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Fankultur kann man nicht konsumieren. Der Fankongress 2014

oder

Wenn Fans oder Polizei „ein bisschen frech“ werden

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Ihr Lieben,

euer (hoffentlich noch) Lieblingsblog war mal wieder umtriebig. Während der eine Teil das Viertel mit der Klobürste sauber hielt, machte sich der andere Teil (wann können wir eigentlich endlich wieder von Dritteln sprechen?) auf den Weg nach Berlin zum zweiten Fankongress. Dieser stand unter dem Motto: „Fanfreundliches Stadionerlebnis: Wie Fans den Fußball wollen“ und ist eine Veranstaltung organisiert von ProFans und Unsere Kurve.

Wir werden jetzt keinen Gesamtabriss dieser spannenden Veranstaltung liefern. Es gibt ja – erfreulicherweise – schon reichlich Medienresonanz s. Pressespiegel.
Wer sich über die Inhalte selbst intensiver informieren möchte, kann auch den ausführlichen Ticker der Veranstalter durcharbeiten.
Aber nun zu unseren persönlichen Eindrücken und Einschätzungen.

Wir fuhren am Freitag nach Feierabend los. Da wir noch einen Umweg auf uns nahmen, um einen Mitfahrer einzusacken, kamen wir doch reichlich spät in der Hauptstadt an. Randbemerkung: Man kann in so einem 9er Bus vorzüglich die ganze Fahrt schlafen, wenn einem die ganze Bank gehört und Fahrer und Beifahrer eine spannende (?) Diskussion führen, die die Wirkung eines Hörbuches hat.

Nachdem wir im Hostel eingecheckt waren (das Odyssee Globetrotter Hostel ist übrigens empfehlenswert) lotste uns der schon eher angereiste Teil der Gruppe in eine Berliner Szenebar. Für unsereins kaum auszuhalten, entwich eine kleine Schimpftirade, wie furchtbar hip und fancy der Laden doch sei, um gleich darauf in das verwirrte Gesicht des Barinhabers zu blicken. Ein paar Biere auf leeren Magen später war das Ambiente dann auch schon wieder egal.

Kennt ihr alle „Kaffee und Wein“ und seine Entstehungsgeschichte? Nur so viel sei verraten, dass wir an diesem Abend so etwas wie die Wiederholung dieser Erzählung erleben durften. Einen schönen Gruß an dieser Stelle an Herrn Matthäus Eulenmann.
Nach einem ausgiebigen und schmackhaften Burger-Mahl ging es dann ins Bett.
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Am nächsten Morgen dann doch bis zur letzten Minute im Bett geblieben, um schließlich in die Eröffnungsveranstaltung zu hetzen, die glücklicherweise auch verspätet begann. Im Anschluss konnte man sich aus verschiedenen Panels eine Veranstaltung aussuchen.

Wir entschieden uns für: „Von Profis lernen: Workshop zum Thema Medienarbeit“- passt ja irgendwie.
Dort erläuterten Jakob Rosenberg, Andrej Reisin, Dario Sarmadi und Martin Endemann zunächst die Basics von „guter Medienarbeit“, um im Anschluss zu diskutieren, ob und wie sich Fans die Medien zunutze machen können und sollten. Ging natürlich sehr um die Basics („kommentierte Kontaktliste anlegen“, „wie sollte eine Pressemitteilung aufgebaut sein“), aber auch ein guter Austausch zu unterschiedlichen Erfahrungen und Meinungen. Nicht revolutionär, aber eine gute Bestätigung dafür, dass in der Medienarbeit der Fanszene noch sehr viel Luft nach oben ist.

Im Anschluss folgte ein zentrales Mittagessen, was dazu Raum gab, einander kennenzulernen – die Verpflegung war insgesamt sehr gut, da muss man auf manchen „kommerziellen“ Konferenzen mit weniger Lecker auskommen.
Für das Nachmittagprogramm entschieden wir uns für „Raus aus dem Trott – Die Zukunft der Fanvertretung in Gefahr?“ In diesem Panel wurden zunächst die unterschiedlichen Möglichkeiten von (insbesondere überregional vernetzter) Fanvertretung mitsamt der Vor- und Nachteile vorgestellt, um sich darüber im Anschluss auszutauschen. Der Fokus lag dabei auf den Organisationen ProFans und Unsere Kurve. Ein extrem gutes und wichtiges Thema.

