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Über den MillernTon

MillernTon

Am Mittwoch wurde die 62. MillernTon-Folge veröffentlicht. Wieder waren USP-Vertreter zu Gast – und ein Großteil des Gesprächs drehte sich, vermutlich wenig überraschend, um die Vorkommnisse rund um das Derby. Wir wollen hier nicht die ganze Folge besprechen. Während wir wissen, dass ihr die Länge der JHV-Berichte sehr liebt, wäre selbst uns die Besprechung aller in 3:42 besprochenen Inhalte etwas zu krass. Was wir aber gerne machen möchten ist, unsere Gedanken zu einigen zentralen Themen äußern, vielleicht weil wir da auch eine etwas andere Meinung haben und auch einen (halb-)öffentlichen Diskurs innerhalb der Fanszene für sinnvoll halten.

Vorab

Wir finden es erstmal gut, dass wir Ultras haben, die auch in einem solchen kontroversen Moment für ein längeres Interview zur Verfügung stehen. Und wir finden es gut, dass die Millernton Crew dafür Raum bietet.

Es geht nicht darum, dass wir am Ende jedes gesagte Wort unterschreiben. Genauso wenig unterschreiben auch „Ultras“ jedes Wort, das wir hier schreiben. In einer progressiven Fanszene sind immer divergierende Ansichten vorhanden. Das ist gut so.

Wichtig ist, dass man Ansichten erstmal hin nimmt und sie nicht nutzt, um irgendwem sein Fandasein abzusprechen. Das ist alberner Mopo Kram und führt zu nix. Außer zu einem scheinbar reinen Gewissen, weil wenn es keine Fans sind, dann muss ich als Fan mich ja auch nicht für die verantwortlich fühlen. Bullshit! Das werfen wir anderen Vereinen zu Recht vor, wenn es um Nazis oder andere schlimme Dinge gibt und sollten wir daher bei Kontroversen in unserem Kosmos (Achtung, die auf einer ganz anderen Ebene stattfinden) nicht vernachlässigen.

Es ist gut, dass USP breit Verantwortung übernimmt und sich auch einer Verantwortlichkeit stellt. Nicht gegenüber der Mopo und anderen Aufregungsorganen der besorgten Bürger, sondern eben innerhalb eines Dialogs in der Fanszene. Klar kann man immer kritisieren, dass vielleicht zu wenig über eigene Fehler und zuviel über andere Fehler geredet wurde im Millernton, aber a. wer redet schon gerne ausführlich über seine eigenen Fehler? und b. muss man da auch mal zwischen den Zeilen lesen. Ein „wir haben die Verantwortlichen geteert, gefedert und auf der Sylvesterallee ausgesetzt“ beruhigt zwar den deutschen Aufregungsmichel, ist aber sonst einfach albern.

Wichtig ist uns auch, dass das hier kein „über Ultras“ reden ist. Es ist ja auch nicht so, dass es zu den von uns gleich angesprochenen Themen oder zu allen anderen Themen am Millerntor nur eine Ultrameinung und eine Nicht Ultrameinung gibt. So schwarz/weiss ist die Welt nicht.

Die eigenen Grenzen

„Wieder einmal die Konfrontation der Moral mit der Praxis“ schrieb Simone de Beauvoir über Satres „Die schmutzigen Hände“. Einem Theaterstück, was welches die Frage nach den Prinzipien und eigenen Grenzen stellt. Diese Frage nach Prinzipien und Grenzen ist in jeder progressiven, jugendlichen Subkultur eine Zerreißfrage.

Die Ultrakultur beim FCSP ist eine solche jugendliche Subkultur, die auch bei uns immer noch männlich* dominiert ist und die auch bei uns mit Praxis und Moral kämpft. Dabei geht es um Fragen wie: Was ist eigentlich unserer Grenze? Was wollen wir vom (teilweise eben absolut nicht mehr progressivem) Ultraumfeld Deutschlands mit machen? Wollen wir anders sein? Und wenn ja, wie? Was ist eigentlich unser Differenzierungsmerkmal?

