.pdf) wird unter anderem der GABS-Wert für die verschiedenen Arten von Glücksspiel ermittelt. Die Gambling Attitudes and Beliefs Scale erfasst kognitive Verzerrungen hinsichtlich des Glücksspiels. Als theoretische Grundlage gilt die Annahme, dass eine verzerrte Kognition (z. B. Illusion der Kontrolle) zu einer erhöhten Spielhäufikeit führt und sie problematischem Spielverhalten vorrausgeht. Sportwetten haben im Mittel einen GABS-Wert von 1,96 und weisen damit den höchsten Wert aller Glücksspiele auf. Bedeutet, dass bei Sportwetten die größte kognitive Verzerrung vorliegt.

Beim Tippspiel, das Bwin gemeinsam mit dem FC St. Pauli veranstaltet, erhält der*die Tagessieger*in nach dem erfolgreichen Tippen eines Spieltages Gutscheine für eine kostenlose Wette. Diese Person hat sich gerade als kompetent im Tippen erlebt und wird nun eingelanden, das ganze doch einmal mit der Aussicht auf einen Geldgewinn zu versuchen. Durch das vorangegangene Kompetenzerleben wird die Hemmschwelle noch weiter herabgesetzt und das Gefühl verstärkt, man hätte Einfluss auf den Wettausgang. Der Verein und Bwin verleiten somit Spieler*innen indirekt zum Glücksspiel. Zumal aus der Studie der BZgA auch hervorgeht, dass Menschen, die auf Sportergebnisse wetten, deutlich häufiger auch noch andere Formen von Glücksspielen spielen.

Rechtliche Lage

Häufig genug hört man im Leben, dass Dinge kompliziert seien, sie sind aber ganz einfach. Nehmen wir doch zum Beispiel das Schicksal flüchtender Menschen: Politiker versuchen uns zu erklären, dass das ganz kompliziert sei, es europäische Lösungen bräuche und laber. Dabei ist das ganz einfach: Die BRD kann und sollte alle Flüchtlinge aufnehmen und das ist Menschenrechtlich die einzig richtige Lösung.

Anders verhält es sich mit dem Glücksspiel. Leute werden euch sagen „es ist ganz einfach“ und dann entweder „es ist in Deutschland verboten“ oder „es ist in der EU erlaubt“ antworten. Beide Antworten sind wahrscheinlich genau so richtig wie falsch. Die Wahrheit ist: Es ist kompliziert. Sehr so gar.

Glücksspiel ist in Deutschland Sache der Länder. Es könnte also theoretisch jedes Bundesland seine eigene Glücksspielregelung treffen. Dies will man aber nicht, sodass man das ganze durch sogenannte Staatsverträge einheitlich regelt.

Ursprünglich war die Regelung mal ganz einfach. Es gibt ein staatliches Monopol. Lotto, Toto, Spielbanken und sonst nix. Außer vielleicht ein paar Daddelautomaten.

Ihr habt den Unterschied in den zwei Sätzen mit dem „erlaubt“ und dem „verboten“ oben gesehen? Die EU sah das deutsche Verbot als Monopol gegen die Dienstleistungsfreiheit und kippte es. Ganz grob vereinfacht gesagt ist nach einheitlichen Binnenmarktregeln alles in der EU erlaubt, was in einem Land erlaubt ist.

Es begannen also Sportwettenanbieter mit Sitz in anderen EU-Staaten, ihre Angebote in Deutschland anzubieten. Und beriefen sich auf diese Dienstleistungsfreiheit.

Nun gibt es aber Ausnahmen von dieser Dienstleistungsfreiheit. Z. B. zum Schutz der Gesundheit. Und ihr lest hier in den anderen Abschnitten von dem erheblichen zerstörerischen Potenzial von Online-Glücksspiel. Die Länder beschlossen daher ein staatliches Monopol und ansonsten ein Verbot. Oddset war der Name. Dies wurde von BVerfG noch bestätigt, der EuGH kassierte es jedoch und argumentierte u. a. damit, dass Oddset massiv Werbung machte und so nicht wirklich ersichtlich sei, dass das Ganze zum Schutz vor Spielsucht erfolgen würde.

