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Es hat nicht gepasst

Das war es nun. Die Saison 19/20 ist vorbei und damit auch die Zeit von Jos Luhukay am Millerntor. 
Wir waren einfach nur froh, dass es beim letzten Spiel um nichts mehr ging. Lange Zeit haben wir einem Saisonende nicht mehr so entgegengefiebert.

Sogar beim Spiel Kiel-Nürnberg in der Konferenz zum letzten Spielttag waren wir emotional involvierter als bei unserem eigenen. Und ja, das hängt sicherlich damit zusammen, dass wir Corona-bedingt seit 3.5 Monaten kein Spiel im Stadion gesehen haben. Dass wir den Re-start der Liga durchaus kritisch sehr kritisch gesehen haben und auch immer noch sehen. Aber eben auch mit der sportlich zuletzt doch recht desolaten Leistung, die uns zuletzt so gar nicht mehr mitgerissen hat. Das letzte geile Spiel war am 22.02.2020.

Am Tag unserem Saisonende hat der Verein dann die Trennung von Luhukay zum Saisonende bekanntgegeben. In der Mitteilung wird von gegenseitigem Einvernehmen gesprochen, klar wird daraus natürlich nicht, ob Jos, dessen Vertrag noch bis Sommer 2021 laufen sollte, einen Auflösungvertrag unterschrieben hat oder ob er weiterhin auf unserem Gehaltszettel steht.

Auch wenn Trainerentlassungen immer doof sind, glauben wir nicht, dass es unter Luhukay noch produktiv hätte weitergehen können.

Die Zeit unter Luhukay: geprägt von Gegensätzen

Offensivfußball vs. fußballerisches Komplettversagen. 

Es steht außer Frage, dass Jos mit einem klaren sportlichen Konzept ans Millerntor wechselte und eine Idee davon hatte, wie er mit der Mannschaft ein Spiel gestalten will, um vorne mitzuspielen. Das war eine wohltuende Veränderung im Vergleich zum häufig auf Zerstörung ausgelegten Spiel unter Kauczsinki. Wir können uns da an keine tollen Spiele mehr erinnern. Tim schreibt im Millernton auch davon, dass Luhukay den Gegner immer wieder ausgecoacht habe. Aber zum Bild gehören eben auch schlimme Spiele in Regensburg, in Karlsruhe und in Darmstadt, die phasenweise fußballerischen Offenbarungseiden glichen.

Heimspiele vs. Auswärtsspiele

Jos war mit einem Schnitt von 1,12 Punkten pro Spiel insgesamt nur mäßig erfolgreich. Unter allen Trainern, die die Mannschaft mehr als 20 Spiele gecoacht haben, ist dies sogar der schlechteste Schnitt.
Zum Bild gehört auch, dass es unter Luhukay Zeit nur zwei Auswärtssiege gab: im Volkspark und in Lübeck beim Pokalspiel. Beides im weitesten Sinne übrigens noch Hamburger Umland. 
Aus den insgesamt 20 Ligaspielen auswärts haben wir unter ihm neun Punkte geholt: ein Sieg (DOPPELDERBYSIEGER*INNEN), sieben Unentschieden.
In dieser Saison haben wir zu Hause 30 Punkte geholt, auswärts ganze neun. Mit der Heimbilanz liegen wir auf einem okayen 7. Platz, mit der Auswärtsbilanz dagegen auf dem letzten. 
Unter Jos gab es in der Liga zu Hause somit 1,75 Punkte pro Spiel, auswärts dagegen mickrige 0,45 Punkte im Schnitt.

Erwartungshaltung vs. zerschmetternde Pressekonferenzen

Jos war mit der Erwartung hierhergekommen, innerhalb von 2 Jahren aufzusteigen. Das stand kommunikativ immer wieder im Widerspruch zu dem, was er dann so auf Pressekonferenzen zum Potential der Mannschaft sagte. Wir schrieben darüber schon vor einem Jahr: Das ist doch scheiße.