Inwieweit kann ich mich gewissem Rumgemackere zwischen Ultragruppen entziehen? Will ich das überhaupt? Und wie kann ich das mit einer progressiven Grundhaltung vereinbaren?

Das sind natürlich alles keine Fragen, die in einem luftleeren Raum aufgeworfen werden, denn natürlich gibt es eine ganze Reihe von externen Einflussfaktoren. Im Millernton wird von „reudigem Verhalten“ der Vorstadt gesprochen. Sagen wir es doch einfach mal etwas plastischer: Wenn dein sechster Kumpel derbe auf die Fresse bekommen hat und seines Schals verlustig geworden ist, dann hast du vielleicht ganz andere moralische Grenzen, als wenn du noch nie so etwas erlebt hast.

Ja, da kommen wir zur Frage der „Gewalt“. Das große böse Wort „Gewalt“. „Gewalt erzeugt Gegengewalt“ sangen schon die Ärzte. Und wir Hippies wollen natürlich alle nix mit Gewalt zu tun haben.

Aber es wäre eine Lüge so zu tun, als ob es beim FCSP noch nie Gewalt gegeben hätte oder die Hafenstraße und die Rote Flora durch lautes Singen von „We shall overcome“ besetzt wurden. Das ist einfach nicht richtig. Auch gewisse Nazifanclubs der 80er Jahre sind aus dem Millerntor durch die Faust und nicht durch gemeinsames Mateteetrinken entfernt worden. Man muss das nicht gut finden, man sollte sich aber beim Gründungsmythos des modernen FCSP nicht in die eigene Tasche lügen.

Dies wäre sonst eine zutiefst spießbürgerliche Perspektive, die sehr viel mit der üblichen Polizeigewaltdebatte zu tun hat, wo dir Leute, die noch nie auf einer Demo waren, erzählen, dass es so etwas ja nicht gibt und man schon etwas gemacht habe, wenn man von der BFE zusammen gedroschen wird.

Dies alles vorausgesagt, wollen wir doch ein paar Gedanken äußern:

Fanartikel zeigen

Womit wir beim Fanartikel klauen und zeigen wären. Dies muss immer als Aktion und Reaktion gelesen werden und verstanden werden. Sie passiert nicht in einem Vakuum. Wir verschieben vielleicht unsere Grenzen, aber es sind Grenzen, die von anderen schon lange durchbrochen wurden.

Auch hier sollte man sich nicht in die Tasche lügen. Material wechselt nicht durch gutes Zureden bei einer Tasse Tee den Besitzer. Klar gibt es mal das vergessene Transpi oder das raffiniert geklaute Banner, aber zumindest ist das Ganze immer auch offen für solche strafrechtlichen Delikte wie Raub, Körperverletzung etc. pp. Man muss auch hier von „Gewalt“ reden.

Ein Gesprächspartner im Millernton beschreibt in der Folge, dass sich bewusst dazu entschieden worden sei, als einmalige Ausnahme gegnerische Fanartikel zu zeigen, als Reaktion auf die Vorkommnisse der vergangenen 2,5 Jahre, die als sehr eskaliert eingeschätzt werden. Zumal es zu allen gezeigten Artikeln einzelne Geschichten geben soll. Dies können und wollen wir nicht nachprüfen.

Trotzdem können wir diese Einschätzung nicht einfach so stehen lassen und doch ein paar Überlegungen in den Diskurs werfen. Wir wiederholen jetzt nicht unsere Ausführungen zum Klauen von Sachen, die wir nach dem Spiel in Kiel letzte Saison geschrieben haben. Sie sind immer noch gültig. TLDR? Es wird schon dadurch schwierig, dass „Ultra“ „Fanszene“ etc. sehr weite und wenig begrenzte Begriffe sind und ich sozusagen ein Opt-In durch die Täter habe. Anders als bei einem Ackermatch.

