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Alerta, Alerta Antifascista!

oder

Der Tag, an dem über 10.000 Menschen auf Hamburger Straßen ein Zeichen setzten

Vorwort

Seit Wochen wurde über viele Kanäle und auch von uns immer wieder dazu aufgerufen, sich den Nazis in den Weg zu stellen, ein Zeichen gegen Rechts zu setzen. Dazu boten sich viele verschiedene Möglichkeiten und wir freuen uns sehr, wie zahlreich diese genutzt wurden.

St. Pauli läuft gegen Rechts

Für uns begann die Demonstration schon am Freitag, als wir dem Aufruf „St. Pauli läuft gegen Rechts“ der Marathon-Abteilung unseres Vereins folgten. Alle einmal 7,4km links(!) um die Alster laufen oder gehen.

Wir kamen durch unglückliche Ereignisse erst zehn Minuten vor Start auf der Grillwiese Schwanenwik an. Trotzdem erhielten wir problemlos gegen eine Spende unsere Startnummern und konnten noch etwas Musik der Band „Tuten und Blasen“ lauschen, ehe wir unseren Lauf begannen.

Hamburg zeigte sich in schöner Abendsonne und mit starkem Wind. Die Läufer waren alle bester Laune und motiviert, das Beste aus sich herauszuholen. Unterwegs hatte man dann sogar die Möglichkeit, Wasser zu bekommen, denn etwa nach der Hälfte der Strecke hatte die IGM Jugend einen Stand aufgebaut. Danke dafür. Es war eine wunderbare Veranstaltung, bei der letztlich rund 1400 Teilnehmer an den Start gingen, die insgesamt 3800€ spendeten.

Ein Video von dem Tag findet ihr hier

#NOTDDZ

Wir haben uns entschieden dem Aufruf des Hamburger Bündnis gegen Rechts zu folgen und fanden uns gegen 9.45Uhr am Treffpunkt 1, also Eilbeker Weg/Wandsbeker Chaussee, ein. Es war schon ein großer Haufen anderer Antifaschisten eingetroffen und wir liefen erstmal ein wenig umher, um die Lage zu überblicken.

Aus einem Lauti schollen Techno-Klänge („Nazis wegbassen“), die für musikalische Untermalung sorgten, und ein Stand verkaufte Speis+Trank zu Soli-Preisen. Über Lautsprecherdurchsagen bekamen wir immer die aktuellsten Informationen zur Lage an anderen Orten. So erfuhren wir u.a., dass der Antifa-Trupp eingekesselt wurde. Wie man später las, wurde dieser mehrere Stunden ohne Verpflegungs- und Toilettenmöglichkeit festgesetzt.

Dort blieben wir die folgenden zwei Stunden, die Stimmung war friedlich, aber entschlossen. Mit ein wenig Schmunzeln nahmen wir einen jungen Mann wahr, der einen Pullover der Band Varg trug. Den freundlichen Hinweis, dass zwielichtige Pagan Metal-Symbolik auf einem solchen Ereignis schnell zu „Missverständnissen“ führen konnte, nahm der Bursche gern an – und hüllte sich fortan auch in strahlender Sonne in seine gefütterte Regenjacke.

Wir konnten verschiedene Versuche beobachten, die Polizeisperren zu überwinden. Dies führte aber nur zu Pfefferspray (zuverlässige Augenzeugen berichteten u.a. aus 30cm Nähe auf einen alleine stehenden Demonstranten) und Schlagstock-Einsatz gegen Demonstranten und damit Verletzungen. Auch die WaWes wurden immer wieder aus verschiedenen Richtungen an die Kreuzung herangefahren, kamen an dieser Stelle aber nicht zum Einsatz. Dennoch gelang es den Blockade-Gruppen bald, die Sperren über andere Wege zu überwinden und der Platz leerte sich merklich. In der Folge sah man an einigen Stellen dunklen Rauch aufsteigen, da Altpapiercontainer etc. brannten.

Wir wurden dann angesprochen, ob wir auch zu den Blockaden wollen und der Schleichweg um das Team Blue herum wurde uns beschrieben. Im Nachhinein sind wir uns sicher, dass die dortige Polizei schon längst von der geänderten Route der Nazis Kenntnis hatte, da sie mit erstaunlicher Gelassenheit reagierte.

Wir fanden uns nach einem kleinen Fußmarsch an einer der größeren Sitzblockaden ein. Dort sprachen wir mit anderen Blockierern, um auf den aktuellen Stand gebracht zu werden. Dies und die Sonne führten zu einem leichten Bierdurst, weswegen wir uns dann auf den Weg zum nahegelegenen Supermarkt machten. Angesichts der langen Schlangen, der guten Stimmung und des zuneige gehenden Bier- und Snackangebots fühlten wir uns fast an Festivals erinnert.

Nach einer Weile erfuhren wir dann über unverhoffte Verbindungen zu wichtigen Staatsorganen von der Routenänderung und machten uns auf den Weg, uns den Nazis in den Weg zu stellen.