Darauf reagierten die Länder und wollten 20 private Anbieter für Onlinesportwetten lizensieren. Diese Änderung erfolgte 2010. Das Ganze ist so nie gekommen. Schleswig-Holstein ging erst einen Sonderweg, vergab eigene Lizenzen und argumentierte damit, dass ausländische Anbieter über das Internet sowieso nicht an ihrem Geschäft zu hindern seien und man dann lieber die Steuern und die Arbeitsplätze haben wolle. Eine Landtagswahl und einen Machtwechsel später trat man 2013 dann doch der Änderung bei. Die Lizenzen koppelte man nebenbei mit einer Sondersteuer und man muss sich immer fragen, ob es Politiker*innen bei diesen Entscheidungen nicht immer etwas mehr um ihren Haushalt als um den Gesundheitsschutz der Süchtigen ging.

Lizenzen wurden aber trotzdem nicht vergeben. Mehrere Gerichte waren dagegen, weil sie die Vergabe als intransparent und als einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit ansahen. 2016 entschied das auch der EuGH. Dabei wird immer wieder auf die nicht konstante Regelung in Deutschland verwiesen, die teilweise versucht, ein staatliches Monopol zu etablieren, das dann wirbt oder aber zwischen Casinospielen und Sportwetten fein unterscheiden will. Ein absolutes Verbot anderer europäischer Länder hat der EuGH jedoch akzeptiert, siehe Portugal. (C-42/07 ist das Aktenzeichen)

Seitdem versuchen sich die Länder auf eine erneute Neuregelung zu verständigen. Diese war auch vereinbart, als in Schleswig-Holstein erneut die Macht wechselte, die neue Koalition der Änderung nicht zustimmen wollte und so eine Ratifikation unterblieb und die Änderung nie in Kraft trat. Für 2021 ist ein erneuter Versuch einer Neuregelung geplant, die z. B. eine Begrenzung der Summe vorsieht, die man verspielen kann.

Too long, didn’t read?

Zurzeit gibt es aber in Deutschland keine rechtliche Grundlage für Online-Wetten, die mit dem EU-Recht vereinbar wäre. Zwar verbietet das deutsche Recht das Anbieten und Werben und Behörden rasseln da auch immer mal wieder gerne mit den Säbeln, aber im Endeffekt ist das Ganze ein sehr stumpfes Schwert.

Konsequenz daraus ist, dass nahezu alle Anbieter im europäischen Ausland sitzen. So ist z. B. der Sponsor des FCSP in Gibraltar zu Hause. Ob dies angesichts des Brexit so bleibt, kann wohl bezweifelt werden. Folge davon ist aber auch, dass in Deutschland keine Steuern anfallen.

Ob die Neuregelung Bestand hat, bleibt abzuwarten. Insbesondere wenn es erneut zu offensichtlich wird, dass es eher um Steuereinnahmen, als um Suchtprävention geht, dann wird der EuGH das ggf. wieder kassieren.

Soziale Verantwortung

Fußballvereine sozialisieren Menschen. Sie sind Vorbild und führen Menschen an Themen heran. Wir alle wissen das am besten. Zudem haben sie eine extrem große Reichweite. Der FC St. Pauli ist stolz auf seine vielen Fans und Fanclubs außerhalb Hamburgs und auch außerhalb Deutschlands. Dies ist für viele Sponsoren sicherlich ein Grund mit dem Verein zusammenzuarbeiten. Die hohe Reichweite heißt aber auch, dass viele Menschen dem Risiko der Sportwetten ausgesetzt werden. Aktuell nehmen an dem Tippspiel über 1500 Personen teil. Über 1500 potentielle Kund*innen für Bwin. Über 1500 Personen, die dazu verleitet werden, ihre Kompetenzen im Tippen auf das Wetten mit Geld zu übertragen.
Im pädagogischen Konzepts des NLZs nimmt die Präventionsarbeit eine große Stellung ein. Unsere Nachwuchsspieler nehmen regelmäßig an Workshops teil, auch zu Glücksspiel und Wetten. Gleichzeitig macht der Verein aktiv Werbung für Glücksspiel und Sportwetten. Wie passt das zusammen? Eine Frage, die auch schon bei der “Mein Verein”-Veranstaltung zum Thema Werte aufkam. Ist der Verein nicht in der Verantwortung, nicht nur seine “eigenen” Jugendlichen, sondern auch alle anderen im Stadion vor dem Einfluss von Sportwettenanbietern zu schützen? Ein häufig aufgeführtes Argument ist, dass Sportwetten nur für Menschen über 18 Jahre erlaubt ist. Machen wir uns nichts vor, im Zweifel ist im Internet jede*r über 18.

