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Sport, Jura in Zeiten der Krise Teil 1

Vorgeschichte

Liebe Leser*innen, Wie hält man es mit dem Sport in der Krise? Eine historisch spannende Frage.
In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts erlebte die Menschheit zwei Weltkriege. An beiden war die USA beteiligt; dort stellte stellte man die Wirtschaftsproduktion auf „systemrelevante“ Dinge um und schickte den Rest in den Krieg. Im Ersten Weltkrieg hatten die USA auch Profisportler in den Kriegsdienst eingezogen und den Profisport als nicht systemrelevant erklärt. Daraufhin wurde die Baseballsaison verkürzt.

Im Zweiten Weltkrieg stellte sich nach Pearl Harbour erneut die Frage nach der Fortführung des Profisports und Kenesaw M. Landis, der Commissioner des Baseballs (damals der führende Sport in den USA; vor seiner Ernennung zum Ligapräsidenten war Landis Richter gewesen und wurde deswegen immer noch „Judge“ genannt), fragte Präsident Franklin D. Roosevelt, ob man denn mit der Planung der neuen Saison weitermachen solle.

FDR antwortete am nächsten Tag und schrieb die – in den USA zumindest – berühmten Sätze, die eine Fortführung anregten:

„I honestly feel that it would be best for the country to keep baseball going.“

Und er ergänzte:

„If 300 teams use 5,000 or 6,000 players, these players are a definite recreational asset to at least 20,000,000 of their fellow citizens – and that in my judgment is totally worthwhile“

Trotzdem sollten Spieler im entsprechenden Alter dienen und viele berühmte Baseballer taten dies auch. Die Angst, dass Männerbaseball beendet werden würde, ist nebenbei Grundlage für die Gründung einer professionelle Frauenbaseball-Liga, die der Film „A League of their own“ ein Denkmal gesetzt hat. Ihr wollt die ganze Story nachlesen und den Brief lesen, der mit der schönen Anrede „My dear Judge“ beginnt? Hier entlang!

FDR führt da eigentlich nur die Linie der römischen Herrscher weiter, die „panem et circenses“ laut der Satire von Juvenal zu einem Herrschaftsinstrument erkoren hatten.

Und bei dem, was wir schon letztes Mal zu Beginn schrieben. Profisport als Herrschaftsinstrument. Während in den USA wahrscheinlich das eben zitierte als Präzedenz genommen wird (ziemlich absurde Pläne des Baseballs lassen Vermutungen in diese Richtung zu; man hat diesen Plan zwischenzeitlich dementiert), wird es in Europa wahrscheinlich andersherum gehen und der Profisport eher das Letzte sein, was wieder in seine Normalität einsteigt. Und damit stellt sich immer mehr die – wie üblich juristisch betrachtete Frage – ob das eigentlich geht und was die Folgen sind.

Grundrechte in Zeiten der Pandemie


Wir müssen dafür ein bisschen ausholen. Und geben wieder den üblichen Hinweis, wenn wir juristisch werden: Jura ist Macht der Herrschenden. Jura hat nichts mit Moral und einer besseren Welt zu tun. Insofern zeigen wir im folgenden juristische (!) Fragestellungen auf, die nichts mit moralischen (!) Fragestellungen gemein haben. Dort wo es extrem unmoralisch (!) wird, weisen wir noch mal gesondert darauf hin. Nun aber zum heutigen Thema.

Nämlich: Wie ist das eigentlich mit den Grundrechten in Zeiten der Pandemie? Es gibt ja Menschen, die reagieren auf die Frage nach Grundrechten in der Krise sinngemäß mit „scheiß auf Grundrechte, bleibt zu Hause, ich zeig euch mal sonst die Leichenhalle in meinem Krankenhaus“ oder ähnlichem. Aber ganz so einfach ist das nicht. Mal ganz davon ab, dass so ein Satz öffentlich gesprochen ja die Nutzung eines Grundrechts ist. Und so ein Grundrecht steht nebenbei auch dem Fußball zu. Und jedem anderen.