Und noch ein anderer Aspekt ist uns wichtig – die Stilfrage:
Wenn man sich das Verhalten anderer, auf das man eigentlich keinen, bzw. nur sehr geringen Wert legt, als Ausnahme aneignet, und sei es nur als Stilmittel, dann gebe ich diesem Verhalten, das ich eigentlich falsch finde, ja doch eine Daseinsberechtigung. Und das ist doch genau das, was wir eigentlich nicht wollen. Damit geben wir halt auch dem Obermacker, der dem Familienvater den Schal klaut und dann stolz aufm Zaun präsentiert eine weitere Legitimation (durch die Reproduktion seiner Handlungen) für sein Handeln.
Und klar, die Aktion wird nicht für die Außenkommunikation für alle gestartet, sondern als Message an einige wenige. Aber wenn man etwas in den Plattform „Stadion“ macht, dann ist es eben nicht nur eine gezielte Kommunikation an den Adressaten, sondern hat etwas von einem offenen Brief, der eben auch von vielen anderen Nebenadressaten gelesen und interpretiert wird. Und hier kann es sehr schnell zu einer Interpretation kommen, die eben nicht „einmalige Aktion, weil Vorstadt Fanszene besonders reudig verhalten in den letzten Jahren“ ist, sondern „cool, jetzt machen das sogar die, die das bisher nicht gemacht haben und die sich für besonders progressiv halten, dann kann ich ja weitermachen und die vielleicht selbst noch überbieten“ ist eben auch eine mögliche (und vielleicht bei einem 16jährigen, der sich in seiner Welt beweisen will naheliegende) Interpretation. Und es wird schwierig, das wieder einzufangen.

Weitere Fragen, die man sich stellen muss: Muss man sich das Vorgehen anderer, dass man eigentlich irgendwie doof findet wirklich wiederholen? Hätte es wirklich keinen anderen Weg gegeben zu zeigen, wie scheiße die Fanszene der Vorstadt ist? Muss man das alles mitspielen? Grenzt man sich nicht viel besser ab, indem man doofe Spielchen nicht mitspielt. Uns Hippies hat die Reaktion auf “Stellt Euch endlich Unserer Gier” da besser gefallen.

Da sind sie wieder, die Fragen der Praxis und der Moral.

Vielleicht habt ihr das schon erahnt, aber wir wollen es noch mal wiederholen: Es ist für uns immer noch ein riesiger Unterschied, ob die Grundlage für etwas „Fußball“ ist oder ob vor uns irgendwer steht, der meint in bestem Nazioutfit rumzulaufen (und das zufällig im Fußballstadion macht). Da ist unsere Moral eine ganz andere. Es muss unser ureigenes Verständnis sein, dass Faschisten, ihr Outfit und ihre Insignien am Millerntor (und überall anders) nichts zu suchen haben und sind sehr dankbar für all die, die da auch die körperliche Auseinandersetzung suchen.

Uns als Hippies wäre es jedenfalls am liebsten, wenn bei uns nie wieder Fanartikel gezeigt wurden. Nicht unser Stil, vor allem aber, weil wir hoffen, dass unsere Ultras nichts machen, was sie eigentlich nicht machen wollen, aufgrund der Intensität von Konflikten mit anderen Fangruppierungen. Ja, da sind wir dann wieder das elektronische Gewissen.

Dialog mit der Gegengerade

Wir wollen hier noch mal unseren Wunsch nach einem Dialog Ausdruck verleihen. Wir wollen bei allen Differenzen zu einem Miteinander finden, als zu einem Gegeneinander. Und natürlich klingen da die geäußerten Worte im MillernTon konträr und hart. Und wieder sind wir Hippies genug, uns doch lieber ein harmonisches Miteinander zu wünschen, als ein Denken in Süd- oder Gegengerade Schubladen. Gerade wenn dies auch noch moralisch aufgefrachtet wird.

Jedoch: Es gibt da ein grundlegendes Problem. Während USP zumindest annähernd für die Südkurve sprechfähig ist (und wenn sie es nicht wären, wüsste USP welche Strukturen sie nutzen können), gibt es solche Institution für die Gegengerade gar nicht. Mit wem will man denn reden, wenn man ein Verhältnis zur Gegengerade aufbauen will? Mit dem Supportblock? Bei aller hier immer wieder geäußerten Liebe zum Supportblock, die würden sich wahrscheinlich selber nicht als eine Vertretung der Gegengerade sehen und sind es zur Zeit einfach auch nicht.

