Zum Inhalt springen

Zur SKB-Datei Hamburg / Sammelt doch unsere Daten, wir würden abraten

Vorab

Freunde des gepflegten Kicks, wir sind ja nicht so die Winterpausenschreiberlinge. Und so lange nicht wirklich etwas passiert, was die Tasten benötigt, so lange halten wir lieber Winterschlaf.

Lenny kann man nur viel Glück bei seinem neuen, alten Verein wünschen. Nun ganz ehrlich, die „sportliche Perspektive“ sehen wir da eher nicht; aber wenn man in Norden groß geworden ist, dann schläft man höchstwahrscheinlich schon als kleiner Buttjer in Werder-Bremen-Bettwäsche. Die haben da ja sonst nix an der Küste (außer leckeres Jever).

Aber das soll nun nicht unser Thema sein. Sondern eine Datenbank, welche die Hamburger Polizei lieber geheim gehalten hätte, deren Existenz aber wahrscheinlich schon jeder Fußballfan erahnt hatte.

Die sogenannte Arbeitsdatei „Gruppen und Szenegewalt“. Die Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Schneider hatte zu Beginn des Jahres nach dieser Datei gefragt und erhielt nun eine ausführliche Antwort. Die hier nachzulesen ist.

Polizei und Recht, das geht schlecht

Bemerkenswerterweise hat die Hamburger Polizei im Juli 2014 noch geleugnet, eine solche Datei zu führen. Was eigentlich schon Skandal genug wäre und eigentlich a. zu einem riesigen Aufschrei hätte führen müssen und b. zum Rücktritt des Innensenators und zu einer riesigen politischen Krise. All dies passierte nicht; der Innensenator ging eher, weil er kein Bock mehr hatte.

Denn staatsrechtlich ist das ganze ein unglaublicher Vorgang. Immerhin ist in einem gewaltengeteilten Staat die Verwaltung an Recht und Gesetz gebunden(!). Hier ignoriert sie es und gibt wissentlich und wollentlich eine Falschauskunft. Um es ganz ehrlich zu sagen: Dies sind diese rechtsfreien Räume, von denen Politiker so gerne schwadronieren. Und dies ist extrem bedenklich.

Denn es handelt sich ja hier nicht um einen bedenklichen Einzelfall oder einmaligen Fehler, nein, die Hamburger Polizei hat in letzter Zeit einen Hang dazu Entscheidungen, die sie grundsätzlich binden, einfach zu ignorieren (ist ein Paywall-Artikel, aber Überschrift alleine macht deutlich, was wir meinen.).

Kurz: Die Polizei ist auf dem besten Weg, ein Staat im Staat zu werden und damit ein Polizeistaat. Alles im Namen der Sicherheit. Das dies mehr als bedenklich ist, müssen wir euch nicht erklären, oder?

Aber zurück zur Datei.

Wer kommt in die Datei rein, muss er Schwerverbrecher sein?

Wir würden ja gerne mal eine Straßenumfrage machen. Die Frage wäre folgende: „Lieber Bürger, unter welchen Voraussetzungen wird man auf unbestimmte Zeit von der Polizei in einer Datei gespeichert?“

Unsere Wette wäre, dass der Tatort-erprobte deutsche Durchschnittsbürger sagen würde: „Wenn man ein Verbrecher ist.“ Nun gut, zynisch gedacht packt der deutsche Durchschnittsbürger in diese Schublade wahlweise jeden „Nordafrikaner“ (ohne wirklich zu wissen, wo das eigentlich ist), jeden „Linken“ und im Notfall auch jeden Fußballfan. Aber weniger zynisch gedacht würde man vielleicht von der Verurteilung wegen einer Straftat ausgehen?

Sprache ist da immer noch rückständig, weil sie immer noch in der Denke des Kainsmals verhaftet ist. Aber lassen wir dies mal außen vor. Wer rechtskräftig verurteilt ist, den mag man als „Verbrecher“ bezeichnen.

