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Was noch zu bedenken ist

„Beim jüngsten britischen Raid über Hitlerland hat das alte Lübeck zu leiden gehabt. Das geht mich an, es ist meine Vaterstadt. Die Angriffe galten dem Hafen, den kriegsindustriellen Anlagen, aber es hat Brände gegeben in der Stadt, und lieb ist es mir nicht, zu denken, daß die Marienkirche, das herrliche Renaissance-Rathaus oder das Haus der Schiffer-Gesellschaft sollten Schaden gelitten haben. Aber ich denke an Coventry – und habe nichts einzuwenden gegen die Lehre, daß alles bezahlt werden muß. Es wird mehr Lübecker geben, mehr Hamburger, Kölner und Düsseldorfer, die dagegen auch nichts einzuwenden haben und, wenn sie das Dröhnen der RAF über ihren Köpfen hören, ihr guten Erfolg wünschen.“
– Thomas Mann am 2. April 1942 in einer Radioansprache (BBC) an die „Deutschen Hörer“

Dass am vergangenen Sonntag USP gegen Dynamo Dresden zwei Tapeten mit der Aufschrift „Schon eure Groszeltern brannten für Dresden – gegen den doitschen Opfermythos!“ gezeigt hat, dürfte gemeinhin bekannt sein. Auch die Reaktionen seitens der Vereine, des DFB und sonstiger Stimmungsmacher à la Bild und Co. sollen im Einzelnen hier nicht mehr zusammengefasst werden. Es geht mir eher darum, die Debatte um meine persönliche Deutung zu bereichern, die sich mehr aus einer historischen Perspektive speist.

Dabei meine ich nicht, die gesamte Forschung zu den Luftangriffen auf Dresden vom 13. bis zum 15. Februar aufzulisten, sondern die Erinnerung an besagte Angriffe als kollektiven Erinnerungsort aufzugreifen und anhand dessen zu erklären, wie diese Aussage funktioniert und warum sie meines Erachtens nicht unangebracht und schon gar nicht menschenverachtend ist, wie der Verein Dynamo Dresden vorschnell formulierte.

Dass die Bombardierung Dresdens ein Kriegsverbrechen sei, in seinen Ausmaßen so verherrend, dass man es von rechter Seite gerne man „allierter Bombenholocaust“ nennt, ist ein historischer Mythos, der sich insbesondere in Sachsen selbst hartnäckig hält und sich durch historische Forschung per se leicht widerlegen ließe. Ja, die Angriffe waren verheerend für die damals sicherlich durchaus ansehnliche Stadt und ja, das Bombardement forderte auch zivile Opfer.

Zivile Opfer sind mit Sicherheit kein herausragendes Indiz auf einen gesellschaftlichen Idealzustand, aber – und das sollte nie vergessen werden – befindet sich Deutschland im Februar 1945 im Krieg und hält verbittert gegen die Allierten an. In diesem Krieg werden auch andere deutsche Städte beschädigt, teilweise in noch schlimmeren Ausmaßen als in Dresden; als Beispiele seien hier nur kurz Köln oder Berlin genannt. Auch Lübeck erleidet massive Schäden und diverse hoch- und spätmittelalterliche Kunstwerke von unschätzbaren Wert gehen für immer verloren, wie es auch Thomas Mann in der oben angeführten Radioansprache bemerkt. Und auch ihm wird klar gewesen sein, dass die Angriffe der RAF zivile Opfer forderte.

Wie kommt es also, dass Thomas Mann (dem man übrigens wirklich nicht vorwerfen kann, dass er ein anti-deutscher Post-Autonomer sei, als die sich Teile von USP ja durchaus verstehen werden) 1942 die Bombardierung seiner Heimatstadt gutheißen kann, während Dresden sich damit noch im Jahre 2017 schwertut? Was unterscheidet das Gedenken in Dresden von dem im Berlin, Köln oder Lübeck?

Während „im Westen“ die deutsche Gesellschaft sukzessive durch die Herausforderungen der 68er und verschiedener antifaschistischer Akteure und Gruppen zur Selbstreflexion angeregt und dies in Teilen aufgenommen und verarbeitet wurde, sieht die Erinnerungskultur der DDR an den Februar 1945 deutlich anders aus. Dresden, nun ohnehin an den Rand sowohl des späteren Gesamtdeutschlands als auch der DDR gedrängt und fortan gerne auch als „Tal der Ahunngslosen“ bezeichnet, bekommt nun die pseudo-sozialistische Deutung ganz im veränderten Weltbild des Kalten Krieges aufgedrückt, die sich von der nationalsozialistischen Interpretation der Attacken kaum unterscheidet. Die Motive der Westallierten sind in der DDR-Propaganda wesensverwandt mit dem Nationalsozialismus (Hier liegt übrigens bereits die Wurzel des rechten Neologismus „Bombenholocaust“.), der Angriff zielte primär auf die reine Zerstörung ab und sei durch niedere, barbarische Eigenschaften des neuen Klassenfeindes zu erklären, der nun alles, aber garantiert kein Befreier mehr war. Das autoritäre Gesellschaftssystem ließ keine weiteren Deutungsoptionen zu und so trat eine Pluralisierung der Narrative erst stark verspätet nach 1990 und der Eingliederung der DDR in die BRD ein.