Grundrechte sind aber nicht schrankenlos und auch nicht alle gleichwertig. Das Grundgesetz zählt sie einfach auf und sagt mit keinem Wort, dass z. B. Art. 1 dem Art. 15 vorgeht (fiktives Beispiel; bevor jetzt jemand auf die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 anführt, ja, die wird als Verstärkung von Art. 1 interpretiert. Wirklich da stehen tut das nicht.). Daher sind Grundrechtseinschränkungen zulässig, wenn sie denn geeignet sind und verhältmäßig.

Zur Zeit schränken wir deswegen ganz viele Grundrechte massiv ein. Zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit. Einem Grundrecht, was in Art. 2 Abs. 2 genannt ist und als „zentrales Grundrecht“ gilt. Etwas freier ausgedrückt steht da im Grundgesetz, dass der Staat verdammt viel darf um Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen und ganz wenig darf um da einzugreifen. Ha! Werdet ihr rufen, also doch zu Hause bleiben und das Verbot auf der Parkbank ein Buch zu lesen einhalten.

Aber ganz so einfach ist das nun auch wieder nicht. Wir geben euch mal ein alltägliches und ebenso makaberes wie leider auch wahres Beispiel. Es sterben pro Jahr verdammt viele Menschen im Straßenverkehr. Und trotzdem erlauben wir den als Gesellschaft. Wir erlauben selbst „Spaßfahrten“. Das ist – wenn man es brutal sehen will – ein Eingriff in Art. 2 (2), denn der Staat erlaubt hier etwas, was potentiell Menschen verletzen und umbringen wird. Und nein, er kommt da nicht aus der Verantwortung, weil sich da ein*e Verkehrsteilnehmer*in fahrlässig verhalten hat, denn dies ist ein systemimmanenter Punkt des Straßenverkehrs. Das ist der Grund, warum man zum Führen eines Fahrzeuges eines Versicherung abschließen MUSS. Oder wollt ihr ein anderes Beispiel? Wir erlauben den Alkoholverkauf. Obwohl wir wissen, dass dies Menschen tötet.


Nun ist Corona definitiv gefährlicher als der Straßenverkehr und kann insbesondere dann noch viel gefährlicher werden, wenn man es unkontrolliert ausbreiten lässt. Und ob ein rigoroses Verbot Drogen verhindert, kann man sehr stark bezweifeln. Das “flattening the curve” habt ihr alle verinnerlicht. Es ist dem Staat also in einer solchen Situation durchaus erlaubt, sehr massiv in Grundrechte einzugreifen. Deswegen lässt das Infektionsschutzgesetz Dinge zu, die nach unserer Grundrechtsordnung in keinem anderen Fall möglich wären.


Dies gilt umso mehr, wenn man eigentlich noch nichts über die Ausbreitung des Virus weiß und noch massiv daran forschen muss.

Wenn ihr das verlinkte Interview lest, dann werdet ihr merken, wie viel Unklarheit bei solchen Viren besteht. Es kann dann nur in Wahrscheinlichkeiten agiert werden und das ist uns allen immer sehr unangenehm. Wir hassen es, wenn etwas unklar ist. Außer es ist der Ausgang eines Sportereignisses, dann lieben wir die Spannung der Unklarheit. Aber wenn es um das Leben und die körperliche Unversehrtheit von uns allen geht, dann ist das ein Spannungsbogen, auf den wir gerne verzichtet hätten. Und für Juristen, die eigentlich gerne “Beweise” hätten, wird es noch unerträglicher.

Gestern fanden wir auch die Pressekonferenz zur Studie der Uni Bonn in Heinsberg sehr spannend in Bezug darauf, was erste Zahlen und Erkenntnisse aussagen.

Und ja, die Virologen streiten sich hier auch noch, und eine Beteiligung von Kai D. an der PR-Arbeit halten auch wir nur für mäßig gut. Es geht uns bei der Verlinkung ja auch eher um die da schon deutlich werdende Unsicherheit.

Arbeit muss sein!