Nun ist dies natürlich nicht Voraussetzung, um in eine solche Datei aufgenommen zu werden. Vielmehr – wörtlich zitiert – ist folgendes ausreichend:

„Die in der Datei „Gruppen- und Szenegewalt“ erfassten Personenkategorien (Beschuldigter, Verdächtiger, Kontakt- und Begleitperson, Störer, Störer (Waffen)) sind wie folgt definiert:

  • Beschuldigte sind Personen, bei denen der hinreichende Verdachteiner Straftat besteht.
  • Verdächtige sind Personen, die wegen Fehlens eines hinreichendenTatverdachts nicht Beschuldigte sind, bei denen aber Tatsachenvorliegen, die auf eine mögliche Täterschaft oder Teilnahme an dender Datei zugrunde liegenden Straftaten schließen lassen. Kinder werden nur in begründeten Ausnahmefällen aufgenommen, wenn einstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen erheblicher Gewalttaten eingeleitet worden ist und wegen der Art, Ausführung oder Schwere der Tat und der Persönlichkeit des Kindes die Besorgnis der Begehungweiterer erheblicher Gewalttaten besteht.
  • Kontakt- und Begleitpersonen sind Personen, die mit Straftaten des Arbeitsbereichs Gruppen- und Szenegewalt in Verbindung stehen und bei denen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass die Speicherung zur Aufklärung oder vorbeugenden Bekämpfung erheblicher Straftaten des Arbeitsbereichs Gruppen- und Szenegewalt, zur Ergreifung von zur Festnahme gesuchten Personen oder zur Abwehr einer im einzelnen Fall bestehenden erheblichen Gefahr erforderlich ist. Hierunter sind insbesondere Gruppenmitglieder zu verstehen, denen eine direkte Beteiligung an Straftaten nicht nachgewiesen werden kann, die aber durch ihre Zugehörigkeit zur Gruppe oder Anwesenheit vor, bei oder nach Straftaten diese fördern oder ermöglichen.
  • Störer sind Personen, gegen die Personalienfeststellungen, Platzverweise und Ingewahrsamnahmen zur Verhinderung anlassbezogener Straftaten angeordnet wurden, weil bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Betroffenen anlassbezogene Straftaten vonerheblicher Bedeutung begehen werden.
  • Störer (Waffen) sind Personen, bei denen Waffen oder andere gefährliche Gegenstände sichergestellt bzw. beschlagnahmt wurden, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie diesebei Begehung anlassbezogener Straftaten benutzen wollen, soweit die Erfassung in der Datei nicht schon wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz erfolgte.“

Was ist all diesen Kategorien gemein? Voraussetzung ist nicht, dass man einer Straftat überführt wurde. Vielmehr reichen schwammigste Verdachtsmomente aus, dass man in dieser Datei ist (mal ganz abgesehen davon, dass die Hamburger Polizei den Unterschied zwischen „hinreichend“ und „notwendig“ noch nie verstanden hat, vgl. Gefahrengebiete). Wohlgemerkt sind dann folgende Dinge über einen gespeichert (erneut wörtlich zitiert):

  • Name und Vorname
  • Geburtsdatum und Geburtsort
  • Geschlecht
  • Anschrift
  • Telefonnummern
  • E-Mail-Adressen
  • Anlass der Erfassung
  • Rolle der Person: Beschuldigter, Verdächtiger, Kontakt- und Begleitperson, Störer, Störer (Waffen)
  • Vereins-/ Gruppenzugehörigkeit
  • bekanntgewordene Ermittlungsverfahren und Verfahrensausgänge
  • vorliegende Stadionverbote
  • Bilddateien, sofern die Bilder für eine Identifizierung von Beschuldigten/ Verdächtigenaufgrund fehlender erkennungsdienstlicher Bilder erforderlich sind beziehungsweise die Identität von Kontakt-/Begleitpersonen nicht feststeht.

Puh. Harter Tobak. Die Polizei speichert also umfangreiche Datensätze über schlichtweg unschuldiger Bürger. Ja, es wird ihn geben, den „ist mir doch egal, ich vertraue der Polizei“-Menschen. Nur man entschuldige uns, dass wir einen gewissen Vorbehalt dagegen haben. Und das sogenannte Recht auf informationelle Selbstbestimmung gibt diesem Vorbehalt ja auch eine verfassungsrechtliche Grundlage.

Aber gucken wir uns oben die Kategorien noch mal an. Da ist ja auch noch eine Abstufung drin.

„Beschuldigter“= „hinreichender Verdacht einer Straftat“.

Der hinreichende Verdacht einer Straftat ist zumindest für den Juristen ein feststehender Begriff. Es ist die Schwelle, die erreicht werden muss, damit man jemanden vor Gericht anklagen kann. Ganz verkürzt gesagt: Da ist man schon sehr nah an der Verurteilung und sehr nah dran, dass der Beschuldigte wirklich Dreck am Stecken hat.

