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Wie kann man nur so verzweifeifelt sein?

Verzweifeifelt in der Vorbereitung

Tja, was ist das Derby im Vorfeld hochgeschrieben worden. Die Polizei rechnete mindestens mit einem mittelschwerem Bürgerkrieg und behaupten nun das Sicherheitskonzept sei aufgegangen, die Medien haben ihre Panikrhetorik ebenfalls vergessen und vermuten jetzt eine allgemeine Enttäuschung. Aber man wird ja noch die Frage stellen dürfen, wer hier von was enttäuscht ist. Sportlich, ja meine Güte, who cares?

Mit dem Ergebnis können wir leben. Dass es nicht eskaliert ist? Sicher nicht im Interesse der Sicherheitsbehörden, die jetzt mit ihrem schönen Portal gerade mal ein nach paar Pyromanen fanden können; den Medien fehlt die Schlagzeile, tja nun. Ob man auf Heimseite durch das Ergebnis sehr verzweifelt ist? Sicherlich mehr als in FCSP-Kreisen, nehmen wir an. Der „hanseatische Vorzeigeclub“ könnte seine Vorherrschaft in dieser Stadt zumindest nicht demonstrieren.

Aber rollen wir den Tag doch zeitlich von vorne auf.

Verzweifeifelt in der Anfahrt

Wir waren nach Bahrenfeld auf unterschiedlichen Wegen gelangt und haben uns dann dort gesammelt. Viele auswärtige FCSP Fans haben die Gelegenheit genutzt, dort in der Gegend ihre Fahrzeuge zu parken und insbesondere der örtliche P+R Parkplatz war gut frequentiert. Das hat alles problemlos geklappt.

Der örtliche Bäcker ist traditionell schon immer serviceschwach und verzweifeifelte auch an den jetzt plötzlich ankommenden Menschenmassen sichtlich. Gab anderseits aber Porzellantassen für den stilvollen Kaffee aus.

Irgendwelche Blitzbirnen hatten in der Nacht vor dem Derby im Bahnhof Bahrenfeld und später auch vor dem Gästeeingang Buttersäure (oder Ähnliches) verschüttet. Danke, dass es in dieser Stadt immer weht. Und garantiert auch ein riesiges Dankeschön von dem Kioskbetreiber im Bahnhof Bahrenfeld, denn der hat von dem Gestank nun tagelang gut.

Die anreisenden FCSPler hingegen nur ganz kurz.

Verzweifeifelt durch den Volkspark gehen

Es soll einen Busshuttle gegeben haben. Menschen, die diesen genutzt haben und schnell hin- und weggekommen sind, haben wir nicht getroffen. Die aktiven Gruppen des FCSP und der weltbeste Fanladen hatten zu einer kleinen Frühsportübung „Wanderung durch den Volkspark“ aufgerufen. Und damit man seine Mitwanderer auch gleich von weitem erkennt, hatten unsere Ultras noch weiße Shirts für Alle besorgt.

Das einige junge Herren meinten, aus diesem Design aussteigen zu müssen und anstatt eines braun-weißen „Forza St. Pauli“ lieber dieses Hooligan „H“ als Frontdruck ihrer weißen Shirts nutzen zu müssen, kann man zumindest diskutieren. Die Symbolik, die “Marke” erinnert doch sehr an die Nazi durchsetzte deutsche Hoolszene, auch wenn auf St. Pauli das “h” anders genutzt wird. Stichwort “Rotsport”. Anderes “Branding”?

Es begann der lange Spaziergang. Und wer nun einen Marsch mit vielen Pausen, Pyro, Ufftas, Gebrülle und Gemackere erwartet hätte, der wurde enttäuscht. Es wurde ein ruhiger, sehr entspannter Spaziergang.

Auf dem Rückweg erfuhren wir, dass dies auch so geplant und besprochen war, da man zu 100 % sicher ins Stadion gelangen wollte.