Doch auch unter den veränderten politischen und sozialen Verhältnissen halten sich die Narrative des unschuldigen Dresdens und den „moralisch verwerflichen“ allierten Bombern bis heute. Sicherlich wird es Sachsen in dieser Hinsicht nicht gut getan haben, seit 1990 durchgehend von einem der rechtesten deutschen CDU-Landesverbände regiert zu werden. Wie diese neue Gedenkkultur aussieht hat, Jennifer Stange 2013 in der Jungle World eindrucksvoll beschrieben:

„Man nennt es dort oral history, wenn an unterschiedlichen Orten wieder die Märchen von alliierten Tieffliegern auf »Menschenjagd« über den Elbwiesen verbreitet werden, wenn vom angeblich »systematischen Beschuss« der Dresdner Bevölkerung und vom vermeintlichen Einsatz von Phosphorbomben berichtet wird. Das sind neben Schummeleien bei den Opferzahlen die Kernelemente des Dresdner Opfermythos, für deren Existenz selbst eine von der Stadt handverlesene Historikerkommission keinerlei Belege finden konnte. Das macht aber nichts, denn die »Erinnerungen an das Inferno vor 68 Jahren« bleiben, eingebettet in das Gerede von Versöhnung, Wiedergutmachung, Toleranz, Frieden, Demokratie und der Ächtung von Gewalt. Damit ist der Stadt etwas gelungen, das Tausende pöbelnde Nazis nicht erreichen konnten: Die Verdrängung der Schuldfrage und die schrittweise Enteignung der Opfer des Nationalsozialismus, deren Leid mit den Schreckensgeschichten über das Leid der Deutschen verglichen beziehungsweise gleichgestellt wird.“

Und auch nun im Jahre 2017 – dem Jahr der USP-Tapete – gedenken die sächsichen Landesverbände der CDU und SPD der Bombardierung auf Veranstaltungen, auf denen auch NPD-Mitglieder und Holocaustleugner gesehen wurden. Diese sächische hegemionale Gedächtniskultur treibt selbstverständlich auch Blüten wie Pegida (übrigens in erster Linie ein sächisches Phänomen) und die alljährlichen neurechten Demonstrationen, sondern sie motiviert auch „Historiker“ wie Björn Höcke, die alten NS- und DDR-Narrative nochmal aufzuwärmen und sich die Befreiung des Gedenkens an die deutsche Schuld sowie eine nationale Wiedergeburt frei von derartigen Gefühlen herbeizusehnen.

Dieser Revisionismus ist nicht nur postfaktisch, er ist brandgefährlich. Er steht ideengeschichtlich in einer Tradition, die Europa zwei Weltkriege und mit dem Holocaust das größte Verbrechen der Menschheit bescherte. Aus der „nationalen Geschichte“ (was auch immer das eigentlich sein soll) die positiven Momente herauszustellen, die Negativen zu negieren oder zu relativieren und sich so ein Kollektiv zu konstruieren, was an ein früheres nationales Selbstverständnis anknüpfen soll, das ist das Denken des 19. und frühen 20. Jahrhundert und nichts Anderes.

Zurück zum Fußball und zur USP-Tapete: Mit den vorhergegangen Ausführungen wollte ich aufzeigen, dass das Bombardement Dresdens 1945 nicht einfach ein feststehendes historisches Faktum ist, sondern den Rang eines kollektiven Erinnerungsortes innehat, dessen Bedeutung immer wieder neu aufgeladen und verhandelt wird. Am Sonntag prallten am Millerntor zwei dieser Auslegungen aufeinander. Es ist weithin bekannt, dass USP bisher nicht gerade durch ein geschlossen rechtsextremes Weltbild aufgefallen wäre, und es ist nun mal leider so, dass am Sonntag in der Dresdner Kurve wahrscheinlich nicht nur wenige Anhänger der Theorie des unschuldigen Dresdens und der bösen Allierten waren. (Nichts liegt mir an dieser Stelle ferner, als Gut-Böse-Dichotomien aufzubauen. Ich weiß auch aufgrund persönlicher Kontakte, dass es eine ganze Menge tolle Leute bei Dynamo gibt, die sich mit Kräften gegen rechte Einflüsse im Verein und der Kurve wehren.) Wie mein Blogger-Kollege schon ansprach, ist es eine gängige Praxis, dass verschiedene Fan-Gruppen sich durch Spruchbänder etc. gegenseitig angreifen. USP könnte nun folgende Intentionen und Meinungen mit der Tapete ausdrücken wollen:

I. „für Dresden“

Wie mein Kollege ebenfalls bereits anmerkte, ist „Wir brennen für xy“ eine geläufige Formel bei Ultra-Gruppen. Dass die Großeltern nicht für die SGD, sondern während der Bombenangriffe brannten, scheint hier insbesondere auch durch den zweiten Teil der Tapete klar zu sein. Ein kleines Detail ist hier möglicherweise aber von herausragender Relevanz: Nämlich die Präposition „für“. Letzlich scheint es semantisch einen entschiedenen Unterschied zu machen, ob man zum Beispiel „in Dresden“ oder „für Dresden“ stirbt. Im Grunde hat es sogar eine lange militaristische Tradition „für Deutschland“, „für die Heimat“ oder eben auch „für die Heimatstadt“ zu sterben. Die Personengruppen, die „in Dresden“ und „für Dresden“ sterben, scheinen also nicht deckungsgleich zu sein. (Hier könnte man jetzt auch weiter diskutieren, ob den Unschuldige, also Zivile, „für Dresden“ sterben.) Wenn man diese Prämisse annimmt, ergibt sich auch eine zweite Deutungsebene.

II. „Schon eure Großeltern“

Schlägt man „schon“ im Duden nach, erhält man dort als Definition u. a.:
„(in Verbindung mit einer Angabe, seit wann etwas existiert, bekannt ist, gemacht wird) betont, dass etwas keine neue Erscheinung, kein neuer Zustand, Vorgang ist, sondern lange zuvor entstanden ist“
oder
„drückt aus, dass eine Erscheinung, ein Ereignis, Vorgang nicht zum ersten Mal stattfindet, sondern zu einem früheren Zeitpunkt in vergleichbarer Weise stattgefunden hat“

„Schon“ bedeutet also auf jeden Fall Kontinuität. Hier zeigt sich meines Erachtens sprachlich, dass eben nicht „LOL, eure Großeltern sind ’45 verbrannt und ihr macht irgendwas mit Fußball“ gemeint sein kann, sondern die Aussage scheint vielmehr auf die Nazi-Großeltern abzuzielen, die tatsächlich für (!) Dresden gestorben sind. Da „schon“ Kontinuität einfordert, glaube ich weiterhin, dass damit nicht pauschal alle Gästefans angesprochen sind, sondern eben jener notorische Teil der SGD-Anhängerschaft, auf die die zweite USP-Tapete abzielte („Seht, dort drüben, wo sie noch mit Pferden den Acker pflügen, – laden sie herzlich zu ihren Märschen und Fackelzügen“). Dieser Teil der wahlweise „gegen die Islamisierung des Abendlandes“ oder die „die Überfremdung der Heimat“ auf die sächischen Straßen geht, bezieht seine ideenpolitischen Ressourcen u. a. aus der felsenfesten Überzeugung, dass Dresden bereits im Februar 1945 massives Unrecht zuteil wurde, welches fremde Mächte angerichtet hätten.

Meine Deutung der Tapete beinhaltet also zwei wesentliche Punkte:

I. Die Erinnerungskultur um Dresden ist hochproblematisch. Ich unterstelle USP einfach mal, dass sie mit der Aufregung gerechnet haben und es so schafften, die Sonderstellung Dresdens im kollektiven Gedächtnis deutlich sichtbar zu machen (Hätte diese Tapete auch so einen Wirbel verursacht, wenn der FC Köln oder Union Berlin die Gäste gewesen wären? Wäre die Assoziation „brennen für Köln“ oder „brennen für Berlin“ so eindeutig mit Bombenangriffen in Verbindung gebracht worden, wie es jetzt mit dem imaginierten Unrecht an Dresden der Fall ist?)

II. Auf semantischer Ebene erkenne ich weniger eine kollektive Beleidigung der Toten im Februar 1945 als vielmehr eine eine Kritik an rechter Kontinuität in Sachsen, die sich in den benannten Fackelzügen und Märschen artikuliert und die Motivation dafür auch aus dem Unrecht gegenüber Dresden in den allierten Angriffen bezieht, also sich selbst in eine „Opferrolle“ gibt. So gesehen ist die Tapete keine einfache plumpe Beleidigung, sondern auch politische Kritik.

2 Kommentare

  1. Also ich denke, wenn dieser Text das simpel gestrickte Pegida-Hirn nicht zum Umdenken bewegt, dann schafft das keiner.
    Im Ernst: Ich finde die in erster Linie Wortwahl der Tapete (erster Satz) völlig inakzeptabel – ungeachtet militärischer oder historischer Gesichtspunkte, die sicher zu berücksichtigen sind. Grundsätzlich stellt sich mir die Frage, ob ein Fußballspiel der richtige Ort für derartige Erörterungen ist. (Um Missverständnisse auszuschließen: Ich gehöre nicht zur „unpolitischen“ Fraktion.)

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