Es ist nicht immer einfach, in diesen Tagen als Bürger dieser Stadt, als Mensch in diesem Land oder auf der Welt seine Position zu finden, was den G20-Gipfel betrifft. Wir werden an dieser Stelle auch gar nicht versuchen, einen Königsweg aufzuzeigen. Wenn man der Meinung ist, dass die Politik der Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrienationen Moppelkotze ist, aber es für wichtig hält, dass man Lösungen im Gespräch erzielt, dann steht man erneut vor dem Dilemma.
Die wirklich wichtigen Themen der Weltbevölkerung (gerechte Verteilung von Wohlstand, Klimaschutz, fairer Handel, freiheitliche Gesetze und Mitbestimmung in jedem Land) werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf dem Gipfel in Hamburg in keine ernsthaft positive Richtung bewegt werden. Geschweige denn, dass überhaupt etwas Verbindliches bei dem – mit zwei Tagen nicht gerade ausführlichen – Gesabbel herauskommt.
So viel als Vorbemerkung.
Aber die Hände in den Schoß legen wollen wir auch nicht. Und da Unsereiner zwar mit Sichtweite auf die Messehallen wohnt, aber (in weiser Voraussicht? aus Naivität?) von Mittwoch an auf einem Festival das Haar schüttelt und die Gipfeltage hier verpasst, bleibt eigentlich nur der 2. Juli als Tag, um auf die Straße zu gehen. Weder mit der Gefahr, unbeabsichtigt in hitzige Szenen zu geraten, noch Seite an Seite mit sozialdemokratischen Heuchlern, die auf ihrer bürgerlichen Spalter-Demo so tun wollen, als hätten sie mit der schwierigen Lage in der Stadt ach so wenig zu schaffen.
Es wenigstens nicht unversucht lassen
Zugegeben, die regierungsbeteiligten Grünen sind bei der sogenannten G20 Protestwelle auch am Start. Allerdings soll es ja auf dieser Demo tatsächlich um die Inhalte gehen, die man als ganz naiver Mensch gern den Despoten und sonstigen Staats- und Regierungschef diktieren möchte. Wir wollen das wenigstens nicht unversucht lassen, wollen uns sichtbar und hörbar machen und zeigen, dass ein großer Teil der Bevölkerung ganz hippiemäßig andere Vorstellungen von den Themen der Zukunft des Planeten hat als die Mächtigsten der Mächtigen.
So finden wir uns gegen späten Vormittag an diesem Sonntag auf dem Rathausmarkt ein. Mit riesigen Erdballons mahnt der BUND gegen Umweltzerstörung und hunderte bunte Fahnen wehen. Campact verteilt weitere und Redner von Old-School-Gewerkschaftern bis hin zur Anti-Trump-Aktivistin aus New York treten auf. Das ist alles sehr gefällig und geht unserer Auffassung nach in eine gute Richtung. Denn bei so komplexen Themen und umstrittenen Ereignissen wie dem G20-Gipfel halten wir es für wichtig, auf breiter Basis zu zeigen, unter welchen Prämissen man die Welt gestalten möchte. Dass Konzepte wie Solidarität, wie Nachhaltigkeit und wie Gerechtigkeit die Grundlage sein müssen. Das wird hier sehr deutlich.
Kurze Erheiterung als Einschub: Bunte Demos ziehen gern auch mal Spinner an, das sollte bekannt sein. Und so verteilt eine Frau im Rentenalter mit gewittrigem Ernst Flyer, auf denen vor Chemtrails gewarnt wird. CHEMTRAILS! Wir dachten, so was gibt’s nur im Internet. Auf ein „Ach du Scheiße“, was uns entfährt, werden wir gefragt, ob wir etwa nicht daran glauben. „Natürlich nicht“, entgegnen wir wenig schlagfertig. „Dann nicht, dafür ist das zu kostbar“, sagt die Dame und entreißt uns den Flyer wieder. Kannste dir nicht ausdenken.
Planet Earth first
Zurück zum Geschehen. Während ein letzter kurzer, aber kräftiger Schauer niedergeht, setzt sich der Zug in Bewegung. Es sind viele Kinder dabei, was man angesichts für die Allgemeinheit und für die Zukunft wichtigen Themen in unseren Augen okay ist. Mit harter Indoktrination hat das wenig zu tun.
Besonders beeindruckend wird es an der Binnenalster, die voller Boote ist. Es tummeln sich jede Menge Kajaks, ein Windsurfer, ein zweistöckiges Floß und zum Schluss ein riesiger aufblasbarer Schwarzer Block. (Für Erläuterungen, ob das jetzt ironisch war, sind wir dankbar.) Da wird mächtig Lärm gemacht und beispielsweise dem Kohleabbau der Kampf angesagt. Umweltthemen dominieren offenkundig noch vor Dingen wie fairem Handel.

Während sich der Zug an Alster und Planten un Blomen vorbeischiebt, bekommt man allerlei Kreatives zu sehen. Besonders gefällt ein grummeliges Trump-Emoji. Die Stimmung im mehr als 10.000 Menschen umfassenden Zug ist leicht und positiv, alle Altersklassen und viele Bevölkerungsschichten scheinen hier vertreten zu sein. Wir sind zufrieden, denn mit einer solchen Aktion richtet sich das Augenmerk hoffentlich wieder etwas mehr auf die weltpolitischen Themen, um die es gehen muss. Natürlich sind die Grundrechtseinschränkungen in unserer Stadt eine Vollkatastrophe und Verbote-Grote gehört zusammen mit seinen Schergen mit dem erhobenen Grundgesetz aus der Stadt gejagt. Es darf aber nicht passieren, dass wir über solche Aufreger die globalen Probleme aus den Augen verlieren. Danke für die G20 Protestwelle, dass genau das wieder in den Fokus rückte.
