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Die Heldengeneration tritt ab

oder

Mach es bestens, Ralph

Vorwort

Liebe Leser, das Spiel gegen Bayern München im Pokalhalbfinale liegt nun auch schon wieder geschlagene 6 Jahre zurück. Aber am 12.04.2006 standen u.a. Fabian Boll, Fabio Morena und Ralph Gunesch auf dem Platz. Alle drei (und die damals ebenso auf dem Platz stehenden Eger und Lechner) haben – vollkommen zu Recht – Heldenstatus in diesem Verein. Nun gilt es einen davon zu verabschieden, denn wie jetzt bekannt wurde, wechselt unsere Nr. 11 nach Ingolstadt. Ja, das Ziel pfeiffen bisher zwar nur die Spatzen vom Dache, aber alle Zeitungen sind sich einig und der Verein hat seinen Abschied offiziell bereits verkündigt. Also kurz: Zeit einen ganz großen unseres Vereines zu huldigen.

Ein Liebesbrief

Warum ist Ralph / Ralle Gunesch so besonders? Weil er der tollste Fußballer von Welt ist? Nein! 8 1/2 Jahre war er in unserem Verein und damit wahrscheinlich gut 2/3 seiner Profikarriere. In 3 verschiedenen Ligen hat er für unseren Verein gespielt, und obwohl er eigentlich nie wirklicher Stammspieler war hat er es immer über 20 Spiele pro Saison geschafft und ich hätte beinah meinen Arsch verwettet, dass er es auch diese Saison trotz der Zambranos, Sobiechs und Thorandts dieser Welt wieder auf über 20 geschafft hätte. Ich habe mich immer gewundert, warum wir auf den Außenpositionen Limbo spielen, wo wir doch einen Spieler haben, der, flexibel wie er ist, auch diese Positionen spielen kann. Nur Tore, die macht er beinah nie, und so stehen laut Statistik gerade mal 3 Stück für den FC zu Buche. Egal, umso mehr hat man sich gefreut, wenn er dann mal getroffen hat. Und umso mehr blühte der Flachs, dass doch unsere Nr. 11 nie trifft. Und das mit der Nummer.

Und eigentlich müsste ich jetzt Schluss machen und ein „hau doch ab, du Arsch“ schreiben, denn ich weiß, dass er dies hier lesen wird und sonst fühlt er sich noch gebauchpinselt. Aber soll er sich doch so fühlen, denn dies hier erfolgt schlichtweg zu Recht:

Ralle mag vielleicht ein durchschnittlicher defensiver Spieler sein, aber er ist ein herausragender Mensch. Jemand, der mich auch durch seine Brüche, nein, nennen wir es Widersprüche fasziniert. Da ist ein Mensch, der dem Feiern garantiert nicht abgeneigt war/ist, der aber keinen Tropfen Alkohol zu sich nimmt/nahm (und diese eigene Behauptung ist von niemandem je mir gegenüber in Zweifel gezogen worden). Da ist ein Mensch, der mit seiner Vorliebe für große, protzige Autos und einer gewissen äußeren Eitelkeit eher wie der typische Fußballer rüberkommt, der sich aber wie kein Zweiter für Fans, für Geschehnisse in unserem kranken linken Verein interessiert, sich Blogs rein zieht (und hier immer Leser war) und mit Leuten offen über das Geschehene redet. Über die Jahre ist eine solche Identifikation und gegenseitige Anerkennung gewachsen, dass er selbst in einem offiziellen Fanclub Mitglied wurde und auch gerne werden durfte.

Hinzu kommt einfach eine sympathische Offenheit, die Ralle einfach liebenswert macht. Nur extrem wenige Spieler haben so die Leute gegrüßt, die sie kennen. Nur wenige Spieler waren auch in einer persönlich doofen Situation (z.B. an seinem eigenen Geburtstag überraschend auf die Bank gesetzt zu werden) zu einem Gespräch bereit und verhielten sich dabei noch so professionell wie er.

Abgerundet wird das Bild von unzähligen Anekdoten, die immer etwas auch zeigten: Ralle ist ein Mensch, der auch über sich selbst lachen kann. Ein Zug, der im ernsten Profigeschäft selten geworden ist. Seien es nun die fehlenden Außenspiegel an seinem Audi in Wuppertal (geklaut, ich meine es war Wuppertal), wo er auf eigene Kosten der Mannschaft hinterher gereist war, sei es die Stripaktion bei Hertha 2.

Ja, ich weiß, dass er da nicht mehr gerne drauf angesprochen wird und es würde ihm nicht gerecht werden, ihn darauf zu reduzieren. Aber es war eben diese herzliche Freude, die diese Party ohne Anlass damals so unvergessen machte. Da stand eine damals junge Mannschaft auf dem Platz, die eben aus Namen wie Eger, Gunesch, Pliquett, Lechner, Morena bestand und denen man anmerkte, dass sie gerne für diesen Verein spielen wollen, und wo man damals schon merkte, dass das Publikum sie auch gerne sehen wollte. Und in dieser Stimmung fielen eben alle Hemmungen und das sollte niemandem, auch ihm nicht – auch heute nicht – peinlich sein.

Ich glaube, es waren damals nur noch ein oder zwei andere Fotografen im Innenraum, so dass meine Fotos von dieser Aktion Seltenheitswert haben werden. Ich habe ihm mal versprochen, diese nie mehr zu zeigen und eigentlich würde ich sie ihm nun als Abschiedsgeschenk schenken und meine Kopien vernichten. Nur leider gibt es diese Fotos nicht mehr, sie sind mal (wahrscheinlich in vorauseilendem Gehorsam) einem Archivwechsel zum Opfer gefallen.

