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Mächtig gewaltig

Anmerkung des Kollektivs: Neben dem gestern verkündeten Besetzungswechsel konnten wir auch noch eine Gastautor*innen gewinnen, die regelmäßig unregelmäßig hier veröffentlichen werden. Und hiermit machen wir heute den Anfang. Autor*in ist dem Kollektiv bekannt und von diesem sehr geschätzt.

Mächtig gewaltig.

Schön guten Tag Herr Amin, Sie lehnen also jegliche Form der Gewalt ab? Ich zitiere: „Ich lehne jegliche Art der Gewalt und deren Androhung kategorisch ab.“

Das ist sehr löblich für Sie. Ich sehe eine Europafahne in Ihrem Twitter-Profil? Und Ihre Twitterbio sagt: „Mensch der #Mitte. Für #FDGO, gegen jeden #Extremismus, für #Toleranz, #Vielfalt und #Humanismus.“

Und dann pinnen Sie noch einen Tweet an, in dem Sie ein unbedingtes Bekenntnis zur FDGO fordern?

Ich habe ja Sympathien für Ihre gutbürgerliche Existenz, bin ich doch auch in einem Vorort aufgewachsen und hielt mich für wild, als ich die Grünen wählte. Und ich mag auch das Musical „Hair“ und Liebe, Blumen und Frieden.

Aber ich muss Sie leider enttäuschen. Zwar mag Ihre Fassade bürgerlich sein, vielleicht sehen Sie sich selbst als Mensch der Mitte und Freund der freiheitlich demokratischen Grundordnung, aber aus der Fremdwahrnehmung des Verfassungsschutzes sind Sie leider ein staatszersetzender Anarchist. Wir müssen Sie deswegen leider beobachten und in die Datei Linksradikal aufnehmen.

Ich sehe ihr erstauntes Gesicht und es ist für Sie vielleicht ein Schock, daher lassen Sie mich Ihnen kurz unsere Entscheidung erläutern.

Sie lehnen jegliche Art der Gewalt und deren Androhung KATEGORISCH ab? Das haben Sie selber geschrieben. Dabei ist Gewalt ein Kernbestandteil der von Ihnen angeblich (wahrscheinlich zur Tarnung ihres Radikalismus!) unterstützten FDGO. Lassen Sie mich dazu aus der sogenannten „NPD-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 17.01.2017 2 BvB 1/13; es wird aus den Leitsätzen zitiert) zitieren:

„3. Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG umfasst nur jene zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind.
a) Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. 
b) Ferner ist das Demokratieprinzip konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG).
c) Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind schließlich die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich erfordert die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen vorbehalten ist.“

Ich sehe Sie zittern. Soviel Gewalt in so wenig Sätzen! Staatsgewalt! Die dann auch noch vom Volke ausgeht. Ist Ihnen eigentlich klar, dass sie Teil dieses Volkes sind? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie ein Problem mit dem Begriff „Staatsvolk“ haben, aber nach dem Grundgesetz sind Sie Teil davon. Ob Sie wollen oder nicht: Sie üben jeden Tag Gewalt aus.

Glauben Sie uns immer noch nicht? Immerhin verprügeln Sie ja niemanden! Aber vielleicht haben Sie da auch einfach Gewalt falsch verstanden. Gucken wir doch mal bei Google nach dem ersten Link:

„Gewalt werden Handlungen, Vorgänge und soziale Zusammenhänge bezeichnet, in denen oder durch die auf Menschen, Tiere oder Gegenstände beeinflussend, verändernd oder schädigend eingewirkt wird. Gemeint ist das Vermögen zur Durchführung einer Handlung, die den inneren oder wesentlichen Kern einer Angelegenheit oder Struktur (be)trifft.“

Sie lehnen also Gewalt kategorisch ab? Wie bekommen Sie eigentlich die Tür auf? Oder wie fahren Sie Auto? Denn auch da wird die Luft (ein physikalischer Gegenstand!) mit physikalischer Gewalt (!) zur Seite gedrängt.

Und das lehnen Sie alles kategorisch ab? 

Aber das wollen Sie doch gar nicht ablehnen? Es geht Ihnen doch um was Anderes? Um die politische Gewalt! Und diese schlimmen Straßenschlachten?

Ah, ich merke, Sie widersprechen sich. Das ist nicht sehr glaubwürdig. Man wird ihnen beinah eine Schutzbehauptung unterstellen müssen. Ah, Sie meinen die strafbare böse Gewalt! Soll ich Ihnen das glauben? Ich glaube nicht.