Berechtigte Kritik äußern vs. Spieler öffentlich anzählen

Sicherlich haben Trainer*innen die Aufgabe, ihre Spieler*innen besser zu machen. Verbesserungen sind grundsätzlich auf zwei Ebenen möglich: Fehler korrigieren oder Stärken noch weiter ausbauen. Und sollte sich im Idealfall als Mischung aus beidem abspielen. Bei uns hat sich immer wieder der Eindruck verfestigt, dass Jos eher auf mögliche Fehler und Schwächen als auf Stärken konzentriert war. Immer wieder wurden Spieler öffentlich über die Presse angezählt, die danach mal mehr, mal weniger laut kommunizierten, dass sie die Kritik so persönlich noch nicht gehört hätten. Zur Kommunikation gehören immer zwei Personen, wenn das aber immer wieder passiert, liegt der Fehler zumindest nicht nur bei den Empfänger*innen.
Und dann ist da auch noch das zweite Thema: Wann ist es “berechtigte und bekannte Kritik äußern”, wann ist es “fertigmachen”? Für uns klang das in unseren Ohren teilweise zu stark nach letzterem. Und das ist nicht ok, das ist nicht, wie wir möchten, dass hier mit Leuten umgegangen wird.

Bei anderen genau wissen was schief läuft vs. die eigene Rolle nicht reflektieren

Jos ist analytisch definitiv stark und hat immer wieder den Finger in die Wunde gelegt, was auf dem Feld nicht gut gelaufen ist. Dabei hat es aber häufig die Tendenz gehabt, dass er bei anderen genau wusste, was besser gemacht werden muss, seine eigene Rolle aber – zumindest nach außen – nur wenig reflektiert hat. Beispielsweise wurde immer wieder der fehlende Fitnesszustand der Mannschaft bemängelt. Auf St. Pauli leider ja auch kein neues Thema. Aber eben genau im Verantwortungsbereich des Cheftrainers, daran nachhaltig zu arbeiten.

Jugendförderung vs. die Erfahrenen richtig einsetzen

Der Trainer hat es geschafft, unglaublich viele Jugendspieler deutlich näher an den Kader heran- oder reinzuholen. Finn-Ole Becker hat sich unter Jos in den Profikader gespielt. Galt er schon unter Kauczinski als ein großes Talent, so war er da noch weit vom Kader entfernt und kein Mal auf der Bank. Direkt unter dem ersten Spiel unter Jos saß er dann dort, wurde sogar eingewechselt und spielte die letzten drei Saisonspiele letzte Saison dann auch durch. Dieses Jahr war er in 28 von 34 Spielen auf dem Platz. Man nennt das landläufig auch einen wichtigen Stammspieler. Gleiches gilt auch in ähnlicher Form für das Raufholen von Jungs von Conteh, Coordes oder Franzke, der am Sonntag beim ersten Spiel in der Startelf dann auch direkt seinen ersten Assist verbuchte.
Und ihr kennt uns, wir finden Jugendförderung klasse und wichtig und freuen uns, wie viele Spieler es geschafft haben. Wir hoffen sehr, dass die / der nächste Trainer*in diesen Weg weiter beschreiten wird und das Potential, das wir da aufgebaut haben, weiterhin nutzen wird.
Dazu gehört aber auch, dass immer wieder “eigentliche Stammspieler” mit ein paar mehr Lebensjahren auf der Bank saßen: Hatte Knoll 2018/2019 noch 30 von 34 Spielen gemacht (und drei der vier Spiele lt. Transfermarkt mit Muskelproblemen verpasst), so waren es 2019/2020 nur 24 von 34 Spielen, wobei Verletzungen kein Thema waren. Das kann jetzt daran liegen, dass Jos nach dem reinen Leistungsprinzip aufgestellt hat. Wir wissen es nicht 100%, aber es fällt auf.

Gegen den H$V zweimal derbysieger*innenstark auftreten vs. gegen den Tabellenletzten der Abschlusstabelle nach 3:0 Führung noch ein Unentschieden fangen.

Und das fasst die Widersprüche der Zeit unter Luhukay dann einfach gut zusammen.

Es bleiben die Fragezeichen

Ist es wichtig und richtig, den Verein auf fußballerische Missstände aufmerksam zu machen? Ja. War der Weg von Luhukay immer der richtige? Nein.

Oft hatten wir Fragenzeichen auf der Stirn. Bei Aufstellungen, bei Auswechslungen, bei Aussagen auf den Pressekonferenzen. Spätestens als Henk nach seinem Tor gegen Aue nicht jubelte und es auf dem Weg in die Kabine ein für alle erkennbares Wortgefecht zwischen Jos und ihm gab, war vielen klar, dass es innen brodelt. Zu oft hatte man von Zerwürfnissen zwischen ihm und der Mannschaft gehört. Ab diesem Spiel wurden auch die Stimmen lauter, die das Ende der Ära Luhukay forderten. Wir waren von Anfang an sicherlich nicht unkritisch ihm gegenüber – was sich teilweise aus seinem Auftreten speiste, teilweise aber auch aus Erzählungen anderer Vereine, die zu sehr ähnlichen Enden wie nun dem beim FCSP führten. 

