oder
Italiener am Bahnhof
Vorwort
Liebe Leser, eigentlich wollte ich diesen Bericht als offenen Brief an den Verfassungsschutz schreiben, dass sie mich doch endlich auch mal überwachen sollen, aber irgendwie bekomme ich das nicht hin. Und eine ernüchternde Niederlage macht den geneigten Fußballfan auch nicht wirklich lustiger. Kommen wir also zu unserem Besuch auf dem „Neuen Tivoli“.
Abenteuer Bahn
Aachen. Da war doch was. Ja Aachen steht zur Zeit im öffentlichen Fokus, weil „Fanauseinandersetzungen“ in die breite Öffentlichkeit gelangt sind. Stark vereinfacht wird hier eine Ultragruppe, die eben nicht „unpolitisch“ sein will von der „unpolitischen“ Ultragruppe gewalttätig angegangen. Seien wir mal deutlich: Wer unpolitisch ist und dabei meint, dass auch Neonazis Platz in seinen Reihen Platz hat, der ist eben nicht unpolitisch.
Holen wir doch mal ein bisschen aus:
Als erstes wird doch immer wieder gerne rechts und links gleichgesetzt und gesagt, dass der Fußball kein Platz für Radikalität jeglicher Couleur habe (und natürlich auch beides gleich schlimm sei). Viele werden jetzt nicken und sagen „Fußball ist doch unpolitisch“. Aber genau dies ist falsch. Es ist in mehreren Sinnen falsch. Erstmal ist die Gleichsetzung von Links- und Rechtsradikalismus falsch und pauschalisierend. Ich verweise hier mal auf einen Text aus der Zeit, der eigentlich sehr deutlich macht, was da falsch läuft. Das Fußball per se politisch ist, zeigen nicht nur die tragischen Ereignisse in Ägypten auf brutale Weise, sondern auch die ständige Verquickung von Politikern mit Fußballvereinen.
Was ist aber nun an der Gleichsetzung falsch? Ganz einfach: Sie verkennt die Analyse der dahinter stehenden Gedanken, sie differenziert nicht und sie lässt so auch die notwendigen differenzierten Reaktionen einer Demokratie (und die wollen wir ja immer noch sein) vermissen.
Um es mal deutlich zu sagen: Auch ich habe keine Sympathie, wenn jemand aus einer angeblich linken Denke Gewalt ausübt. Meines Erachtens lässt sich die meisten Gewalt auch mit einer emanzipierten, humanistischen, kurz linken Denke überhaupt nicht in Einklang bringen. (Während ich Gewalt mit einer rechten Ideologie perfekt in Einklang bringen kann, man deswegen auch für Morde an „Ausländern“ auch keine Bekennerschreiben braucht).Aber man kann noch weiter gehen „Alleine schon links“, denn „links“ ist schon die erste viel zu grobe Pauschalisierung, denn was alles unter „links“ gepackt wird, hat teilweise so gut wie gar nix miteinander zu tun, denn hier gehen wir von dogmatischen Kommunisten bis zu undogmatischen Anarchisten, die ihre Ideologien nie unter einen Hut bekommen würden (drei „denn“ Sätze hintereinander, Grammatikliebhaber schreien gerade). Ihr wisst doch: Anarchostalinismus, wer nicht frei sein will, der wird erschossen. Ohne mich jetzt in einer Analyse linker Strömungen zu verlieren: Jeder, der schon mal politisch in der Linken 😉 aktiv war, weiß wie unterschiedlich die einzelnen Meinungen und Ideologien sind. Und bei weitem nicht alle (eher die wenigsten) sind eine Gefahr für eine Demokratie. Ich verweise auf den eben verlinkten Text.
Als Demokratie muss ich mich daher immer wieder fragen, was will ich eigentlich wirklich „bekämpfen“. Will ich wirklich den Menschen bekämpfen, der in einer demokratischen Gesellschaft eine Verstaatlichung von Schlüsselindustrien fordert? Ist das wirklich so Grundgesetzwidrig, wenn doch das Grundgesetz selber die Enteignung vorsieht und auch Eigentum verpflichten will? Muss ich wirklich den eher linkssozialdemokratischen Linksparteiabgeordneten beobachten, der jahrelang Richter, sogar Bundesrichter war? Und ist die Linke wirklich als Gesamtheit verfassungsfeindlich (im Sinne von gegen dieses Grundgesetz)? Diese Fragen zu stellen, ist sie zu verneinen.
