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Macht und Ohnmacht

Liebe Freunde des FCSP und liebe andere Leser. Donnerstag ist der neue Montag. Man lebt schon in sehr absurden Zeiten, wenn man über ein Montagsspiel am Donnerstag froh sein muss, weil die normale Anstoßzeit für Wochenspieltage in der zweiten Liga mit „scheiße“ nur unangemessen beschrieben ist.

Wir stellen uns ja auch immer folgendes Gespräch mit der Premiere-/Sky-/Wie-auch-immer-Hotline vor: „Ich wollte sie ja nicht abonnieren, aber dann sah ich, dass sie die zweite Liga bei englischen Wochen schon ab 17:30 zeigen, das hat mich komplett überzeugt.“ Oder ist das wegen des asiatschen Marktes? Wir wissen nicht, welche Windungen in den Gehirnen der Vermarktungsoptimierer da wieder frei gedreht haben, aber die Behandlung der zweiten Liga an Wochenspieltagen ist großer Mist

Nun gut, Europapokal-Feeling am Millerntor. Die Leute kommen spät und gehen früh, da eben alle arbeiten müssen. Nicht gerade toll.

Liebe Freunde, es muss was zum Support gesagt werden. Die Atmosphäre unter der Woche abends zu spielen könnte doch für Lautstärke sorgen. Nun, dem ist leider nicht so. USP wirkt nur phasenweise anwesend, die Gegengerade findet gar nicht statt. Dabei ist sie in dieser Hinsicht doch ein schlafender Riese. Wenn sie will, übertönt sie die Südkurve um ein Vielfaches. Wenn wir wirklich von der Prämisse ausgehen, dass Support sich positiv auf die Jungs auf dem Platz auswirkt und sie nach vorne treibt, muss dieses Potenzial nun endlich mal entfaltet werden.

Es beginnt doch anfangs so gut, der Flow ist da. Nach „Ultras!“ und „Diffidati“ ist davon leider nicht mehr viel übrig. Die Gegengerade verfällt an diesem Donnerstag in einen besonders tiefen Schlaf und wacht nur auf, wenn sie von der Südkurve dazu animiert wird. Also fast wie auf der Haupttribüne eigentlich. Oder in irgendwelchen Clubhotels. Besonders ärgerlich daran ist, dass es nach Aufforderung durch USP ja funktioniert. Mehr kurvenübergreifende Kooperation im Support erscheint dann doch wünschenswert; insbesondere als Rückversicherung gegen vorzeitiges Wegpennen.

Zum Spiel

Auf dem Platz Acker entwickelt sich ein Spiel, was dem neutralen Zuschauer zu Begeisterungsstürmen hinreißen muss. Gelungene Kombinationen, Tempo, massenweise Torchancen. Genau das alles nicht. Wenn eine Mannschaft in der Lage ist, einen Ball mal sicher über vier Stationen zu bringen, dann hat das Seltenheitswert. Das Spielerische ist bei uns zur Zeit echt auf ein Mindestmaß zurückgefahren. Da waren wir echt schon weiter. Das Kämpferische, das stimmt. Hat hier jemand was von „gutem alten Millerntor-Fußball“ gesagt? Ja liebe Leute, so etwas wurde früher noch sehr gewürdigt. Nun wird’s eher als nicht ausreichend angesehen.

Es ist schade, dass im modernen Fußball Gruppen von Spielern nie zusammen bleiben und der Häuptling immer weggekauft wird. Was die Jungs da mit dem kämpferischen Vorbild Ratsche arbeiten, ist schon beachtlich. Schade, wenn der nun nächste Saison irgendwo auf der Bank sitzt, weil jemand mit Millionen winkt. Aber so ist es heutzutage nun mal. Genießen wir es, so lange diese Truppe uns unterhält. Unsere Viererkette kannst du ja zur Zeit zusammen würfeln, wie du magst, sie steht. Keller und Ziereis innen mit großer Leistung, auch wenn man Kumbela nicht 100-prozentig in den Griff bekommt. In Ansätzen erkennt man schon, warum der Junge mal Torschützenkönig von Liga 2 war.

