Liebe Lesenden,
kennt ihr das? Da ist dieses Familienmitglied, dem geht es nicht gut. Seit mehreren Jahren macht es zu wenig aus sich, kommt nicht aus dem Quark, obwohl es könnte, und dümpelt so vor sich hin. Immer wieder muss man sich Sorgen seinetwegen machen und man versucht, ihm gut zuzureden, um doch mal mehr aus seinen Möglichkeiten zu machen. Und dann geht’s wird es irgendwann richtig ungemütlich. Das Familienmitglied gerät in einen Abwärtsstrudel und baut immer weiter ab. Nun ist Handeln gefragt, aber wie? Kluge Ratschläge und ausgestreckte Hände erreichen es nicht und mal im Ernst, da fehlt einem doch eh die Expertise. Immer wieder kommen neue Tiefschläge, die aber stets unterbrochen werden von lichten Momenten. In diesen Augenblicken ist man geneigt, zu denken: Na also, jetzt kriegen wir die Kurve. Auch wenn es eigentlich nur ein kleiner Schritt war, wir nehmen den Rückenwind auf und bringen es jetzt nach vorn! Denn wir müssen doch füreinander da sein, wir müssen ihm helfen!
Wir sprechen von gebrechlichen Verwandten. Oder vom FC St. Pauli. Eigentlich die gleiche Geschichte.
An diesem Tag ist auch für die Auswärtsmuffel die Winterpause vorbei. Schon am Dienstag haben wir uns nach dem Auftritt in Fürth die spielfreie Zeit zurückgewünscht, aber nützt nix, vom Ligabetrieb abmelden geht nicht. Und dann ist unser Club ja ohnehin eine Wundertüte, nicht zuletzt in dieser Saison. Bei den dicken Fischen sah unsere Mannschaft in der Regel ganz ordentlich aus.
Also ran da gegen Stuttgart
Bei frühlingshaften Temperaturen, aber schmuddeliger Luft geht es also mal wieder auf die heiligen Stufen. Der Rasen sieht aus wie Dresden ‘45 (ach nee, das ist ja erst in zwei Wochen), als die Ränge bereits das ganze Gras weggeraucht hätten. “Da muss ein halbhoher Aufdittscher her, der wird bei dem durchgeweichten ’Grün’ sicher unhaltbar”, denken wir uns. Weiß die Mannschaft aber sicher nix von.
Auf den vier Tribünen des Stadions steht heute fast alles im Zeichen der Opposition gegen neue Polizeigesetze. Nicht nur von den Braunweißen, auch aus Stuttgart kommen deutliche Worte in Richtung der Politik. Danke an dieser Stelle für die Solidarität. Keinen Dank für ein anderes, armseliges Spruchband auf Dynamo-Niveau. Saß der Brustring mal wieder ein bisschen zu eng, dass er die Sauerstoffzufuhr ins Gehirn unterbrochen hat? Geht zurück in eure Höhle, wo ihr hergekommen seid, und bleibt da.
Schon schlimmeren Fußball gesehen
Kommen wir zum Spiel. Wir denken, die meisten hatten ähnlich wie wir doch recht geringe Erwartungen an diese Begegnung angesichts unserer Leistung in Fürth und der Platzierung des VfB. Und da sollten wir doch eigentlich zufrieden sein mit dem Unentschieden. Hmnaja. Nee.
Zum einen funktioniert das mit dem Laufen heute wieder besser. In Fürth wurde noch getrabt wie ein Rudel müder Esel, heute checken die Boys in Brown etwas besser, dass das Spielfeld 105 Meter lang und 68 Meter breit ist.
Zum anderen zeigen einige der Spieler deutlich mehr Biss als vor vier Tagen. (Wer hat sich bloß diesen Quatsch mit einer Englischen Woche als Rückrundenauftakt ausgedacht?) Zweikämpfe, Kompaktheit im Mittelfeld, Übersicht und auch mal Foul spielen, wenn es sein muss. Nur leider nicht vorm Gegentor. Das wäre eine gut investierte Gelbe Karte gewesen. Allerdings ist die Linie von Dr. Felix Brych ohnehin seltsam an diesem Tag. Da kann man sich auf nichts verlassen.
Und schließlich ist Stuttgart bemerkenswert fehleranfällig. Mehr als einmal sieht der VfB gar nicht gut aus, geradezu tölpelhaft – nicht gerade souverän für einen Aufstiegsaspiranten. Da wäre also wirklich mehr drin, wenn man die Gelegenheiten nutzt, die sich eröffnen. Klar, wir haben auch himm(e)l(mann)isches Glück, dass da kurz vor der Pause kein Gegentor fällt. Aber insgesamt ist da doch ein leichtes Plus an hochkarätigen Chancen auf unserer Seite, so wie wir das sehen.
Die verflixten letzten Minuten
Besonders ärgerlich ist mal wieder ein Gegentor in der Schlussphase. Wir hatten schon mehrere Phasen in unserer Vereinshistorie, in denen späte Gegentore nicht nur nervig, sondern ein echtes Problem waren. Wie viele Punkte haben wir in dieser Saison schon weggeschenkt auf diese Art und Weise? Das ist nicht nur Pech, das ist vor allem fehlende Kondition und Konzentration. Und das kann man abstellen oder zumindest angehen. Wir verstehen es nicht, wie die Verfassung der Mannschaft vom Trainerstab gelobt wird und wir in den vergangenen zwei Spielen nichts davon sehen, dass wir hier eine Truppe mit Ausdauer auf dem Feld hätten.
Und so bleibt am Ende zwar ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass sich unser kränkliches Familienmitglied auf dem Weg der Besserung sein möge. Vielleicht zeigt sich jetzt ja allmählich mal die Entwicklung, auf die wir so lange hoffen. Vielleicht kriegen wir nächste Woche gleich wieder einen auf den Deckel, dass uns die Ohren klingeln. Aber nun, wir können ja eh nicht anders, als füreinander da zu sein.
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