Die Vorbildfunktion, die der Verein, besonders gegenüber Kindern und Jugendlichen hat, ist sogar in unseren Leitlinien verankert.
Darin heißt es: “Jeder Einzelne und jede Gruppe sollte sein/ihr gegenwärtiges und künftiges Handeln ständig selbstkritisch prüfen und sich seiner/ihrer Verantwortung für andere bewusst sein. Die Vorbildfunktion gerade für Kinder und Jugendliche darf nicht in den Hintergrund geraten.”
Desweiteren steht in unseren Leitlinien: „Der FC St. Pauli ist ein Stadtteilverein. Hieraus zieht er seine Identifikation und hat eine soziale sowie politische Verantwortung gegenüber dem Stadtteil und den hier lebenden Menschen.“ Wenn der Verein Menschen aktiv an das Glücksspiel heranführt und die Hemmschwelle durch das Vergeben von Gutscheinen herabsetzt, vernachlässigt er seine soziale Verantwortung.

Die Frage, die sich uns stellt: Haben sich die Verantwortlichen vorher nicht mit Sportwetten und den Gefahren auseinandergesetzt oder ignorierten sie es bewusst? Beides ist fahrlässig. Beides darf nicht passieren.

Aber wir tippen im Freundeskreis doch auch, was ist Euer Problem?

Auch wir tippen im Freundeskreis – übrigens auch über die Plattform kicktipp – seit Jahren die 2. Bundesliga. Auch wir als Blog haben schon für Wetten für Wasser (https://www.wettenfuerwasser.de) Werbung gemacht – dieses Jahr übrigens bewusst nicht.
Aus unserer Sicht gibt es da einige Faktoren, die die Situationen grundlegend unterscheiden:

  • Bei uns im Freundeskreis gibt es einen Wanderpokal, der rumgeht. Keinerlei monetären Gewinne und erst recht keinen Gutschein für ein Wettspiel bei einem Wettspielanbieter.
  • Die soziale Kontrolle ist eine gänzlich andere: Wir kennen unsere Freund*innen, die mit uns gemeinsam teilnehmen – und können zumindest einigermaßen einschätzen, ob und in welcher Form sie (glückspiel-)suchtgefährdet sind. Wie wollen bwin und der FCSP überprüfen, wer da teilnimmt und ob die Personen bereits suchtgefährdet sind?

Und im Endeffekt ist es doch wie beim Alkohol und den Tabakprodukten: Es besteht ein erheblicher Unterschied zwischen dem individuellen Konsum durch einzelne Personen und der Werbung/Kooperation, die eben nicht ausschließen kann, dass auch potentiell gefährdete Menschen diese Werbung erleben.

Hinzu kommt, dass Alkohol als Sucht-/Genussmittel in der Gesellschaft akzeptiert, ja sogar tief verankert ist. Sportwetten sind dies, unserem Eindruck nach, noch nicht im gleichen Maße. Sie werden aber gerade durch die vielen Sponsorships und die viele Werbung immer weiter normalisiert. Ein Trend, bei dem der FC St. Pauli sich fragen sollte, ob er wirklich daran teilhaben will.


Hilfe für Betroffene und Angehörige:
https://www.automatisch-verloren.de/de/hilfe/beratungsstellen-und-selbsthilfegruppen-in-hamburg.html

4 Kommentare

  1. Wichtiges Thema sehr gut aufgeführt. (Ich schreib mal wegen der Länge nicht „zusammengefasst“.). Ist ja ein generelles Problem, inwiefern wir mit „unserem“ Blick auf die Welt und unseren Werten Suchtmittel so schnafte finden.

    Wobei ich persönlich da andere Süchte vor allem auch dank ihrer noch direkteren Konsequenzen im Stadion auch noch mal relevanter finde (Alkohol&Tabak sprecht Ihr ja selber an.).
    Was aber kein Argument gegen die Betrachtung von Spielsucht&das fördernden Sponsoren sein kann, darf oder soll.

    Kurzgefasst wohl „scheiß Kapitalismus“. Ich wäre gespannt, ob es mit finanziell überschaubaren Risiken überhaupt möglich wäre, auf derartige Sponsoren als FCSP zu verzichten. Wobei das Fan-Echo auf Alkoholfrei/Rauchfrei-Forderungen ja leider auch absehbar ist.

  2. […] der Fall ist, soll jede*r selbst entscheiden, beim Magischen FC-Blog könnt Ihr jedenfalls eine sehr ausführliche Auseinandersetzung mit dem komplexen Thema und insbesondere dem Umgang mit einem Tippspiel finden, welches der Verein […]

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