Gucken wir uns das doch mal juristisch an. Gewalt, so sagt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts, ist jede körperlich wirkende durch die Entfaltung von Kraft oder durch eine physische Einwirkung sonstiger Art, die nach ihrer Zielrichtung, Intensität und Wirkungsweise dazu bestimmt und geeignet ist, die Freiheit der Willensentschließung oder der Willensbetätigung eines anderen aufzuheben oder zu beeinträchtigen.

(Liebe Lesende, lesen Sie diese Definition bitte dreimal und beschließen Sie dann vollkommen zu Recht, dass niemand, aber wirklich NIEMAND Jurist*innen braucht. Und falls Sie zu diesem Schluss noch nicht gekommen, sind überzeugen wir sie etwas später im Text.)

Was ist da nicht erfasst? Richtig! Die Zerstörung von Sachen! Dies ist zwar strafbar (§ 303 StGB z.B.), aber es ist eben keine juristische Gewalt. Auch die Plünderung ist juristisch keine Gewalt.

Wir sind verwirrt! Also so einen Bullenwagen klauen (keine Gewalt, wenn der/ die Fahrer*in gerade nicht anwesend ist) und die Innenstadt demolieren ist für Sie also okay? Was, auch nicht? Sie widersprechen sich schon wieder!

Sie haben ja kein Problem damit, wenn man protestiert, aber diese Plünderungen sind doch viel zu weit gehende Gewalt.

Wissen Sie was Gewalt laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist? Eine Sitzblockade! Ihre friedlichen Protestierer, die Ghandis dieser Welt, die Dr. Martin Luther Kings, sie alle übten Gewalt aus! Gewalt z. B. in Form einer Sitzblockade.

(Liebe Lesende, Sie wissen natürlich, dass weder Ghandi noch Dr. King biblische Figuren waren, und Sie wissen natürlich auch, dass beide nicht unter deutsches Recht fallen!)

„Aber das kann doch nicht wahr sein!“ rufen Sie aus! Doch, und die Begründung des BVerfG wird Sie überraschen! Klicken Sie hi… äh halt, Entschuldigung, falscher Film. Wo waren wir? Ah ja, bei der 2. Sitzblockadeentscheidung des BVerfG (1 BvR 388/05) hat das Bundesverfassungsgericht es als Gewalt im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) angesehen, bzw. die juristische Auslegung der Strafgerichte akzeptiert, dass eine Sitzblockade einer öffentlichen Straße Gewalt sei, weil der sitzblockierende Mensch die erste Reihe an Autos als Werkzeug nehme um die zweite (und folgende Reihe) mittels einer physischen Sperrwirkung am Weiterfahren zu hindern und damit physischen Zwang gegen diese auszuüben (sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung). Weil gegenüber der ersten Reihe sei es ja nur psychische Gewalt, denn die/der betroffene könne ja ohne weitere über die Demonstrat*innen rüber fahren. Er würde sie halt nur töten. 🤷‍♀️🤷‍♂️🤷

(Liebe Lesende, Jurist*innen, ne? Braucht kein Mensch! Seien sie nebenbei vorsichtig: Diese Rechtsprechung wird gerne mal falsch zitiert, eine Sitzblockade bleibt in D weiterhin ein juristisches Risiko. Nutzen Sie sie natürlich trotzdem in geeigneten Fällen.) 

Sie sehen also: Sie würden Sitzblockaden also ablehnen und Plünderungen befürworten! Aber Staaten ablehnen!

Wir verkürzen nun mal, Herr Amin, Sie lehnen friedliche entspannte Sitzblockaden ab, wollen geplünderte Innenstädte und mit der Staatsgewalt haben Sie es auch nicht so. Wir können uns nicht helfen, aber wenn wir Herrn Seehofer nur diese Merkmale mitteilen würden, würde der wohl sagen „Linksextremist“! 

Ach, so meinen Sie das gar nicht? Das ist Ihre einzige und beste Ausrede? Sehr glaubhaft ist das nicht!

Sie wollen nur das Gewaltmonopol beim Staat? Notwehr? Oder auch Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz? Wollen Sie alles nicht? Es wird immer komischer.

Sowieso dieses Gewaltmonopol beim Staat, das ist doch auch mal interessant. Diesen Mietendeckel (klassische staatliche Gewalt), den finden Sie ja anscheinend nicht so cool. Da berufen sie sich auf Recht und FREIHEIT? Ja was denn nun? Schon wieder erwischen wir Sie dabei, dass Sie das Grundgesetz nicht so wichtig finden, wie es Ihnen anscheinend ist.

