Kiel? Derby?
Liebe Lesende, heutzutage wird ja jedes Spiel mit weniger als 400 Kilometern zwischen den Städten zu einem brisanten Derby hochgeschrieben. Aber seien wir ehrlich: Das ist harter Bullshit. Viel mehr als zwei wirkliche Rivalen kann auch der aufgeregteste Fußballfan nicht haben. Und für den FCSP ist Kiel keiner von diesen beiden. Wäre es anders, dann müssten wir unser Rivalometer mal ein bisschen neu justieren. Das wäre dann ähnlich lächerlich wie die Nürnberger mit ihrer Antifürth-Nummer. Es ist einfach lachhaft, sich einen Verein mit einer mikroskopischen Fanszene auszusuchen und ihn als Rivalen zu betrachten. Sollen wir dann am Ende Altona durch die Stadt jagen?
Und selbst wenn nun einige Kieler meinen, dies sei nun ihr Rivale, wo sie nicht mehr wirklich gegen Lübeck spielen, dann muss man doch mal anmerken, dass es dem Baum ziemlich egal ist, wenn der Eber sich an ihm reibt.
Insofern wirken jedoch auch „Es geht auch gemeinsam“-Plakate auf der Haupt etwas übertrieben.
Es gilt dieses Mal ein Verbot von Gästefarben auf den Tribünen. Wir werden davon kein uneingeschränkter Freund. Erstmal basiert das immer auf Argumentationsketten, die eine schlechte Erfahrung in ein pauschales Vorurteil gegen alle Gästefans erweitern, was wir alle in jedem anderen Bereich des Lebens sofort für problematisch halten würden. Und es war gerade der FCSP, der das Argument „aber das ist hier doch Fußball, da ist alles anders“ als nicht valide entlarvt hat. Dann ist es auch so, dass Monokulturen immer auch Vorurteile und „sich nicht benehmen können“ verstärken. Wir alle erfahren Filterblasen und wissen, dass diese nicht gut sind für unsere Wahrnehmung der Welt. Das ist hier die Schaffung einer weiteren Filterblase.
Wir sind aber auch nicht blind und blöd, wir wissen auch, dass es genügend Trottel gegeben hat, die sich nicht benehmen können (und zwar leider auch auf FCSP-Seite!). Aber es nun als „gute Lösung“ abzufeiern, verbietet sich. Notwendige Lösung vielleicht, gute, zu begrüßende, dauerhafte Lösung? Nein!
Das angekündigte Einsingen und der Marsch der Kieler entspricht auch nicht gerade dem, was man sich unter klassischer Derby-Stimmung vorgestellt. Klar, vorne hat sich ein ein harter Kern versammelt, der die vorher angekündigten Rache vielleicht in die Tat umsetzen will, aber kurz dahinter wird es dann schnell sehr dünn und nebem den Familienvater mit seinem zwölfjährigen Sohn stehen die entspannten Fußball-Touristen, die eigentlich nur ihr Bier trinken wollen.
Folgerichtig bleibt es daher bei den altbekannten Schmähgesängen, gerne kombiniert mit sexistischen Diffamierungen des an der Seite stehenden, halb belustigt halb enttäuscht wirkenden Ultra-nahen Klientel des FCSP. Fast schon interessanter ist da die Einsatztaktik der Polizei Hamburg, die einmal mehr ihr gesamtes Arsenal auf der Reeperbahn präsentieren darf: Wasserwerfer (bei Minusgraden), Reiterstaffel, Räumpanzer (Räumpanzer! Als ob Kiel anfinge, Barrikaden zu bauen und den halben Stadtteil zu besetzen!) und so weiter. Übrigens nicht nur im Viertel. Auch der Hauptbahnhof sieht phasenweise so auf, als wäre Rostock zu Gast und nicht Kiel.
Lobend sollte aber erwähnt werden, dass sie den gesamten Gästeblock bis auf den letzten Platz voll bekommen. Das schaffen andere Vereine aus der Nähe nicht. Klar, ist es das erste Mal in der zweiten Liga und ob das noch der Fall ist, wenn man hier das vierte Mal aufläuft und es ein Montagsspiel ist, sei mal dahin gestellt, aber das war schon okay.
Stay rude, stay rebel
Zwar spekulierten die Fachblätter vor dem Spiel darüber, ob nun irgendwelche geklauten Fahnen präsentiert würden, aber das ist schon angesichts diverser Umstände und diverser Veränderungen zwischen Hin- und Rückspiel nicht zu erwarten. Und passiert dann auch nicht.
Vielmehr zeigt die Süd eine wunderschöne Kifferchoreo (nein, lieber Jan von Aken, Kurdistan wird da eher keine Rolle gespielt haben (auch wenn das gerne gesehen werden würde!)), die auch mit entsprechendem Rauch untermalt ist. Was wirklich zu vereinzelten Pfiffen im Rund führt. Mal ganz ehrlich: Bei St. Pauli rumstehen und eine „Stay rude, stay rebel“-Choreo auszupfeiffen, ist irgendwie so geil wie eine Wohnung in einem „jungen, lebendigen Szeneviertel“ zu kaufen, um dann Kneipen wegen Ruhestörung anzuzeigen.
Kifferchoreos ohne dass Eintracht Frankfurt der Gegner ist, zeigt insbesondere eines: Wir müssen mal wieder gegen die spielen.
Wir wollen gar nicht erneut in die Diskussion um Pyro einsteigen, aber es ist eben doch ein gewaltiger Unterschied, ob man Silvesterraketen gegen ein Dach ballert und Böller unkontrolliert in eine Menge schmeisst, oder ob man ein bisschen Rauch an Stangen kontrolliert zündet. Auch in dieser Schwarz-Weiß-Debatte helfen ab und zumal Grautöne.