Ob die Polizei auch diesen Begriff meint, kann nicht wirklich abschließend beurteilt werden. Denn dies würde eigentlich eine Rückmeldung der Staatsanwaltschaft an die Polizei im Sinne von „Hey, wir klagen jetzt an, nehm den mal in die Datei auf.“ erfordern. Die Verwaltungsanweisung Mitteilungen der Staatsanwaltschaft (unter Juristen auch liebevoll MiStra genannt) sieht eine Mitteilung an die Polizei vor, aber erst am Ende des Verfahrens (=Urteil). Ob die Polizei mit einer Aufnahme so lange wartet, bis das staatsanwaltliche Verfahren zu Ende ist? Auch das können wir uns schwer vorstellen, aber ausgeschlossen ist es natürlich nicht.

1.530 Personen sind von der Polizei in diese Kategorie eingeordnet worden. Das sind immerhin 70 Prozent der insgesamt 2.170 aufgenommenen Personen.

Heißt aber auch, dass 30 Prozent der aufgenommenen Personen nicht mal in die Nähe eines gerichtlichen Strafverfahrens gekommen sind. Oder auch: Selbst Polizei und Staatsanwaltschaft waren überzeugt, dass man diesen Personen keine Straftat nachweisen kann. Was anders herum heißt, dass sie unschuldiger als unschuldig sind.

Davon sind gerade mal 70 Personen sogenannte Verdächtige. Die Definition oben beinhaltet einen wichtigen Satz, der trotz einer inhaltlichen Wiederholung noch mal zitiert werden soll: „wegen Fehlens eines hinreichenden Tatverdachts nicht Beschuldigte sind“. Das heißt nix anderes, als dass ein Ermittlungsverfahren gegen sie einzustellen ist und sie schlichtweg unschuldig sind. Alles was danach in der Definition kommt, ist mehr oder minder eine Amtsanmaßung und bedient das weit verbreitete Vorurteil, dass solche Leute ja nur deswegen nicht im Knast sitzen, weil die Justiz zu lahm, zu dumm oder einfach mit viel zu viel Gesetzen gebremst wird. Kurz: Es ist rechtsstaatlich mehr als bedenklich, weil hier die Exekutive sich für klüger erklärt, als die Judikative.

Wie schon gesagt gerade mal 70 Personen.

Bleiben noch 600 (!) Personen übrig. Dies sind sogenannte Kontakt- und Begleitpersonen und auch hier soll die oben benannte Definition nochmal wiederholt werden:

„Kontakt-und Begleitpersonen sind Personen, die mit Straftaten des Arbeitsbereichs Gruppen- und Szenegewalt in Verbindung stehen und bei denen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass die Speicherung zur Aufklärung oder vorbeugenden Bekämpfung erheblicher Straftaten des Arbeitsbereichs Gruppen- und Szenegewalt, zur Ergreifung von zur Festnahme gesuchten Personen oder zur Abwehr einer im einzelnen Fall bestehenden erheblichen Gefahr erforderlich ist. Hierunter sind insbesondere Gruppenmitglieder zu verstehen, denen eine direkte Beteiligung an Straftaten nicht nachgewiesen werden kann, die aber durch ihre Zugehörigkeit zur Gruppe oder Anwesenheitvor, bei oder nach Straftaten diese fördern oder ermöglichen.“

Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen. Das klingt natürlich wieder so, als ob da nur böse Buben drin sind, denen man einfach nichts nachweisen kann. Schon das ist bedenklich genug, wie wir eben gezeigt haben, aber nicht einmal das ist Voraussetzung. Wie ihr darein kommt? Leichtes Beispiel:

Ihr steht nach jedem Spiel mit drei Jungs von USP* vor dem Jolly, mit denen ihr auf die Berufsschule geht. Es knallt vor dem Jolly, während ihr drei fröhlich weiter euer Bier süffelt. Euch kommt noch ein „unschön, aber was willst du machen?“ über die Lippen und nachdem alles vorbei ist, geht ihr noch Bier holen. Nachts hält euch dann die Polizei an und kontrolliert eure Personalien.

Ja, nach der zitierten Definition reicht dies, um in diese Dateiaufgenommen zu werden. Selbst wenn man das Beispiel ohne die drei Jungs von USP* bilden würde, ihr wärt trotzdem drin. Weil ihr wart anwesend. Und dieses „fördern und ermöglichen“? Ja Leute, das ist doch reine Unbestimmtheit. Im Notfall wird argumentiert, dass ihr als Masse Rückzug für Täter seid.

