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Auf der Bühne

Liebe Lesenden,

wie vielleicht mache*r von euch mitbekommen haben, gibt es bei uns eine personelle Überschneidung mit der Band Wiedergænger. Und weil ihr ja auch ganz gern mal anderen Content als nur Fußballgepöbel lest, gibt es an dieser Stelle nicht einen, nein, gleich zwei Konzertberichte – und zwar von der anderen Seite als sonst bei diesem journalistischen Genre. „Bericht“ ist dabei wie immer so eine Sache, denn von Objektivität kann natürlich keine Rede sein. Aber lest selbst.

Teil 1: Heimspiel

Es ist Donnerstag, der 7. November, und wir werden ein Konzert im Kaiserkeller spielen. Yeah. Schon seit März steht fest, dass wir die Hamburger Black-Metal-Band Herbstschatten beim Auftakt ihrer „Black Rain Over Europe“-Tour unterstützen dürfen. Genug Zeit für Vorfreude, aber auch genug Zeit, um sich einen Arm zu brechen oder mit der Band zu verkrachen. Glücklicherweise ist nichts davon passiert.

Aus mehreren Gründen sind die Erwartungen an diesen Abend höher als sonst:

  1. Der Kaiserkeller verfügt über die größte Bühne, auf der wir jemals gespielt haben, davon konnte ich mich wenige Wochen zuvor noch vergewissern. Wobei unser letzter Auftritt tatsächlich im Clochard war, wo eine Bühne an sich gar nicht existiert. Wir stapeln also tief. Aber: Yeah, große Bühne. Endlich etwas Auslauf für Bewegungshungrige.
  2. Das Paket ist gut. Vier Bands (Kataris, Wiedergænger, Herbstschatten und Thjodrörir) werden spielen. Die für eine Underground-Band ausgesprochen professionelle Organisation seitens Herbstschatten inklusive Backline und den ganzen Kram verspricht einiges. Der Vorverkauf lief auch sehr ordentlich.
  3. Wir haben es geschafft, gerade noch rechtzeitig T-Shirts anfertigen zu lassen, die wir an diesem Abend unters Volk bringen können. Zusätzliche Herausforderung, wenn man alles als Band allein wuppt, aber das kriegen wir hin.

Die Vorfreude ist also groß und natürlich werde ich hibbelig vor dem Auftritt. Vormittags noch Lohnarbeit, nachmittags frei, damit wir uns schon gegen 15 Uhr im Kaiserkeller einfinden können. Kurz zu Hause vorbei und das neue Bühnenhemd, das drei Tage zuvor durch zahlreiche Messerstiche zu einem solchen wurde, mit Dreck verzieren. Früher in den Achtzigern und Neunzigern haben die Black-Metal-Bands ihre Bühnenbekleidung noch im Wald vergraben, heute muss die Blumenerde für die Balkonpflanzen herhalten. Egal, sieht gut schmodderig aus, passt.

Also los geht’s, mein spärliches Equipment und die ca. 50 T-Shirts (uff!) eingepackt und auf Richtung Kaiserkeller. Fußläufig zum eigenen Konzert ist schon eine coole Nummer. Die Nervosität ist inzwischen doch spürbar gestiegen, aber das gehört dazu. Vaddern war Berufsmusiker und hat die Auftritte an den Nagel gehängt, als das Lampenfieber nicht mehr kam.

Was backstage passiert, bleibt backstage

Am Kaiserkeller rödeln die Jungs schon eifrig die Backline aus dem Transporter, den Herbstschatten für die Tour gemietet haben. Das Zeug ist relativ bald da, wo es ist – also gleich mal den Backstageraum auschecken. Woohoo, das ist ‘ne ordentliche Versorgung. Aber wir wollen nicht zu viel verraten, denn mit dem Backstage verhält es sich so ähnlich wie mit dem Sonderzug. Was dort passiert, bleibt dort. Aber für künftige Booker*innen: Keine Sorge, wir haben eine gute Erziehung genossen und sind stubenrein.

Als sich nach viel Zeit für ausgedehnten Soundcheck gegen 19 Uhr die Türen vom Kaiserkeller öffnen, stehe ich in freudiger Erwartung hinterm Merch-Stand. Mäßig professionell drapiert sind unsere Shirts, aber alle fangen mal klein an. Zügig werden wir eine gute Handvoll los, am Ende sind es immerhin mehr als zehn. Es sind also noch ein paar da, liebe Lesenden. Zwinker zwinker.