Plan aufgegangen. Dabei waren Gelegenheiten genug da, den Ablauf zu stören oder das ganze hektischer zu machen. Liefen wird doch teilweise ohne Polizei in Sichtweite durch den Volkspark. Wer da also auf irgendeiner Seitenstraße hätte verschwinden wollen, hätte dies machen können.

Die Anwohner genossen ihr Sonntagsspektakel. Von Kindern und Plüschpinguinen wurden wir begeistert gefeiert, Menschen hielten braun-weiße Schals aus den Fenstern und die gelegentlichen Rauten, die wir trafen wurden ignoriert oder noch freundlich gegrüßt.

Aggressionen aus dem Marsch? Null.

Auf dem Rückweg kam es dann auch an der einen Rautenkneipe auf dem Weg zu einer lustigen Gegebenheit. Links in der Kurve stand der Wasserwerfer und sollte die Gruppen trennen. Rechts auf der anderen Seite des Weges saßen 5 Rauten auf ihrer Parkbank, tranken ihr Bier und guckten sich die FCSPler an. Ohne Polizei um sie rum. Ohne irgendwelche Aggression. Nicht mal ein Spruch haben die auf unserer Höhe kassiert. Ob das andersherum auch so entspannt gegangen wäre? Kindern am Rand mit FCSP Schildern wurden noch Shirts geschenkt.

Verzweifeifelt an dem Andrang

Wenn von den insgesamt 5000 FCSPlern im Gästebereich ungefähr 2/3 gleichzeitig ankommen, dann sind Wartezeiten programmiert. Wenn dann aber der Einlass noch schlecht organisiert ist, dann dauert das. Okay, es war genug Zeit und nur der Gestank von unten nervte etwas. Irgendwer meinte noch auf dem Friedhof und hinter dem Kartenhäuschen Pyro zünden zu müssen, aber das war eher auch skurril als gefährlich. Ach ja: In der Schlange des Gästeeingangs lag auch ein Beutel aus dem noch Pyro raus guckte. Entweder irgendwer hatte den verloren, oder aber es war einfach genug drin.

Die Abtastqualitäten waren sehr unterschiedlich. Typ A guckte sich seine Leute eher oberflächlich an, Typ B filzte jeden, als ob er einen Schwerverbrecher vor sich hatte. Das gleiche bei den Damen. Einige beschwerten sich zu Recht über eine gynäkologische Untersuchung, andere wurden vollkommen halbherzig kontrolliert.

Das so etwas letztendlich null nützt und natürlich trotzdem alles Pyro, was man möchte drin ist, macht das ganze noch absurder.

Verzweifeifelt am Blocksystem

Es ist echt nett, dass man uns neben den üblichen 14ern Blöcken noch die 15c und die 13c zur Verfügung gestellt hat. Aber man muss sich dann auch Gedanken machen, wie man all diese Menschen in den Block und wieder aus dem Block bekommt. Und nein, der eine Aufgang reicht dann nicht aus. Eine Entfluchtung, eine Panik, irgendwas hätten wir hier nicht sehen wollen. Das viele Leute aus A nach B gewechselt sind, macht das ganze nicht besser.

Wir haben uns brav in unsere Reihe gestellt und da sich in 14 B der Kern zusammengefunden hatte, hatten wir ganz viel Platz.

Und am Ende bei uns auch gar nicht so schlechte Stimmung. Wir wissen, dass wir hier eine Mindermeinung vertreten und ganz viele Leute sehr doll über den Support des Gästeblocks gemeckert haben und besser geht immer. Jedoch das war schon viel schlimmer bei früheren Derbys. Mal ganz davon ab: Die Dachkonstruktion frisst auch alles, was gesungen wird. Deswegen kommt auch von drüben so gut wie nix an. Und die Sitzplätzblöcke der Rauten neben uns hatten anscheinend Valium ins Bier gemischt bekommen. Kein Geprolle in Richtung Gästeblock, kein Support, nahezu keine Emotionen für die eigene Mannschaft. Dieser „neue“ 22C Block ist jedoch ein Schatten des alten, wirklich motivierten Blocks unter Chosen Few Leitung. Das was da jetzt abgeht, versteckt sich zu Recht in einer dunklen Ecke.