Das eine Mitgliedschaft bei USP* nach der Definition auch ausreicht, ist ja wohl auch jedem klar, oder?

*USP sei hier mal namentlich als Beispiel genannt, weil die Polizei Hamburg die garantiert als Gruppe der Szenegewalt sieht. Das man dies SEHR fragwürdig finden muss, sei nur mal nebenbei erwähnt. Dies insbesondere dann, wenn man bedenkt, was für ein offenes Mitgliedersystem USP pflegt. Aber es ist das übliche „alle in einen Topf werfen“.

Im Endeffekt ist das nebenbei reine Sippenhaft. Es geht hier um Menschen, denen individuell noch nie auch nur der Hauch des Verdachtes einer Straftat ereilt hat. Das dies absolut gegen die Grundsätze eines individuellen Strafrechtes verstößt und damit gegen eine der wichtigsten Säulen eines aufgeklärten Rechtsstaates, sei auch am Rande erwähnt.

Achja: Die anderen Kategorien haben keine Eintragungen(!).

Welche Folgen nun, muss ich mich sorgen tun?

Welche Folgen hat nun so ein Eintrag? Niemand weiß es genau, denn darüber steht in der Auskunft nix. Zugriff auf die Datei haben nach Auskunft der Polizei diverse Polizeidienststellen. U.a. auch das LKA „Intensivtäter“, was mal zeigt, in welche Nähe man da geschoben wird. Bemerkenswert ist, dass es keine Auskunft gibt, wer wie oft auf diese Datei zugegriffen hat. Schön schwammig auch die Auskunft, ob diese Daten eigentlich an andere Polizeidienststellen eingesehen werden können. Wir zitieren:

„Nein. Sofern im Rahmen von Einsätzen bei Sportereignissen entsprechende Auskünfte von Polizeien anderer Länder erbeten werden, erfolgen diese aus Akten sowie nach den gesetzlichen Vorschriften und Regelungen der Polizeidienstvorschriften über Akteneinsicht und polizeiliche Zusammenarbeit.“

Was so viel heißt wie: „Nee, direkt an unserem Computer sehen die diese Daten nicht ein, aber wir erzählen denen das schon und im Notfall machen wir auch einen Ausdruck.“ Kurz: Das wird fröhlich in der Welt verteilt. Und was unsere Szenekundigen Beamten dazu erzählen, wollen wir ob deren fehlender Szenekundigkeit eher nicht wissen. Garantiert nicht „Hey, der ist mal vor dem Jolly kontrolliert worden, aber mehr als Bier saufen haben wir den noch nie gesehen.“ Wahrscheinlich eher „das ist voll der Verbrecher, der war damals schon anwesend, als es vor dem Jolly geknallt hat, passt bloss auf den auf.“

Alles Spökenkiekerei von uns? Naja, schon 2010 durfte man bei einem Auswärtsspiel bei der Polizei einen Ordner bewundern, in dem feinsäuberlich Daten und Fotos von Leuten abgeheftet waren. Und auch von Leuten, die in diesem Bundesland noch nie beim Fußball waren. Und das dies ein einmaliger Fall war, ist schwer zu glauben. Eher ist zuglauben, dass diese Polizei einfach ein bisschen dusselig war, diesen Ordner relativ offen herumzutragen.

Kurz: Das kann konkrete Nachteile haben. Bleiben wir bei unserem oben gebildeten Beispiel. Du fährst mit besagtem Jolly-Biertrinker auswärts. Ihr wollt in Lautern in eine Kneipe. Meint ihr, die Polizei würde euch einfach so gehen lassen? Immerhin gibt es konkrete Hinweise (in der Denke der Polizei), dass euer Kumpel auf Stress aus ist. Nein, sie werden euch sanft aber bestimmt in Richtung Gästeblock schieben. Man kann es nicht anders sagen: Das ist eine massive und konkrete Beeinträchtigung eurer Kreise. Und dies ohne irgendein Verdacht, eine Verurteilung oder irgendein Fehlverhalten.

Wer ist denn nun drin? Welcher Verein ist schlimm?

Es ist auch eine Aufschlüsselung nach Vereinen mitgeteilt worden und die ist ebenso interessant, wie sie unfreiwillig komisch ist.

U.a. sind Anhänger des Karlsruher FC (!) (existiert seit 1952 nicht mehr, müssen also ziemliche Althools sein) ebenso notiert, wie Armenia Bielefeld (sic!). Das spricht natürlich für die Szenekundigkeit der mit der Führung beauftragten Beamten. Nicht.