Auf der Suche nach einem Durchgang Richtung Hamm über die Wandsbeker Chaussee stellten wir fest, dass die Polizei schon alle Möglichkeiten versperrt hatte. An der Kreuzung Ritterstraße wurde es auf einmal hektisch, viel Gerenne von Demonstranten und Polizisten, WaWes fuhren vor. Durch einen glücklichen Zufall gelangen wir in einen Hauseingang und befanden uns plötzlich in einer kleinen „Einsatzzentrale“. Dort bekamen wir eine Toilette, Getränke und aktuellste Nachrichten via Telefon/Internet. (Wenn ihr es lesen solltet, vielen vielen Dank an dieser Stelle!)

Wir erfuhren von Aufeinandertreffen von Nazis und Antifaschisten im Jacobipark. Die neue Route des „TDDZ“ markierten wir in unserer Karte und schlossen uns mit ein paar anderen zusammen um gemeinsam eine neue Blockademöglichkeit zu finden. Unser zum Glück ortskundiger Begleiter führte uns zielsicher in die Marienthaler Straße. Wir trafen gleich auf viele andere Gegendemonstranten, wie schon den ganzen Tag sehr bunt gemischt und sicherlich nicht nur aus „Linksextremisten“ bestehend. Und dort ereignete sich das, was wir alle auch aus Medienberichten erfahren.

Wir können nicht beurteilen, was letztlich zu dem Chaos führte, jedoch kam es dann bald zu Gerenne, WaWe- und Schlagstock-Einsatz, Steine- und Flaschenwürfen, Bränden – kurzum, das volle Programm. Währenddessen schlug die Polizei mit einer unverständlichen Härte einer Gruppe, deren Ideologie vor Menschenverachtung strotzt, den Weg durch friedliche Demonstranten frei. Wir können allen Frust verstehen, der sich in dieser Situation breit machte. Jedoch verstehen wir nicht, warum sich dieser dann in Altkleidercontainern(!) und Privatfahrzeugen entladen musste. Die Schattenseite der Massendynamik.

Nachdem die Nazis diesen Abschnitt passierten, rannten wir ebenso, wie die Masse, hinterher um noch so viel wie möglich zu erreichen, allerdings ohne erkennbaren Erfolg.

Am frühen Abend wurden die Nazis dann in einen Sonderzug an der S-Bahn-Haltestelle Hasselbrook gesetzt. Was daraufhin am Hamburger Hauptbahnhof, in Harburg, Lüneburg usw. noch passierte, entzieht sich unserer Kenntnis und können wir auch nur Medienberichten bzw. Berichten des HBgR entnehmen.

Fazit

Für uns bleibt nach guten acht Stunden Fußmarsch und einem dicken blauen Flecken an der Wade (ein Glück nur im Zaun hängen geblieben) folgendes:

Einen riesigen Dank an alle, die an diesem Tag auf ihre Weise demonstriert haben, ein Zeichen gesetzt haben. Wir haben viele bekannte und unbekannte Gesichter aus dem Vereinsumfeld entdecken können, toll, dass auch ihr zahlreich dabei ward.

Die Nazis waren weniger als gedacht, kamen mit drei Stunden Verspätung nur 1600m weit. Das ist ohne Zweifel als Erfolg zu werten.

Und auch ein Diskurs über Polizeieinsätze/-strategien bleibt unerlässlich, wie nach so ungefähr jedem größeren Einsatz in unserer Stadt.

Einen letzten Dank noch an das HbgR, das durchgehend und minutiös vor, währenddessen und danach Informationen/Ratschläge/Hilfe boten. Schade, dass der mobile Ticker bei uns nicht funktionierte.

Hier ein Video

Weitere Bilder, Videos, etc. findet ihr u.a. hier:
30 Minuten Eindrücke
22 Videos
Links zu Bildern, Videos, Artikeln, usw.

7 Kommentare

  1. Joe Joe

    Danke für den Bericht. Das mit den Altkleidercontainern ist vielleicht gar nicht so absurd, wie es den Anschein hat. Denn das deutsche Altkleidersammelsystem scheint insgesamt sehr fragwürdig zu sein. DRK & Co labeln die Kisten nur, kassieren Geld und am Ende steht ein kommerzielles Geschäft eines privaten Betreibers mit unschönen Auswirkungen für die Textilproduzenten in den Zielländern.

  2. Joe: Nun ja scheint uns jetzt ein bisschen weit hergeholt. Bei aller Liebe: Das abbrennen bei einer Strassenauseinandersetzung als politisches Statement gegen die Organisation zu interpretieren.

  3. Joe Joe

    Ich meinte nicht, das Abbrennen sei ein politisches Statement. Ich meine, wegen der von mir benannten Hintergründe gibt es lediglich keine höhere Hemmschwelle, wenn es darum geht, einen Altkleidercontainer- als Blockademittel einzusetzen.

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