Wenn ich jetzt aber noch in diesen Schmelztiegel auch noch Neonazis schmeiße, und dazu noch alle anderen Rechten, dann wird es einfach nur noch diffus und ich arbeite in der Gegenarbeit nur noch mit Pauschalisierungen und Holzhammern. Das kann nichts werden. Natürlich gibt es auch bei Rechten derbe Unterschiede, aber eines eint sie doch viel mehr, als die Linke: Die Ablehnung von weiten Gruppen von Menschen, sei es durch Rassismus, Antisemitismus, Homophobie oder andere Phänomene der menschenverachtenden Ausgrenzung. Diese Ideologie ist in ihrer Menschenverachtung, in ihrem Hassschüren viel verfassungsfeindlicher, als alles „linke“. Immerhin geht das Grundgesetz von einer Unveräußerlichkeit und Unrelativierbarkeit vieler Menschenrechte aus.
Daraus folgt auch folgendes: Ich kann Nazis und ihre Ideologie nie durch ein „einbinden“ bekämpfen. Denn die Gefahr, dass ich durch dieses Einbinden nur ihre Strukturen stärke, wenn ich sie nur einbinde, aber ihre Denke nicht bekämpfe, ist riesig. Es gibt ihn nicht, den guten Nazi von nebenan. Seine Menschenverachtung bleibt und wenn er sie nur in einem Kontext versteckt, dann lebt er sie anders aus und wird seine Akzeptanz nur als Stärkung und Rückhalt verstehen. Er wird sich als verlängerter Arm der schweigenden Mehrheit verstehen.
Und hier ist der Bogen zu Aachen. Ein „vertragt euch doch bitte alle“ und ein „keine Politik“ führt nur dazu, dass die Nazis sich wohler fühlen, ihre Strukturen ausbauen und stärken können und dann eben still und heimlich sie störende Menschen (ich mache mir diese Begrifflichkeit ausdrücklich nicht zu eigen) aus dem Stadion (aus der Gesellschaft) entfernen. Sei es durch „Hausbesuche“ (wie der Überfall und Raub in der Wohnung des Opfers verharmlosend genannt wird), sei es in dunklen Ecken weit ab von irgendwelchen Kameras. Ich bekomme keine tolerante, lebenswerte Kurve hin, wenn dort Nazis rumstehen und ihre Ablehnung, ihren Rassismus weiter, wenn auch still und leise, verbreiten können. Da helfen auch keine Appelle gegen Rassismus, es ist handeln gefragt. Und die Handlung kann nur die Isolation und Verbannung sein. Und die Unterstützung von Kräften, die sich gerade machen.
Und rechtes ausgrenzendes Gedankengut verträgt sich sehr gut mit den männerbündischen, geheimbündischen einer Fußballkurve, die insbesondere auch durch Abgrenzung und Ausgrenzung zum äußeren Feind funktioniert. Nein, ich unterstelle nicht jedem Fußballfan rechtes Gedankengut, aber die Mechanismen, die sind schon vergleichbar. Und einem aufgeklärten, denkenden Fußballfan kann so etwas auch mal auffallen und man kann sich selbst reflektieren.
Dies und auch die Kopie der örtlichen Jugendkultur haben viele Vereinen eine sehr rechte Fankurve gegeben. Diese Strukturen sind über Jahre des Verharmlosens und des Wegsehens schon sehr mächtig geworden und plötzlich (nein eher nicht) auch in Führungsgremien von Vereinen zu finden. Eben genau aus dem oben gesagten.
Noch etwas: Fußball hat kein Problem mit linker Politik (wie auch? durch das Smashen von VIP Logen?), Fußball hat aber ein Problem mit Rassismus, Homophobie und Sexismus, alles Auswüchse der menschenverachtenden Denke, die Rechtsradikalen so typisch ist (bitte, man vergesse hier nicht den Alltagsrassismus der „normalen“ Leute). Daher muss man sich eben fragen, ob es sinnvoll ist immer „gegen jeden Extremismus“ zu brüllen, wenn man ganz konkret mit dem einen Extremismus Probleme hat. Probleme zu benennen und konkret und deutlich zu benennen ist meistens zielführender.
Habe ich jetzt wirklich was konkret zu Aachen gesagt? Ich glaube nicht. 😉
Unser Tag begann aber um 5 Uhr am Bahnhof Altona. Die Reisegruppe Bahn sammelte sich. Und hier war er wieder, der Mastercard Werbespot Moment des Tages: Kneipentour auf dem Kiez 100 Euro; Bahnticket nach Aachen 68 Euro; Eintritt 15 Euro; So besoffen sein, dass man am Sonntag sich an nichts erinnern kann? Unbezahlbar. Ich werde es nicht verstehen, wie man eine so teure Fahrt so betrunken antreten kann, wie es einige Leute tun. Bei allem Alkoholgenuss sollte doch das Spiel und das Mitbekommen des Spieles im Mittelpunkt stehen, oder?