Einerseits ist in Deutschland bereits ein hoher Grad an Organisiertheit erreicht worden und es wird durchaus stetig und mit hohem persönlichen Einsatz der Ehrenamtlichen für die Interessen der Fans eingetreten. Andererseits existieren große Herausforderungen für die Zukunft. Eine liegt sicherlich gerade in der Problematik, dass nachhaltige Arbeit zurzeit nur über Selbstausbeutung der beteiligten Personen möglich ist, und das über möglichst lange Zeiträume, um personelle Kontinuität zu erreichen. Kennen wir ja zur Genüge auch auf lokaler Ebene.

Dem gegenüber steht ein sich zunehmend weiter professionalisierendes Umfeld bei den Verbänden und ein erhöhter Druck durch die Interessen von Seiten der Politik und Polizei als Folge der immer höheren gesellschaftlichen und ökonomischen Relevanz des Fußballs. Gleichzeitig war bereits die Vergangenheit mehr von Abwehrkämpfen, als von Aktionen für eine effektive Verbesserung der Situation der Fans geprägt. Engagement, als dessen Ergebnis bestenfalls die Abwendung einer weiteren Verschlechterung steht, nutzt nicht nur die Motivation der Aktivisten ab, sondern lässt sich auch schwer kommunizieren. Sicherlich auch ein Grund dafür, dass die betreffenden Organisationen außerhalb der „aktiven“ Fans keine besonders hohe Reichweite haben, obwohl gerade Unsere Kurve hunderttausende Menschen repräsentiert.

Ein weiteres und nicht zu unterschätzendes Problem ist ein eher internes – wie geht man mit politisch fragwürdigen und ggf. auch gewalttätigen Gruppen um? Ist die Einbindung einer Grauzone eine Chance oder wertet das diese Gruppen unnötig auf? Will man wirklich mit Leuten an einem Tisch sitzen und gemeinsame Fanpolitik betreiben, von denen beim nächsten Spiel Angriffe zu erwarten sind und die rechtsgerichtete Personen in ihren Reihen akzeptieren?

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Die Veranstaltung konnte diese Punkte in den vorgesehenen 90 Minuten leider nicht ansatzweise erschöpfend aufarbeiten. Dafür war nicht nur die Zeit zu kurz, sondern auch die Vorkenntnisse der Teilnehmer zu unterschiedlich. Auf eine etwas längliche Einführung in die Organisationen und die vergangene und derzeitige Arbeit folgte eine Art Frage- und Feedback-Runde, in der verschiedene der Punkte angerissen wurden, ohne allerdings konkreten Output zu liefern. Interessant war die sehr ablehnend wirkende Reaktion auf den Vorschlag hauptamtlichter Strukturen, erscheint das doch in Hinblick auf manche der oben genannten Herausforderungen als eine logische Konsequenz, die eine Diskussion wert wäre.

Unterm Strich war auch diese Veranstaltung interessant und hat Denkanstöße gegeben. Richtig prägnant und greifbar war sie aber nicht. Wahrscheinlich wäre eine andere Herangehensweise mit klareren Fragestellungen sinnvoller gewesen. Die Aktivisten auf dem Podium sind ja nicht blöd, die meisten Anregungen und Kritiken aus dem Plenum werden ihnen bereits bekannt gewesen und wahrscheinlich auch tiefer diskutiert worden sein, als das in so einer Veranstaltung passieren kann.

Es folgte ein Kuchenschmaus und der Abschluss des Arbeitsteils am Sonnabend in Form der zentralen Podiumsdiskussion „Fußballfans & Polizei: Getrennt in den Farben, getrennt in der Sache?“ Teilnehmer waren unter anderem namhafte Personen wie Prof. Dr. Thomas Feltes, Gerd Dembowski sowie der Sicherheitsbeauftragte des DFB Hendrik Große-Lefert.

