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Hinter feindlichen Linien

Freitagnachmittag. Eine unscheinbare Nachricht auf dem Telefon reißt unsereins aus der Betriebsamkeit, die dem Wochenende vorausgeht: „Willst du morgen mit zum HSV-Spiel? Hab ’ne Dauerkarte über.“

Hm. Hm! HMMM!

„Stark. Mach ich!“

So schnell kann’s gehen. Warum tue ich das, fragt man sich, handelt es sich bei der angebotenen Platz doch um einen Stehplatz auf der Nordtribüne … Schlimmstes Feindesland oder nicht!? Nun, selbst bei unserem ärgsten Rivalen gibt es bekanntlich anständige Menschen und D., der mir die Karte anbietet, ist in jedem Fall einer davon. Schon vor einiger Zeit hatte ich mich gefragt, wie es sich wohl anfühlen möge, mit einem guten Menschen ein Spiel seines (falschen) Vereins zu besuchen. Sollte ich also schneller als erwartet Gelegenheit dazu erhalten.

Die Gedanken rattern noch am Freitag wie verrückt: „Hilfe, wie soll ich Lästermaul das körperlich unversehrt überstehen? Wie groß wird der Fremdschamfaktor, das Unwohlsein, das innerliche Zusammenzucken bei blöden Bemerkungen im Block werden? Ich muss meine Klamotten peinlich genau auswählen, damit mich ja nichts verrät. Bloß nicht zu viel trinken und mich verplappern!“

Es soll alles längst nicht so wild werden

Nachdem ich sämtliche Aufkleber und den FCSP-Mitgliedsausweis aus meinen Taschen ausgepackt und sicher zu Hause verwahrt habe, geht es auf den Weg nach St. Elllingen – relativ spät für unsere Verhältnisse. In der Bahn unter lauter Schwarzweißblauen noch den Liveticker vom Ingolstadt-Spiel zu Ende zu checken, kommt mir schon fast gefährlich vor. Andererseits: Bei uns interessiert man sich auch zuweilen, wie denn die Rauten gerade spielen. Blöd macht mich keiner an, ich bin ja auch unauffällig. Hingegen tragen die ruhmreichen Erstligisten natürlich viel Farbe, man kennt das ja von unfreiwilligen Begegnungen. Mir springt ins Auge, wie oft so ein HSV-Schal wie ein Fremdkörper bei einem Outfit mit Anorak oder Mantel wirkt. Bei uns scheint mir das FCSP-Merchandise bei den Fans meist besser ins Bekleidungskonzept integriert. Aber wir sind ja auch die Modemarke mit der Fußballabteilung.

Ich treffe D. in Eidelstedt und frage ihn, ob man nicht früher im Block sein müsste, ob das nicht gleich sehr eng wird. Er winkt ab, man komme schon immer noch hinein, so seine Erfahrung. Zügig leeren wir noch zwei Biere auf dem Fußweg (niemand mag Shuttlebusse) und stellen uns dann schon an. Stellingen selbst ist nach wie vor hässlich wie die Nacht, aber ein bisschen Leben brummt rund um den Spieltag schon in der Gegend.

MagischerFC Hinter feindlichen Linien Februar 2018
Hermann kann einem fast leidtun

Die Ordner freundlich, der Einlass unkompliziert: Wir sind also drin. D. geht vor, als wir uns in Block 23/24a schieben. Die Schüssel ist ungemütlich und ziemlich leer, die Stehplätze wirken noch vergleichsweise gut gefüllt. Dort am Rande vorm Zaun haben wir allerdings so viel Platz, dass man auch jede Menge Leitern mit ins Stadion nehmen könnte. (Die Älteren werden verstehen, was gemeint ist.)

Tatsächlich hört man neben vielen anderen „Perlen“ auch kurz Mozart-Songs im Vorprogramm. Textsicher von FCSP-Auswärtsfahrten schmettere ich hier ironisch mit. SCHALALALAHAESVAU. Was sind wir postmodern, haha. Ach herrje, gleich wird ja LKK singen. Nur die Lippen bewegen wie Nationalspieler bei der Hymne? Ich halte lieber ganz die Fresse. Für Fangesänge habe ich mir bereits eine Ausweichstrategie überlegt: HA-SEL-MAUS mit leicht verschluckten S-Lauten, das klingt ähnlich wie HSV und ich muss nichts Falsches singen. Fresse halten funktioniert allerdings auch durchgehend, kein Problem für die Umstehenden.

Scheiß St. Pauli! Scheiß St. Pauli!