Bei aller fehlenden Homogenität, hier hat die Gegengerade ein absolutes Defizit. Und das kann ich nicht damit ausgleichen, dass ich als Hüter von irgendwelchen diffusen „Werten“ auftrete, der diese in einer Allmachtphantasie durch Gepöbel und Liebesentzug durchsetzen will, aber bloß nie über diese Werte diskutieren will. Siehe oben. Das ist genauso wenig St. Pauli. Und nebenbei auch eine Form der Gewalt, die doch alle so ablehnen.

Um ein ernsthafter Gesprächspartner für die Südkurve zu sein, muss die GG Strukturen haben, muss sie eine Definition haben und muss sie auch kompromissbereit sein. Wir schrieben dies schon im zweiten Derbybericht. Ein ständiges „ihr stört unsere Langeweile“ als Grundprinzip ist da zu wenig. Und stellt auch nur in geringem Ausmaß ein rebellisches Sankt Pauli dar.

Wenn dieser Vorschritt getan ist, dann muss man in den Dialog gehen. Und der ist dann auch schmerzhaft, für alle Beteiligten. Aber hey, wir sind doch irgendwo diffus links, da ist Plenum halt auch mal angesagt. Neben der Aktion am Spieltag.

Noch etwas liebe Gegengerade: Wenn Jugendliche (und das sind Ultras nunmal) etwas tun, was alten Säcken (und das sind die meisten auf der Gegengerade) nicht gefällt, dann denkt immer daran, dass a. ihr auch so wart und b. Jugendliche, die immer nur tun, was alte Säcke wollen, Junge Union bedeutet. Und die will ja wohl niemand am Millerntor.

Was fehlt: Die anderen Tribünen. Da fehlt uns gerade die Perspektive.

Ein Ausblick

Sieht gerade alles nicht nach “in meinen Träumen bist Du Europacupsieger” aus und wir werden uns alle finden müssen. Aber das soll uns von einem nicht abhalten: Am Freitag Duisburg mit einem gemeinsamem Roar aus dem Stadion zu brüllen. Ja, vielleicht ist das erstmal der kleinste gemeinsame Nenner, auf dem wir Schritt für Schritt ein neues Selbstverständnis von Fan sein, von einem Miteinander im Millerntor aufbauen können.

Wir sind schon aus ganz anderen Löchern aufgestanden, haben ganz andere Krisen gemeistert und es ist immer irgendwie nach vorne gegangen.

Und hier auch ein Appell an die Mannschaft: Wir lieben euch. Wir machen garantiert keine Plakate auf denen irgendwas von „Wenn ihr absteigt, schlagen wir euch tot“ steht. Die Kommentare unseres amtierenden Kapitäns lassen aber auch auf schlechte Stimmung und dicke Luft schließen. Nutzt auch ihr diese Pause, redet, haut euch die Köppe ein und schöpft daraus neue Kraft. Es sind noch 8 Spiele und es ist noch alles drin. Und wenn es am Ende Platz 7 wird, dann fahren wir trotzdem mit erhobenem Haupt gemeinsam aus Fürth zurück und dann hauen wir halt 19/20 alle weg.

AUX ARMES (mit stummen S)

13 Kommentare

  1. Da hab ich jetzt eine Stilkritik an Deutschlands bestem Fußballpodcast erwartet und Ihr redet nur über USP.

    Pfft.

    Liebe für den letzten Satz.
    Und auch sonst ganz viel wahres.

  2. Heiko Heiko

    Sehr guter Text, der mir sehr auf der Seele spricht

  3. Die letzte Schlacht gewinnen wir! Die letzte Schlacht gewinnen wir!

    Nochmal wg Rechtschreibung, sorry :-)!

    Ich finde den Text auch sehr gut und hoffe inbrünstig auf einen gemeinsamen Millterntor-Roar!