Hier ein paar Zitate:
Bernd Heinen (Bundespolizei (?), Vorsitzender des NASS): „Man muss sich mal ansehen, wieviele Personen Herr Wendt wirklich vertritt.Und warum er trotzdem immer wieder in den Medien ist.“

[aus dem Plenum:] „Warum reden Sie von Grundgesetz, wenn ich erlebe, wie Kollegen von mir sich im Container Nacktkontrollen unterziehen müssen?“

Prof. Dr. Albert Scherr: „Ich habe mir vorgenommen, heute nicht nur Polizeikritik zu üben. Aber das fällt mir immer schwerer.“

Ihr seht, es gab einiges zu hören. Der Höhepunkt war aber wohl der Redebeitrag von T., Mitglied der St. Pauli Mafia und ursprünglich aus Manchester. Sein Vergleich der Verhältnisse in England und Deutschland und sein Appell zu einer auch optischen Abrüstung der Polizei schaffte es in diverse Zeitungsberichte und findet sich auch in unserer Unter-Überschrift wieder.

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Es muss wirklich positiv gesehen werden, dass sich überhaupt zwei Vertreter der Polizei der Diskussion gestellt haben. Dabei zeigte Hans-Ulrich Hauck (Leiter Direktion 2, Polizei Berlin, verantwortlich unter anderem für Einsätze am Olympiastadion) eine fast schon altersmilde wirkende Offenheit und machte pragmatische Angebote für den Alltag – ob das auch praktische Folgen hat, werden die Berliner Fans herausfinden müssen. Die besten Erfahrungen hat man als Auswärtsfan mit den bei der Hertha eingesetzten Polizisten eher nicht gemacht, die bei Union waren allerdings regelmäßig noch schlimmer. An Bernd Heinen konnte man hingegen gut beobachten, warum zwischen Polizei und Fans weitestgehende Sprachlosigkeit herrscht. Das ist an anderer Stelle schon ausreichend ausgeführt worden, in jedem Fall liegt dort noch ein langer Weg vor den beteiligten Parteien.

Am Morgen angekündigt unter der Bedingung, dass kein einziger Sticker oder Spucki auf dem Veranstaltungsgelände verklebt werde, folgte nach dem Abendessen dann der bierige Abschnitt des Fankongresses. Der wurde dann noch in verschiedene Bars verlagert, in denen sich ein schönes Bild abzeichnete.

Denn auch wenn wir alle in den Farben getrennt sind und den einen oder anderen sicherlich auch unter normalen Umständen mit dem Arsch nicht ansehen würden, verbindet einen doch eine gemeinsame Stoßrichtung. Sowohl im offiziellen wie im informellen Teil des Fankongresses haben wir diese überwiegend fair diskutiert. Und dass die Saalefront sich mittlerweile als „unpolitisch“ sieht, kann man ja fast als Fortschritt festhalten …

Der Sonntag begann mit einem Grußwort vom DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig, aus dem wir besonders freudig entnahmen, dass die DFL zukünftig mehr in die Arbeit gegen Rechts investieren werde, da der Schlüssel in dem Kampf in der Bildung liege. Für Projekte in diesem Bereich sollen zunächst 500.000 Euro pro Saison bereitgestellt werden. Rettig schloss seine Rede mit „Nazis raus“ und erntete dafür doch einen ordentlichen Applaus. Wir fragen uns, ob Rettig einfach nur ein berechnender Politiker ist oder ob tatsächlich einige positive Gedanken in ihm stecken. Und ob die Leute aus Halle mit applaudierten, fragen wir uns auch. Das konnten wir leider nicht sehen.

Die darauffolgende Podiumsdiskussion „Auf den Rängen: Hier bestimmen wir! Grenzen und Chancen von Selbstregulierung in Bezug auf Anti-Diskriminierung“ wurde für unseren Geschmack etwas zu früh beendet, denn als sich Vertreter aus Halle zu Wort meldeten, fing es an, erst so richtig spannend zu werden. Interessante Statements zum Thema Selbstregulierung kamen hier unter anderem von Leuten aus Siegen und von Union. Der Vertreter des Fanverbands von Aachen versuchte was fürs Image zu tun und berichtete von Lichterketten und ähnlichen Veranstaltungen „gegen Extremismus“, musste sich aber völlig zurecht fragen lassen, wo denn seine „99%“ waren, als ACU aus der Kurve geprügelt wurde. Sven B. lieferte ebenfalls einen Beitrag, bei dem – man höre und staune – die Video-Überwachung im Stadion als Hindernis der Selbstregulierung genannt wurde.