Aber ab der 30. Minute wurde jeder Rückpass mit Seufzen und Pfiffen kommentiert.

Verzweifeifelt an der eigenen Choreo

Derby ist immer auch Choreozeit. Auf Seiten von braun-weiß setzte man auf besagte weiße Shirts, auf braune Plastiktüten, auf ein „FCSP“ vor dem Block und Pyro im Block. Das sieht auf den Fotos alles okay aus, ist solide, ohne nun den Kreativpreis des Jahrhunderts zu gewinnen.

Spruchbänner für die Gegenseite haben wir nur eines mitbekommen und das „[Dreibuchstaben,die in diesem Blog nicht geschrieben werden], Liebe so käuflich wie in der Herbertstraße“ ist aus unserer Sicht doch problematisch. Der Bezug auf Sexarbeit grundsätzlich schwierig und hier auch nicht wirklich gelungen. Liebe wird in der Herbertstraße z.B. nicht wirklich zum Kauf angeboten und Sexarbeit durch diesen Kontext stigmatisiert.

Ob es noch weitere Texte in Richtung Heimkurve gab, wissen wir gerade nicht.

Tief Luft hol

Die Gegenseite präsentierte Bücher voll von Tapeten. „Das war zuviel zu lesen, ich warte auf das Hörbuch“ war nur eine Aussage von vielen zu diesem Thema. Wir wollen nun gar nicht alle auseinander nehmen und vielleicht mag da ja noch ein ganz cooler Insider versteckt gewesen sein, aber insgesamt wirkte es wie „scheiße wir finden keinen Angriffspunkt, also versuchen wir alle angeblichen Widersprüche auf irgendeiner Tapete zu kritisieren, vielleicht haben wir ja mit einer Recht“. Masse ersetzt eben nicht Klasse und das verzweifelte äh oh Entschuldigung das verzweifeifelte Abarbeiten an einem Gegner, den man offensichtlich nicht zu greifen bekommt, ist schon peinlich. Irgendwie wirkt das ganze nach einer ziellosen und verzweifeifelten Suche einer neuen Identität via Abgrenzung gegenüber eines Gegners, den man nicht fassen kann, der immer wenn man meint, dass man ihn gegriffen habe, einem durch die Hände gleitet. Sitzt der Dinoverlust so schwer? Eigene Identität nur über Abgrenzung?

Auch immer lustig: Es wird der FCSP Kosmos für die angebliche Nichteinhaltung politischer Korrektheiten angegriffen, die man selber gar nicht einhalten will. Dazu ist das eigene Lieblingsschimpfwort noch „F…“, was das ganze noch überzeugender macht. Da sind ja FCSP Meckereien von Altona 93 Fans überzeugender.

Im Volkspark gibt man ja sehr viel auf die eigene Tradition. Sei es nun bei Lottos Lied (später dazu mehr) oder eben bei Derbychoreos. Nur liebe Rauten, in Stein gemeißelt werden eigentlich zwei Dinge: Grabsteine oder Denkmäler. Beide Arten der Erinnerung haben gerade in Hamburg eine Grundvoraussetzung: Der jeweils Geehrte ist verstorben oder zumindest uralt und scheintot. Das Grundkonzept der Choreo ist also nicht gerade sehr überzeugend. Mal ganz davon ab: Wie wäre es mal mit einer positiven Message für die eigene Mannschaft? Wenn eure Größe denn so in Stein gemeißelt ist, warum dann immer an der kleinen Zecke abarbeiten?

Das man dann noch an der Rechtschreibung verzweifeifelte* und auch die Ausführung sehr schief und krumm war, setzte dem ganzen dann noch die Krone auf.