Nur offensiv geht bei uns gar nix. Thy hat einen komplett gebrauchten Tag erwischt und Jerry tankt sich zweimal richtig geil durch, nur um dann in bester Slapstick-Manier zu verstolpern. Sowieso Jerry: Dem fehlt es aber so an der Leichtigkeit. Das Talent blitzt immer wieder auf, aber das läuft (noch) nicht rund.

Eigentlich hat sich alles schon auf ein 0-0 geeinigt, als unser Mann für das Juristische seinen Umstehern erklärt, dass er nun ein Tor pinkeln geht. Gesagt, getan, und der Fußballgott meint auch, dass es nun irgendwie ein Schlagloch geben muss. BÄÄÄÄMMM trifft Verhoek. Oh man, endlich, viel zu spät in seiner braunweißen Karriere hat er mal das Glück, dass solche Bälle rein gehen. Der Junge hat eigentlich die Anlagen für einen Stürmer. Aber irgendwie wollte es bei uns nie klickern. Kann er ja seinem neuen Arbeitgeber am Wochenende noch mal zeigen, was er so drauf hat.

Nach dem Spiel Jubel, Trubel, Heiterkeit.

Und die Polizei.

Wer regiert hier wen?

Nun ist es ja so, dass St. Pauli – Braunschweig ein Spiel ist, was man ruhig als Risikospiel klassifizieren kann. Braunschweig bringt doch einige komische Gestalten mit und das kann auch mal unangenehm werden. Nun ist es aber Donnerstagabend und entgegen aller anderen Annahmen müssen auch unangenehme Gestalten da nach Hause. Kurz: Ein paar Einsatzkräfte sind garantiert gerechtfertigt. Aber nun zwei Wasserwerfer, einen Räumpanzer sowie nahezu alle Hamburger Hundertschaften auf die Straße zu stellen erscheint doch etwas übertrieben.

Bereits vor dem Spiel fragt jemand zu Recht, ob Grote (neuer Innensenator Hamburgs) hier nun den harten Mann spielen will oder die Hamburger Polizei ihm mal zeigen will, wer das sagen hat. Und das ist nicht er.

Nun ist Andy Grote im Viertel verwachsen, kennt sich bei allen politischen Differenzen beim FCSP und im Viertel aus und hat sich in früheren Ämtern auch den Ruf eines Politikers erarbeitet, der sich mal für Sachen einsetzt, die nicht ihm sofort die Karrierechancen verbessern.

Aber was passiert nun nach dem Spiel?

Diese Kräfte sind nicht etwa dazu da, die Fangruppen zu trennen, nein, sie sollen gezielt gegen FCSP-Fans eingesetzt werden. Und zwar gegen den Marsch unserer Ultras. Nun ist dies ja kein neues Phänomen. Seit mindestens zehn Jahren spazieren unsere Ultras immer mal wieder nach Spielen grob 20 Minuten durchs Viertel, singen, tanzen und trinken dann Bier. Ist auch zehn Jahre nie wirklich ein Problem gewesen. Schon immer wurde da auch mal Pyro gezündet und angemeldet hat das nie jemand. Hat die Polizei in zehn Jahren nie wirklich gestört. Man begleitete den Marsch und am Ende gingen alle ruhig ihrer Wege.

So sieht für uns grob vernünftige Polizeiarbeit aus. Keine Hektik reinbringen, deeskalieren und bisschen gucken, dass das nicht aus dem Rahmen geht. Und wenn da mal kleiner Mist passiert, kurz abwägen, ob es nun sinnvoll ist, das Ganze zum eskalieren zu bringen. Ist es meistens nicht. Und gut ist. Hat zehn Jahre so geklappt, die meisten Polizisten konnten im Warmen bleiben und alles war gut.