    Mir kommt hier bei euch aber das Lob an die lieben USP-Vertreter (die offensichtlich im Namen von USP sprechen) zu kurz! Es ist komplett super von euch die gesamte Situation von den roten Tüchern, dem Sturm, Pyro, Material bis zur brennende Tasche aufzuklären! Mit dieser Offenheit und der Übernahme von Verantwortung beginnt der Dialog und fängt die Lösung an! Das ist schon mal magisch!

    Was mich ein bisschen genervt hat war die USP Position zum Material („wo steht geschrieben das das nicht Konsens ist“). Das (und das war wirklich das einzige) fand ich ein bisschen flach. Ich wüsste nicht wo unserer Regeln niedergeschrieben sind (z.B. Nazis aufs Maul). Aber vielleicht sollten wir das mal tun? Z.B. in allen Kurven im Gang vor den Toiletten? Kein Fussball den Faschisten steht ja auch irgendwo im Stadion und ist offensichtlich Konsens!

  4. Micha Micha

    Nachdem ich gestern Abend den letzten MillernTon gehört habe, fühle ich mich genötigt, auch mal ein paar Zeilen rauszulassen.
    Kurz zu mir: Baujahr ´73, ich stehe seit ungefähr 1989 in der Gegengerade, aktuell Block C. Damit stehe ich mehr Jahre hier als die meisten unserer Ultra-Freunde Jahre alt sind. Und zunächst einmal leite ich auch diesem Fakt überhaupt keine Rechte ab.
    Was ich mir aber erlaube zu tun ist, zunächst einmal einen kleinen Blick zurück zu werfen. In den Jahren 1989 bis Ende der 90er Jahre hat sich der viel beschworene „Kult“ am Millerntor gegründet. Als Rahmen setze ich einfach mal den Kampf um die Hafenstraße auf der einen Seite und die Proteste gegen die Räumung von Bambule auf der anderen Seite. Der Rahmen ist aus persönlicher Sicht gesetzt, da ich sowohl auf den Hafenstraßen-Demos dabei war als auch bei den Aktionen gegen Schill und die Bambule-Räumung. Zwischen diesen beiden Fixpunkten etablierte sich am Millerntor eine linke Szene, es wurde eine bundesweit einzigartige Stadionordnung verabschiedet und fortan galt hier „Kein Fußball den Faschisten“. Wer damals Fußballfan und links war, weiß noch, dass es in eigentlich allen anderen Stadien gefährlich war und die Okkupation des Millerntors auch die tatsächlich einzige Möglichkeit war, gefahrfrei als Punk Fußball gucken zu können.
    Die letzten Reichskriegsflaggen in der Nordkurve wurden Anfang der 90er aus dem Stadion heraus komplimentiert. Und fertig: St.Pauli war bunt, fröhlich, anders, laut und links. Der oft zitierte Banker neben dem Punker oder so. Keimzelle dieser ganzen Entwicklung war die Gegengerade. Stress mit der Polizei gab es oft und gerne, aber nie im Umfeld des Stadions, sondern u.a. auf den oben genannten Demonstrationen. Am Stadion standen bei Heimspielen auch mal nur zwei bis drei Wannen, deren Insassen Kaffee tranken und entspannt gegrüßt wurden. St.Pauli Fans waren rund um das Fußballspiel immer die Guten. Das war auch unser Anspruch.
    Soweit ein kurzer Blick zurück, die Story ist ja eigentlich bekannt.
    Ein wichtiger Grundsatz damals war die extrem heterogene Szene am Millerntor. Weder hatten wir noch brauchten wir eine geschlossen auftretende Gruppe, die als vermeintliches Sprachrohr fungiert. Der Support im Stadion war ordentlich, der Roar wurde geboren. Wenn mich nicht alles täuscht, gab es aber auch in jedem Spiel Phasen, in denen es mal still war.
    Dann traten irgendwann noch in der Gegengerade Carpe Diem auf den Plan, 2002 gründeten sich unsere Ultras USP. Und langsam aber sicher schlichen sich ungewohnte Verhaltensweisen und Themen ein. Die Polizei wurde plötzlich zum Feindbild, es ging auf einmal um Stadionverbote (war nie Thema…) und es wurde 90 Minuten lang durchgesungen.
    Wir waren nicht mehr die Guten und von außen auch nicht mehr differenzierbar. Mit den Ultras kam die große Gleichmacherei. Unsere Ultra-Szene sang die gleichen Lieder wie in alle anderen Stadien, und das auch noch durchgehend, plötzlich war es wichtig, sich hinter einer Flagge zu versammeln.
    Mit all dem haben wir anderen uns arrangiert. Um hier jedoch einmal etwas klarzustellen: wir sind die Mehrheit! USP sind wie viele von knapp 30.000 Zuschauern? 800 bis 2.000? Das sind am einen Ende deutlich, am anderen Ende immer noch unter 10% der Zuschauer. Die anderen 90% haben sich mit dem Nachwuchs arrangiert. In guten Momenten reißt USP auch mal die anderen Kurven mit.