Es gab es in dieser Saison Phasen, in denen fußballerische Fortschritte zu sehen waren. Die Derbys, Wiesbaden und Bielefeld zuhause. Offensiver Fußball, der Spaß machte. Leider bekam auch Luhukay keine Konstanz in die Leistung der Mannschaft. Sah es phasenweise immer wieder gut aus, so gab es dann nach Länderspiel- oder anderen Pausen einen Bruch.
Zuletzt auch vor und nach der Coronapause. Hatten wir vorher eine gute Phase mit acht Punkten aus vier Spielen, so sind es nach Corona neun Punkte aus zehn Spielen gewesen. Es wirkt, als wäre der Graben zwischen ihm und der Mannschaft in dieser Zeit größer geworden. Die Auftritte in Darmstadt, Hannover und Wiesbaden sprachen Bände.

Trainer weg, alles gut?

Wir langweilen uns selbst ein bisschen damit, dass wir dauernd den Präsidenten zitieren. Aber es ist das zentrale Element, deswegen sei es auch hier noch mal wieder rausgeholt:

“Wenn unsere Erinnerung uns kein Schnippchen schlägt, dann war es unser Präsident, der mal sagte, dass eine Trainerentlassung auch immer heißt, dass das ganze sportliche System in einem Verein versagt hat.”

Jos war gekommen, um verkrustete Strukturen aufzubrechen, die wir als fehlenden Ehrgeiz, Genügsamkeit und nicht genügend Bereitschaft, an sich selbst zu arbeiten, interpretieren. Das hat sicher teilweise geklappt, ist dann aber wohl auch einfach übers Ziel hinausgeschossen. Und das Problem ist nun wahrlich nicht erst mit Jos ans Millerntor gekommen, das war auch schon vorher da. Und da muss man dann den Blick auch in Richtung des Präsidiums wenden. 

Oke ist seit 2014 im Amt, Teile der Vizepräsident*innen auch, Christiane und Carsten kamen 2017 hinzu. In dem Zeitraum seit ihrem Amtsantritt gab es fünf Trainer (Meggle, Lienen, Janßen, Kauczinski und Luhukay), wobei Meggle sehr bald nach Postenübernahme vom Trainer zum Sportlichen Leiter wurde; und eben auch fünf sportliche Leiter / Sportdirektoren (Azzouzi, Meggle, Rettig, Stöver und Bornemann), wobei Azzouzi sehr bald von Meggle ersetzt wurde. 

Konsistenz sieht anders aus.

Der Aufsteiger Bielefeld hatte im gleichen Zeitraum auch vier Trainer (wir lassen die Interimsdinger von drei Spielen o. ä. aus der Rechnung mal raus), wobei die letzten beiden jeweils mind. fast zwei Jahre im Amt waren. Seit 2016 gibt es mit Samir Arabi ein und denselben Geschäftsführer Sport. Stuttgart betrachten wir aufgrund der Querelen rund um die Abstiegssaion mal besser nicht. Das zeigt nämlich nur, dass Inkonsequenz auf diesen Posten zu nichts Gutem führt. Heidenheim hat noch Aufstiegschancen in der Relegation und mit Frank Schmidt seit 4670 Tagen den gleichen Trainer. Wisst ihr, damals, als es RB Leipzig noch nicht mal gab.

Und sogar der H$V hatte nur zwei Trainer mehr im gleichen Zeitraum. Die, über deren ständige Trainerwechsel wir uns immer so gerne lustig gemacht haben. Dankenswerterweise haben die noch ein paar andere Themen im Angebot.

Die Konsequenz dieser Wechsel und der nicht vorhanden sportlichen Stabilität zeigen sich dann auch in den Tabellenplätzen an, wo die Tendenz ebenfalls nach unten zeigt: Als 15., 4., 7., 12., 9. und nun 14. Platz der Abschlusstabellen seit Amtsantritt des Präsidiums. Das ist für einen Verein mit unseren Möglichkeiten einfach nicht genug. Da geht mehr, da muss mehr kommen. Wir wollen europäisch spielen, es gibt da einen Plan 2030.

Und dann wird mit Jos ein Trainer geholt, der die verkrusteten Strukturen aufbrechen soll. Der den Finger in die Wunde legen soll. Und der das auch macht. Was nicht nur bei uns, sondern auch beim Kader und Kaderumfeld immer wieder auf wenig Gegenliebe stößt. Der nach etwa 14 Monaten dann unter anderem genau daran scheitert. Wobei wir uns fragen: War das nach den Schilderungen aus Sheffield, aus Stuttgart, aus Augsburg nicht auch zu erwarten? Was hat man getan um zu verhindern, dass es wieder so endet?