Ach ja, und eine Letzte habe ich noch: Der doppelte Gyrosteller beim Sitzgriechen. Davon isst sonst niemand auch nur eine Portion. Er isst eine und nimmt noch eine mit. Und kurze Zeit später brüllt jemand beim Testspiel „Ralle, heute Abend Gyros?“ und bis heute weiß ich nicht, ob er das eigentlich gehört hat und darauf geantwortet hat oder ob er auf eine Ansage auf dem Platz geantwortet hat, aber sein lautes „JAAA!“ führte zu herrlichen Lachkrämpfen.

Das soll nun alles vorbei sein? Es ist traurig! St. Pauli ohne die Nr. 11 ist wieder etwas kälter, etwas ärmer und etwas weniger Kult geworden. Leider ist so der Weg im Profifussball, aber ich sehe nicht, dass wir auf absehbare Zeit wieder so einen Menschen bekommen, der uns dann auch noch durch Irrungen und Wirrungen 8 1/2 Jahre und über drei verschiedene Ligen erhalten bleibt.

Daher: Alles Gute, Ralle, ich werde dich hier vermissen und wünsche dir alles erdenklich Gute in Ingolstadt und auf deinen weiteren Wegen, die wahrscheinlich doch noch zu Real Madrid führen. Du wirst ähnlich wie Eger und Lelle immer in der Beobachung und Sympathie bleiben. Ich hoffe, dass du irgendwann als Manager, Trainer, Präsident oder als Autosponsor mit deinem Audihaus-Gunesch zum FC zurückkehrst. Und bei deiner Vorliebe für Audis muss man Ingolstadt mit anderen Augen sehen, als wir es sehen würden. Kannst du dir die neuesten Modelle vielleicht direkt vom Band holen und damit bei deinen (Ex-)Kollegen protzen. 😉 Bleib wie du bist, für mich bist du und bleibst du St. Pauli.

Es kotzt mich nebenbei an, wie zynisch einige Menschen reagieren. Als wären Spieler nur Schachfiguren, die man hin und her schiebt. Kommentare wie „ach wir haben doch xyz und uvw und die sind doch besser“ kotzen mich immer wieder an. Da kotzt mich der Profifussball an. Ja, es gibt kein richtiges Leben im falschen Leben, ich weiß. Aber wer nicht begreift, was Ralle für St. Pauli ist, war, sein wird, der begreift diesen Verein nicht. Es geht eben nicht nur um Punkte und Tore.

15 Kommentare

  1. ähm. ich hab die bilder noch. 😀

  2. „Ralle entgeht der Eger/Lelle-Falle“, wäre auch eine gute Überschrift gewesen, aber vielleicht ein paar viele Ls.

    Man muss immer auch das Gute sehen: Ingolstadt ist mir gerade wieder viel sympathischer geworden. War mir vorher nicht unsympathisch, aber größtenteils egal. Jetzt spielt da ein Teil von uns mit, und sollte es mal wieder zum Spiel FCSP gegen Ingolstadt kommen, bin ich sicher, Ralle wird am Millerntor seinen Jubel bekommen.

  3. Toby: wenn alles gut läuft, spielen wir sehr lange nicht mehr gegen Ingolstadt. Außer die steigen irgendwann auf. 😉 Diese Saison sind wir durch mit dem Thema Ingolstadt

  4. […] wirklich gut bei Abschiedsworten und überlasse dies lieber dem magischenFC-Blog, der es mit seiner Hommage an Ralph Gunesch gut getroffen […]

  5. Wieder geht einer den man mehr als Menschen denn als Fussballprofi wahrgenommen hat…und jeder dieser Menschen ist so verdammt wichtig für den FCSP und dessen liebenswürdigkeit.
    Alles gute!

  6. irrationalezahl irrationalezahl

    Ralle ist unersetzlich.

  7. Tim Tim

    Ganz toller Text !!! Ein toller Artikel zum Abschied der Ihm absolut zusteht. Hau rein min Jung, nur das Beste für Dich !!

  8. Kai aus der Schweiz Kai aus der Schweiz

    Sehr schöner Beitrag. Kann mich nur dem Autor anschliessen. Einer der wenigen „Echten“ in einem Geschäft von 0815 Profis. Auch wenn ich zugeben muss, sicherlich des Öfteren einen Herzanfall nach dem Nächsten bei gewissen Spielen bekommen zu haben, wenn Ralle gespielt habe. Er war jemand, der sich klar positioniert hat und bei schlechten Leistungen seinen Mann zu stehen vermochte. Natürlich geht es hier um Sport und sicherlich kann man darüber streiten ob es sportlich ein Verlust ist. Menschlich bricht für mich wieder ein Teil meiner Heldenmannschaft weg, für die ich regelmässig mitfieber und mitkämpfe (okay, auch mittrinke).
    Mach es gut Ralph Gunesch, ich danke dir und deinen Eltern dafür, dass Du so bist wie Du bist und für alles was Du für mich und meinen / unseren Verein geleistet hast. You will never walk alone.

    Lieben Gruss aus der wilden Schweiz

    Kai

  9. Holger Holger

    Schön geschrieben,Norbert.
    Aber das gerade Du den Architekten vergessen hast bei den Helden,
    ich bin baff 😉

  10. Okay, stimmt. Aber der ist ja noch am bauen bei uns. Und das hoffentlich noch sehr lange. 😉

  11. danke für den tollen blogbeitrag, der genau den punkt trifft!

  12. der Lange der Lange

    Klasse Beitrag!

    @ Ralph: Du wirst immer ein Stück von diesem (unseren) einzigartigen Verein sein und bleiben! Alles Gute für Dich! You´ll never wlk allone!

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