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Ich gehe Elektrotanzen

oder

Alle werfen, wir treffen

Vorwort

Liebe Leser, man könnte es sich jetzt einfach machen. Man könnte jetzt hohe Strafen für den Werfer fordern, man könnte die Ultras verdammen, man könnte ein Aufbrummen der Strafe verlangen und man würde sehr viel Beifall bekommen. Aber ihr kennt mich. Das bin nicht ich. Und um es vorweg zu sagen: Die Kassenrollenwurfarie (und ich gehe jetzt mal davon aus, dass es so eine war) war ein accident to happen und es ist mehr als dämlich, was da passiert ist. Insbesondere wenn der Strafraum voller Spieler ist, dann halte ich mich zurück. Auch wenn ich zugunsten des Täters mal davon ausgehe, dass es eher eine abgerollte Rolle werden sollte, als ein gezielter Wurf aus Ärger. Alleine schon, weil sie den hohen Bogen beschrieb, der bei einem Abrollen sie ins Fangnetz hätte fallen lassen. Wäre dies der erste Vorfall, würden wir jetzt auch nur über einen dummen Unfall reden, aber angesichts einer Historie von vier Vorfällen innerhalb von etwas über einem Jahr (man erinnere auch mal den Schneeball gegenüber Tiffert) müssen wir hier von einem riesen Problem sprechen. Und wir müssen auch (und das ist kein relativierendes „aber“) über die Reaktion der Süd und der Gegengerade sprechen. Ja, müssen wir. Ja, ich pauschalisiere jetzt hier. Auseinander genommen wird es dann später.

Gegengerade, halt’s Maul

Aber fangen wir doch historisch an. Meine Unmut über Montagsspiele habe ich schon häufig genug in Worte gefasst. Ich kann ab spätestens 13 Uhr nicht mehr arbeiten und an Schlaf ist nach so einem Spiel nicht zu denken. Was für jemanden, der um 5 Uhr aufsteht um zu arbeiten sehr schnell ein Problem wird.

Also früh ins Viertel und bei dem Vegetarier unseres Vertrauens essen gegangen. Das ganze ist von Aberglauben und immer den gleichen Bestellungen geprägt. Aber der DKE meinte, dass dadurch, dass Frau DKE dabei sei eigentlich nix schief gehen könne, denn immer wenn sie außerhalb der Bundesliga an einem Wochentag bei uns mit war, dann hätten wir in der Nachspielzeit gewonnen. Wir hielten uns also an unsere Essensregeln, als der Dortmunder Mafiosi mit britischem Hintergrund unsere Runde verstärkte und erwähnte, dass er von einer Niederlage ausginge und er bewusst seinen Aberglauben gebrochen habe, um ihn nicht zu entwerten. Wir wissen: Unser Aberglaube ist stärker.

Leider konnte unser Nachtschattengewächs gesundheitlich nicht zum Spiel, so dass ich noch kurz bei ihr die Karte abholte und ihr mein letztes Geld gab. Gute Besserung in diese Richtung. Nun aber zum Fanladen.

Heimat, Zentrale und Ausgangspunkt. Das ist der Fanladen. Und so traf man viele bekannte Gesichter und nach langer Zeit auch mal wieder die Mafia in größerer Mann und Frau Stärke. Mir fehlen die Busse. Ich kann jeden Grund verstehen, dass sie es nicht mehr machen, aber mir fehlen sie. Als Anlaufpunkt, als Konstante, als freudige Ansicht. Umso schöner, dass der Haufen zum Hallenturnier länger in der Stadt weilt. Und als E. dann meinte, dass es doch sowieso leere Versprechungen seien, wenn ich behaupte, dass ich mit ihr einen trinken gehen würde, sagte ich im Brausebrand das Abtanzen auf einer Elektroparty zu. Oh ha. Mal sehen, was mich erwartet. Dabei wollte ich doch immer erst geweckt werden, wenn die linksradikale Jugend wieder vernünftige Musik hört. Mal sehen, was das wird. Ihr Alternativangebot Discofox mit ihr zu tanzen, habe ich aber mit Rücksicht auf ihre Füße abgelehnt. Ich hüpfe ja nicht mal im Stadion, weil dann mehrere Beine neben mir gebrochen wären.

