Wir hoffen, ihr alle kennt „1910 e.V.“ beziehungsweise das FCSP-Museum im Aufbau. Erneut haben die ehrenamtlichen fleißigen VereinshistorikerInnen eine umfangreiche Ausstellung in der Museumsfläche in der Gegengerade unseres Stadions auf die Beine gestellt. Name und Programm: Fußball in Trümmern. FC St. Pauli im „Dritten Reich“. Wir nahmen die Ausstellung in Augenschein und sprechen hiermit eine dringende Besuchsempfehlung aus. Holen wir euch mal ins Boot.
Von heute nach gestern und wieder zurück
Der FC St. Pauli ist heutzutage – das kann man wohl ohne falsche Bescheidenheit sagen – ein international bekanntes Symbol für antifaschistische Fußballkultur. Auf dieser Grundlage beginnen auch die Menschen vom 1910 e.V. ihr Ausstellungskonzept. Dass dieser Erfolg aus einem seit den späten 1980ern bis heute anhaltendem Prozess entspringt, bildet den Beginn der Erzählung und verknüpft sie mit Blick auf die jüngsten politischen Entwicklungen mit der Verantwortung des Einzelnen.
Die direkte politische Ansprache der BesucherInnen ist für historische Museen unüblich, verstehen sie in der Regel ihre Arbeit doch eher als Schaffung einer Verständnisgrundlage für gegenwärtige Politik. Aber ist sie ist dennoch zwingend sympathisch, spiegelt sich in dem eindeutig antifaschistischen Narrativ doch auch das eben angesprochene Selbstverständnis.
Dass die Ausstellung somit nicht streng chronologisch aufgebaut ist, empfinden wir als gute Idee. Schließlich wird (auch unter FachhistorikerInnen) gemeinhin angenommen, dass die Frage nach (politischer) Orientierung in der Gegenwart die Grundlage für Fragen an die Geschichte darstellt. Reiner Selbstzweck ist so eine Beleuchtung historischer Ereignisse und Prozesse schließlich nie.
Im Abschnitt nach der Eröffnung der Ausstellung erfolgt ein radikaler Bruch. Eine Art Panorama zeigt das Heiligengeistfeld im zerbombtem Zustand 1945. Danach wird die Gründungsgeschichte des Vereins kurz skizziert. Dabei wird darauf hingewiesen, dass trotz des sozio-ökonomischen Umfeld St. Paulis als Arbeiterviertel die Wurzeln des FCSP in der rechtsnationalen Turnerbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts liegen. So könnte man für den weiteren Verlauf annehmen, dass sich Verein und Stadtteil in einem Spannungsfeld zwischen Zustimmung und – vorsichtig formuliert – einer gewissen Distanz zur nationalsozialistischen Führung bewegen.
Schurken und Helden?
Die sieben Biographien, die die Grundlage für die Ausstellung bilden, erzählen allerdings eine ganz andere Geschichte. Es ist eine Geschichte, die weder finsterste Schurken (wobei Otto Wolff als Gauwirtschaftsberater und „Arisierer“ schon definitiv Täter war), weniger allerdings noch strahlende Helden kennt. Es ist eine Geschichte von ganz normalem Menschen, die sich in einem abscheulichen System zu arrangierten wissen und in erschreckender Banalität Fußball spielten, während in Auschwitz oder Neuengamme die unaussprechlichen Verbrechen begangen wurden und die Wehrmacht nach und nach weitere europäische Länder überfiel.
Ob es die Intention der Verantwortlichen war, wissen wir nicht; aber es ist vermutlich die ganz große Stärke der Ausstellung, die belanglose Alltäglichkeit des Hamburger Fußballs in schockierender Weise mit den Ereignissen auf europäischer oder globaler Ebene in Verbindung zu setzen. So zeigen die Ausstellenden auf, wie sich (nach Hannah Arendt) die Deutschen kollektiv zum Täter machten, indem sie sich mit dem verbrecherischen System privat arrangierten – und vielleicht muss Fußball dabei als ein Medium angesehen werden.
Und deswegen erzählt die Ausstellung nicht nur ein Stück Lokal- oder Vereinsgeschichte, sondern auch nationalsozialistische Alltagsgeschichte und nicht zuletzt die Geschichte der Aufarbeitung, die viel zu spät in Gang gekommen ist und lange wie leider so oft niemanden interessierte.
Beklemmende indirekte Erinnerung
„Fußball in Trümmern“ ist keine ganz fehlerfreie Ausstellung. An Details wollen wir uns aber bestimmt nicht aufreiben, nicht zuletzt, weil so viel unschätzbare ehrenamtliche Arbeit in diesem wertvollen Projekt steckt. Klar: Aufgrund eines überschaubaren Fundus‘ an Exponaten zur Vereins- und Lokalgeschichte im Nationalsozialismus ist „Fußball in Trümmern“ vor allem bild- und textlastig. Zeitweilig denkt man, das würde auch als Bildband funktionieren. Vielleicht hätte es das eine oder andere Foto weniger getan, indes gefallen uns die pointierten und wohl gewählten Texte.
Die Ausstellung kann aber mehr als ein Buch: In manchem Moment werden wir der Beklemmung, die auch die „indirekte Erinnerung“ an den Nationalsozialismus immer wieder auslöst, in den Ausstellungsräumen besonders gewahr. Die Auflösung am Ende, wo die persönlichen Schicksale nach dem Krieg nachzuerleben sind, erinnern an einen Epilog aus einem guten Doku-Drama. Wer die Museumsfläche verlässt, dürfte nur in seltensten Fällen nicht ins Nachdenken kommen – selbst wenn man schon unzählige Male mit dem Themenkomplex Nationalsozialismus in Berührung kam.
„Fußball in Trümmern“ läuft vom 10.11. bis 10.12. täglich von 11-19 Uhr (donnerstags 11-21:30 Uhr). Der Eintritt beträgt 5 Euro Vollzahler bzw. 3 Euro ermäßigt. Nehmt euch mindestens eine Stunde Zeit für die Ausstellung.
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