Ist euch was aufgefallen in all diesen Verordnungen? Sie machen großzügige Ausnahmen für „Arbeiten“. Beispielhaft hier mal die Hamburger Verordnung. Wir haben nun mal versucht, die meisten quer zu lesen, in diesen Punkten ähneln die sich schon.

Auch dieser ganze Bereich ist ein Grundrecht. Art. 12. Ein Unternehmen zu haben, dies zu betreiben ist grundgesetzlich geschützt. Und so könnt ihr euch in eine volle Bahn setzen und in euer volles Großraumbüro fahren, wenn es euer*e Arbeitgeber*in denn so will. Es ist begrüßenswert, dass viele Arbeitgeber*innen dies anders sehen und soweit wie möglich Homeoffice organisiert haben, aber nicht einmal dies fordert der Verordnungsgeber. So kommt es zu leeren Verkehrsmitteln, was bei aller Unsicherheit wahrscheinlich einen guten Effekt auf die Infektionszahlen hat. Aber wie schon gesagt: Auch da regelt der Verordnungsgeber nix.


Und so fährt ein Kollektivmitglied, was seinen Arbeitsplatz noch körperlich besuchen muss, auch jeden Tag an einer Baustelle vorbei, auf der Bauarbeiter*innen eng verzahnt körperlich arbeiten und anscheinend gerade mal ein Dixie haben und zumindest keine sichtbare Wasserstelle. Da muss man nicht viel von Viren verstehen, aber das ist eine Risikoerhöhung für all diese Menschen. Niemand hat einen Plan, wie hoch dieses Risiko ist, aber es wird wohl eines sein, da werden sich Expert*innen einig sein. Das ist ein Eingriff in Art. 2 (2) für diese Menschen. Aber auf einer Parkbank sitzen? Das ist verboten!

Bei aller Unsicherheit und bei allen „Lieber erstmal zuviel“ muss in einem Rechtsstaat so etwas hinterfragt werden. Alleine schon, weil das „alleine auf der Parkbank sitzen“ ggf. ebenso für Leben und körperliche Unversehrtheit wichtig sein kann. Denn auch psychische Gesundheit ist körperliche Unversehrheit.

Der Staat hat eine Abwägung zwischen Art. 2 (2) und Art. 12 (Berufsfreiheit) vorgenommen und beschlossen, dass es vertretbar ist, soweit euer Recht auf Schutz der körperlichen Unversehrtheit einzuschränken., damit „die Arbeit“ soweit wie möglich reibungslos funktioniert. Darf er das? Natürlich! Art. 2 (2) hat – wie jedes Grundrecht – seine Grenzen, sagten wir eben bereits. Er kann eingeschränkt werden, dies unterliegt aber einer „strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung“. Und Achtung makaber: In einer kapitalistischen Gesellschaft ist der Erhalt von „Arbeit“ von Unternehmungen allgemein wahrscheinlich systemrelevant genug, dass er rechtfertigt, Menschen einer erhöhten Ansteckungsgefahr (wie hoch die auch immer sein mag) auszusetzen. Das ist dann doch wieder wie der Straßenverkehr. Aber das ist eben nicht „scheiß auf Grundrechte“, es ist eine ganz bewusste Abwägung zwischen Grundrechten.


Ob man so breite Ausnahmen für „Arbeiten“ formulieren muss? Das kann man zumindest mal hinterfragen. Es wäre für den Verordnungsgeber ein leichtes, z. B. körperliche Meetings auch auf Arbeit zu verbieten und/oder mehr Auflagen für Kantinenbetrieb zu erlassen. Hamburg z. B. verordnet hier ausschließlich 1,5 Meter Abstand. Wäre das für die Unternehmungen nervig? Ja! Würde es ihr Grundrecht zu doll einschränken? Wahrscheinlich nicht.


Und hier möchten wir einen Ausschnitt aus dem Zeit-Interview highlighten.

