Am 10. Juni 2015 begann die üblicherweise einrundige und einmonatige Pokalkampagne des FC St. Pauli mit der Auslosung der ersten Runde. Diese ist hier in komplett nachzusehen, zumindest bis sie depubliziert wird.
Seien wir mal ehrlich. Es ist schon bemerkenswert, wie sich der relativ nüchterne, notarielle Akt der Auslosung eines sportlichen Wettbewerbes immer mehr zu einem Event mit Videoeinspielungen und Publikum wandelt. Die Älteren unter uns kennen noch die nüchterne Art auslosen, wie sie ein Walter Baresel in der alten BRD zelebrierte.
Heutzutage lädt an sich einen Stargast und der zieht dann. Und so funny Andrea Petković ihr Twitteraccount auch ist, wirklich viel mit Fußball hat sie nicht am Hut. Und ist so auch mal Eintracht-Frankfurt-Fan und mal Darmstadt-Fan. Das ist eine Kombination, die eher gewagt ist – oder die zu Alexander Bommes passen würde. Aber dazu später mehr.
Nun gut, in der Redaktion der ARD hatte man dann die Idee, dass doch vor Fans zu machen. Ich kann es mir ungefähr vorstellen. In der entsprechenden Redaktionskonferenz kam ungefähr 1.000-mal die Phrase „Emotionen einfangen“ vor. Ist euch das schon mal aufgefallen? Fußball ist der einzige Sport, den man gerne mal mit Fanbildern bewirbt („anteasert“, würde man wohl neudeutsch sagen). Niemand käme auf die Idee, ein Tennisturnier im Schwerpunkt mit echten oder fiktiven Fanbildern anzupreisen. Die Bundesliga z. B. macht daraus ihren offiziellen Saisonteaser. Nebenbei entspricht das ja auch der öffentlichen spontanen Äußerung. „Ich gehe zum Fußball, weil ich da geilen Sport sehe“, ist eine Aussage, die man eher selten hört (außer man ist nun zufällig Fan einer der wenigen Klubs, die das kontinuierlich bringen können). Die Aussage „Ich gehe ins Stadion, weil die Stimmung einen begeistert und mitreißt“, hat man so oder in etwas abgewandelter Form doch schon häufiger gehört. Und Stimmung = Fans = Emotionen von Fans.
Oder lassen wir doch den zuständigen Redakteur es in eigene Worte fassen: „Wir möchten in Zukunft die Auslosung der ersten Runde immer bei einem Amateurverein machen. Das ist nicht so steril wie im Studio“, zitiert nach Westline.
Kurz: Man möchte Emotionen vermarkten. Positive Emotionen. Begeisterung. Freudige Gesichter. BU-Fans, die lauthals „Mein letztes Geld geb‘ ich für Fußball aus“ trällern, weil sie gerade Bayern gezogen haben. Oder ein bisschen ätzender gesagt: Man möchte eine besoffene Kutte haben, die möglichst assig aussieht und noch zu dem Los Sandhausen ein „JAAAAAAAA“ in die Kamera brüllt.
Exkurs: Liebe Sandhäuser. Nicht weinen. Niemand unterschätzt euch. Niemand findet euch doof. Für eine – wie ihr selber zugeben würdet – Kleinstadt, wie sie eurige ist, ist es ein supergeiles Lob, wenn sie zum Inbegriff der angeblich dörflichen zweiten Liga gemacht wird und Witze gerissen werden. Das ist der Neid der Besitzlosen auf euch. Und Neid hat man sich verdient. Also: Stolz die Mistforke präsentieren und das Image pflegen. Macht es wie die Adendorfer Eishockey Leute. In Hamburg immer mit „Kühe. Schweine, Adendorf“ begrüßt worden, kamen sie irgendwann wirklich als Kühe und Schweine verkleidet. Kurz: Dieses „verächtlich machen“ zeigt einfach nur, wie gut ihr da arbeitet mit eurem Fußballclub. Exkurs Ende
Was so Emotionsvermarkter jedoch immer vergessen, ist, mal einen Blick in Wikipedia zu werfen. Und da findet man unter Emotionen folgendes: „Im Gegensatz zum Gefühl sind Emotionen als ein Affekt − vom agierenden Individuum aus gesehen − meist nach außen gerichtet. Der Begriff Affekt betrifft im deutschen Sprachgebiet eine oftmals mit einem Verlust der Handlungskontrolle einhergehende kurzfristige emotionale Reaktion.“ Verlust der Handlungskontrolle! Oder um es mal anders auszudrücken: Eine einfach nur positive Emotionalität kann es nicht geben. Verlust der Handlungskontrolle heißt nämlich, dass ich aus der Emotion heraus vielleicht „JAAAAAA“ zu Sandhausen in die Kamera brülle, aber eben auch vielleicht „Scheiß RB Leipzig“. Beides würde ich rational nicht machen. Alleine schon wegen der WhatsApp-Videomitschnitte der Freunde.
Der Soziologe würde nun noch die Vokabel Gruppendynamik einwerfen und fertig ist das Gemisch, das ebenso gut zu vermarkten ist, wie es eben auch gefährlich ist.
Man könnte sich diesen Text beinah sparen und nur folgenden Satz schreiben: Emotionen sind schon per definitionem nicht kontrollierbar. Oder sie sind eben keine Emotionen.
Alexander Bommes fasst in einem Satz zusammen, wie wenig Journalisten und Verbände diese simplen Aussagen verstehen. „Nun freut euch doch mal über euren Gegner.“
Als wäre dies ist ja schon schlimm genug. Wird aber dann noch schlimmer, wenn man dann noch versucht, sich den negativen Emotionen halbwegs journalistisch zu nähern. So wird dann gefragt, warum man in Reutlingen auf die Stuttgarter Kickers so negativ reagiert. Die komische Begründung mit der Untermiete und dem Rasen ist dann Satire pur.
Auf die Idee „lokale Rivalität“ und/oder den relativ leicht zu recherchierenden Fakt, dass Reutlingen und der VfB Stuttgart eine Fanfreundschaft haben, kam aber anscheinend auch vorab niemand. Ebenso dass in Württemberg die Reaktion auf das badische Karlsruhe negativ ausfallen könnte. Selbst bekanntlich ahnungslose sogenannte szenekundige Beamte werden bei Reutlingen – Karlsruhe sofort an die geografische und fanfreundschaftlich bedingte Rivalität gedacht und verzweifelt „Hochrisikospiel“ geschrien haben.
Muss man denn wissen, wer mit wem befreundet ist? Seien wir ehrlich. Wenig ist komplizierter und wechselhafter als Fanfreundschaften. Aber im konkreten Fall reicht ein Blick in Wikipedia.
Journalisten und Moderatoren sollten sich auf Eventualitäten vorbereiten und im besten Fall diese vorbereitet elegant lösen. Warum dies in Sportredaktionen nicht passiert, ist mir ein Rätsel. Gerade wenn man doch Emotionen nutzen will. Recherche ist doch eine der ehrenvollsten Aufgabe des Journalisten. Und da auch nicht die neuste taktische Finte recherchiert wird, fragt man sich, was so eine Redaktion den ganzen langen Tag macht. Zumindest findet Taktik höchst selten und wenn, dann oberflächlich Platz in der Berichterstattung.
So kommt es dann zu der Kapitulation des Bommes, die da zu bewundern ist. Und öffentlich zu bewundern, wie wenig Fernsehsender ihren Kunden Fußballfan eigentlich verstehen.
Was die eine eigentlich überflüssige „Show“ schon wieder sehenswert macht.