Am Container war das übliche „es gibt kein Alkohol im Stadion“ Chaos. Es gab Glühwein und der war so heftig, dass selbst die Luft im Container betrunken machte. Aber so soll es sein. Kartengeschäfte habe ich schnell geregelt, den Til auf Linie gebracht und dann noch den schönen Mann mit der hässlichen Mütze abgefeiert. Nun aber ins Stadion. Der DKE hatte mir dankenswerterweise einen Platz freigehalten und so konnten wir abwarten, was da so kommt.

Frankfurt hatte schon im Viertel fröhlich mit Feuerwerk hantiert und eigentlich hatte ich erwartet, dass die den Block komplett stürmen um alles mit reinzubekommen. Aber nein, sie schmuggelten nur die Plakate und reichlich Pyro. Was ist los Frankfurt? Mensch, wie lahm seid ihr geworden? Ich kenn euch mit Feuer, mit 90 Minuten Volldampf und gestern? Was war los? Zuviel gekifft? Weihnachtliche Ruhe? Kein Bock mehr? In die Jahre gekommen? Gleich zu Beginn ein „Scheiß St. Pauli“, man wo ist eure Kreativität geblieben? Zu Hause gelassen? In den 90 Minuten kam extrem wenig bei uns an. Mensch, da ist ja Paderborn bei so einem Spielverlauf lauter. Das war gar nix. Stilstand? Traurig. Gerade wenn man weiß, was für ein Höllenfeuer ihr verbal entfachen könnt. Selbst die Bengalonummer kam nicht zum perfekten Zeitpunkt und sah eher nach ein bisschen Trotz aus, als wirklich gut. Im Spiel dann nur mit „Hurensöhne“ bei den Wechselgesängen zu hören und da selbst leiser als die Restnord. Frankfurt, das war gar nix. Man, was hat uns die Fortuna da vorgeführt. Wie laut waren bitte dagegen die paar Dresdener. Schade um eine ehemals wirklich coole, laute und feurige Szene. Man, wie klingelte einem früher die Ohren, wenn die da waren.

Ich persönlich stehe nebenbei darauf, wenn ein „Scheiß St. Pauli“ mit dem gleichen beantwortet wird. Es nimmt vollkommen den Wind aus den Segeln. Ich weiß, dass sehen nicht alle so. Aber es war schnell Ruhe.

Die – gegen Frankfurt ja übliche – Haschischchoreo war wirklich cool und so sieht Rauch natürlich auch voll cool aus. Support war für ein alkoholfreies Montagsspiel vollkommen im Rahmen bis zu dem Moment, in dem ein Gegenstand einschlug. Ich mag nicht spekulieren, was es nun war. Von meiner Position, von der Art des Wurfes (und ich habe genau da hingeguckt) und von dem, was danach in Fernsehbildern gezeigt wurde, gehe ich mal davon aus, dass es einen nicht abgerollte Kassenrolle war.

Dazu folgende Anmerkungen:

1. Ich verfolge die Liebe zu Kassenrollen von einigen Personen in der Süd schon seit langem mit einem flauen Gefühl im Magen. Denn genau dieses nicht abrollen ist eine latente Gefahr bei den Teilen. Sie sehen absolut cool aus, werden aber eben doch zu einem sehr harten Wurfgeschoss, wenn das abrollen nicht funktioniert. Bisher wurden die aber immer zur 2. HZ geworfen, wenn die Mannschaften noch am Gruppieren sind und dann ist die Gefahr jemanden zu treffen wenigstens noch überschaubar. In einer Situation, in welcher gut 20 Leute im Strafraum versammelt sind, ist dies natürlich nicht der Fall. Und selbst wenn man mal im besten Fall und nach dem Grundsatz „In dubio pro reo“ davon ausgeht, dass es sich alleine um ein choreografisches Element handelt, war es einfach extrem dumm vom Zeitpunkt. Hinzu kommt die im Vorwort erwähnte Vorgeschichte, die JEDEN Wurf in Richtung Spielfeld eigentlich ausschließt.

2. Ich halte nix davon in solchen Momenten dem getroffenen Spieler ein „Schauspielen“ oder so vorzuwerfen. Wenn man von seiner blinden Seite am Kopf getroffen wird, dann klingelt es erstmal, selbst wenn der Gegenstand eher weich ist. Man bekommt nämlich schon einen ordentlichen Schreck. Und nach dem Spiel hat er sich ja oberfair im Fernsehen geäußert. Der kann sich auch mit einer Trage vom Platz tragen lassen und sich erstmal ins Krankenhaus einweisen lassen, dann pfeift der Schiri nicht mehr an und wir haben das Ding verloren.

