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Wenn Erfolg so aussieht, dann sollte man keinen Erfolg haben

oder

„Ich will dieses Teilbundesland jetzt ganz schnell verlassen“

Liberal? Ihr könnt mich mal.

Baden-Württemberg. Ach was, streicht das zweite Wort. Baden. Freiburg. Klischee von liberaler Studentenstadt mit gutem Wetter und einem sympathischen Fußballclub. Und für uns eines der längsten Auswärtsspiele überhaupt. Am Ende stehen 1400 Kilometer plus ein bisschen auf der Uhr. Trotzdem war der Gästeblock ratzfatz ausverkauft und dies obwohl man sich Sitzplatztickets mit 35 Euro in Freiburg fürstlich bezahlen lässt. Wohlgemerkt, es handelt sich dabei um Gästeblock-Sitzplätze und nicht um die besten Plätze im Stadion.

Immerhin ist das Klischee insoweit wahr, dass wir einen warmen Frühlingstag erwischt haben. Da kann der Pullover doch gleich mal im Auto bleiben. Die soziale Bezugsgruppe sammelt sich früh am Bahnhof, wo wir in unseren Manager laufen. Der uns alles über den neuen Wunderstürmer erzählt. Nein, tut er natürlich nicht; aber Thomas präsentiert sich gut gelaunt und auch echt auskunftsfreudig. Nun nicht, was Transfers angeht, aber wir reden z. B. über die Fernsehgelder. Wie wichtig das ist, kann man daran sehen, dass er die entsprechenden Zahlen mehr oder minder auswendig runterbeten kann. Und neben unserer eigenen Position macht es für uns einen riesigen Unterschied, ob z. B. Paderborn absteigt oder nicht. Denn es ist ja nicht nur die jetzige Saison entscheidend für die Gelder, sondern auch Saisons davor. Und Paderborn steht mit seinem Bundesligajahr vor uns. Außer sie steigen ab. Dann fallen sie raus. Je nach Konstellation sprechen wir hier laut Meggle nebenbei von einer Million Plus oder einer Million Minus. Das liegt dann aber nicht nur daran, was Paderborn macht. Wohlgemerkt: Bei diesen Rechenspielen gehen wir immer von einem vierten Platz für uns aus. Platz 5 kostet uns auch noch mal richtig Geld. Wir warten jetzt also auf den Forenthread, welcher die Spieler bepöbelt, falls wir noch Platz 5 anstatt 4 belegen. Das kostet mehr Geld als jede Pyroshow.

Viele nette Menschen trifft man bei so einem Spiel. Menschen, die man ohne Fußball wohl nie kennengelernt hätte. Das macht dies aus. Wenn euch jemand fragt, warum ihr euch das antut: Das ist einer der Gründe.

MagischerFC SC Freiburg vs. St. Pauli April 2016-3

Gut, ab zum Stadion. Das liegt schon alleine aufgrund der geografischen Gegebenheiten in Freiburg eher unglücklich in einem engen Talkessel, aber irgendwie auch wieder cool. Stadien, die an eine Wohnbebauung grenzen, sind ja eher ein aussterbendes Ding. Und mit der Straßenbahn ist das auch alles problemlos. Auf dem Weg zum Stadion dann die üblichen fliegenden Händler von nachgemachten Schals. Das diese immer noch auf ihr Geld kommen, zeigt, wie doof Fußballfans sind. Selbst der rot-weiße (!) St.-Pauli-Balkenschal (Schnäppchen für zwei Euro) findet ordentlichen Absatz und wird mehrfach im Gästeblock gesehen. Leute, der ist nicht mal zwei Euro wert. Und darauf zu hoffen, dass der braune Streifen durch den Dreck dazu kommt, ist auch nicht wirklich ein guter Plan.

Die Anreise verläuft nach Farben bunt gemischt und vollkommen stressfrei. Trotzdem meint die örtliche Polizeidirektion, dass man den Gästeblock eingittern und mit einem Sichtschutz (!) vom restlichen Stadionbetrieb abtrennen muss. Käfighaltung allez. Das so ein Setup an sich schon Agressionen auslösen kann, wo gar keine Agressionen entstehen sollten, ist wohl bei der Polizei in Freiburg (liberal und so) nicht angekommen. Die Eingangskontrollen sind für Freiburger Verhältnisse lächerlich. In anderen Stadien würde man von scharf schreiben, aber hier haben wir schon die Abgabe von Gürteln, den Griff in den BH und andere Unsinnigkeiten miterlebt, sodass dies im Verhältnis an diesem Tag Zucker ist. Warum man anderseits einen Pyrohund aus Köln (!) – so zumindest die Auskunft auf dem T-Shirt der Hundeführerin – anfahren lässt, kann man wohl nur mit Übertreibung kommentieren.

