oder
Auch eine Frage des Vertrauens
Das Lied zur Überschrift müssen wir jetzt einfach mal verlinken.
Liebe Leser, eigentlich sollte nach so einem Heimsieg alles in bester Butter sein und man sollte sich nur freuen. Und doch gab es ein Ärgernis. Ein sehr starkes Ärgernis. Und das hat mal wieder was mit Ultras zu tun. Auch wenn ihr das alle langsam nicht mehr hören mögt.
Nun haben ja andere Blogger schon ganz viel zu dem Thema gesagt. Links findet ihr unten. Und damit wir jetzt nicht auch einfach nur unserem Unverständnis Ausdruck verleihen und uns aufregen, nähern wir uns dem Ganzen mal etwas anders:
Erstmal vorab der Sachverhalt.
Die Südkurve hat den Gästeblock mit „Nazischweine“ belegt. Und zwar planvoll und ohne konkreten beziehungsweise aktuellen Anlass. Man kann sich gerne darüber streiten, ob man so seine Abneigung gegen Nazis kundtun sollte, oder ob das nicht auch „eleganter“ geht. Das ist definitiv eine Geschmacksfrage, die man auch diskutieren kann. Nur entscheidend ist folgendes: Bevor man in seinem Differenzierungswahn gar nix mehr macht, sollte man lieber mal in das Pauschalisierungskästchen greifen. Insbesondere weil Fußballchants insgesamt ja nicht gerade ein Quell der Differenzierung sind. Seien wir auch ehrlich „FC St Pauli, du bist mein Verein und wirst es auch immer bleiben“ singt sich etwas besser als „Ich finde die erste Herren-Fußballmannschaft des FC St. Pauli von 1910 e.V. ganz toll und ich denke, dass wird auch noch eine unbestimmte Zeit so bleiben.“ Und das Gleiche gilt auch für fußballerische Beleidigungen. Nun gut, wie auch immer, die Südkurve wurde dafür breit ausgepfiffen. Was natürlich auch ’sehr‘ differenziert ist.
Und da kommen wir eigentlich zu einigen Fragen, die man eigentlich jeden Pfeiffenden mal fragen sollte:
1. Informierst du dich eigentlich über gegnerische Fanszenen? Nur mal so zur Erinnerung: Letztes Jahr heilte im Gästeblock noch ein Sieg alle Wunden. Und die WK 13 Boys konnten ihr Banner minutenlang zeigen. Wer ein bisschen googelt, der wird sehen, dass diese Vorfälle bei weitem keine Einzelfälle waren von Leuten, die sonst nie da sind. Ganz im Gegenteil. Cottbus hat eine lange Tradition von rassistischen und rechtsradikalen Ausfällen. Und tut sehr wenig dagegen.
„Aber diesmal haben die ja nix getan“. Erstmal kann man dies nach vielen Berichten bezweifeln. Nazis sitzen halt nicht mehr mit Hitlergruß auf dem Zaun. Die sind auch cleverer geworden. Und dazu kommt, dass die wegen Pyroshow und Randale in Dresden auch gerade Strafen ihres Vereines absitzen und deswegen schmollen. Aber ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass da diesmal die Antifa Cottbus im Gästeblock stand und die ganzen Faschos zu Hause geblieben sind?
Natürlich sind nicht alle Cottbusser Nazis und Rassisten. Aber sorry, liebe Leute, in dieser Szene, in der es null Gegenbewegung gibt und seit Jahren, nein seit Jahrzehnten dieses Problem herrscht, da mache ich mich irgendwann auch durch daneben stehen mitschuldig und muss sich mal eine Pauschalisierung gefallen lassen.
Mal ganz davon ab, Nazis tun niemals nix. Nazis sind in ihrer bloßen Anwesenheit zu viel und am Millerntor nicht zu dulden. Alles andere ist ein Schritt in Richtung Braunschweiger oder Aachener Verhältnisse. Der geduldete „nichts machende“ Nazi bringt nämlich irgendwann seinen Kumpel mit und der noch einen Kumpel und irgendwann sind sie genug, um etwas zu machen. Siehe z.B. Duisburg.