    Wir können damit gut bis sehr gut leben, wichtig ist nur dies: 90% des Publikums sind keine Ultras, wollten USP nicht unbedingt im Stadion haben, waren aber nicht aktiv genug, um die Etablierung einer Ultra-Gruppierung am Millerntor zu verhindern.
    Aber, und das finde ich wichtig zu betonen: ihr seid zwar laut, aber nicht die Mehrheit. Die Mehrheit beobachtet Euch freundlich bis extrem kritisch.
    Vielleicht sollte USP sich diesen Umstand noch einmal vor Augen führen, bevor es wieder zu Aussagen wie im letzten MillernTon kommt. Mit welcher Impertinenz und Arroganz die USP-Vertreter dort ihr Anliegen vertraten, hat mich fast schon beeindruckt… Es folgen nur 12 Leute zu Eurer Einladung zu offenen Abenden? Ja mein Gott, warum sollte da auch jemand kommen? Es interessiert nicht, was ihr da macht. Die 90% gehen ins Stadion, gucken Fußball, sind nach dem Spiel mehr oder weniger heiser und gehen dann wieder nach Hause. Wir haben kein Interesse, Euch „kennenzulernen“. Was wir von USP allerdings erwarten können und dürfen sind zwei Punkte: zum einen dürfen wir die gleiche Toleranz erwarten, die wir Euch entgegenbringen. Diese Toleranz beinhaltet das Recht jedes einzelnen, sein Fanleben so auszuleben, wie er es für richtig hält (solange sie allgemeinen Leitplanken beachtet werden natürlich). Und zum anderen, und da sind wir beim Derby: wir können und müssen erwarten, dass sich die Ultras an die eben schon genannten Leitplanken halten, an die Stadionordnung sowie an die geschriebenen und ungeschriebenen „Gesetze“. Und das wurde mit dem Auftritt beim Derby nicht getan.
    Der Auftritt einer vermummten Truppe Hooligans inklusive der Begleiterscheinungen (Blocksturm im eigenen Stadion, übermäßiger Pyro-Einsatz, Gewaltandrohung auf Plakaten und mit Gesten, Schlägereien in der Südkurve etc pp) ging gegen alles, was wir am Millerntor leben. Und hier komme ich zurück auf mein eingangs erwähntes Baujahr: ich nehme mir das Recht, dieses aus der Historie heraus einzuschätzen. Das war nicht St.Pauli. Und die lautstarke und vielstimmige Antwort aus der Gegengerade war hier sehr viel mehr St.Pauli als diese Hooligans, die man von Habitus und Optik her 1:1 nach Rostock, Dresden oder Frankfurt setzen könnte, ohne einen Unterschied festzustellen. Die beleidigte Reaktion von USP erklärt sich natürlich durch die Äußerungen im MillernTon. Ich hätte nie gedacht, dass der unsägliche Auftritt ein von USP nicht nur geduldeter war.
    Unsere Antwort „Ihr seid scheiße wie der HSV“ galt ausschließlich den Vermummten. Zu keiner Zeit war USP oder gar „die Südkurve“ gemeint. Dabei jetzt den „bösen alten weißen Mann“ herbei zu zitieren, wie im MillernTon geschehen, ist fast schon peinlich albern.
    Es wurde das Bild des Nachbarn postuliert, der immer dagegen ist und immer nur am herumstänkern ist, während die friedliebenden Ultras sich doch immer im alles kümmern. Kommen wir mal zurück zu den Mehrheitsverhältnissen: die Gegengerade ist nicht dieser Nachbar. Wenn überhaupt, randaliert hier ein Nachbar, der die meiste Zeit über von der Mehrheit der Hausbewohner freundlich bis distanziert geduldet wird, um im Bild zu bleiben.
    Aber nein, die beleidigten Teenager schmollen, weil ihre Aktion eben nicht den Anklang der Mehrheit gefunden hat. War halt Mist, müsst ihr jetzt mal durch, wie alle anderen Teenies auch, die Mist bauen.
    Um es noch einmal aus der Sicht vieler zu sagen: Verhalten wie das beim Derby in der Südkurve gezeigte, gehört nicht ans Millerntor.
    Ebenfalls las ich bereits häufiger, dass die Gegengerade zu leise gewesen sei. Auch hier bitte mal den Blickwinkel etwas weiten. Der Support war anfangs sehr ordentlich. Es folgten allerdings zum einen ein Angsthasen-Auftritt der Mannschaft sowie die irritierenden Begleitumstände auf den Rängen, die die Stimmungslage insgesamt deutlich gedrückt haben. Das 0:2 war dann so etwas wie der Todesstoß. Der Wunsch, in eine Scheißegal-Haltung zu kommen und trotzdem das Team abzufeiern wurde dann von den Hooligans verhindert. (…die im Übrigen nicht als „unsere Leute“ wahrgenommen wurden.
    Alles in allem die Bitte an USP: kommt mal runter, nehmt Euch nicht so fürchterlich ernst, es ist immer noch nur Fußball!
    Und seht zu, dass wir so einen Auftritt wie beim Derby nicht noch einmal erleben müssen.