Es folgte noch eine Zusammenfassung aller Veranstaltungen und dann ging es quasi auch schon wieder Richtung Hamburg. Auf der Rückfahrt vertrieben wir uns die Zeit mit dem Live-Ticker der haesvau-emvau. Ihr wisst ja jetzt, welche „Wert-„Papiere ihr das nächste Mal zum Schrottwichteln besorgt.

Was bleibt für uns vom Fankongress 2014? Zunächst wollen wir noch einmal den Hut vor dem Orga-Team des Fankongresses 2014 ziehen. Durch ihr intensives ehrenamtliches Engagement haben sie eine großartige Veranstaltung geschaffen, von dem wir uns unbedingt weitere Auflagen wünschen, am liebsten jährlich.

Man muss aber auch klar sehen, was so ein Kongress leistet (leisten kann?) und was nicht. In allererster Linie liegt sein Wert sicherlich in der Symbolik. Dass über 700 Fans selbstorganisiert zusammenkommen, diskutieren und arbeiten und auch Verbände, Wissenschaftler und selbst die Polizei einbinden, ist ein Wert an sich. Die Ernsthaftigkeit, Disziplin, Selbstkritik und Fairness in der Zusammenarbeit und bei den Diskussionsveranstaltungen konterkariert das in der öffentlichen Meinung oft vorherrschende Bild der nur mit dem Schlagstock zu bändigenden Horden. Was für ein Unterschied zur unqualifizierten, populistischen und brandgefährlichen Hetze der Polizeigewerkschaften und einiger Politiker, wie viel offener und reflektierter als die Verbände und manche Vereine!

Weitere Pluspunkte sind die Möglichkeiten des informellen Informationsaustauschs und der Vernetzung mit anderen Fans und Aktivisten, sowohl auf der Veranstaltung als auch bei der „Nachbereitung“ in den Kneipen.

An seine Grenzen stößt das Konzept bei der Erarbeitung konkreter Inhalte und Ergebnisse. Als Motto wurde „Fanfreundliches Stadionerlebnis: Wie Fans den Fußball wollen“ ausgegeben – eine greifbare Antwort darauf entstand aber unserem Eindruck nach nicht. Hier wurde verpasst, eine Agenda zu setzen und dem Event ein greifbares Resultat zu geben. Die Frage ist natürlich, ob das in der aktuellen Organisationsform überhaupt möglich ist. Die – unserer Meinung nach unverzichtbare – Offenheit des Kongresses für alle Interessierten, die dem Grundkonsens hinsichtlich Rassismus usw. zustimmen, bewirkt auf der anderen Seite natürlich auch höchst unterschiedliche Wissensstände der Teilnehmer und wirft Fragen hinsichtlich der Repräsentanz auf. Das sind aber sicherlich Probleme, die man organisatorisch in den Griff bekommen könnte.

Immer wieder neu verhandelt werden muss, wie scharf man sich gegenüber problematischen Gruppen abgrenzen will und muss. Ein Minenfeld und eine klare Antwort ist leider nicht möglich. Integration wie Abgrenzung haben ihre Vor- und Nachteile. Klar dürfte sein, dass Gruppen wie die Karlsbande und jeder, der sich nicht klar und vor allem auch praktisch von Rassisten, Nazis und anderem Dreck distanziert, nicht akzeptiert werden können. Die Grauzone ist dann aber leider groß und vielfältig.

Unterm Strich war es ein absolut harmonisches, spannendes, interessantes und kurzweiliges Wochenende. Wir freuen uns schon aufs nächste Mal!

Vielen Dank an S.G. für seine Mitarbeit an diesem Blogartikel.

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