Und der Fall bei München, also der deutschlandweit erste, deutet in eine ähnliche Richtung. Die Mitarbeiterin des Autozulieferers aus China hat bei ihrem Besuch nur Kollegen angesteckt, mit denen sie recht eng zusammengearbeitet hat. Es gab keine Übertragung im Restaurant, der Taxifahrer hat sich nicht infiziert und niemand in öffentlichen Verkehrsmitteln. Und das, obwohl diese Frau hochinfektiös gewesen zu sein scheint.“


Wenn man da so liest, dann scheint das Meeting- Risiko so hoch zu sein, dass der Verordnungsgeber eigentlich aus Art. 2 (2) gezwungen wäre, ein Verbot zu erlassen. Er tut dies nicht. Er verbietet lieber das Sitzen auf einer Parkbank.

Grundrechte zählen!


Wichtig ist auch in der Krise, dass wir alle nicht in eine „Jawohl, mein*e Führer*in“-Haltung fallen. Eine offene Gesellschaft, eine grundrechtsgetriebene Gesellschaft hat ihre Berechtigung und ihre Voraussetzungen und eine davon ist, dass man Handeln des Staates hinterfragt und dies eben an so etwas wie Grundrechten misst. Wer Grundrechte einschränkt, muss sich rechtfertigen, nicht, wer sie in Anspruch nimmt!

Wer dies als nervig empfindet und so Sätze wie eben zitiert sagt, der*die sollte ganz dringend sein ganzes Radar einstellen. Oder nicht meckern, wenn er*sie plötzlich 12 Stunden ohne Ruhezeit arbeitet. Denn scheiß auf Grundrechte, nech? (Nebenbei: Fuck you, SPD)

Und gerade das Parkbank-Beispiel (welches nebenbei, gerade als diese Zeilen geschrieben werden, vom bayerischen Innenminister entschärft wird) zeigt, dass jedes Handeln des Staates eben nicht immer sinnvoll ist. Das gilt insbesondere in Zeiten der Krise, wo auch mal ganz schnell irgendwas zusammengeknüppelt werden muss. Es ist trotzdem ärgerlich, wenn man seine Verordnungen beinah täglich korrigieren muss oder ändert, auch wenn an der Grundidee „Kontakt vermeiden“ sich nichts ändert. Wie wichtig wäre hier eine bessere Vorbereitung gewesen!

Und dann kommen wir über die Schlagzeilen zu Demos und Fußball

Wenn Herr Söder sich dann mit „Menschenleben gehen vor Shoppingtour“ in der Zeit-Schlagzeile (link mag veraltern, abgerufen am 07.04.2020) zitieren lässt, dann will man ihm „ja sie gehen auch deiner fucking Autobahnbaustelle und der Shareholder-Value bei XYZ vor“ zubrüllen. Aber das ist nicht die Juristerei: Die muss fragen: Ist das Verbot einer Shoppingtour angemessen und verhältnismäßig? Und dafür muss folgende Frage beantwortet werden: Ist die Shoppingtour ein zu hohes Risiko? Ist es dies nicht oder ist das Risiko aus anderen Gründen vertretbar, dann darf der Staat nicht tätigt werden. Und er muss sich da immer einem Vergleich stellen. Denn Art. 3 sagt: „Gleiche Sachverhalte müssen gleich behandelt werden.“ Bleiben wir für den Vergleich bei unserem Meeting-Beispiel: Kann wirklich begründet werden, dass die Shoppingtour (ggf mit Auflagen) wirklich so viel gefährlicher ist als das betriebliche Meeting, dass das eine vollkommen erlaubt und das andere vollkommen verboten ist? Insbesondere da die Schließung eines Ladens immer ein schwererer Eingriff ist, als das Verbot einer beruflichen Handlung.

Art. 8 ist wichtig!


Komisch, all diese „Scheiß auf Grundrechte, es sterben Menschen“-Schreiber*innen, findet ihr nicht unter dem Hinweis, dass Baumärkte wieder geöffnet sind und Meetings immer noch erlaubt sind. Sie kritisieren, wenn Menschen ihr Recht aus Artikel 8 wahrnehmen wollen. Das Demonstrationsrecht. Ein eigentlich ziemlich zentrales Grundrecht, wie in der neusten Zeit z. B. die Ereignisse 1989/1990 zeigen. Und nun kommt ihr? Art. 12 vs. Art. 8. Was ist euch wichtiger?