  5. Die letzte Schlacht .... Die letzte Schlacht ....

    Moin mods, könnt ihr bitte den ersten Beitrag (11:53) löschen?

  6. HSV-Andreas HSV-Andreas

    Liebe Braun weiße Freunde,

    Zunächst einmal muss ich es wirklich anerkennen, wie reflektiert und intensiv ihr euch mit eurer eigenen Fanszene auseinander setzt.

    Dennoch habe ich das Gefühl, dass ihr keine Ahnung vom Gewaltpotenzial eures eigenen Anhang habt.

    Wenn „mal“ ein paar Fanartikel geklaut werden, ist das keine einmalige Ausnahme. Auch unter euren Anhängern gibt es genug Leute, die mit Freude in großer Überzahl einzelne HSV Fans überfallen und zusammenschlagen – und das nicht, um „Fanartikel zu klauen“, sondern einfach mit dem Wunsch, Gewalt auszuüben. Ausnahmen sind das nicht, so etwas geschieht seit Jahren in schöner Regelmäßigkeit.

    Das Derby war daher – aus schwarz weiß blauer Sicht – in dieser Hinsicht auch keine Ausnahme, sondern hat euch einfach nur mal so deutlich den Spiegel vorgehalten, dass ihr es nicht mehr übersehen konntet.

    Versteht mich nicht falsch, wir sind da auch nicht besser. Allerdings tun wir auch nicht so, als ob wir anderen Fanszenen moralisch überlegen wären – ihr leider (sehr häufig) schon.

    Ich hoffe, der Prozess bei euch führt zur Einsicht, dass ihr, was das Thema Gewalt angeht, auch nicht anders seid als andere Fanszenen. Nicht schlechter, aber halt definitiv auch nicht besser.

    Auf gute Nachbarschaft,
    HSV-Andreas

  7. Moin, ich (Blogsenior, gleicher Jahrgang, 86er Millerntor Gänger) finde deinen Beitrag irgendwie schwierig. Du forderst Toleranz von den Ultras ein, willst sie aber nicht kennen lernen und lehnst sie pauschal ab? Das widerspricht sich irgendwie.