Währenddessen bekomme ich von Kataris leider nicht so viel mit, aber es klingt nach Spaß und sieht danach auch aus. „TO THE BAND CAVE“ heißt es kurze Zeit später und wir bereiten uns mit dem letzten Feinschliff auf unseren Auftritt vor. Dreck ins Gesicht und los, wir haben nicht viel Zeit. Es kommt mir direkt vor dem Gig ja immer sehr seltsam vor, in voller Klamotte die letzten Kabel auf der Bühne zu verlegen, während der Saal schon gefüllt ist. Aber nützt nix, für entsprechendes Personal reicht’s noch nicht ganz. Selbst ist der Wiedergænger.

Los geht’s!

Ohne Schnickschnack geht es wie geprobt mit „Die Leblosen“ und dem nahtlos anschließenden „Wiedergänger“ weiter. Joa, das haben wir schon etwas sauberer hinbekommen. Ein Bier weniger vorher? Egal. Weiter im Text, jetzt wird’s spannend: Wie macht der Kaiserkeller mit, wenn ich zum gemeinsamen „Kein Fußbreit“ auffordere? Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, gerade in Hamburg, aber Metaller*innen sind ja manchmal so entsetzlich „unpolitisch“. Aber heute mault niemand und bei den grob geschätzten 60 Leuten vor der Bühne ist zu spüren, dass die auf der richtigen Seite stehen. Yeah, „Würmer“ funktioniert, wie ich mir das vorgestellt habe. Diese Momente sind einfach nicht im Proberaum zu simulieren, das entscheidet sich knallhart auf der Bühne.

Bei „Ekke Nekkepenn“ gelingt es zwar nicht ganz wie erhofft, die Meute zum Hüpfen zu animieren – dafür klappt das völlig überflüssige und gerade deswegen megageile gegenseitige Umgreifen von Bass und Gitarre, wie ich erst später auf Fotos erkennen kann. Hahaha, Rock’n’Roll, Baby! Gesanglich und auch instrumental gelingt das unveröffentlichte „Ein höherer Feind“ richtig gut – puh, eine kleine Sorge weniger. „Weltenende“ ist zwar mal wieder für kleine Unsauberkeiten gut, wir kommen aber 1a wieder rein. Immerhin, das zeigt, dass wir eingespielt sind.

Huch, schon „Vier Tage, vier Nächte„? Das war’s ja schon fast. Aufgrund totalen Tunnelblicks entdecke ich hier auch erst später auf zugespielten Videos, wie gut das gar nicht explizit eingeübte Vier-Personen-Headbanging aussieht. Apropos Tunnelblick: Ja, ich bekomme grob mit, wer dort vor der Bühne steht, dass mal was hineingerufen oder mitgesungen wird, dass die eine oder andere Matte weht. Aber im Großen und Ganzen muss ich ehrlich zugegeben, dass bei der geringen Routine, die wir so haben, die Konzentration und der Fokus auf den eigenen Auftritt eine Menge um mich herum ausblendet. Die kurzen Pausen zwischen den Songs mit deutlichem Applaus verschaffen Hochgefühl, aber wenig Ruhe. Kommt Zeit, kommt mehr Gelassenheit.

Und damit sind wir auch schon am Ende. Die scheinbar letzten Worte sind ans Publikum gerichtet und zack, soll „Im Nobiskrug“ losgehen. Verdammt, vergessen, auf den Merch hinzuweisen. Wie gut, dass wir einmal kollektiv den Einstieg „antäuschen“ und noch mal von vorn anfangen – da kann ich das noch direkt hinterherschieben. Und zack, auf einmal sind auch diese vier Minuten vergangen und wir haben es hinter uns. Es gibt tatsächlich einzelne Stimmen, die so was wie Zugaben fordern, aber das ist heute bei dem engen Zeitplan nicht drin.

Erst mal tief durchatmen

Yeah. Das war ganz gut. Trotz kleinerer Ruckler (vielleicht hatten das frühe Treffen und die reichhaltige Getränkeversorgung einen Teil dazu beizutragen) keine ernsthafte Panne und richtig gute Stimmung. An Bühnen dieser Größenordnung und darüber hinaus kann ich mich gewöhnen, da geht noch mehr, was den Auslauf betrifft. Mal wieder keine ernsthafte Vorstellung, wie es für die Leute im Publikum gewirkt hat. Aber ich bin zufrieden. Den restlichen Abend verbringe ich am Merch, wo noch ein paar Textilien den*die Besitzer*in wechseln, ein bisschen vor der Bühne, ein bisschen backstage. Am Ende muss das ganze Geraffel wieder nach Hause und ich schleppe mich verschwitzt-ausgepowert mit Sack und Pack durch Sankt Pauli. Am nächsten Tag wieder Lohnarbeit. Was kommt mir das profan vor!