Denn alle Aktionen, die auf Art. 8 basieren, sind z. B. in Hamburg durchweg verboten worden, selbst wenn die Anmelder*innen Regeln zum richtigen Umgang mit der Pandemie selber aufgerufen hatten. Anders nebenbei in NRW, wo eine Anti-Atomkraft-Demo unter Auflagen genehmigt wurde.


Hier kann man berechtigte Zweifel bekommen und selbst wenn man vielleicht zu einer Rechtmäßigkeit einer solchen Untersagung käme, weil Versammlungen auch eine gewisse Dynamik haben, wo Abstände schwer einzuhalten sind oder weil man auch die An- und Abfahrtswege bedenken muss, so ist es doch nicht so eindeutig, dass man nun im Internet herumposaunen muss. Ganz im Gegenteil, man kann sich fragen, ob solche Bedenken durch Auflagen (z. B. kleine begrenzte Teilnehmer*innenzahl) gut einhaltbar wären.

Garantiert nicht vertretbar ist es, unliebe Polizei Hamburg, Menschen vom Fahrrad zu schubsen. Zur Durchsetzung einer eventuellen Ordnungswidrigkeit die körperliche Unversehrheit eines radelnden Menschen konkret zu gefährden, ist nämlich genauso ein ziemlich direkter und konkreter Eingriff in Art. 2 (2) und der ist eben nicht einfach so möglich. Siehe oben. Wer hier ein „aber die haben doch was Verbotenes gemacht“ einwirft, der*die sollte sofort seinen*ihren Mund mit Seife auswaschen. 1910-mal.

Menschenrecht

Und noch etwas dürft ihr nicht vergessen. Es gibt im Grundgesetz Menschenrechte und sogenannte Deutschengrundrechte. Der Unterschied ist, dass einige Grundrechte mit „Alle Deutschen dürfen …“ Die Rechtswissenschaft hat früher eine klare Unterteilung in „das gilt nur für Deutsche im Sinne eines deutschen Passes“ gemacht, weicht diese heutzutage aber immer mehr auf. Was ihr aber seht ist, dass Art. 2 (2) ein Menschenrecht ist. Es gilt für alle Menschen. Also auch für Geflüchtete an europäischen Außengrenzen. Wir haben die Fluchtproblematik nämlich mit Schengen ganz bequem aus unserem direkten Sichtfeld nach Griechenland und Co. verlagert, aber dieses „aus den Augen, aus dem Sinn“ ist nicht nur unmenschlich, sondern hinsichtlich Art. 2 (2) äußerst problematisch.

„Scheiß auf Grundrechte“ wird also auch ganz schnell eine äußerst priviligierte Position, die ganz gezielt anderen Menschen ihre Grundrechte verweigert. Oder anders ausgedrückt: „Demonstriert nicht, sonst sterben Menschen an der Pandemie“ kann man auch ausdrücken mit „weil ihr Demos verteufelt, sterben Menschen an der Pandemie“.

Es lässt sich in einem Satz zusammenfassen:

Europe, get your fuckin shit together and help refugees!


Und daher wollen wir uns unserer Hauskapelle anschließen:

Lange Rede, kurzer Sinn


Wascht eure Hände! Und lest uns alleine oder zu zweit, nicht in Gruppen. Das will nicht nur der Verordnungsgeber so, sondern das ergibt definitiv Sinn. Und solltet ihr Menschen Arbeit geben: Nicht beim ersten Problem Homeoffice widerrufen und alle wieder in das Büro stecken.

Huch, wir sind ja ein Fußballblog!