3. Genauso halte ich nix davon, solche Spieler anzupöbeln. Ich gehe aber hier mal davon aus, dass die Leute es nicht gesehen haben und dachten, der schauspielert nach einer Rangelei. Falls sie es doch gesehen haben, dann ist die Reaktion „Pöbeln“ sehr peinlich. Und da wird ein Vorsänger natürlich zum Problem. Der reagiert vielleicht auf unsicher Faktenbasis emotional (wie wir alle, wenn wir mal ehrlich sind) und zieht dann ganz viele mit. Passiert, muss man vielleicht mal drüber nachdenken und vielleicht beim nächsten Mal lieber beide Nebenleute fragen, was denn eigentlich wirklich passiert ist.

4. Halte ich aber genauso wenig dann auf der Gegengerade (und das ist nun mal meine Kurve) die Süd auszubuhen, zu bepöbeln und irgendwas von „Scheiß Ultras“ zu schreien. Das kam auf meiner Höhe der Gegengerade flächendeckend und so etwas finde ich einfach nur Scheiße. Gerade weil man schon bei den Punkten 1 bis 3 ein bisschen nachdenken kann, bei diesem Punkt dazu noch mehr Zeit hat und das bei sich selber mal einfordern MUSS. Mal ganz davon ab, dass in der Süd nicht alles Ultras sind, der Wurf nun garantiert nicht ein Gruppending war und man auch verfickt noch mal insbesondere im eigenen Verein differenzieren sollte. Das ich gestern Abend in meiner Wut ebenso die Gegengerade pauschalisiert habe, ist jedem wohl klar. Noch mehr nervt mich, dass die Gegengerade nach diesem Vorfall mal wieder jeglichen Support einstellt. Außer bei Nazis gilt für mich immer noch folgendes: Suppport gemeinsam und nicht gegeneinander. Probleme untereinander kann man immer noch nach dem Spiel wälzen. Aber ein austragen durch gegenseitigen Boykott auf den Rängen schadet im Notfall nur der Mannschaft.

5. War es natürlich sehr deppig dann auch noch das „We love St. Pauli…“ anzustimmen. Nebenbei Vorschlag zur Güte: Vielleicht sollten wir das ja sowieso etwas zweifelhafte „Volkspark Bastards“ doch durch das selbstironische (äh eher Wahrheit gestehende) „Drink a lot of Astras“ kollektiv ersetzen. Denn das „beat the fuckin XYZ“ finde ich nun nicht wirklich schlimm, dafür ist verfickt noch mal zu viel verfickt in der verfickten englischen Gossensprache.

Ha, das ist ein guter Fanblog. Wir sind auf Seite 3 und wir haben noch nicht ein Wort über Fußball verloren. So muss es sein. Jemand sagte vor dem Spiel, dass er uns diese Saison noch nicht überzeugend hat spielen sehen. Nun kann er sich nur auf Heimspiele beziehen, denn selbst für jemand extrem kritischen waren die Auftritte in Berlin und Cottbus überzeugend. Für Heimspiele muss er die Meinung nach dem gestrigen Abend nicht ändern, aber ganz ehrlich: Mir doch wumpe. Es gibt für unverdiente Punkte und Tore kein Abzug. Sie zählen nicht weniger und Frankfurt hat es nicht geschafft den Ball im Tor unter zu bringen. Und nur dies zählt im Fußball. Ein brillanter Tschauner und eine ähm ja, ab und zumal dazwischen stehende Abwehr und viel Glück verhinderten einen Torerfolg. Und wenn wir in 19 Spielen bis zur Winterpause 39 Punkte holen, ohne einmal zu überzeugen, dann ist da doch noch Luft nach oben.

Und erneut: Ich will aufsteigen. Wir müssen in diesem Verein endlich mal die Angst vor Liga 1 ablegen. Wir können das. Das können ganz andere Vereine, also können wir das auch. Und ich will mal im Europabogal spielen und das geht bei unserer Pokalstärke nur durch einen Aufstieg. Also Tschaka, ran an Liga 1. Und so ganz heimlich schiele ich ja noch auf die Stadtrelegation.

Armin Veh meinte ja, dass der FC nix besonderes für ihn sei. Nun ja, kann man so sagen. Aber in 3 Spielen 2011 war er mit seiner Truppe nominell 3 mal leichter Favorit. Rausgekommen ist dann doch immerhin ein Punkt. Nix besonderes, muss man sagen.

Zum Abschluss noch Tschauner eine gute Besserung und euch allen ein gutes Fest.