Nun hat sich aber irgendein Hirni in der Hamburger Polizei in den Kopf gesetzt, dass man diesen Marsch auf alle Fälle verhindern müsse. Folge: Man stellt riesige Polizeikräfte direkt in den Weg der nach Hause wollenden Mehrheit der FCSP-Fans. Alleine die dadurch entstehende Enge wirkt eskalierend.

Und wie nun mal Ultras so sind, sie lassen sich doch nicht von den Ideen irgendwelcher Hirnis steuern. Also beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel. Wohlgemerkt: Alternative ist 20 Minuten rumspazieren und nach 40 Minuten sind alle im Warmen. Der Marsch nimmt also Anleihe bei Spontis und sammelt sich irgendwo im Bereich Budapester Straße.


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Würde er in Richtung Gästeblock wollen, wäre das kein Problem, denn dort wenig Polizei und diese auch einfach zu langsam. Als sie eine Kette aufstellen, ist der Marsch schon lange in die Paulinenstrasse abgebogen. Hält man halt ein paar Passanten davon ab auf dem direkten Weg nach Hause zu kommen. Irgendwelche Berechtigung muss man ja haben. Dann rennt man hinterher. Andere Kräfte halten den Marsch nun in der Otzenstraße auf. Wohlgemerkt, die Otzenstraße hoch geht es weg von allem, was irgendwie Konflikte bringen könnte. Die meisten Leute wohnen da oben auch. Man sprüht noch ein bisschen Pfeffer, nur um danach die Leute weiter ziehen zu lassen.

Ein Versuch, in Sicherheit zu denken

Man verstehe uns nun nicht falsch: Das was jetzt folgt, ist nicht unsere Meinung.

Nehmen wir mal an, dass dieser Marsch nun ganz gefährlich und so ist. Dann hat die Polizei die Pflicht und die Aufgabe, Gefahren abzuwenden. Dafür hat sie die Mittel des Platzverweises und der Ingewahrsamnahme. Nehmen wir an, es sind böse Straftaten passiert. Dann kann die Polizei Leute festnehmen und auch Personalien kontrollieren.

Was aber nicht Aufgabe einer Polizei ist, selbst wenn man voll in Sicherheit denkt, ist es, sich eine Straßenschlacht mit Schnitzeljagd-Elementen mit Leuten zu liefern. Das bringt weder Sicherheit, noch klärt es irgendetwas auf. Aber genau das macht die Polizei immer häufiger. Es wird nicht kommuniziert, es wird nicht versucht, Bewegung und Hektik herrauszunehmen, es wird durch Rennen durch vollkommen unbeteiligte Menschenmengen (so geschehen Ecke Budapester/Paulinenstraße, wo natürlich Leute ihr Siegerbier vor dem Jolly trinken) Hektik hineingebracht.

Einziges Ziel ist es immer wieder, Leute zu provozieren und damit eine Reaktion hervorzurufen. Das ist aber nicht Aufgabe einer Polizei. Und hat mit Sicherheit nix zu tun. Darüber hinaus ist diese „Wir gegen alle“ -Haltung mehr als unerträglich. Wer es nicht mehr schafft, mit Leuten, die mit der Situation nix zu tun haben, vernünftig zu kommunizieren, der hat ein Problem. Die Damen und Herren im Vollkontaktschutz haben es ja nicht mal mehr nötig, im Dunklen bei dunklen Uniformen mal per Ruf Leute zu warnen, wenn sie durch eine enge Gasse laufen. Wenn man da nicht aufpasst, dann wird man als Passant halt einfach überrannt. So u. a. unserem Mann für das Juristische passiert, der einfach auf sein Handy guckt und kurz nicht alles mitbekommt.