*in diesem Internet wird behauptet, dass die Schreibweise Absicht gewesen sei und durch zwei Punkte das “eif” (für Eifersucht) abgetrennt sei. Wir geben das jetzt so mal weiter und mit gutem Willen mögen da auch zwei Punkte erahnen zu sein. Ob das so stimmt? Die „Fanbetreuung“ des Lokalrivalens behauptet via MoPO (!!!) etwas anderes. Nicht unser Problem.

Verzweifeifelt an Lotto

Die Stadionanimation hat Großraumdiscofeeling. Aber das passt in seiner Gesamtheit auch sehr in die Stadt, in der Menschen in ihrer Freizeit sich gerne animieren lassen, im gleichmäßigen Rhythmus zu klatschen und dann Lotto King Karl mitzusingen, der es lustig findet, dass die Lausitz schon fast in Polen liegt. Wir finden das maximal vor dem Hintergrund witzig, dass die deutsche Grenze früher deutlich weiter östlich lag.

Eigentlich wunderten wir uns erst, als wir vermehrt auf Twitter lesen, dass man als FCSP-Fan im Volkspark immer noch antisemitisch, rassistisch, sexistisch beleidigt wird, aber wenn man sich dann doch mal die Hymne in voller Länge zwangsläufig geben muss, erscheint es durchaus folgerichtig bei dieser widerlichen Zelebration ekeliger, kleinbürgerlicher Lokalidentität. Genau das ist Deutschland und ja, das ist auch Hamburg. Daher kann man auf braun-weißer Seite auch gerne mal reflektieren, ob man das Label Hamburg gerne besetzen möchte. Der Volkspark ist ein zehn mal besserer Kristallisationspunkt was diese Stadt ausmacht als das Millerntor. St. Pauli, die Schanze, Wilhelmsburg, die coolen Ecken Altonas, das ist nicht Hamburg allein. Klar, es wäre sehr schön, das Label Hamburg für z.B. die Proteste gegen G20 zu besetzen, aber die Mehrheit hier geht lieber Sparkassen putzen oder Lotto mitsingen.

Verzweifeifelt auf dem Platz

Ja Fußball war auch und wirklich viel passiert ist nicht auf dem Platz. Daher sparen wir uns das beinah vollständig. Wen das interessiert, der sei an den Millernton Blogeintrag verwiesen, Verlinkung am Ende des Textes.

Wenn Cenk in der 92. Minute nicht den Kunstschuss versucht, sondern quer zu Neudecker legt, dann hätte das noch mal sehr interessant werden können, aber sonst gab es auf beiden Seiten nicht DIE Chance um das Spiel zu entscheiden.

Wichtig dabei: In Liga 2 ist der Gast nicht für Entertainment und schönen Fußball zuständig. Wir sind also sehr zufrieden.

Verzweifeifelt im Abgang

Hin ging es wie zurück, man war guten Mutes, es war ein langer Spaziergang, passiert ist nix mehr.

Und bevor sich die Hamburger Polizei was von „aufgegangenem Konzept“ und „Abgeschreckt“ in die Tasche lügt: Dies lag auch am meisten daran, dass niemand irgendwas an diesem Tag geplant hatte oder durchführen wollte. Siehe auch diverse Videos in denen der FCSP-Mob null auf irgendwelche pöbelnden Rauten eingeht.

Letztendlich

Sind wir weiterhin Stadtmeister. Wir sehen uns beim Rückspiel. An dieser Stelle auch noch mal ein Dank an unsere Bezugsgruppe, in der wir uns für alle Fälle zusammen gefunden hatten. Hat alles super geklappt und war angenehm. Danke!

Es verzweifeifelten noch…

… der Millernton am Spiel

… der Kiezkieker am Älterwerden (großartiger Text, absolute Leseempfehlung)

Ian Joy ist immer noch voll dabei. Herzchenaugen bei uns:

3 Kommentare

  1. […] – Magischer FC: „Wie kann man nur so verzweifeifelt sein?“ – Spiegel Online: „Hamburg bleibt Braun-Weiß“ (liest sich übrigens noch […]

  2. Simon Simon

    Ja, wer hat denn das Derby hochgeschrieben ? (kopfschüttel)

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