Und dann war da noch…

… Ich. Ich bin nicht mehr bei Fanräume e.V. im Vorstand. 5 Jahre an der Spitze der Bewegung (boa, das ist politisch unkorrekt) reichen auch mal irgendwann und ich gebe das Projekt in gute Hände. In 5 so intensiven Jahren bleiben Freude und Ärger nicht aus und so ist natürlich vieles auch schief gelaufen und man hat neue Freunde gewonnen und Alte verloren. Insgesamt hat es Spaß gemacht und ich wünsche den Aktivisten alles Gute. Stefan hatte letztens eine der ersten Mails von Fanräume e.V. rausgekramt, wo ich sagte, dass ich den Vorstand im Notfall und wenn dann auch nur für kurz machen würde. Es sind dann doch 4 Jahre geworden. Was bleibt neben einem richtig coolen Raum sind Menschen wie Jens und Monika, die viel mehr sind als Aktivisten in der gleichen Sache. Macht es gut.

… die Medienstelle, die mich gestern mit einem Trikot mit meiner Namensbeflockung überraschte. Ein wirklich tolles Weihnachtsgeschenk. Nur wer kommt bitte auf die Idee mir Antifußballer unter den Namen eine 10 auf das Trikot zu drucken? 😉

Aachen und seine Folgen (toller Text aus Bremen). Das Freiburg bescheuert ist, kann man nicht nur an diesem Artikel (Achtung bei den Kommentaren akute Kotzgefahr) sehen, sondern auch daran, dass man sich nicht gegen Nazis äußern darf. Und still und heimlich machen sich die Faschos wieder in der Kurve breit und weil sie „hier ja nix machen“ können sie Leute anwerben, ihre Propaganda verbreiten und sich wie die Made im Speck tummeln. Und die Vereine entpolitisieren fröhlich die Konflikte. Da kann man nur kotzen. Das ist reine Politik und zwar die gewaltsame Durchsetzung von rechtsradikaler Politik. Man komme mir nicht mit „Fußball ist Fußball und Politik ist Politik“. Das ist nichts anderes als das dulden von Nazis. Dafür hat St. Pauli in den 80er und 90er Jahren nicht gekämpft. Der DFB, die DFL und die einzelnen Vereine müssen nun zeigen, ob es einfach nur Lippenbekenntnisse sind oder ob endlich konsequent gegen den Nazi in der Kurve vorgegangen wird. Kopf hoch ihr denkenden Ultras der Marke Aachen, Dresden, Münster und Braunschweig. Euer Tag wird kommen.

….Das Chemnitz ein derbes Fascholoch ist, sollte bekannt sein. Unbekannt ist den meisten aber vielleicht, dass man als Verein sich auch deutlichst hinter seine Fans stellen kann und dem DFB mal ein Lied singen kann. Insbesondere die Ansage Stadionverbote nicht umzusetzen ist wirklich mal groß. Klasse Burghausen.

….Und falls ihr noch nicht genug zum lesen habt oder langeweile über die Feiertage habt, dann guckt doch mal hier. Die nicht wöchentlich erscheinenden Links der Woche sind immer eine Erwähnung wert.

5 Kommentare

  1. […] Lichterkarussel werden diese Gedanken etwas ausführlicher und eloquenter ausgeführt, auch beim Magischen FC oder im 1910Blog kann man dies so ebenfalls nachlesen. Völlig anders (wenn auch nicht weniger […]

  2. Viel Spaß beim Elektrotanzen, und danke für den Text. Ich fand es unmöglich was auf der GG abgegangen ist, das war blanke Wut auf die komplette Südkurve die sich da bei einigen entladen hat. Weil ein Trottel da Mist gebaut hat wird gleich eine ganze Kurve eigener Fans in Sippenhaft genommen und das zu einem Zeitpunkt, in dem die Mannschaft unseren ganzen Support gebraucht hätte. Erschreckende Zustände, die sich hoffentlich nicht wiederholen, aber ich fürchte da gärt einiges.

  3. Mary Read Mary Read

    „Alors on sort pour oublier tous les problèmes / Alors on danse …“
    Wie immer wohltuend deine Artikel zu lesen. Und nachdem du jetzt sogar eine Headline draus gemacht hast, freu ich mich drauf dich am Alsterdorf-Wochenende beim Wort zu nehmen.
    Solltest du nachts nicht solange durchhalten, bekommst du bestimmt Asyl in der Supporter-Snoring-Lounge von D&D im Hotel P. 😉
    Komm gut über die Tage, liebe Grüße, das E.

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