MagischerFC SC Freiburg vs. St. Pauli April 2016-1

Gast sein ist nicht schwer, in Freiburg aber sehr

Es gibt in Deutschland echt miese Gästeblöcke. Aber der in Freiburg schießt immer noch jeden Vogel ab. Wir stehen auf der obersten Stufe und sind trotzdem nicht in der Lage, das ganze Spielfeld zu sehen. Viele Leute müssen zwingend hinter irgendjemanden oder auf der Ebene des Feldes in mehreren Reihen stehen. Sonst passen nicht alle Leute in den Block, die eine Karte haben. Platz für Banner ist nicht vorgesehen und muss sich in einer Hauruck-Aktion, die noch mehr Leuten die Sicht nimmt, erkämpft werden. Es ist arschkalt im Gästeblock, da er im Wind und Schatten liegt. Immerhin ist das Catering okay, auch wenn es natürlich nur bleifreies Bier gibt. Und oh Wunder: Auch in Freiburg ist angekommen, dass Fanszenen Vorsänger benutzen. Und nachdem man bei unserem letzten Besuch noch Personalien aufgenommen hat, weil ein Vorsänger gewagt hat, den Zaun zu berühren, gibt es diesmal ein Vorsängerpodest.

Gerade als man es sich notdürftig bequem gemacht hat, beginnt auch schon das Unterhaltungsprogramm. Der Stadionsprecher hat eine Stimmlage, die ein normaler Mensch hat, wenn er in einem brennenden Haus steht. Und das geht von der ersten bis zur letzten Durchsage so. Diese Dauererregung nervt. Das Ganze wird mit einer brutalen Berieselung von Stimmungshits gepaart, dass man eigentlich nach fünf Minuten schon wieder gehen will. Immerhin wird man als sympathisch begrüßt und auch freundlich vom restlichen Publikum aufgenommen. Höhepunkt der unerträglichen Publikumsberieselung? „Spannung, Winken, Schuß“ als Werbelied mit Unterstützung der Anzeigentafel und dann werden irgendwelche Werbeshirts ins Publikum geschossen. Winkquote im Stadion? 90 Prozent! Wir sind ja nun überkritisch mit dem Millerntor, aber wir behaupten, dass bei uns dies die Mittelfingerquote wäre, würde dies ein Sponsor versuchen. Bei uns spielt nebenbei seit neustem ein Herrwegen. Zumindest nach dem aufgeregten Stadionsprecher.

Oh „Insomnia“ von Faithless, das ist ja beinah vernünftige Musik. Der Gästeblock groovt so ein bisschen vor sich hin. Bumms. Abgewürgt. Das Klischee des liberalen Freiburgs wird durch das Badnerlied endgültig zerstört. Auf die deutsche Spießigkeit. Der Gästeblock pfeift vollkommen zu Recht. „Das schönste Land in Deutschlands Gau’n“? Dagegen ist Freiwild ja Progressive Rock. Nun ja, die Heimfans singen mit.

Die Berieselung mit Musik geht bis zum Anpfiff und erst mit dem Pfiff des Schiedsrichters dürfen dann auch mal die Zuschauer eigenständig und ohne „Hallo“ und „Bitte danke“ oder ähnlichem was machen. Wisst ihr eigentlich, auf was für einem hohen Niveau wir jammern? Fahrt mal nach Freiburg, dann wisst ihr es. Die ersten fünf Minuten ist auch richtig Alarm auf allen Tribünen. Es wird geklatscht und mitgegangen. Das frühe Tor tut dafür natürlich auch noch was. Der Gästeblock braucht dementsprechend ein bisschen um in Wallung zu kommen. Aber was dann passiert, ist uns unverständlich. Man ist Tabellenführer, führt gegen den Tabellen vierten, kann mit einem Sieg zumindest Platz 3 ziemlich klarmachen und außer dem Ultrablock geht schnell gar nix mehr. Null. Kein Klatschen, kein Anfeuern, nix. Die Ultras auf der Heimtribüne wirken engagiert, aber wenn es im Spiel vielleicht zehnmal über ihren Bereich hinausgeht, dann ist das schon wohlwollend gerechnet. Wohlgemerkt, wir sprechen hier von einem mitreißenden Spiel, bei gleichzeitiger Niederlage Nürnberg und bestem Wetter. Bei einem 0-0 im November kannst du da ein Blatt fallen hören, oder wie? Und wir meckern über das Millerntor? Das ist noch tausendmal besser.

MagischerFC SC Freiburg vs. St. Pauli April 2016-2

Der Gästeblock hingegen hat einen Sahnetag erwischt. Von einem guten Vorsänger angeheizt, ist zumindest im Stehplatzbereich richtig Alarm. Inklusive Weitersingen, als der Vorsänger schon ein neues Lied ansagen will. Spielstand? Egal. Nach dem 3-1 mal ein kurzer Hänger, aber ansonsten ein 1a-Sahneauftritt. Auch nach dem Schlusspfiff kommt von der Heimseite „Stimmungsmusik“, während der Gästeblock noch mal freidreht. Gut auch, dass der Vorsänger zwischendurch daran denkt, dass Sitzen ja das neue Rauchen ist und uns zu mehr „Bewegung“ auffordert. Bei dem langen Ritt nach Freiburg kommen wir diesem mit unbeholfenen Tanzschritten gerne nach. Ein bisschen Gemeckere muss dann aber doch sein. Da sind wir schon nah an Frankreich und es wird doch ein deutlich hörbares Aux ArmeS.