    Dein Blick auf „Alte Zeiten“ ist zart verklärt. Mal davon ab, dass Bambule 2002/2003 war und da u.a. Ultras massiv an dem Protest beteiligt waren, stieg die Polizeipräsenz schon Ende der 90er massiv nicht nur am Millerntor. Das hatte wenig mit reeller Gefahr als mit einem ändern des Sicherheitsdenken zu tun. Wir sind schon 99/00 zusammen geballert worden von Polizei und da waren nicht „die Ultras“ schuld.

    Noch was verklärst du aus meiner Sicht: ein Roar gab es schon lange vor den Ultras nicht mehr. Lies dir dazu mal alte Zines durch. Oder denk an die Gründung von Block 1 und der Passanten (bereits 1996).

    Und „Mehrheit will es so“ ist beim FCSP immer schwierig. 1986 wollte die „Mehrheit“ garantiert auch nicht die Punker und die „Politik im Stadion“. Die Mehrheit dafür ist erst erschaffen worden. Mal ganz davon ab: hätte Mehrheit Recht, hätte die CDU Recht.

    Insgesamt klingt dein Klagen über beleidigte Teenager nach beleidigtem mit 40er und das -nix für ungut- ist kein guter Look.

    Mal ganz davon ab: warum hast du/ haben wir die Generation nicht von deinem/unseren Style überzeugen können? Das ist eine Sache, die man auch mal ernsthaft diskutieren kann.

  8. Hoffen wir haben den richtigen erwischt

  9. Moin Andreas, sagen wir es mal so: Das nicht alle Hippies sind am Millerntor, ist uns wohl bekannt. Trotzdem ist das Zeigen im Stadion doch ein Tabubruch.

    Über die moralische Überlegenheit können wir uns lange unterhalten. Wir wollen eigentlich gerne Vorbild sein.

    Viele Grüße an die dunkle Seite der Macht

  10. HSV-Andreas HSV-Andreas

    Moin admin,
    Fair enough, mit dem Punkt Tabubruch hast du natürlich Recht. Es ist halt schon ein Unterschied, ob selbst auferlegte Regeln quasi „im Privaten“ nicht immer eingehalten werden, oder ob der Verstoß öffentlich zur Schau gestellt wird.
    Dazu kommt, dass die Aktion wohl eher ein Eigentor war – zumindest, falls das Ziel war, uns damit irgendwie zu ärgern oder zu provozieren. Bei uns im Gästeblock wurde das (genau wie das falsch herum gezeigte Banner auf der Nord) eher amüsiert aufgenommen, spätestens als der Rest des Stadions „Ihr seid scheiße, wie der HSV“ angestimmt hat.

    Zum Thema Vorbild sein – finde ich grundsätzlich gut, ich wünsche euch, dass ihr eurem Anspruch gerecht werden könnt. U.a. was Integration und Toleranz angeht, kann Fußballdeutschland sicher mehr Vorbilder gebrauchen.

  11. Christian D. Christian D.

    Also dieser Text widerspricht sich mit dem den ihr gestern über die Maßnahmen veröffentlicht habt.
    Abgesehen davon: Was für ein Geschwurbel und was für ein hässlicher Blog.
    Hierher verirre ich mich bestimmt nicht mehr.

  12. Tja. Wenn wir es allen recht machen wollten, wären wir nicht wir. Tschö

  13. […] Ein kleiner Exkurs zum Thema Gewalt sei uns auch hier noch mal gestattet. Wir sind der Hippieblog, Gewalt ist nicht unser präferiertes Stilmittel, aber an alle, die Gewalt pauschal ablehnen: Es gibt Situationen, da ist das nötig. Lügen wir uns nicht in die Tasche, aber das kann auch die notwendige Reaktion auf übergriffiges Verhalten untereinander sei. ( Und mit dem Thema Nazis befassten wir uns bereits in der MillernTon-Besprechung). […]

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