Eher kein guter Support
Ansonsten zeigt sich auf den Rängen eher unterster Durchschnitt. Natürlich ist es kalt, unangenehm und nicht gerade Sangeswetter, aber dass am Ende das ironische „Scheiß St. Pauli“ einer der lautesten Gesänge ist , ist schon ein bisschen bitter. Obwohl das an sich schon seine Richtigkeit hat und die Kieler ja auch mit ordentlich verdutzten Gesichtern zurück lässt. Ironie kann ein scharfes Schwert sein.
Was auch noch nervt: Es ist seit Stephan Hanke (die Älteren werden sich erinnern, der spielte um 1995 beim FCSP, war eher der robusten Natur und weniger ein feiner Techniker und wurde an einem gebrauchten Tag übelst beschimpft von Zuschauern, was dann zu einer Flugblattaktion führte) zu Recht am Millerntor verpönt einzelne Spieler raus zu picken und ständig über sie zu meckern. Klar kann man mal seiner Unzufriedenheit Luft machen, aber doch nicht bitte jedes Spiel der gleiche Spieler, egal was der nun gerade macht. Wir wissen auch nicht, warum es bei unseren beiden Stürmern nicht so läuft, wie sie und wir alle uns das vorgestellt haben. Aber nun eine Dauerunmut zu zeigen, ist irgendwie auch nicht der Weg. Und ja, wir fassen uns da auch an die eigene Nase.
Kiel hat eine unfassbare Qualität
Seien wir mal ganz ehrlich in unserem schleimigen Herzen: Wenn Kiel uns an diesem Tag ein 4-1 einschenkt, dann können wir uns nicht beschweren. Für einen Aufsteiger spielen die einen sehr ansehnlichen Fußball. Und dazu noch offensiv ausgerichtet, was in der zweiten Liga ja nun eher ein Seltenheitswert hat.
In der ersten Halbzeit sind die hoch überlegen, lassen unseren Abwehrverbund mehrfach richtig schlecht aussehen und auch in der zweiten Halbzeit haben sie ihre Chancen. Aber wie üblich im Fußball rächt es sich, wenn man die Chancen liegen lässt, und so kommen wir in Halbzeit Zwo mit zwei Schüssen auf das Tor zu zwei Treffern und gewinnen das Ding. Was dann wieder irgendwie typisches Millerntor-Feeling ist.
Nicht möglich wäre dies ohne Neudecker. Der Junge hat einen Sahnetag, macht zwei Tore selber, erklärt dann der Bank, dass er nicht ausgewechselt werden will, und schnalzt dann noch eine Ecke genau auf den Kopf von Avevor, der den Ball durch die Hosenträger des Kieler Torhüters versenkt.
Der Rest ist Jubel
Wir dürfen ja wohl mal träumen, oder?
Auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, dass bei uns noch was nach oben (oder nach unten) geht, haben wir da so eine Traumvorstellung:
Wir kommen in die Relegation. Die Jungs aus dem Volkspark auch. Schnecke hat seine Rente bereits angekündigt, aber muss im Rückspiel auf den Acker, weil ganz viele verletzt sind. Nach einem epischen Kampfspiel fehlt uns in der Nachspielzeit noch ein Tor für den Stadtligawechsel und das Unglaubliche. Noch einmal Ecke, der Ball wird abgewehrt, Schnecke nimmt aus 25 Metern Maß und lötet das Ding in den Winkel. Tor! Der Schiedsrichter pfeift nicht mehr an.
Wer stimmt danach in der JHV gegen die Bronzeschnecke auf dem Südvorplatz?
Kämpfen Pauliane!
In Twitterkreisen gibt es einen sehr lieben Menschen, der auch uns mit seiner Herzlichkeit und Offenheit immer wieder imponiert und inspiriert hat. Nun ist bei @diepauliane Krebs festgestellt worden. Daher an dieser Stelle: wir sind bei dir. Stay rude, Stay rebel, Stay strong
Die Pfiffe auf die Spruchbänder zu beziehen ist allerdings auch unfair. Die gelten ja nicht den Sprüchen, sondern dem Pyro. Da hätte auch „Freie Liebe für alle“ oder „Freibier in der Halbzeitpause“ stehen können. Das hätte keinen Einfluss auf die Pfiffe gehabt.
Ich habe auch das Gefühl, das Pyro schon einen direkten Einfluss hat, zumindest, was die Wechselgesänge mit der Süd angeht. Zwischen Nord und GG gabs einiges, Rufe von der Süd wurden größtenteils ignoriert.
Das Ganze von mir jetzt übrigens völlig Wertfrei, was Pyro angeht, sondern schlicht eine Beobachtung, die ich schon des Öfteren gemacht habe. Eine einhellige Meinung, was Pyro angeht werden wir nie erleben.
Du spaltest da was auf, was nicht aufzuspalten ist. Die Choreografie ist ein Gesamtwerk und ohne Pyro ist sie so wenig wert, wie immer „Alerta“ im Stadion zu brüllen ohne auf Gegendemos zu gehen. Ohne Pyro wird sie zur leeren Hülle, zum Rebellentum der Werbung. Nein, sorry das kann man nicht trennen.
Aber @ole klar du gibst das als Beobachtung wieder. Nicht das wir uns da falsch verstehen.
So geil die Rauchtopfpyro aussah (auch „from the inside“), so schwer war sie zu atmen. Links und rechts in unmittelbarer Nähe je mind. ein Topf und kaum Luftzirkulation, kann auch einem Nicht-Asthmatiker unter Umständen krasse Probleme bereiten. Weniger ist mehr, wäre gestern echt schön gewesen. Aber Liebe ohne Leiden hat noch niemand gesehen. Hab ich mal irgendwo gehört.