Teil 2: Auswärtsspiel

Spulen wir kurz vor. Es ist Freitag, der 29. November, und wir machen uns auf den Weg nach Berlin, um beim Nox A Carnival Vol. 7 zu spielen. Genauer gesagt machen wir uns in unterschiedlichen Kleingruppen und zu verschiedenen Zeiten auf den Weg in die Hauptstadt. „Alle Leute in den Bus und dann Rock’n’Roll“ ist also nicht ganz angesagt.

Unser Treck will sich mit dem Auto am späten Vormittag in Bewegung setzen. Allein, das haut alles nicht ganz hin. Die Fahrenden kommen a) erst deutlich später los als gedacht und b) heute gar nicht ins Zentrum, weil wir Öddel den Klimastreik verschusselt haben. Also fix umdisponiert, den Großteil der T-Shirts wieder ausgeladen und mit Hängen und Würgen treffen wir uns am Hauptbahnhof. Die Stimmung ist erst mal gereizt. Sollen wir uns das bei dem Generve jemals wieder antun mit Konzerten außerhalb der Heimatstadt?

Die Laune soll wieder besser werden

Trotz Stau vor Berlin treffen alle Wiedergænger – zwei Stunden nach Plan – noch locker rechtzeitig im Schicksaal-Tommyhaus ein. Und was für ein guter Laden! Ob es an den Menschen des SJZ Drugstore im Exil oder an den Veranstalter*innen des Nox A Carnival (oder an den wie auch immer gearteten und uns nicht näher bekannten personellen Überschneidungen) liegt: Die ganze Veranstaltung vereint eine friedliche und diskriminierungsfreie Atmosphäre mit großem Spaß an der Sache. Ab und an erscheint es ja in linken Läden, dass man zum Lachen besser in den Keller gehen sollte. Nicht aber im Schicksaal-Tommyhaus: Düstere Clowns, Zirkusmusik, ein Schminkstand und viel Liebe zum Detail erzeugen eine bizarre Atmosphäre, die ihresgleichen sucht. Dazu ist die Organisation zwar entspannt, aber gleichzeitig professionell. Von Anfang an fühlen wir uns pudelwohl.

Da noch etwas Zeit ist, suchen wir uns eine Kleinigkeit zu essen. Bemerkenswert wenig los in der näheren Umgebung des Ladens für einen Freitagabend, aber vielleicht schreckt das nahegelegene Willy-Brandt-Haus Gastronom*innen ab. Am Ende gibt’s eh noch eine leckere Stärkung aus der VoKü sowie eine gute und sehr günstige Bierauswahl. Der Backstageraum ist gut durchgerockt und urgemütlich. So lässt sich das aushalten.

Volle Hütte – um die Zeit?

Schon von Beginn an ist gut was los beim Nox A Carnival. Nanu, geht man in Berlin nicht erst weit nach Mitternacht feiern? Uns soll’s recht sein. Wir werden zwar erst gegen 23 Uhr auf der Bühne stehen, aber es ist ja für alle Beteiligten schöner, wenn schon was los ist. Und so ernten sowohl rýr als auch Red Strict Area viel Aufmerksamkeit. Wir selbst können früh den Merch-Stand beziehen und müssen uns offensichtlich keine Sorgen machen, dass da was ungewollt wegkäme. Verkaufen können wir leider aber auch nicht viel. Das macht aber nix, kommt sicher noch.

Kleiner Wermutstropfen: Da der Backstageraum nur über die Bühne zu erreichen ist, können wir während der Auftritte nicht zwischen vorn und hinten wechseln. Das bedeutet, dass wir uns die guten Teryky nur von schräg hinten angucken können. Aber wir werden einander eh wiedersehen.

Dann steigt die Spannung, denn allmählich sind wir an der Reihe. Klamottenwechsel und Dreck ins Gesicht. Danke noch mal an Annika von Teryky, die in Ermangelung eines vernünftigen Spiegels bei den Äußerlichkeiten assistiert. Von ihr bekomme ich außerdem die „Fernbedienung“ für die Nebelmaschine in die Hand. Oh, cool? Hätte ich mir mal vorher Gedanken gemacht, wann ich die gezielt einsetze!