2. Was hast du gegen Nazis gemacht? Trägst du mehr als ein „St. Pauli Fans gegen rechts“ Aufnäher spazieren? Nebenbei sieht man selbst die immer seltener am Millerntor. Ja, Antifaschismus ist eben mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis.
3. Hast du dir mal überlegt, welcher Außeneindruck entsteht, wenn am Millerntor (!!!) die Rufe „Nazischweine“ ausgepfiffen werden? Man mag gar nicht bei uffta.ws gucken, aber wahrscheinlich wird da schon abgefeiert, dass die „Scheiß Zecken“ auch bei St. Pauli nicht mehr den Rückhalt haben und dort endlich auch „Politik bleibt Politik und Fußball bleibt Fußball“ gilt. Ist dies der Eindruck, den du vermitteln willst? Und das auch noch am Alerta Action Day? (Der nebenbei zeigt, dass „gegen Rechts“ viel mehr sein muss, als „gegen Nazis“ zu sein.) Man kann nur hoffen, dass alle Pfeiffenden wissen, was für Bockmist sie da angerichtet haben. Ein unpolitisches Millerntor ist eine Horrorvorstellung, die wir gar nicht erst andenken möchten. Aber ein Pfeiffen gegen Antinazisprüche ist ein riesiger Schritt dahin. Ich muss am Millerntor Anti-Nazi-Sprüche erstmal begründen, um nicht ausgepfiffen zu werden? Selbst wenn man das ein zweites Mal schreibt: Es bleibt unfassbar und unbegreiflich!
4. Oder ist es etwa das komplett fehlende Grundvertrauen in unsere Südkurve? Warum kommt eigentlich niemandem der Pfeiffenden folgender Gedankengang in den Sinn: „Hmmm… ich sehe gerade kein Grund, warum die Nazischweine brüllen, aber hey, die haben viel mehr Quellen als ich, vielleicht hat es irgendwo geknallt oder ich habe etwas nicht mitbekommen… ich sing jetzt mal nicht mit, aber ich informier mich später“. Man kann USP in ganz vielen Sachen kritisieren, aber wenn wir in unserer Szene es nicht endlich ein Grundvertrauen, eine Grundinformiertheit und eine gewisse Solidarität hinzubekommen, dann sind wir dem Untergang geweiht. Langsam muss man auch wirklich fragen: Was hat euch USP eigentlich getan? Und nun kommt nicht wieder mit dem „Dauersingsang“ und so einem Blödsinn. Praxistest: Die Gegengerade kann die Südkurve lässig übersingen, wenn sie will. Wenn dich der Dauersingsang am Singen und Supporten hindert, dann liegt es nicht an USP, sondern an dir. Support ist eben auch „hingehen wo es weh tut“.
Ihr doofen Kritiker: Lernt endlich mal Ultras und ihre Denkweisen kennen. Trinkt mit denen mal ein Bier, redet mit denen. Und zwar in Ruhe und ohne Vorurteile. Dann werdet ihr merken: Das sind auch nur Sankt Paulianer. Vielleicht für euch die doofe Schwiegermutter, aber eben doch Familie.
5. Komisch, dass nun Leute pfeiffen und meckern, die auch mal gerne vertreten, dass bei Hansa oder Dynamo sowieso alles Nazis sind. Noch mal: Beschäftigt ihr euch mit Fanszenen?
Nun gut, lassen wir das. Hoffen wir mal, dass nie wieder Rufe gegen Nazis am Millerntor ausgepfiffen werden. Sonst sollten wir uns ernsthaft Gedanken machen, ob dies noch der FCSP ist, der – zurecht – stolz darauf ist, anders zu sein.