Gefahr? Null

Nun denn, es knallt durch einen Vogelschreck (absolute Unart, diese Teile irgendwo in eine unübersichtliche Situation zu werfen) und die Polizei sperrt nun den Paulinenplatz von der Paulinenstraße ab. Das Absurde dabei: Kurzzeitig sind auch die anderen Zugänge gesperrt, aber als man den Paulinenplatz schon lange über Annenstrasse oder Wohlwillstrasse erreicht, sperren die Truppen immer noch vehement das alles ab. Kurz: Man könnte dem Polizisten ein „Tschüss“ zuwerfen, einmal um drei Häuserecken laufen und ihm dann von hinten auf die Schulter tippen. Auch trennt man Bier trinkende FCSP-Fans von Bier trinkenden FCSP-Fans. Gefahr? Null. Aber auch diese Hinweise mehrerer Leute lässt die Kette nicht erweichen. Es sei wichtig. Und man muss jeden, der fragt oder gerade neu hinzukommt unfreundlich darauf hinweisen, dass man hier nicht durch käme. Auch hier: Wir haben schon erlebt, dass Polizisten so etwas auch mit Humor und einer freundlichen Ansage verkaufen. Das geht. Und kommt doch deutlich besser an, als dieses „Ich habe einen Knüppel und du bist hier mein Untergebener“. Es läuft in einer offenen Gesellschaft nämlich sehr viel falsch, wenn dies die Grundhaltung einer Polizei ist.

Wieder ein Vogelschreck. Die Kette setzt sich in Bewegung. In die andere Richtung als der Knall. Haben die Angst? Ungefähr zehn Sekunden nachdem die weggelaufen sind, rennt eine andere Einheit wieder in diese Richtung. Alles kreuz und quer ohne Plan. Böse Zungen behaupten, sie spielen das Spiel nach.

Wunder oh Wunder, die Wasserwerfer hat keiner gebraucht. Sie würden auch nicht durch die Otzenstraße und andere Gassen auf St. Pauli passen. Die fahren nun nach Hause. Wir auch.

Was bleibt, ist ein Gefühl der Ohnmacht, des Unverständnisses

Was soll so etwas? Ja wissen wir. Aber es läuft sehr viel schief, wenn sich eine Polizei in einem Viertel wie eine Besatzungsmacht aufführt. Es läuft sehr viel schief, wenn man nach zehn Jahren plötzlich meint, die harmlose Ausdrucksformen von Heranwachsenden mit aller Macht (und das ist da mal wörtlich gemeint) zu unterdrücken.

Wo sind eigentlich die Zeiten hin, wo Jugendliche, wo Menschen den Freiraum hatten, sich auch mal nicht 100-prozentig konform zu verhalten? Es ist eine Geißel unserer Zeit, dass alles von oben reglementiert und kontrolliert werden muss. Das ist keine freie Gesellschaft und ist auch für die Entwicklung einer Gesellschaft fürchterlich. Polizei regiert und regelt nicht mehr. Sie will agieren und bestimmen, was Menschen machen. Egal, ob sie gerade einfach nur Mensch sind oder eine Tat begehen. Das interessiert nicht mehr.

Hingewiesen sei auf die Stellungnahme des Fanladens, die sich in vielen Dingen mit unseren subjektiven Eindrücken deckt, aber auch mehr Überblick hat.

7 Kommentare

  1. […] Grenzenlos Sankt Pauli: Klassenerhalt, nein danke! BeebleBlox: Maulwurfshügeltore Magischer FC: Macht und Ohnmacht KleinerTod: Neue Ziele? Alle Richtungen nach wie vor SouthEndScum: Now, […]

  2. […] Aber es läuft sehr viel schief, wenn sich eine Polizei in einem Viertel wie eine Besatzungsmacht au… Auch deshalb wünschen wir uns, dass sich nach dem Heimspiel gegen den SC Paderborn möglichst viele Fans des FC Sankt Pauli aus allen Teilen des Stadions dem Diffidati-Marsch durchs Viertel anschließen. […]

  3. … [Trackback]

    […] Informations on that Topic: magischerfc.de/2016/03/macht-und-ohnmacht/ […]

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