Bornemann spricht davon, dass sich die positiven Folgen davon auch in Zukunft noch zeigen werden. Aber auch mal ehrlich: Wie verkrustet muss das denn sein, dass man das in 14 Monaten nicht geknackt kriegt? Dass immer wieder in alte Muster zurückgefallen wird? Dass wir immer wieder von trainingsfaulen Spielern hören? Es immer wieder richtig schlimme Spiele gibt? 

Klar ist: Jos hat keine Schuld an dieser Verkrustung. Das muss über Jahre gewachsen sein. Jahre, in denen das aktuelle Präsidium bereits im Amt war, Jos aber noch etwa zwei Trainerposten weit weg vom FCSP. In denen man von Verkrustung nichts hörte – das Thema kam erstmals mit dem Wechsel von Kauczinski zu Luhukay zur Sprache. Es ist gut und wichtig, dass das Thema erkannt und angegangen wird. Aber hätte das nicht auch schon vorher auffallen müssen?

Und zum Bild gehört auch, dass Jos noch im November von Oke sehr positiv beschrieben wurde. Wir haben das im MV-Bericht so beschrieben:

“Man habe sich innerhalb der Gremien auf einen Weg verständigt und dies sei der Weg, den man gehen wolle, auch mit den beiden hauptamtlichen Entscheidungsträgern Bornemann und Luhukay. Diese seien ehrgeizig und ambitioniert, sprächen auch mal Klartext. „Dies ist uns dann zu viel?“
Man habe einen Trainer, der im persönlichen Gespräch sehr inhaltsstark, offen und freundlich agiere, anders als es in einigen öffentlichen Auftritten vielleicht wirke und eines genauso wenig ab kann wie alle Fans und Profis, nämlich das Verlieren. Es werde Rückschritte und Täler geben, man werde den Weg nicht naiv aber mit aller Konsequenz weiter beschreiten.“

Die MV war ziemlich genau zur Halbzeit von Jos’ gesamter Trainerzeit hier bei uns. Damals klang das noch sehr anders. Was ist in den letzten Monaten passiert, dass sich auch im Präsidium die Meinung dann so geändert hat, die nun zum Wechsel führte? Geholfen hat es hierbei sicherlich auch nicht, dass wir zeitgleich einen neuen Sportdirektor und einen neuen Trainer geholt haben. So konnte keiner von Beginn an dem anderen helfen, was ok ist, und was dann auch mal (kommunikativ) übers Ziel hinausschießt.

Wir finden diese beschriebene Verkrustung auch alles andere als geil. Vor allem so lange sie zwischen uns und dem Aufstieg steht. Wir finden es wichtig, dass daran gearbeitet wird. Und wir können uns auch vorstellen, dass da das eine oder andere Idol auch nicht nur gut wegkommen wird. Es ist wichtig, eine*n neue*n Trainer*in zu finden, die / der diesen Weg weitergeht. Aber ihn ebenso beschreitet, dass mehr Leute mitgenommen werden.

Sodass wir dann nicht nächstes Jahr schon wieder einen Trainerwechsel-Artikel schreiben müssen. Und auch das Präsidium wird wissen, dass 2021 Wahlen anstehen und dass diese Entscheidung und die Wirksamkeit der Entscheidung da durchaus eine große Rollen spielen sollten. Wir hoffen auf ein glückliches Händchen und eine*n Trainer*in, die / der uns alle überzeugt. Mit der / dem wir in zwölf Monaten den Aufstieg feiern dürfen.

Was bleibt von Luhukay am Millerntor? 

Hoffentlich wirkt der Anstoß zur Veränderung. So wie in den letzten Saisons kann es wirklich nicht weitergehen. Vielleicht war sein Weg nicht der richtige, aber Jos Kritik war sicherlich nicht an den Haaren herbeigezogen und in vielen Punkten berechtigt. Man hatte versucht, mit Luhukay jemanden zu verpflichten, der in diesem Verein mal aufräumt. Der Pressemitteilung des Vereins nach zu urteilen, war es für manche zu viel des Guten.

Was wir nicht vergessen werden: Zwei fantastische Derbysiege. Sechs Punkte, die uns (und die Vorstadt) in der Liga halten. Spiele und Emotionen, die sich in all unsere Gehirne und Herzen gebrannt haben. Danke dafür.

3 Kommentare

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