oder
Warum Sex kein Thema sein sollte; zumindest nicht so.
Vorwort
Liebe Leser, es gibt Texte, die fallen einem leicht und es gibt Texte, die fallen einem schwer. Dieser hier fällt unter die letztere Kategorie. Denn sich sinnvoll mit Sexualität und auch Homosexualität auseinanderzusetzen, wenn man der heterosexuellen männlichen Dominanzgesellschaft (so ähnlich würde es jetzt wahrscheinlich ein sehr geschätzter Blogkollege ausdrücken) angehört, ist per se und insbesondere für mich schwierig. Und dies merkt man dann wahrscheinlich auch. Jedoch: Mich nervt, dass das Thema immer bei weiblichen Sportereignissen hoch kocht und auch die Art, wie es hochkocht. Ihr werdet sehen, dass ich viele Fragen formuliere, daher ist das ausdrücklich ein Diskussionsbeitrag, denn auch ich bin garantiert nicht frei von Fehlannahmen, unbewussten Prägungen und Fragen.-
Und?
Beim Sport geht eigentlich um Wettkampf im besten Sinne des Wortes, um höher, schneller, weiter. (Klar, auch da sind Sachen, die bedenklich sind im Sport, aber das blenden wir jetzt mal aus.) Trotzdem garniert man Sport immer wieder mit Bildern des jeweiligen (meistens weiblichen) Lebensabschnittspartner oder Frau oder Geliebte oder was auch immer, ohne Sexualität wirklich zum Thema zu machen. Eine heterosexuelle Beziehung wird für einen (männlichen) Sportler de facto als normal (Unwort, aber dazu später mehr) unterstellt und der Öffentlichkeit so vorgeführt. Niemand würde ein Bild der Freundin von Schweini mit „Schweini ist nebenbei bekennender Heterosexueller“ kommentieren.
Und dann kommt die Frauen-WM, und Sexualität und insbesondere Homosexualität ist plötzlich das riesige Thema. Jede Zeitung schreibt über Homosexualität im Frauensport, und das meiste klingt für mich gekrampft aufklärerisch und/oder wie die Ausstellung eines Zootieres. Plötzlich sammeln sich in der Mailinggruppe einer Fanorganisation, der ich angehöre, Journalistenanfragen über Homosexualität, und wie man das denn „als Fan“ (nicht als Mensch?) finde. Was bitte soll man darauf inhaltlich wirklich ernsthaft antworten? Ein „mir doch egal“ klingt abgedroschen (und ist auch gefährlich, siehe dazu später) und macht Homosexualität als „unnormal“ zum Thema(vielleicht sieht man bereits jetzt, warum „normal“ ein Unwort ist). Komischerweise fragt niemand eine Fanorganisation, wie sie eigentlich die Heterosexualität von Sportlern findet (wäre „ekelhaft“ eine angemessene Antwort?).
Insgesamt ist das Ganze so ein bisschen eine Zooausstellung, sei es nun das Abfilmen von Spielerfrauen (wie weit wir nebenbei von wirklicher Emanzipation teilweise entfernt sind zeigt sich daran, dass a. Frauen darauf reduziert werden und sich b. darauf reduzieren lassen) oder eben diese plötzliche Berichterstattung. Mensch, die sollen Fußball spielen, Rennen fahren, was auch immer, und ich will weder die Freundin sehen noch den Freund noch will ich das überhaupt wissen! Was zwischen Menschen passiert, sollte zwischen den Beteiligten bleiben. Und es gehört nicht in eine Sportberichterstattung (!), in eine gesellschaftliche Betrachtung schon viel mehr und in eine Gesellschaftsdiskussion schon. Nun kann man den Sport natürlich nicht von der Gesellschaft lösen, aber So würde ich grundsätzlich mir eine Sportberichterstattung mir wünschen, .