Kommen wir zum Fußball. Auch dieser hat erstmal das Recht auf Art. 12. Er hat ein Recht auf sein Geschäftsmodell, wie jedes andere Unternehmen auch. Auch jede*r Berufssportler*in hat ein Recht, seinen*ihren Beruf auszuüben und wenn ich dies verbiete, dann muss ich das eben an dem oben Gesagten messen.


Berufssportler*innen verlieren ihre Fähigkeiten, wenn sie sie nicht ausüben können. Das heißt in Teamsportarten muss auch mal das Teamspezifische trainiert werden. D. h. wenn ein Team in Gruppen trainieren will, dann ist das nicht „wahnsinnig“ oder „unnötig“, sondern hier nehmen Sportler*innen und ihre Arbeitgeber*innen einfach erstmal ihr Recht aus Art. 12 wahr. Und wenn auf der Baustelle in Gruppen geschuftet werden darf, dann dürfen die das auch.


Natürlich ergibt es Sinn, Training mit 35 Menschen auf engstem Raum zu unterlassen. Das Risiko wird ungleich höher. Es ist eine einfache Rechenaufgabe. Wenn fiktiv eine Chance von 35 Prozent besteht, dass man sich bei einem engen sozialen Kontakt ansteckt, dann sind das in einer Gruppe von 5 Menschen 2 Menschen (aufgerundet), in einer Gruppe von 35 Menschen aber schon 12 Personen. Und es macht bei der Ausbreitungsgeschwindigkeit halt einen riesigen Unterschied, ob ich 12 Personen anstecke oder nur 2. Die dann ja wieder 35 Prozent aller ihrer engen Kontakte anstecken.


(Achtung, diese Zahlen sind fiktiv und haben nix mit der echten Ansteckungsgefahr zu tun. Sie sind nur zur Verdeutlichung.)


Es müssten daher schon überragende Gründe aus Art. 12 gegeben sein, dass man dieses Risiko eingeht mit einem gesamten Kader plus Trainer*innen zu trainieren.


Und daran muss sich der Fußball eben auch messen lassen und daher ist ein Training in Kleingruppen garantiert zu erlauben und vertretbar, bei einem Kadertraining wird es schon schwieriger.

Aber was ist mit dem Spielbetrieb? Es wird schmutzig

Vorsicht! Ab jetzt wird es schmutzig. Ein paar Gedanken zum Wettbewerbsbetrieb:

Das Geschäftsmodell des Fußball und aller Profisportler*innen basiert aber nicht nur auf Training, sondern auch auf „Wettkampf“. Wenn dieser lange nicht ausgetragen wird, dann wird das ein immer massiverer Eingriff in Art. 12. Eine kurzfristige Beschränkung wird mich Geld kosten und alles ein bisschen komplizierter machen, aber das wird schon irgendwie gehen, eine mittelfristige wird meine grundgesetzlich geschütztes Modell sehr stark belasten und eine langfristige wird sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vernichten.


Und so bewegen sich halt das Grundrecht aus Art. 2 (2) und der Wunsch, so wenig Menschen wie möglich anzustecken, auf das Grundrecht aus Art. 12 zu. Wo ist also der „Tipping Point“, an dem Art. 12 doch wichtiger wird als Art. 2 (2)? 10 Prozent Ansteckungsrisiko? 1 Prozent Ansteckungsrisiko? 0 Prozent Ansteckungsrisiko? Das ist eine Frage, die lässt sich juristisch wahrscheinlich nicht wirklich klären und wenn doch, dann wird niemandem die Antwort gefallen. Siehe Straßenverkehr. Jurist*innen sind ganz schlechte Moralist*innen und wir wollen hier auch keine Antwort geben.


Fragt doch einfach Twitter. Die Antwort „es sterben Menschen, da kann man doch aber kein Fußball spielen“ ist jedoch falsch. Es sterben ständig Menschen und für ganz viele dieser Morde haben wir Waffen geliefert. Hat euch das gestört und ihr „den Fußball” für seine Spiele kritisiert? Eher nein. Und wenn die bösen Ultras gegen Katar-Geschäfte protestieren, haben sie euch da auch nur wieder genervt und waren doof. Tja.