Plätze besetzt, die Wein-Fanatiker hinter uns platziert, es konnte nur eine gute Fahrt werden. So zauberte der Kellermeister unseres Vertrauens schon kurz nach Acht den ersten extrem leckeren Rotwein aus seiner Jutetasche. Ich sag mal: Klasse und bereits hier ein Danke, dass ich mit verköstigen durfte.
Die Weinfraktion machte aber auch noch den Bistrowagen unsicher und musste dort die Überschrift herstellen, als man die doch eher laue Temperatur des Latte Macchiato monierte. „Ich rufe jetzt meinen Lieblingsbarista und dann Rüdiger (Grube) an.“ war der einzig richtige Kommentar.
In Bremen machte der DKE seinem Namen komplett Unrecht und gesellte sich zu uns und in Osnabrück war dann auch die soziale Netzwerkfraktion mit am Start. Bis Köln alles entspannt, das einzige was absurd ist: Habe eine Bahngruppe, kündige die bei der Polizei an und auf jedem Bahnhof steht die Bundespolizei. Niemand weiß so richtig warum, aber die müssen ja auch mal aus ihren muffigen Amtsstuben kommen.
Für Bahnverhältnisse waren wir pünktlich in Köln und da wir clever sind, ließen wir unsere überschüssigen Sachen bereits hier. Klos auf deutschen Bahnhöfen sind unverschämt teuer. Und so muss man auch in Köln 1 Euro (!!!) bezahlen um auf einem mehr oder minder ekligen Klo sein Geschäft zu verrichten. Einer der Mitreisenden (Marke Hamburger, häufig dabei, von Gesicht bekannt) fand das dann „schwul“ und als er das wiederholte, sprach ich ihn doch darauf an, seine beschissene Homophobie zu lassen. Jaja, das sei alles nur Spaß und Sarkasmus. Und als ich ihm sagte, dass seine homophober Sarkasmus nix bei St. Pauli zu suchen hat (jaja, ich weiß in der Gesellschaft nix zu suchen hat), da war er sauer. Das traurige dabei: Der war schon wieder so voll, dass er das in Aachen wahrscheinlich schon wieder vergessen hatte, denn irgendwann später sabbelt der mich doch ohne Scheiß noch voll.
Da ist es schon angenehmer auf dem Gleis bekannte Gesichter von der Hessenfront zu treffen und mit ihnen fröhlich plauschend den Regionalexpress zu besteigen. Der war in Verhältnissen der Bahn auch pünktlich, sprich hatte nur 15 Minuten Verspätung. Entgegen unserer Befürchtungen war er auch nicht komplett überfüllt und so ging es ruhig nach Aachen. Die einsteigenden Aachener waren eher der fröhlichen Sorte und kommentierten uns nur mit „Bitte nicht wieder 0-5“.
Hier hatte die Polizei dann schon Hunde am Start, was ich auch nie begreifen werde, aber immerhin wurde man nicht vollständig an seiner Bewegungsfreiheit gehindert. Und im Gegensatz zu Ingolstadt ist Aachen nicht überrascht, dass Menschen vom Bahnhof zum Stadion wollen. So ging es mit dem Bus zum Stadion. Ticker getroffen, Karte abgeholt und Hektik im Einlass beobachtet. Eine kurzfristig abgenommene Tapete und wohl auch der Kartenmangel bei einer anderen Gruppe führten zu einem Blocksturm. Dazu folgende Anmerkungen: Tapeten waren nicht verboten, sollten aber auf ihren Inhalt kontrolliert werden, was ich per se erstmal nicht schlimm finde. Nur war dies wohl – mal wieder – nicht die Befehlskette heruntergereicht worden und auch den Fans nicht kommuniziert worden. Das gleiche passierte nach dem Spiel mit der Öffnung eines Tores, was erst geöffnet, dann wieder geschlossen wurde, obwohl in einer Halbzeitbesprechung die Öffnung abgesprochen war. Auch hier kam diese Absprache die Befehlskette der „Sicherheitskräfte“ nicht herunter. Was mir immer so ein bisschen Sorgen macht: Das sind alles Befehle, die in Ruhe besprochen werden und Ideen, die teilweise schon Wochen vorher geboren sind. Trotzdem kommen die Anweisungen nicht dort an, wo sie hin sollen. Wie soll das ganze bitte in einer Paniksituation funktionieren? Wie sollen da Befehle von den Überwachungstationen transportiert werden? Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies dann funktioniert, wenn es schon in ruhigen und geplanten Momenten nicht funktioniert. Mir macht das Angst.