Ansonsten prägen naturgemäß norddeutsche Vereine das Bild. 1.070 Rauten vs. 426 mal FCSP. Was man natürlich wie der Kollege Schleusenwaerter auf Twitter deuten kann.

Wahrscheinlicher ist aber die mathematische Gleichung „doppelt so viele Stadiongänger = doppelt so viele Einträge in die Datei“.

Bemerkenswert: Dynamo Dresden ist gerade mal elfmal vertreten, Mainz 05 zehnmal. Hansa Rostock gerade mal mit 40 Einträgen, 1860 München mit 60. Man merkt: Hansa ist voll friedlich.

Kurz: Schon aus solchen Zahlen wird deutlich, wie wenig solche Dateien für eine Lageeinschätzung und eine Beurteilung taugen, ob wir hier ein sogenanntes Hochrisikospiel haben.

Stellt sich nur noch eine Frage, wie ist eigentlich die Rechtmäßigkeitslage?

Viele Urteile zu solchen Dateien gibt es bisher nicht. Wie auch, wenn die bisher immer geheim gehalten wurden.

Alleine diese Geheimhaltung zeigt doch, dass man auf Seiten der Polizei erhebliche Angst hat, diese Dateien um die Ohren gehauen zu bekommen von der Rechtsprechung.

Soweit für uns ersichtlich hat sich bisher nur das VG Niedersachsen (10 A 9932/14) mit Urteil vom 26.03.15 mit einer ähnlichen Datei beschäftigt. Das VG Niedersachsen hat diese Dateien im Grundsatz für rechtmäßig erachtet und auch einem individuellen Löschungsanspruch nur sehr bedingt stattgegeben. Unter einem vergleichbaren Punkt wie dem oben genannten „Anlass der Erfassung“ hatte die Polizei Niedersachsen entweder Ingewahrsamnahmen, Gefährderansprachen, aber auch konkrete Ermittlungsverfahren, die dann nach § 170 Abs. 2 StPO (aka fehlendem Tatverdacht, aka unschuldig) eingestellt worden gespeichert.

Das VG sah nun auf niedersächsischer Grundlage die Speicherung von konkreten Ermittlungsverfahren als löschungsfähig an, da diese nur dann erlaubt seien, wenn die zur Verhütung von vergleichbaren künftigen Straftaten dieser Person erforderlich sind. Und dies sah das VG hier nicht in allen Fällen (Details ersparen wir euch).

Bemerkenswert ist: Die ganzen Ingewahrsamnahmen und Personenüberprüfungen etc. pp die waren uneingeschränkt speicherfähig. Und das mit einer Begründung, die in das Gruselkabinett des „Precrime“ Denkens des Films „Minority Report“ passen. Wir zitieren wörtlich aus dem Urteil:

„Im Hinblick auf den Zweck der Arbeitsdatei, die Erstellung valider Gefahrenprognosen zu unterstützen, sind diese Umstände von Relevanz. Denn sie lassen einerseits den Schluss zu, dass die Klägerin entweder die jeweiligen Fußballbegegnungen besucht oder sich anlässlich dieser Begegnungen in deren Umfeld aufgehalten hat. Zugleich geben sie Aufschluss über die Bereitschaft der Klägerin, Auswärtsspiele zu besuchen, über die von ihr (bisher) besuchten Spielpaarungen und die daran beteiligten Vereine, hier die Erstligamannschaft und die Reserve von Hannover 96 sowie Arminia Bielefeld bzw. Arminia Bielefeld II.

Sodann lassen die Vorfälle erkennen, dass die Klägerin in der Vergangenheit polizeilich dahingehend in Erscheinung getreten ist, dass sie seitens der konkret handelnden Beamten dem Kreis der polizeirechtlich Verantwortlichen zugerechnet worden ist. Für die Erstellung polizeilicher Prognosen ist diese Zuordnung auch dann relevant, wenn sie der Klägerin in einzelnen oder auch in allen Fällen zu Unrecht widerfahren ist. Denn die Beklagte erstellt diese Prognosen nicht (nur) im Hinblick auf zu erwartende Handlungen der Klägerin, sondern auch im Hinblick auf die erforderliche Kräftezahl und die Einsatztaktik bei Fußballspielen insgesamt. Prognostisch relevante Anhaltspunkte liegen deshalb schon darin, dass in der Vergangenheit ein polizeiliches Einschreiten gegen die Klägerin nach der jeweiligen Einschätzung der Einsatzkräfte vor Ort erforderlich war und tatsächlich Kräfte gebunden hat. Ein Schuldvorwurf oder die Behauptung eines Resttatverdachts ist mit der Speicherung insofern nicht verbunden, aber auch nicht rechtliche Voraussetzung der Speicherung.