Apropos Katar. Da werden die Gastarbeiter*innen schön in “industrial areas” eingesperrt und dürfen weiter an den WM-Stadien bauen. Tja.


Bedenkt aber bitte bei eurer Abwägung einen anderen Faktor. Sagen wir mal, man kann das Risiko durch eine relativ simple und schnelle Testlösung minimieren. Dann würden wir alle wahrscheinlich sagen: „Jo, dann gibt es nur noch ein Restrisiko, das könnte man eingehen.“ Der Profisport besteht dann jedoch in einem Vakuum. Habe ich genug dieser Tests? Dann sollte der Fußball natürlich welche bekommen und bitte wieder starten, dies würde auch Art. 12 gebieten. Habe ich genug für systemrelvante Berufe (wie ich das auch immer definiere) und für den Rest nur 10 Prozent, 20 Prozent, 40 Prozent der benötigten Tests? Dann sind wir bei FDR und seinem Brief. Hier wird das Grundgesetz eventuell keine Hilfe mehr sein. Habe ich zu wenig für systemrelevante Berufe? Fick dich, Fußball! Und zwar alleine schon aus grundgesetzlichen Gründen.

Und auch andere Fragen stellen sich, die juristisch nicht befriedigend zu beantworten sind und wo man bei FDRs “Worth it” ist. Warum sollen Profisportler*innen wieder ihr Geschäftsmodell ausüben, bevor Kitas wieder offen haben? Oder gehen z. B. die Menschen Profisportler*innen vor, die kein Homeoffice machen können und wieder auf den Start ihres Geschäftsmodells warten? Kitas wird man vermutlich noch als systemrelevant beurteilen können.

Hochfahren und die Moral

Das gilt alles auch so für das „schrittweise Hochfahren“, was gerade diskutiert wird. Jeder Grundrechtseingriff muss notwendig sein. Auch ein Eingriff in Art. 12 darf eben nur so lange anhalten, wie er notwendig und verhältnismäßig ist. Und da spielen Zeitfaktoren auch eine Rolle.


Ich werde da auch politische Entscheidungen treffen müssen, die verfassungsrechtlich schwierig sind. Das fängt schon damit an, dass der Bundestag (ein politisches Organ) die sogenannte „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ feststellt. Eine Definition dafür beinhaltet das Gesetz nicht. Auf dieser Feststellung fußen aber viele Ermächtigungen. Was aber euch klar sein sollte: „Epidemische Lage von nationaler Tragweite“ ist etwas anderes als „Menschen erkranken an einem Virus und sterben“. Puh. Sorry, das zu schreiben ist schmutzig. Aber die traurige Wahrheit.

Und dann wären wir bei den Einzelmaßnahmen. Nehmen wir mal an, es wäre sinnvoll, langsam wieder hochzufahren (wann wir auch immer an diesem Punkt sind) und ein „von 0 auf 100“ wäre sinnlos, dann wird es erst richtig spannend. Nennen wir ein paar Fragestellungen:
Friseursalon oder Buchladen? Wenn beides z. B. nicht geht, weil es zu viel Mensch in Einkaufszentren treibt, um immer noch nötige Sicherheitsabstände zu gewährleisten, beides alleine aber das gleiche Risiko beinhaltet? Spricht es dann für den Friseursalon, dass der Buchladen sich online zumindest retten kann? Eine nun nicht repräsentative Twitterumfrage ergab eine 2/3-Mehrheit für den Friseursalon.

Ihr seht, hier müssen Bauchentscheidungen gefällt werden. Restaurant oder Kneipe (letztere vielleicht nur mit Sitzplätzen)? Musikclub oder Elphi? Viel Spaß bei all diesen Entscheidungen.

Und bedenkt bitte, wir vereinfachen hier alles. Niemand weiß so richtig, was den Virus antreibt und was nicht und wie genau und so weiter. Daher war es insbesondere kurzfristig immer richtig, wenn man alles zu macht. Es gibt gut begründete Vermutungen, auf deren Grundlage kann man handeln. Dies gilt auch bei einer schrittweisen Öffnung. Oder begründet ja die schrittweise Öffnung selbst. Denn was wohl feststeht, ist, dass Menschenmassen auf engstem Raum keine gute Idee in der Pandemie sind.