Im Medienraum dann erstmal aufwärmen und stärken und dann raus ins Stadion. Der Rasen teilweise gefroren, teilweise aufgetaut. In der Sonne war es auch deutlich angenehmer, als außerhalb der Sonne. Nur bereits hier musste man dann doch deutlich Angst haben, dass die Jungs den Gegner und den Platz nicht annehmen.
Und genau das passierte. Aachen daher verdienter Sieger und mehr muss man zum Thema „Spiel“ eigentlich nicht schreiben. Wir verschliefen 75 Minuten des Spieles und auch wenn der potentielle Ausgleich zu Unrecht das Prädikat „Abseits“ bekam, so muss man doch sagen, dass der Sieg von Aachen absolut verdient war. So muss man sich über das Thema Aufstieg keine weiteren Gedanken machen und kann sich schon mit einer harten Zweitligasaison 2012/2013 anfreunden.
Dazu passend auch der SMS Verkehr nach dem Spiel. „Ich trinke jetzt 10 Bier um zu vergessen“ „Aber nicht, dass du in den Bus kotzt“ „Wird nicht passieren… … ich fahre mit der Bahn. ;-)“
Auf den Rängen eine komische Stimmung. Der interne Konflikt in Aachen führt nicht gerade zu lauter Stimmung. Erschreckend ist es, wie viele Leute sich um die problematische Gruppe versammeln und anscheinend null Selbstreflektion an den Tag legen und diesen Bereich verlassen. Wenn ich schon nicht die Eier habe, aktiv gegen Nazis vorzugehen, dann kann ich mich wenigstens an den Rand der Kurve stellen und nicht fett mit den feiern.
Bloß weg hier und es begann die Pendelbus-Reise des Grauens. In dem Gelenkbus funktionierten die Türautomatiken nicht mehr. Nun kann so ein Bus aber nicht fahren, wenn der Fahrer vorne das Zeichen bekommt, dass eine Tür auf ist. Und das in einem vollem Bus an jeder Haltestelle. Manuelles Entlüften und mehrfaches auf und zu behob zwar das Problem, ist aber natürlich unglaublich zeitaufwendig. Und wenn die Uhr tickt und der Zug fährt, dann wird man doch etwas nervös.
Der Plan war, einen Zug eher zu nehmen und dann in Köln in Ruhe etwas zu essen. Letztendlich erreichten wir diesen Zug und auch dieser erwies sich als sehr leer. Alle per SMS zusammengetrommelt und wir konnten uns auf den Weg machen. Der Fanladenhoschi versuchte mit moderner Technik ein Restaurant klar zu machen, wobei seine Suchkriterien „Italiener in Bahnhofsnähe“ in Hamburg wohl 100 Restaurants gefunden hätte, die auch um 16:30 uns was zu essen serviert hätten. Anders in Köln, wo die drei Läden, die in der Auswahl waren alle zu hatten.
So verschlug es uns in ein Systemgastronomie Laden, wo wir feststellten, dass moderne Menschenführung noch nicht überall Einzug gefunden hat. Chef (Typ wichtig durch den Laden rennen, aber nix selber anfassen; steht in die Richtung in die er zeigt) sagt „XYZ, schnell dahinten am Fenster „Reservieren“ Schild hinstellen“ Sie (gerade am Abräumen am Nebentisch): „Ja Chef“. Er weiter wichtig durch den Raum rennend.
Das Essen war okay und die „Referenzbiere“ flossen auch gut die Kehle runter. So wurde es dann doch noch ein angenehmer Tag. Und die komische Gepäckbewahrungsautomatik gab auch unser Gepäck vollständig zurück. So richtig trauen tue ich den Teilen nicht.
Unser IC (ohne E) kam ziemlich pünktlich und nachdem wir die richtigen Plätze eingenommen hatten, kredenzte unser Weingott noch eine Leckerei nach der anderen. Die Rückfahrt war also sehr angenehm und entspannt. Im Zug befand sich auch die Mannschaft, die das mitgenommene Trikot unserer Ex- Nr. 11 eigentlich zum nach dem Spiel feiern verwenden wollte, so damit aber ein Fangeburtstagskind (8 Jahre) unglaublich stolz machte. In Hamburg dann die S-Bahn zum größten Teil Rautenfrei, alles also easy.
Auf der Hinfahrt hatte ich noch gesagt, dass ich bei einer Niederlage nicht mehr mitfahre. Heute habe ich meinen Urlaub für Duisburg eingereicht. Inkonsequenz ich höre dich trapsen.
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