Exkurs: Ja „normal“ ist hier ein extremes Unwort. Denn dazu gehört „unnormal“, und wer da keine Herabwertung sieht, der ist schon sehr, sehr unsensibel. Und das ist noch sehr freundlich ausgedrückt. Ich höre schon den Einwand der mehrheitlich heterosexuellen Gesellschaft. Nun ja, aber ist die denn so homogen wie heterosexuell? Was ist denn „normaler“ heterosexueller Sex? Der zur Fortpflanzung (rufen Sie bitte jetzt im Vatikan oder bei anderen religösen Sexualmoralisten )? Licht aus? Nur verheiratet? Nur zu zweit? Nur Mann und Frau? Blasen noch normal? (Fragt erneut mal im Vatikan oder ähnlichem nach, oder im Oral Office; okay, Flachwitz) Und so weiter und so fort. Es gibt so viele Spielarten, so viele Gelüste, und ich weigere mich absolut, eines davon als „normal“, als „Norm“, selbst als „Mehrheit“ hinzustellen, weil allein schon die Heterosexualität in viele einzelne Arten zerfällt. Das Konzept des „safe, sane, consensual“ mag extrem unscharf sein, mag aus einer Spielart des Zusammenlebens zweier Menschen stammen, ist aber schon eine gute grobe Grenze für das sexuelle Zusammenleben von zwei (oder mehreren?) Menschen. Ich spare mir jetzt eine Erörterung, das ist ja hier ein Fußballblog, kein Sexualratgeber (den ich auch nicht schreiben könnte)…
Unsere Gesellschaft ist jedoch weit davon entfernt, so zu denken. Zwei Männer/Frauen, die sich gleichgeschlechtlich in der Öffentlichkeit küssen? Aufregung. Oder etwa nicht? Fast jeder guckt so einem Paar hinterher, wenn es händchenhaltend durch die Gegend geht. Kann ich mich wahrscheinlich nicht einmal von ausnehmen. Ich finde es dann aber doch immer amüsant, wenn Homosexuellen vorgeworfen wird, sie würden mit ihrer Homosexualität hausieren gehen. Tun die Heterosexuellen (unbewusst vielleicht) doch jeden Tag. Exkurs Ende
Und dies alles gesagt, fragt man sich: Warum wird jetzt, hier und so das ganze zum Thema gemacht? Warum sonst nicht? Aber wahrscheinlich ist da etwas anderes bei der heterosexuellen männlichen Gesellschaft das Thema: Frauen werden über Aussehen, über „sieht die geil aus, die will ich aber…“ vermarktet. Und da stört die nicht verfügbare Frau. Oder um in der oben benutzen Sprache zu bleiben: Sie stört das „ich kann sie alle haben“ denken breiter Teile der männlichen Dominanzgesellschaft. Ja, das klingt jetzt hart, aber seien wir ehrlich: So tickt die Gesellschaft immer noch.
Ändern wir es zumindest in unserem Bereich, gucken wir einfach guten (oder schlechten) Sport. Hätte mein Fazit eigentlich lauten sollen, aber seien wir ehrlich: Das ist gefährlich. Denn es beinhaltet ein „rede nicht drüber und alles ist gut“ ebenso wie es ein „die Dominanzgesellschaft drückt ihre Inhalte durch und über den Rest reden wir nicht“ beinhaltet. Daher muss man drüber reden, reden wie sich die Gesellschaft verändert, damit man eine wirkliche Gleichanerkennung hat. Und man muss über Diskriminierung reden. Über die offene (Nigerias Trainerin sei hier nur als Beispiel (!) genannt), aber auch über die versteckte („Frauenfußball muss weg vom Lesbenimage“ Ja, warum denn? Ist ein „Lesbenimage“ etwas schlechtes? Was ist das eigentlich? Reduktion des Menschens auf seine Sexualität. Hurra, siehe oben. Nebenbei ist der DFB gerade in diesem Bereich ganz groß engagiert, was einfach nur zum kotzen ist.) Wie man drüber reden soll? Weiß ich nicht, aber ich weiß, dass es mir so nicht gefällt.
(Mit ausdrücklichen Dank an alle Leute, die diesen Text vorher gesehen haben und ganz viele Anmerkungen mir geliefert haben.)