Wann „Aux Armes“?


Und damit sind wir beim letzten Schritt: „Fußball in vollen Stadien“ Solange das ein unkontrolliertes Risiko ist, solange werden wir darauf verzichten müssen. Ist damit „der Fußball damit immer das Letzte“ (auch gerne von Politiker*innen gesagt, um eine Schlagzeile zu erhaschen) gemeint?

Ein paar Überlegungen dazu:


Wenn es ein kontrollierbares Risiko wird, dann muss man in einer Abwägung von Art. 12 und Art. 2 (2) halt sehen, ob das vertretbar ist. Risikolos ist das Leben halt nie.


Achtung, es wird jetzt wieder sehr unmoralisch! Und da kann man halt auch mal das Geschäftsmodell betrachten. Handball, Frauenfußball, Herrenfußball unterhalb von Liga 2 z. B. hat keines ohne Zuschauer*innen im Stadion. Liga 1 und 2 könnten zumindest in einer Art Notbetrieb mit Geisterspielen überleben. Auch das müsste in einer Abwägung der Grundrechtseingriffe überlegt werden. Kneipen und Clubs haben ebenso kein Geisternotüberlebensmodell. Wenn man also bei dem Punkt ist, dass gewisse Menschenansammlungen schon wieder ein vertretbares Risiko seien, alle gemeinsam aber ein zu großes, dann müsste der Profifußball ggf. zurückstecken, um andere Geschäftsmodelle zu retten. Da sind wir dann ganz schnell bei „der Profifußball als Letztes“. Und das gut begründet und nicht als populistische Schlagzeile.


Ob und wie sich solche Beurteilungen ändern, wenn man Stadien zu 10 Prozent, zu 20 Prozent oder zu 50 Prozent füllt, wissen wir nicht und wollen wir nicht spekulieren. Ihr erinnert noch dieses Verbot von Veranstaltungen über 1000 Leuten? Kann das ein sinnvoller Zwischenschritt sein? Wir wissen es nicht. Oder es wird eklig aus diversen Gründen: namentliche Registrierung der anwesenden Menschen ist so ein Stichwort.


Wenn man wieder makaber denken will, dann könnte man auch sagen: „Hey, wenn uns ein Spiel mit 5000 Menschen in der Regionalliga eine Pandemieaufflammung gibt, dann können wir das besser abfangen, als ein Bundesligaspiel mit 80.000 Zuschauern und die Bundesliga überlebt auch besser mit Geisterspielen.“



Klingt das teilweise wie die FDP? Aber hallo! Wir machen hier ja eine juristische Betrachtung. Und ratet mal was, wir haben: Ein kapitalistisches Grundgesetz. Fühlt sich das trotzdem schmutzig an? Aber hallo! Wir gehen uns mal die Hände waschen.


Im zweiten Teil dieses Blogs nach Ostern wird es dann um „Insolvenzen im Fußball“ gehen. Und das wird dann weniger schmutzig.

Tiocfaidh ár lá


2 Kommentare

  1. Alex Alex

    „ Wir erlauben selbst „Spaßfahrten“. Das ist – wenn man es brutal sehen will – ein Eingriff in Art. 2 (2), denn der Staat erlaubt hier etwas, was potentiell Menschen verletzen und umbringen wird. „.

    —-> Paragraf 30(1) StVO:

    „Unnützes Hin- und Herfahren ist innerhalb geschlossener Ortschaften verboten, wenn Andere dadurch belästigt werden.“

  2. Jaaaa, aber da ist ja eine ganz klare Einschränkung drin „wenn belästigt“ und ganz ehrlich: Wir hatten nun eher so die Fahrt zum Auswärtsspiel im Blick, die ist ja nun auch nicht wirklich super notwendig.

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