Vorwort
Liebste Leser, am Ende der letzten Saison machten wir ein Tippspiel und versprachen dem Gewinner des ersten Platzes ihm hier Platz für einen Gastbeitrag zu liefern. Und nun freuen wir uns, dass Finn nun mit Insiderwissen aus dem Praktikum im Fanladen rausrückt. Aber lest selbst:
Moin!
Mein Fußballsachverstand zwingt Euch nun, meinen Blech auf dem magischerfc-blog lesen zu müssen. Besagter Blog hat so eine Art Tippspiel beim allseits beliebten Facebook gestartet und meinereiner siegte durch puren Pessimismus. Als würde St. Pauli in Fürth was holen! Somit habe ich nun hier die Möglichkeit, einer Menge Menschen meinen kleinen Bericht zu meiner Schaffenszeit im besten Fanprojekt der Welt zugänglich zu machen. Schon lange schiebe ich dieses Vorhaben vor mir her und hatte als Sprachrohr dafür den Kiezkieker im Visier. Nun aber dieser Hauptgewinn. Et voilà!
Erzieher Ausbildung in Mölln (S-H) und ich habe den ganzen Mist schon zwei Jahre durchgehalten. Das Abschlusspraktikum stand an und der Fanladen gab zur gleichen Zeit eine Praktikumsstellenanzeige auf seiner Homepage auf. Die Bewerbung ging sofort raus und Justus lud mich zum Vorstellungsgespräch Mitte April ein. Oha, dachte ich, richtig professionell jetzt? Nun gut, so richtig gekannt haben wir uns ja schließlich nicht und die erste Frage ihrerseits lautete: Wo liegt Schmilau (mein damaliger Wohnort) und wie kommt man da weg?! Flugs noch etwas aus meiner glorreichen Praktikantenkarriere erzählt, den Fanladenhoschis ein paar fachliche Fragen zum Thema soziale Arbeit mit Fußballfans gestellt und ein doch recht gutes Gespräch geführt. Stefan versuchte unentwegt, mir die Stelle so madig wie nur irgend möglich zu machen. Thesen wie „du gibst im Prinzip dein Hobby auf“, und „wenn du abends im Jolly bist, bist du nicht mehr der Finn aus XY, oder der Finn von USP, sondern der Finn vom Fanladen“.
Geil, dachte ich mir. Ist doch n fetter Titel, oder nicht?! Der Schuss, mich so abzuschütteln ging nach hinten los und ich konnte mich mit dem Gedanken ganz gut anfreunden, der „Finn vom Fanladen“ zu sein. „Melde dich nicht bei uns, wir melden uns bei Dir!“ war dann quasi der Rausschmiss. Und tschüß!
Tage und Wochen zogen ins Land, bis Elin mir eine Zusage per Mail zukommen ließ, was mich richtig freute! Am 16.08. startete dann mein Praktikum mit einer Teamsitzung. Die Deutsche Bahn gönnte sich ausgerechnet heute ein paar Aussetzer, sodass ich trotz Sprints von Feldstraße zum Fanladen, vorbei an den Dreharbeiten für den Tatort bei Tuncay 10 Minuten zu spät kam. Fuck! „Nächstes mal bitte pünktlich!“ grummelte der Mann mit dem Bart, der bei jeder Teamsitzung stets mit dem Rücken zum Fenster saß und sich diese Selbstinszenierung wohl bei Herrn Littmann abgeguckt hat? Aber hey, mein Nachfolgeprakti Fabian kam noch später! Am Ende begleitete ich Justus zum Testspiel gegen Werder, bei dem wir uns mit den FP-KollegInnen vom SV Werder trafen, die alle in offiziellen SVW-Klamotten herumliefen. Interessant mal zu sehen, wie andere Fanprojekte arbeiten. Nächstes erwähnenswertes Highlight der ersten Woche war die BAG-Tagung im Fanhaus. Nicht ganz wohl war mir bei der Sache an der S-Holstenstraße auszusteigen und mich langsam und vorsichtig dem Fanprojekt der Rauten zu nähern. Mal ins Fenster geluschert, bloß nicht davor auf die Treppen setzen. Lieber n Stückchen weiter auf Elin und Justus warten! Dann rein – welch trister Anblick! Fettes Haus, aber sooo lieblos und kalt irgendwie. Die HSVer tischten ein bisschen Frühstück auf, am Tresen lagen ein paar Ausgaben der Gazzetta D’Ultrà herum. Kein Geld für St. Pipi…
Die größte Herausforderung im Praktikum sah ich im Perspektivenwechsel. Fuhr ich die Jahre zuvor doch in steter Regelmäßigkeit zu den meisten Auswärtsspielen, lernte ich nun die Perspektive, das ganze mal aus der Sicht des Arbeitenden zu sehen, kennen. Arbeitskarten direkt am Stadion, den Ordnern beim Einlass auf die Finger gucken, Kurvengespräch, et cetera. Sehr bemerkenswert dann der „Bereichsabschnittsleiter“ in Braunschweig beim Vorzeigen meiner Arbeitskarte mit der Aufschrift „Fanbetreuung FC St. Pauli“: „Ach, jetzt kommt ihr auch mal oder was? Wo wart ihr denn, als eure Leute das Stadion gestürmt haben?“. Einen sicheren und geordneten Einlauf ins Stadion zu gewährleisten, steht nun eigentlich nicht in der Leistungsbeschreibung eines Fanprojekts. Die Tage im Fanladen zogen ins Land und ich arbeitete mich immer besser ein. Michi von den SPS instruierte mich ins Handwerk der Quittungen und Pauli Pizza begann langsam aber sicher zum alltäglichen Spaziergang zur Talstraße zu werden. Parmesan, Rucola, Feta – müsst ihr mal machen.