Ganz ehrlich: Wenn das Erfolg im modernen Fußball ist, dann wollen wir keinen Erfolg haben. Alles so Event, so künstlich, dass es echt bitter ist. Und dabei hatte Freiburg in den 90ern mal richtig was Eigenes.

Es strahlt nicht nur die Sonne, sondern auch das Flutlicht. Alles für das Fernsehen? Dann sollten man so konsequent sein wie in den USA und den Bau von Tribünendächern einfach lassen. Das ist dann sinnvoller als die Energieverschwendung.

Uffm Platz

Unsere Jungs verschlafen Halbzeit 1 doch deutlich. Und Freiburg reicht so eine durchschnittliche Leistung, um 2-0 in Führung zu gehen. Was diese Saison echt nervt ist, dass wir unfassbar viele Tore im zweiten Versuch bekommen. Da steht ein Freiburger und drei Verteidiger und der Abpraller von Skyman kann vollkommen ungestört vom Freiburger eingenetzt werden. Das hat auch was mit Konzentration zu tun und nicht nur mit Zufall. Das 2-0 durch die Mauer nach einem zumindest aus dem Gästeblock zweifelhaften Freistoß ist auch so ein Ding, was man nicht unbedingt bekommen muss. Was nervt bei Freiburg? Dieses „Argh, ich sterbe … oh ich kann ja doch weitermachen ohne Behandlung“. Als Schnecke – nebenbei zu Recht – die gelbe Karte sieht, wollen wir ob der lebensgefährlichen Verletzungen des Freiburgers schon seine nahen Angehörigen informieren. Glücklicherweise gab es eine Wunderheilung. Selbst ohne die Heilungskräfte der Mannschaftsärzte. Bei aller Liebe: Foul ist Foul und das war ein Foul, aber könnte mal bitte jemand Fußballern dieses Theatralische abgewöhnen? Auch gerade nervt es, dass Schiedsrichter nur noch so etwas pfeifen und wenn sich mal ein Spieler nicht an dieses Theaterstück hält, dann bekommt er auch keinen Freistoß.

In der Halbzeit sind wir uns einig, das drehen wir. Fängt auch gut an, nachdem wir mal einen zweiten Ball reinstochern. Geht dann aber nicht gut weiter, als wir beim 3-1 zum kollektiven Tiefschlaf ansetzen und so den alten Abstand ermöglichen. Weitere Schwäche unserer Mannschaft: „Schieß doch“ ist eine zu häufig benutzte Floskel im Fanbereich. Immer wieder sind Jungs von uns relativ blank in einer Entfernung von 18 bis 25 Metern und anstatt einfach mal draufzuhauen, kommt der nächste Pass. Ja, viele Schüsse aus der Distanz gehen in die Dreisam, Elbe, Düssel, Wupper oder Rhein; aber so lehrt man gegnerischen Verteidigungen, dass sie den Raum 18 bis 25 Meter vor dem eigenen Tor nicht verteidigen müssen. Fehlende Räume näher vor dem Tor sind die Folge. Immerhin nimmt Alushi sich mal ein Herz und zimmert einen rein.

Wieder Spannung, aber der nächste Fehler kommt bestimmt und so steht es auch schon 4-2. Mit einem Elfmeter kommt man wieder ran, aber in Deutschland ist es egal, was vorher passiert ist, es wird in Halbzeit 1 eine Minute und in Halbzeit 2 drei Minuten nachgespielt. Und zwar holzschnittartig. Nicht, dass wir nun unbedingt noch den Ausgleich in Minute 94 geschossen hätten, aber komisch ist das schon. Und bei einem Spiel ohne Tor, ohne große Unterbrechungen gibt es dann auch 3 Minuten.

Unsere Saison war schon vor dem Spiel gelaufen, nun ist sie es endgültig, wenn man mal von diesem eher abstrakten Ziel des möglichst hohen Fernsehgeldes absieht. Was kann man als Saisonfazit ziehen? Es ist gut, dass uns kein Gegner in der Liga wirklich zwingend besiegen muss. Kein Team ist wirklich so viel stärker als wir, dass wir gegen es in 90 von 100 Fällen verlieren. Es ist schlecht, dass wir uns zu häufig aber selber noch ein Bein stellen, um wirklich oben um die ganz großen Fleischtöpfe mitzuspielen. So komisch es klingt, auch heute war Freiburg schlagbar. Nehmen wir es als Basis für die nächste Saison.

Und dann?

Will unser Lieblingsschwabe nur noch weg und äußert, dass er dieses Teilbundesland nun unbedingt verlassen wolle. Tun wir dann auch. Schnell nach Hause. Aber vor dem „zu Hause“ hat der liebe Gott noch die Rückfahrt gelegt. Und die ist aus Freiburg lang.

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