Kommen wir zum restlichen Spiel. Ein Drittel von uns vertritt ja die steile These, dass wir bis zur Winterpause (Achtung, dies ist ungleich mit der Hinrunde) noch vier Siege aus sechs Spielen holt, sich dann das Thema „Wer trainiert die Mannschaft nach der Winterpause“ von ganz alleine erledigt und unserer jetziger Trainerstab seine zwei Jahre Verlängerung bekommt. Das ist nämlich ganz einfach. Erfolg macht Sexy. Und Erfolg war am Montag Abend schon mal vorhanden. Die Jungs spielten endlich nach einem 1-0 mal weiter.
Bemerkenswert dabei: Zwei Tore fielen direkt aus einem schnellen Umschalten nach Ballgewinn. Beim 2-0 achte man nur mal auf Schachten und wie viele Meter der nach seinem eigenen Ballgewinn überbrückt. So spielt man Fußball. Was haben wir uns in den letzten Monaten geärgert, dass nach einem Ballgewinn erstmal alles stehenbleibt und traurig aus der Wäsche guckt. So wie gestern muss das laufen!
Und das kann man sehr gut genau an Schachten fest machen. Was der ackert, das geht auf keine Kuhhaut. Auch sonst waren beinah alle Spieler richtig stark. Nöthe wird zwar kein Vollstrecker mehr, aber wo er wertvoll ist, zeigte er bei seinem Pass zum 1-0. Zu hoffen bleibt, dass Kalla sich nicht schlimmer verletzt hat, denn in der ersten Halbzeit zeigte er, dass er immer mehr zum Angelpunkt unseres Spieles wird.
Der Übersteiger wies vollkommen zu Recht darauf hin, dass dieses Spiel auch richtungsweisend war. Bei einer Niederlage hätte man sich doch deutlich Sorgen nach unten machen müssen. So gucken wir wieder nach oben. Und sind sozusagen die Besten vom Rest, wenn man so mal das sehr breite Mittelfeld der zweiten Liga nennen will.
Es schrieben noch…
Gröni zeigt Schachten, Schachten zeigt die Richtung. Nach oben.
Und neu in dieser Liste. St. Pauli Streets.
Stimme größtenteils zu. Allein folgende Aussagen finde ich problematisch:
„Bevor man in seinem Differenzierungswahn gar nix mehr macht, sollte man lieber mal in das Pauschalisierungskästchen greifen.“
Das finde ich in dieser Absolutheit falsch. Außerdem ist es zwar rhetorisch geschickt, so zu tun, als sei die einzige Alternative zum „Nazischwein“ stumpfes Ignorieren – inhaltlich zutreffend ist das aber nicht. (Und geht schon sehr in Richtung behaupteter „Alternativlosigkeit“, die wir andernorts völlig zu Recht bitter beklagen.)
„Und das Gleiche gilt auch für fußballerische Beleidigungen. Nun gut, wie auch immer, die Südkurve wurde dafür breit ausgepfiffen. Was natürlich auch ‘sehr’ differenziert ist.“
Auch diese Sichtweise finde ich problematisch, denn es wurde erkennbar ein Gesang ausgepfiffen – und keine Kurve. Hier liegt auch ein großer Unterschied zum Nazischweine-Gesang. Der wurde durch den Kontext eindeutig an den gesamten Gästeblock adressiert.
Zu deiner ersten Frage: Nein, das tue ich im Regelfall nicht vorab, die interessieren mich eher so beiläufig. Angesichts dessen, dass in den vergangenen Monaten quasi nur über Duisburg, Aachen, Braunschweig und vielleicht noch Dresden und Berlin (oder Bremen- hm, sind doch ne ganze Menge) berichtet wurde, standen die bei mir aktuell im Fokus, wenn ich mich schon mit anderen Vereinen beschäftige. Allenfalls lese ich mir vorm Spiel noch die entsprechenden Fanszines durch, das habe ich dieses Mal aber bis heute noch nicht komplett geschafft, insofern weiss ich nicht, ob da ein Bericht zur Cottbusser Fanszene drin steht.