Ohnehin hat mich D. einem Mitsteher gegenüber gerade (leise) als „Hardcore-Fan eines anderen Hamburger Vereines“ geoutet und ein kurzer „Altona“-Witz meinerseits erfüllt seine Wirkung nicht. Naja, D. hat auch Interesse an meiner körperlichen Unversehrtheit und so, denke ich, wird mir das nicht zum Verhängnis werden. Die meisten haben es eh nicht mitbekommen. Zusammenhanglose „Scheiß St. Pauli“-Rufe wird es dennoch zu hören geben. Ich bin versucht, einzusteigen. Würde aber keiner verrstehen.

Ja und dann halt Fußball und das stellt mich vor das nächste Problem: Hämisch lachen, wenn Leverkusen ein Tor erzielt? Nay, nay, when in Rome, do as the Romans do. Ein bisschen Respekt muss als Gast schon sein. In der 40. Minute ist es dann so weit und ich schweige einfach, wie es die meisten Rauten um mich herum auch tun. Aufbäumende Fangesänge hört man erst mal nicht. Da ist eher Resignation zu spüren.

Wir gehen zwischenzeitlich mal Bier holen. Huch, schon zu weit gelaufen? Doch, da sind die Treppen, die allerdings kein Mensch frei hält. „Ja, das haben die mal versucht, ist aber kläglich gescheitert.“ Kein Wunder, dass es im Block so locker bleibt, wenn die Fans einfach auch auf den Auf- und Abgängen stehen. Naja, soll nicht meine Sorge sein, ich werde hier niemanden belehren.

Den Beginn der zweiten Halbzeit verpassen wir und damit auch das 0:2. Gehört hat man davon im Umlauf nullkommanull. Wovon wir auch nichts mitbekommen, ist das vielkritisierte Transparent. Sieht man einfach nicht im Block.

Mit dem Anschlusstreffer (Yay, Scooter!) bäumen sich Nordtribüne und Stadion dann auch mal auf. Man steht sogar von seinen bequemen Sitzen auf für den HSV. Tatsächlich kriegen die Rothosen nun den einen oder anderen Spielzug hin, aber das kommt zu spät. Mir soll’s recht sein, für D. tut’s mir etwas leid. Das Gift, das viele junge Testosteronbolzen im Block bei Abpfiff versprühen, bekommen wir nur noch im Rausgehen mit. Die lauten Pfiffe richten sich jetzt wohl nicht – wie zum Ende von Halbzeit 1 – gegen die eigenen Spieler, sondern entweder gegen die Cops unten vorm Block oder die eigenen Öddel, die kurz vorm Platzsturm stehen. Wir nehmen nur erstere wahr.

D. ist zumindest nicht sonderlich geknickt und wir schlendern zur S-Bahn. Die Spieler haben sich sicherlich nicht schlechter verkauft als in anderen Spielen und gegen Leverkusen „darfst“ du als HSV verlieren. Wie düster das jetzt aussieht, wir sprechen nicht darüber. Nicht meine Sorge. Oder? Spannend wird es definitiv werden, sollte der Hamburger Sportverein tatsächlich absteigen. Kühne macht die Düse, Durchmarsch in tiefere Ligen statt direkter Wiederaufstieg, Lizenzprobleme usw., da sind einige seltsame Szenarien denkbar. Wir werden es erfahren.

Was noch so war

Eine besondere Befürchtung meinerseits war, dass mir im Falle diskriminierender Sprüche im Block das Messer in der Tasche aufgehen würde, auch wenn ich schätze, dass D. so etwas auch nicht unkommentiert lassen dürfte. Nun, das Schlimmste in dieser Hinsicht ist „Hurensohn“ als Beleidigung. Nicht cool, keine Frage, aber da hätte ich ehrlich gesagt mit Schlimmerem gerechnet.

Fazit? Jo, da liegen schon noch Welten zwischen unseren Vereinen. Und das darf auch gern so bleiben. Den meisten dürfte das bekannt sein, auch Meinereiner war nicht zum ersten Mal im Volksparkstadion. Allerdings ist – so dieser schlaglichtartige Einblick – auch nicht alles immer zu 100 Prozent eine Vollkatastrophe beim HSV. Nicht einmal in dieser schwierigen Situation.

Ob ich noch mal hingehen würde auf die Nordtribüne? Nicht zwingend. Vorher ist in jedem Fall der direkte Gegenbesuch von D. fällig. Seid dann bitte nett zu ihm, der wird sich zu benehmen wissen.

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