Dem FL Team erzählte ich bereits im Vorstellungsgespräch von „anderen Umständen“ zuhause und regelte sofort, dass ich schnell los kann, sobald sich in Ratzeburg diesbezüglich was tut. Stichtag 15.10., natürlich peilten wir alle den 19.10. an. Tatsächlich ereilte mich an jenem Tag ein eiliger Anruf meiner Freundin… Autoscheibe eingeschlagen, Tasche geklaut. Alle Ultraschallbilder weg. Unser Baby ließ sich also Zeit, man munkelt, sie (es wird ein Mädchen) will sich noch schick machen für den großen Tag. Der Showdown stieg dann am Abend des 22.10. gegen 18 Uhr. Gegen 23.30 Uhr ringten wir uns durch, das Krankenhaus zu Fuß aufzusuchen (Gehen soll helfen) und alarmierten einen Freund, der solange die Katze hüten sollte und sich für die Zeit, die wir im Krankenhaus sind, bei uns einzeckt. Während Sarah Lena ein CTG nach dem anderen und diverse unschöner Dinge über sich ergehen lassen musste, frönte ich dem Schönheitsschlaf. Schließlich will ich für den großen Moment ausgeschlafen sein. Stefan erreichte dann die SMS, dass er mit mir zum morgigen Heimspiel gegen den FSV Frankfurt nicht rechnen könnte.
Frühmorgens wurden die Wehen stärker und stärker. Bis sie irgendwann so stark wurden, dass es die reinste Qual für alle Beteiligten war. Nach 20 Stunden Wehen, davon 10 Stunden intensive Wehen steckte unser Baby, für das wir uns bis dato noch auf keinen Namen einigen konnten, im Becken der Mama fest und kam einfach nicht weiter. Der Arzt versuchte es per Saugglocke – das perverseste, was es gibt!! Mit dem Fuß am Bett und angewinkeltem Knie stütze er sich ab, lehnte sich nach hinten und zog. Zog, zog, zog und zog. Dann ruckartiges Ziehen. Immer wieder. Es tut sich nichts! Die Herztöne vom Baby gehen runter, Mama ist körperlich am Ende angekommen, Papa psychisch gefoltert. Letzte Lösung: Not-Operation. Auf die Schnelle alle Piercings entrissen, den Anästhesisten auf die Schnelle natürlich nicht erreicht.
Nach ziemlich langen 25 Minuten im OP winkte mich eine Krankenschwester heran. Am Ende des Ganges ein Babybett. Sie gaben mir das Baby auf den Arm, ein winziges kleines Baby, welches gerade 48cm misst und 3220g leicht ist und in ein Handtuch gewickelt ist. Die Augen geöffnet, aber sichtlich mitgenommen von den Strapazen. Nach und nach trafen fast alle Verwandten ein und erfreuten sich des namenlosen Familienzuwachses. Am dritten Tage setzte sich Papa allerdings mit IRMA durch! Alternative? Fine! Geht garnicht – Finn und Fine… Dann doch lieber Irma!