Cottbus hatte ich eher nicht auf dem Schirm. Das mag man jetzt schlimm finden, unverständlich oder wie auch immer, war aber nun mal meine Lebensrealität am Montagabend. Insofern hätte das Stichwort der letzten Cottbusser Choreo bei mir einiges an Einsicht bewirkt. Man hätte mir den Inhalt der Choreo mit der mehr oder weniger versteckten Aussage dann auch nicht mehr genauer zu erklären brauchen, das hätte ich dann auch noch selbst hinbekommen, denn an diese Choreo erinnere ich mich schon noch, wenn das Stichwort gefallen wäre. Das das die Cottbusser waren, war mir aber am Montagabend nicht mehr im Kopf, genauso wenig wie die weiteren Aktionen von denen- wie gesagt, im Regelfall interessieren mich andere Fanszenen eher so beiläufig. Ja, vielleicht ist mein Kopf dann ziemlich leer, keine Ahnung, was du nun über mich denkst…
Was jedoch gar nicht geht, und was ich daher auch nicht machen würde (=kann), ist der Umstand, die eigene Fanszene mal so kollektiv auszupfeifen, weil mir selbst in dem Moment nicht klar ist, warum sie jenes und dieses tut- das kann dann ggbf. im Anschluss immer noch (er / ge)klärt werden.
Ja, dann kommen ggbf. wieder die Fragen, warum man das denn nicht direkt im Stadion geklärt hätte, wenn einem was stören würde- habe ich versucht, zurück bekam ich in dem Moment dann ein „Die sind schon seit Jahren als Nazis bekannt“, da habe ich dann gedacht „Ich seh und höre von denen nichts“ und habe ebenfalls geschwiegen. Wäre die letztmalige Choreo von denen in dem Moment erwähnt worden, oder irgend was anderes, konkret greifbares, hätte ich vermutlich mit geschrien, aber ein „Die sind schon seit Jahren als Nazis bekannt“ ließ mich in dem Moment etwas ratlos zurück, denn in dem Moment waren sie mir das halt nicht, sonst hätte ich ja kaum nachgefragt?!
Aber das „Warum hast du das nicht direkt im Stadion geklärt“ ist eh so ein Argument, was vielleicht bei Leuten funktioniert, die sich im Block homophob oder sonst wie unangemessen verhalten- da ist die Sachlage dann ggbf. klar, weil man eben den Grund für das Handeln direkt erkennen konnte, ein „Nazischweine“ kann aber im Zweifelsfall nicht derartig falsch sein- und du sprichst es bereits an – das Vertrauen in die eigene Fanszene, in die Leute, von denen ich weiß, dass sie sich mit einigen Themen intensiver beschäftigen wie ich es tue- das scheint dann halt insofern zu fehlen, als das die Reaktion ja eben prompt, noch im Stadion, erfolgte, man also offenkundig meinte, sich darüber ein Urteil bereits erlauben zu können.
Insofern kann man sich durchaus verwundert darüber zeigen, weshalb der Gästeanhang als Nazischweine betitelt wurde, aber dann eben die eigene Uninformiertheit und das thematisieren durch andere als Vorwand dafür zu verwenden, dieses thematisieren dann auszupfeifen mutet in der Tat befremdlich an- denn das ist ein Urteil, was man eben nur anwenden sollte, wenn man sich seinerseits sicher ist, alle Fakten in dem Moment bedacht (oder gekannt) zu haben.
Das ist dann am Abend nach dem Spiel vielleicht kurzzeitig etwas schmerzvoll für einen selbst, weil man sein Unverständnis in die Twitterwelt hinauspostet, und man damit dann die eigene Uninformiertheit nach Außen sendet, aber das sendet dann wenigstens nicht ein derartig mieses Signal aus wie ein direktes auspfeifen der Mitfans noch im Stadion, weil die den Gästeblock als Nazischweine bezeichneten- ein, wie du ja auch schreibst, ziemlich verherrendes Signal- schweigen und dann anschließend wo ausdiskutieren wäre im Zweifel zielführender gewesen (allerdings auch nicht so schön anonym wie im Stadion).