Die Beklagte könnte zwar derartige Anhaltspunkte auch personenunabhängig speichern. Dieses mildere und ebenfalls geeignete Mittel ist allerdings nicht in gleicher Weise zweckförderlich. Denn bei einer anonymisierten Erfassung allein der Anzahl der vonpolizeilichen Maßnahmen betroffenen Personen ließe sich eine Einschätzung zu erwartender Fangruppen nur hinsichtlich ihres Umfangs, nicht aber hinsichtlich der Zusammensetzung treffen.“

Man muss das sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Da steht stark eingedampft folgendes: „Wir brauchen die Daten, selbst wenn die Polizei gegen die Klägerin bisher immer zu Unrecht eingeschritten ist. Dies gilt selbst dann, wenn die Polizei panisch, überhart, gesetzeswidrig und vollkommen ohne Sinn agiert. Denn darauf müssen wir die weitere Prognose stützen, die wir definitiv nicht hinterfragen und die niemand auch hinterfragen muss.“

Kurz: Als Polizei solltest du möglichst viele Ingewahrsamnahmen und möglichst viele Kontrollen durchführen, denn egal wie rechtswidrig oder irrsinnig die sind, du darfst damit deine eigenen Gefahrenprognosen stützen und kannst dir Kräfte genehmigen ohne Ende.
Und da wundert man sich, dass bei solchen Aussagen bei Paderborn gegen St. Pauli der Bürgerkrieg ausgerufen wird?

Das VG hatte in seinem Urteil nebenbei die Berufung zugelassen. Ob und inwieweit diese eingelegt wurde, lässt sich aus unseren Quellen nicht zeigen.

Fakt ist: Man kann diese Argumentation auch im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung für sehr fragwürdig halten. Sie stützt aber natürlich auch das Speichern unseres Jolly-Biertrinkers.

Ohne ein Fazit am Ende, ruhen nicht unsere Hände.

Man merkt, wie schnell man in Dateien der Polizei kommen kann,ohne dass klar ist, welche Folgen das eigentlich für den Betroffenen hat. Die Gefahr, dauerhaft in irgendwelchen Schubladen zu landen, ist verdammt groß. Dass dies im Hinblick auf eine notwendige individuelleBeurteilung eines Jeden mehr als bedenklich ist, muss deutlich unterstrichen werden.

Wir können daher nur jedem raten, die vom Fanladen empfohlene Auskunft einzuholen. Wir denken, dass dann auch ein Musterprozess durch alle Instanzen notwendig ist, um höchstrichterlich zu entscheiden, ob und inwieweit solche Dateien wirklich rechtmäßig sind.

4 Kommentare

  1. ichoderdu ichoderdu

    Kleiner Tipp zu Abendblatt Links: Eine echte „Paywall“ gibt es dort nicht.
    Überschrift bei Google eingeben und in Google dann auf den Link klicken und alle Artikel sind frei zugänglich.

  2. Eure Headline widerspricht eurem Fazit (erster Satz im letzten Absatz) irgendwie?
    Und das Captcha nervt, es gelingt mir immer erst im wiederholtem Versuch, die Sachen richtig einzutippen.

  3. ichoderud ichoderud

    Wie lange dauert den so eine Anfrage? Also bis die das beantworten? Ist bei mir gefühlt schon echt lange her. Oder machen die das nur wenn sie gerade Lust dazu haben?

  4. ichoderdu ichoderdu

    So ich dachte ich gebe nochmal ein kleines Update. Vielleicht ist das ja auch für andere Leute interessant und ihr dürft das gerne weitererzählen:
    Gestern hatte ich dann Post vom LKA 272 Petentenauskünfte. Ich zitiere mal Teile davon: „Aufgrund weitergehender notwendiger Anfragen bei anderen Hamburger Polizeidienststellen/Staatsanwaltschaft Hamburg und der damit verbundenen Auswertung der Rückläufe kann die Beantwortung ihrer Anfrage eine längere Bearbeitungszeit in Anspruch nehmen.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Blue Captcha Image
Refresh

*