Übrigens. Sankt Pauli spielte am besagten 23.10. gegen den FSV Frankfurt. Irma erblickte um 14.08 Uhr, also in der 38. Minute beim Stand von 2:0 für St. Pauli das Licht der Welt. Ist doch auch was! Aus dem Fanladen erreichten mich die Glückwünsche per SMS, auch aus der Fanszene gab es unzählige Gratulationen. Merci! Was dem Fanladen nun sehr, sehr hoch angerechnet werden muss, ist die Tatsache, dass sie mir drei zusätzliche Wochen frei gaben. Zu vorbelastet sind sie, was das Kinderkriegen angeht. Justus erwartete zu dem Zeitpunkt schließlich auch eine Tochter („13.12. – das kann nur gut werden!“) und mit Stefan und Carsten waren schon zwei frische Väter am Start. Elin hat sich davon ja mittlerweile auch anstecken lassen und einen Sohn zur Welt gebracht!
Den Leuten vom Fanladen gebührt an dieser Stelle mein ganz großer Dank. Keine Selbstverständlichkeit, wie das gelaufen ist!
Mein erster Arbeitstag im Fanladen begann mit der Frage „Na, bist froh, endlich mal wieder weg von zuhause?!“. Und zugegeben: JA!
Im Praktikum standen nun Themen wie Rostock auswärts und die Orga des Schweinske Cups an. Hierüber zu schwadronieren und alles neu aufzudröseln tut nicht Not.
Im weiteren Verlauf konzentrierte sich meine Arbeit auf die Jungs von den U18 Ragazzi. Zunächst stand ein Vorbereitungsteffen mit Sadat vom Verein „Gefangene helfen Jugendlichen“ im Fanladen an. Der Verein wurde von Ex-Häftlingen gegründet und leistet präventive Arbeit durch Projekte wie einen Knastbesuch mit Vorbereitungs- und Reflexionstreffen. So fanden sich knapp 10 Ragazzi zusammen um den Weg nach Santa Fu anzutreten. Treffpunkt war morgens um 6.30 Uhr an der Sternschanze und ich war begeistert, dass alle mit an Bord waren und niemand verschlief. Nachdem wir am Knast angekommen waren gab es das volle Programm: Jeder wurde in eine Isolationszelle gesperrt, es wurden Gespräche mit Gefangenen geführt (Mörder, Drogendealer, Zuhälter etc.), eine Führung gemacht und ein Film geguckt. Zum Schluss kamen wir noch in den zweifelhaften Genuss eines Knastessens. Es gab Senfeier mit Kartoffeln.
Außer Marco, der sich gleich noch nen Nachschlag kommen ließ, winkten alle nach den ersten Löffeln dankend ab. Einige Eier mussten ausgespuckt werden, da sie schlecht waren. Halil, einer der Häftlinge erklärte uns dann, wie das Essen im Knast zubereitet würde. Denkt euch das widerlichste aus, was du nur mithilfe deines Körpers produzieren kannst und ihr habt eine der Zutaten. Man gewöhne sich jedoch dran und wenn du nichts isst, verhungerst du eben. Nachschlag gibt’s nicht. Viele Dinge klingen klischeebehaftet, stellen sich aber im Endeffekt als Wahrheit heraus. Ein Schock für die Jungs war, als Sadat das „Klischee mit der Seife beim Duschen“ widerlegte. „Stimmt so überhaupt nicht. Die machen das auch ohne Seife.“.
Beim Reflexionstreffen kamen wir noch in den Genuss einer einzigartigen Ausbruchsgeschichte und ließen die Erfahrungen nochmals auf uns wirken.
Wir befanden uns nun schon in der Winterpause und es wurde Zeit, sich aus der Arbeit herauszuziehen. Natürlich geht das am besten mit einer langen FIFA Nacht. Xbox organisiert, Beamer aufgebaut und Pizza bestellt. Die U18 Hoschis mal ordentlich gegen die Wand spielen. Am Ende musste ich mich lediglich Marco, der als „Virtual Pro“ beim HSV entlarvt wurde und zur Strafe das ganze Turnier über mit den Rauten spielen musste, geschlagen geben und verabschiedete mich mit dem 2. Platz. Die Jungs gönnten sich noch „Mensch Markus“, der Kiezkieker schiebt Nachtschicht im Keller und Timmi guckt von mir unbemerkt auf dem Rückweg von der Kleinen Pause kurz mal rein und gleitet sofort sanft in den Schlaf auf einer der Sessel, bis ich morgens feststelle, dass wir Besuch haben. Aufsichtspflicht, ick hör dir trapsen.
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Vielen Dank an Carsten, Elin, Justus, Kolja, Stefan und natürlich auch an Dieter Bänisch vom Verein Jugend und Sport!
Finn