oder
03.09.1988 1-1; 23.03.89 1-2; 16.09.1989 0-0; 24.03.90 0-0; 25.11.90 0-2 und 01.06.91 0-5
Die goldenen Jahre des FC begannen. Unter dem Trainer Helmut Schulte gelang dem Verein etwas, was ihm bisher nicht wieder gelungen ist, er blieb drei Jahre in der 1. Liga. Es entstand die neue Fankultur am Millerntor, mit dem Millerntor-Roar entstand das erste Fanzine und die St. Pauli Fans bekamen das Image „aus der Hafenstraße“ aufgedrückt.
Während der FC Vorreiter einer neuen klar antirassistischen „linken“ Fankultur war, gaben beim Lokalrivalen (noch) die Nazis den Ton an. Und so war es die klar politisch geprägte Zeit der Derbys. Organisierte Anreisen? Hochgerüstete Polizei? Fantrennung? Stadionverbote? Meldeauflagen? Leute, wir waren in den ausgehenden 80er Jahren und da gab es so etwas noch nicht. Das erste Bundesligaderby fand nebenbei vor 48.000 Zuschauern statt und nicht eines der oben genannten Spiele war ausverkauft. Meistens war nur die Ostkurve ausverkauft, so dass einige mutige braun-weiße sich auch in die Westkurve verirrten.
Jüngere Leute werden das alte Volksparkstadion ja nicht mehr kennen gelernt haben und eine Perle war dieses Stadion nie. Es hatte aus meiner Sicht aber ein sehr charmantes Feature. Das war das Klo der Ostkurve, was so angebaut war, dass es auch dem nebenliegenden Volksparkbad als Klo dienen konnte. Sprich: Hinter dem Klo ging es steil nach unten und man konnte auf das (schon damals nur noch selten genutzte) Bad gucken und musste zum Klo eine Menge Stufen runter.
Ich kann einzelne Ereignisse nicht mehr sicher einzelnen Spielen zuordnen, aber damals fühlte man sich als braun-weißer extrem unwohl im Volkspark. Sollten die Ereignisse nicht zu dem jeweiligen Spiel passen, dann bitte ich das zu entschuldigen. Nach dem ersten Spiel und unserem gefühlten Sieg (immerhin hatten wir dem immer noch übermächtig scheinendem Lokalrivalen eben ein Unentschieden abgetrotzt) gingen wir also freudetrunken zum Auto, reihten uns in den Stau ein und standen an einer Kreuzung, die immerhin mit einem Verkehrspolizisten bestückt war. Vor uns gingen drei Punker, wahrscheinlich in Richtung Bahn, als plötzlich fünf Typen aus den Büschen sprangen und den einen von den unter unseren Augen mit einer Baseballkeule traktierten bis dieser liegen blieb. Der Verkehrspolizist natürlich unbewaffnet und wir Fußballfamilie konnten nichts machen. Dieser sinnlose Akt von Gewalt lässt mich auch 23 Jahre später sprachlos, denn der einzige Grund, warum die zusammengeknüppelt wurden, war das sie Punker sind.
Wir fuhren noch an den flüchtenden Tätern vorbei, die durch den Autobahnunterführungstunnel flüchteten und eigentlich hätte man zumindest einen davon überfahren müssen, aber hat man natürlich nicht. Und was soll man auch machen, wenn man Fußballfamilie ist. Sprachlos, geschockt und nicht mehr fröhlich kam man zu Hause an.
Das Derby hatte seine Unschuld verloren. Es war für mich bei weitem nicht die erste Begegnung mit Fußballgewalt, aber so brutal, so geplant und so rücksichtslos hatte ich sie noch nicht erlebt.
Ab diesem Ereignis ging ich erstmal ohne Schal und ohne (damals hippe) Ballonmütze in den Volkspark. In den nächsten Jahren konnten wir dann noch erleben, wie ein ca. 200 bis 300 Mann starker Naziskinhead Mob vor der Ostkurve auftauchte und auf alles einprügelte, was auch nur annähernd nach links, Punker oder St. Pauli aussah. Polizeibegleitung? Ja, da liefen so 10 Polizisten mit, die aber weder die Ausrüstung, noch den Willen hatten da wirklich ernsthaft einzugreifen.
Sportlich herausragend aus braun-weißer Sicht ist eigentlich nur das 1-1 (Tore Kalz (!) und Kocian) und das Tor von Wenzel nach 2 Minuten im zweiten Derby. Dieses Tor des Monats (mit der Hacke) führte aber leider nur zu 5 Minuten Jubel, dann hatte der Lokalrivale ausgeglichen und bereits vor der Pause hatte Furtok den Endstand hergestellt. Bemerkenswert bei diesem Derby: Wir hatten Karten, die das Kartencenter uns verkauft hatte. Sitzplätze, da wir englischen Besuch hatten. Und wo hatte man uns hingepackt? Direkt an die Westkurve in einen gemischten Block. Unangenehm ist keine Beschreibung. Ich hatte da eine Fahne mit und diese wäre nach dem Spiel noch beinah von irgendwelchen Rauten angesteckt worden. Dieses Osterderby ist nebenbei das einzige Derby, wo meine Mutter als bekennende Volksparkverweigerin mitgegangen ist. Weder vorher noch nachher hat sie einen Fuß in den Volkspark gesetzt.
Unglaublich aus heutiger Sicht welchen Einfluss damals Neonazis in der Kurve des Lokalrivalens hatten. Unten im Block, wo sich heutzutage Ultras sammeln würden, wenn es denn die Westkurve in dieser Form noch gäbe, fanden sich bei jedem dieser Derbys gut 300 bis 500 Typen ein, die ihre Gesinnung offen vor sich hertrugen. Ich weiß nicht, wann der Bruch in der Szene des Lokalrivalen kam, aber bei aller Unsympathie gegenüber ihrer heutigen Fanszene, diese politische Ebene war schon 5 Jahre später sehr viel kleiner geworden und verschwand dann doch beinah ganz.
Erinnern kann ich noch, dass bei einem der Spiele der Versuch einen Schal in Block E zu verbrennen damit endete, dass eine ganze Lautsprecheranlage vor dem Block in Flammen aufging. Damals wurde so etwas nebenbei nicht groß in den Zeitungen erwähnt, das Spiel wurde nicht unterbrochen und die Polizei stürmte auch nicht den Block. Komische Zustände damals.
Ich kann mich nicht daran erinnern, ob es damals schon organisierte Anreisen zum Derby gegeben hat. Ich meine, dass man so langsam anfing sich von braun-weißer Seite zu organisieren. Ich weiß aber auch, dass ich bei diesen organisierten Touren nie dabei war.
Die Zeiten ändern sich und St. Pauli verschwand wieder in der 2. Liga. U.a. auch durch einen 5-0 Sieg des Lokalrivalens. Erst 1995 sollten wir wieder in Liga 1 spielen. Diese Derbys sollen dann morgen Thema sein.
vielen dank, daß du dir die mühe machst. wobei ich hoffe, es ist vor allem die vorfreude aufs derby, daß es dir so lockerleicht von den tasten kommt.
danke.
jens