Da sich alles etwas verzögert und wir sogar doch noch so etwas wie einen Soundcheck bekommen, hätte ich theoretisch noch Gelegenheit, darüber nachzudenken. Allein, so ganz den Kopf dazu habe ich nicht. Dabei ist die Nervosität heute meinerseits gar nicht so groß: Das Set wird das gleiche sein wie drei Wochen zuvor, wir sind also noch gut in der Spur. Und auswärts kennt uns eh kaum jemand. Wir können also eigentlich nur gewinnen, vor allem, weil wir gegenüber den post-metal-lastigen anderen Bands des Abends mit unserem „Deep Diggin’ Dreck’n’Roll“ stilistisch etwas aus der Reihe tanzen.

Also los!

Dann wollen wir mal. Nach der relativ langen Verzögerung in der Running Order ist Berlin jetzt auch fällig! Und das gelingt von der Bühne aus gesehen ziemlich gut: Auch wenn wir davon ausgehen müssen, in der Hauptstadt zuvor noch nicht auf viele offene Ohren getroffen zu haben, ist von Anfang Bock im Publikum spürbar. Da wehen Haare, da werden Fäuste gereckt und „Kein Fußbreit“ mitgebrüllt. Applaus geht runter wie Öl. Dass ich eine Strophe verhaue oder mal ein kleines Fill fehlt, stört offensichtlich Keine*n. Natürlich ärgert man sich als Musiker*in im Nachhinein auch noch über kleine Fehler, aber die zunehmende Erfahrung lässt uns gelassener werden. Und die meisten Unsauberkeiten fallen schließlich nur denjenigen auf, die sie verursachen.

MagischerFC Wiedergaenger Setilist Nox A Carnival November 2019
So sieht das auf der Bühne dann eben aus

Eine Weile kann ich nur wenig sehen, weil wir ziemlich viel Licht im Gesicht haben. Im Laufe des Auftritts bemerke ich allerdings zwei, drei Menschen, die in der ersten Reihe sitzen (!) und seelenruhig ihren Eintopf futtern (!!). Ich bin viel zu perplex, um was Geistreiches dazu zu sagen. Sie stören ja nun auch niemanden und bremsen uns nicht aus. Die gar nicht ganz kleine Bühne kommt meinem Bewegungsdrang jedenfalls abermals entgegen. Den kurzzeitigen Gedanken, mal von der Bühne in Publikum zu hüpfen, lasse ich zum Glück wieder fallen. Wir wollen ja nicht gleich übertreiben.

Wie das so ist, geht der Gig viel schneller um als erwartet. Liebe Lesenden, habt ihr die Nebelmaschine noch im Kopf? Ich nämlich auch nicht. Erst kurz vor Schluss fällt mir die kleine Fernbedienung wieder ein. Vermutlich wirkt der ungewollt sparsame Einsatz gewollt. Geile Option jedenfalls, die ich gern öfter hätte.

Als die letzten Takte von „Im Nobiskrug“ verklungen sind und wir höflich die gar nicht mal zaghaften „Zugabe!“-Rufe zurückgewiesen haben (es ist zeitlich eh schon alles so weit drüber), falle ich den anderen Jungs erst mal um den Hals. Das war im Ganzen richtig geil. Großartig zu spüren, dass der Mist gut ankommt und sich die wachsende Erfahrung zeigt.

Ausklang: Es wird eine lange Nacht

Herrlich, durch zu sein. Fix die Sachen nach hinten gebracht und wieder vor die Bühne, um nicht bei Kyáneos im Backstage gefangen zu sein. Der Rest ist Gelassenheit und Grinsen und Bier. Irgendwann nach 3 Uhr taumeln wir in die Unterkünfte, die für uns glücklicherweise sehr leicht erreichbar sind. Schlaf wird’s dennoch nicht viel und der Morgen knatschig. Aber hell yeah – Abende wie diese sind der Grund, warum ich den Scheiß so gern mache.

Wenn ihr Wiedergænger live sehen wollt, habt ihr schon am 14.12. nach dem Wiesbaden-Spiel die nächste Gelegenheit im Indra Club beim Next Step Festival 2019! Tickets gibt’s für schmales Geld hier.

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