Sollen wir Ihnen denn noch irgendwas glauben? „Eigentum verpflichtet“, schreibt dieses. Ja, diesen kleinen Satz kann man überlesen. Das Bundesverfassungsgericht schreibt zu diesem Satz: „Hierin liegt die Absage an eine Eigentumsordnung, in der das Individualinteresse den unbedingten Vorrang vor den Interessen der Gemeinschaft hat.“ (Zitiert nach BVerfG 242/91 Urteil vom 16.02.2000.)

Gewalt! Gewalt! Ja, es ist ein schwieriges Thema, Herr Amin. Wir sind ja noch gar nicht bei dem soziologischen Gewaltbegriff. Und bei den Ursachen von Gewalt. Denken Sie nur an Diskriminierung oder die Ausgrenzung an politischer Teilhabe! Gucken Sie sich mal den Hamburger Senat an. Da finden sie niemanden, der nicht Peter oder Katarina heißt! Das ist beinah schon juristische Gewalt, wie oben beschrieben. Wir hier in Hamburg haben unfassbar viele Menschen mit dem, was viele „Migrationshintergrund“ nennen.

Wobei der Marineoffizier d. R. Kazim letztens „Migrationsvorteil“ als Bezeichnung ins Spiel brachte. Und wir wollen ihm hier mal nicht widersprechen. Wobei Marineoffizier? Bundeswehr? Das ist Gewalt, das ist nichts für Sie. Aber im Senat repräsentiert? Werden diese Menschen trotz ihres Vorteils nicht. Da gibt es nur Kartoffeln, Kartoffeln und Kartoffeln. Da wird man doch gewalttätig, oder? Jeden Tag das gleiche Essen? Mit dem gleichen Blick in das gleiche Kartoffelgesicht? Langeweile, sagt man, führt zu Gewalt. Das können wir mit Blick auf den Hamburger Senat nur bestätigen.

Herr Amin! Wissen Sie was? Sie sind ein Mann, das macht sie ja gleich noch suspekter! Denn Gewalt ist häufig genug männlich!

Aber Sie lehnen weiterhin jegliche Gewalt kategorisch ab? 

Sie sind ein Anarchist! Gucken Sie bei Wikipedia! Anarchie ist die Abwesenheit von Herrschaft. Herrschaft ist geprägt dadurch, dass sie sich durch Gewalt (Staatsgewalt!) manifestiert.

„Chaos und Anarchie!“ rufen Sie aus? Und meinen die Zustände in Stuttgart? Wenn überhaupt wäre das Anomie und auch dies, lieber Herr Amin, liegt nicht vor, wenn ein paar Jugendliche ein paar Bullenwagen demolieren. Das hat im Notfall ihr Vater schon bei den Rolling Stones in der Ernst Merck Halle gemacht. Ist davon die Welt untergegangen? Nein! Hat ihr Vater „die Republik aufgebaut“? Wahrscheinlich Ja! Es waren halt seine Streetfighting Years! (Oh ne, das waren die Simple Minds)

Lieber Herr Amin, liebe Lesende, ganz vielleicht ist es besser, wenn Jugendliche in ihrer Frustration mal ein paar Supermärkte und eine Bullenwanne smashen, dann auch mal einen „zwischen die Hörner“ bekommen (und das ist was anderes als „härteste Strafen!!!!!!!“ und die damit verbundene lebenslange Stigmatisierung), als wenn sie Nazi werden und Menschen ermorden. Gucken Sie sich einfach an, was aus den Rolling-Stones-„Krawallmachern“ und „Rowdies“ geworden ist, die damals 1965 aus einer „dumpfen Empörung gegen alles“ randaliert haben? (Zitate laut NDR).

Heute sind das Manager*innen, Ärzt*inne, Museums-Betreiber*innen. Stützen in der Mitte der Gesellschaft. Aber mit dieser haben Sie es ja nicht so, Herr Amin. Und die Stones selber? Bestechen Bezirksämter, anstatt als Bad Boys Konzerthallen zu zerlegen oder einfach ein illegales Konzert zu geben. Wir singen traurig was davon. 

Was halten Sie eigentlich von Nazi-Gewalt, Herr Amin, Sie sind in diesem Zusammenhang immer so erstaunlich ruhig?

(Bio und Zitate sind aus einem echten Twitteraccount, der Name ist leicht verfälscht. Die Zitate stimmen, das Gespräch ist natürlich fiktiv. Die Überschrift ist der wunderbaren Olsenbande entnommen.)

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