oder
Ein Spieltag mit dem Wetter, das er verdient
93. Minute, Ecke für Braun-Weiß beim Stand von 0:1. Überzahl haben wir schon seit einer halben Stunde, aber sollte da nicht ein Torwart mit nach vorn? Alle Möglichkeiten ausschöpfen, wo es nichts mehr zu verlieren gibt? Die Lage ist schließlich bitterernst!
Doch er tut’s nicht. Und das ist jetzt kein individueller Himmelmann-Bash, es steht vielmehr sinnbildlich für eine Mannschaft, die den Ernst der Lage nicht zu erkennen scheint. Dabei ist nun echt gar nichts mehr lustig. Nachdem uns auch noch Düsseldorf den Bärendienst erwies, gegen Heidenheim zu verkacken, stehen wir tatsächlich auf dem verdammten Relegationsplatz. Ja, diese Saison in der Zweiten Bundesliga ist vollkommen absurd, was sich schon daran zeigt, dass der FCSP Platz 15 der Hinrundentabelle, in der Rückrundentabelle Platz 13, in der Gesamttabelle nun aber Platz 16 belegt. Aber dieses höllisch enge Feld in Liga 2 kann keine Ausrede/Erklärung/Versicherung für den gegenwärtigen Zustand sein.
Zugegeben gefällt uns an diesem Spiel auch erst mal einiges besser als bei etlichen vorherigen Auftritten. Ein neues System mit Fünferkette (das leider ein bisschen an der Zugkraft auf den Außen krankt), Schneider statt Bouhaddouz und eine überzeugende Körpersprache in der ersten Phase, knapp eine Halbzeit ungefähr. Ballkontrolle scheint unserem bescheidenen Blick nach auch etwas besser zu funktionieren. Wie so oft kommt es aber wieder zu dem, was in der Zweiten Bundesliga so typisch ist: Die Mannschaft, die das Spiel zu machen versucht, unterliegt. Und wir dürfen uns wirklich nicht beklagen, gab’s schließlich noch zwei Aluminiumtreffer für Union.
„Sieg! Sieg! Sieg!“ Iiih!
Wir finden es noch immer von ausgesuchter Hässlichkeit, wenn ein Fanblock dieses Wort für sich allein skandiert. Union und der FCSP, wir werden im Großen und Ganzen keine Freunde mehr. Zwar halten sich die tatsächlichen Negativerlebnisse mit den Köpenicker Fans in Grenzen und wir machen nach Abpfiff vor dem Wirtshaus zum Totenkopf noch Bekanntschaft mit einem offensichtlich ganz freundlichen Exemplar, aber mehr ist da auch nicht. Wer im Block so unappetitlich mit Frakturschrift-Bannern und erwähntem „SIEG!“-Gebrüll herumdeutscht, verdient sich unsere Sympathien nicht.
It may be one of us in Hamburg, but @FCStPauliNYC helped fill in! #fcspinternational pic.twitter.com/wqIMSAEXWd
— FC St Pauli Buffalo (@FCStPauliBuf) April 14, 2018
Angenehmere Gesellschaft kommt dagegen von jenseits des großen Teichs. Wir lernen E. von FC St Pauli Buffalo kennen – folgt den Dudes mal, da freuen sie sich! Bemerkenswert, wie viel Kenntnis die Loide in entfernten Winkeln der Welt manchmal von unserem Club haben – und immer wieder wundervoll zu sehen, wie viel es ihnen bedeutet, mal wirklich sich den lang gehegten Traum zu erfüllen und es zu einem FCSP-Spiel zu schaffen. Wie leid es uns nur tut, dass es so ausgehen musste! E. juckt das weniger, aber in einer Sache sind wir uns dann einig …
Von sportlicher und gesellschaftlicher Relevanz
Der FC St. Pauli ist für die meisten mehr als nur ein (mittelmäßiger) Zweitligaclub. Das steht außer Frage. Wir brauchen es euch sicher nicht zu erklären, was damit gemeint ist. Viele Dinge sind am Millerntor wichtiger als der eigentliche Fußball, das ist auch richtig und wichtig so.
Allerdings – auch auf die Gefahr hin, wie schlimme Menschen zu klingen: Je heißer beim Fußball der Baum brennt, desto mehr gerät unsere gesellschaftspolitische Bedeutung als FCSP in Gefahr. Denn die Strahlkraft, die wir derzeit haben, würde bei einem sportlichen Absturz geringer werden. Denkt an Babelsberg, denkt an Roter Stern Leipzig – großartig, was bei diesen Vereinen geleistet wird. Aber so wie der FC St. Pauli werden diese Vereine nicht oder nur in Ausnahmen wirklich viele Menschen erreichen. Und das kann uns auch blühen, wenn es mal sang- und klanglos in Liga 3 runter gehen sollte.
Wir können es nicht mit letzter Bestimmtheit sagen, da wir die Arbeit hinter verschlossenen Türen im Verein natürlich nicht sehen – aber: Es ist kein sportliches Konzept, kein Weitblick erkennbar. Womöglich ist in den vergangenen Jahren der Fokus auf die wesentlichen Kernkompetenzen eines Fußballclubs etwas zu sehr flöten gegangen. Vielleicht fehlt es an den entscheidenden Stellen einfach an Expertise?
Versteht uns bitte nicht falsch. All das darf nicht heißen, dass die politische Haltung, Aktionen und Projekte vernachlässigt werden könnten! Nur müssen wir uns vielleicht noch mal bewusster werden, wie wichtig es ist, keinen sportlichen Bedeutungsverlust zu erleiden – von Arbeitsplätzen rund um den Verein mal ganz abgesehen. Mit anderen Worten: Wenn die Fahnenstange, das Rückgrat, zerbricht, wird es viel schwerer, die Botschaft auf dem Tuch weit sichtbar zu machen.