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Die Derbys der Neuzeit

oder

02.12.2001 4-3 und 0-4 19.04.2002

Vorwort

Ich könnte es mir jetzt einfach machen und einfach die Berichte zu diesen beiden Spielen heraussuchen, denn 2001 schrieb ich schon im Internet Berichte. Mensch wie die Zeit vergeht. Irgendwo war meine Karriere als aktiver Fan noch jung und ich noch sehr unschuldig. Und das mit so grob 28 Jahren. Aber der Sinn ist ja aus der Erinnerung zu schreiben und so schreibe ich einen neuen Bericht.

Nun Arena statt Volksparkstadion

Der Fußball hatte sich gewandelt. Die WM 2006 wurde immer konkreter und es begann die Zeit der Arenen, der Sitzplätze und der überteuerten Preise. Und mit ihnen auch die Zeit des Zuschauerbooms. Krank eigentlich, oder? Früher wollte die Karte für 10 bis 20 Mark niemand haben, nun wollten alle plötzlich Karten für 25 Euro haben.

Beide Derbys wurden wohl offiziell letztendlich als „Ausverkauft“ verkauft, beide waren es – wenn überhaupt – nur knapp. Die Passanten waren damals eigentlich die prägende Gruppe, denn Carpe Diem und der reine Ultragedanke war erst am sich entwickeln und übernahm erst in den folgenden Jahren das Kommando. Nebenbei eine kurze Erklärung zu dem Spitznamen „Capo“: Das ganze lag nicht an einer wie auch immer gearteten Position, sondern war aus einem Spaß heraus geboren.

St. Pauli war organisiert und ich auch Teil dieser Organisation, so dass ich beim Hinspiel auch an der Sternschanze stand um auf unsere Sonder-S-Bahn (das sieht komisch aus) zu warten. Nicht nur, dass der Weg dorthin beschwerlich war, nein während des Wartens hielt ein mit Lokalrivalen-Orks besetzter Zug an der Sternschanze, die Türen gingen auf und man fand sich in einem Hagel aus Bierdosen und Flaschen wieder. Eine volle Bierdose traf mich auf der Brust, was nun keinen wirklichen Schaden hinterließ, man überlege nur mal, die wäre etwas höher gekommen. Polizei? Trennung? Ja so ein bisschen, aber nicht an diesem Ort.

Man hatte damals dazu aufgerufen Fahnen zu basteln und das taten wir in den Wochen vorher auch fleißig bei meinen Eltern. Das ganze war fröhlich mit internem Stress verbunden und meine geschätzte Nachbarin Fr. Frida wird sich garantiert auch an diese Abende erinnern. Ergebnis waren aber gut 200 genähte, geklebte oder irgendwie anders entstandene Fahnen, die man letztendlich im dunklen des Volksparkes nicht sah.

Kleine Anekdote am Rande: Einige dieser Fahnen existieren bis heute in meinem Keller und Fr. Fridas Keller. Sie sind aber definitiv nicht mehr einsatzfähig. Wir bezogen unseren Platz in 14 b, wo wir auch die großen Passantenschwenker geparkt hatten. Eigentlich sollte es auch ganz viele Luftballons geben, aber erst waren die verboten, dann wieder erlaubt um dann am Spieltag zum größten Teil wieder verboten zu sein. Einige Passanten haben sich an diesem Tag lange und intensiv mit dem Rautenordnungsdienst abgenervt.

Das Spiel endete 3-4 und das nach einem 0-3 und einem 1-4. Ich hatte nie das Gefühl, dass wir irgendwas reißen können und auch das Aufbäumen in den letzten Minuten konnte eine komplette Enttäuschung nicht ändern. Die Vereine waren in dieser Hinrunde sehr nah aneinander, denn beide hatten nur Schrott zusammen gespielt. Aber während die Rauten dies ablegen konnten, spielten wir weiterhin Schrott. Und daran änderte auch der Doppelschlag von Truller nix. Colin Benjamin ist der einzige noch bei einem der Vereine aktive Spieler, der bereits an diesem Derby teilgenommen hat. Und es war wohl auch das Spiel seines Lebens, denn er war unbestritten der beste Mann auf dem Platz.

Ihr merkt: Ich habe dieses Spiel sehr aus meiner Erinnerung gestrichen.

Und so gehen wir auch weiter zum Rückspiel. Es war unser „Heimspiel“ und so versuchte man im Vorfeld vieles, um so etwas wie ein Heimgefühl in den Volkspark zu transportieren. Und wir planten eine große Choreo. Die „Der FC St. Pauli gibt sich die Ehre – Herrscher Hamburgs und der 7 Meere“ Choreo ist eine der aufwändigsten und einer der schönsten Choreos, die ich mit zu verantworten hatte. Damals herrschte zwischen den Passanten und Carpe Diem nicht mehr und nicht weniger als Funkstille. Ein persönlicher Streit zwischen dem Capo und dem jetzigen Gazzettavorwortschreiber hatte sich zu einer Eiszeit zwischen den Gruppen verwandelt. Zwar gab es immer Leute, die den Kontakt aufrecht erhielten und man raufte sich immer mal wieder zusammen, aber es sollte doch gut ein bis zwei Jahre dauern, bis man merkte, dass man eigentlich das gleiche wollte.

Auch für’s Derby raufte man sich zusammen. Über Beziehungen zu Marc Wallas (damals der Thomas Wegmann des FC) bekam man die leere Astrabrauerei zum vorbereiten der Choreo. Und so wurde eine große Hamburg-Wappenblockfahne in der riesigen Lagerhalle vorbereitet. Dafür hatte sich ein Passant nebenbei eine Woche Urlaub genommen und hat das Teil ziemlich alleine hergestellt. Genäht hatten andere, aber er hat es ziemlich alleine bemalt. Was für eine Scheißarbeit.

Weiterhin wurde ein Schiff hergestellt, was eigentlich durch Müllsackbahnen fahren sollte, letztendlich aber nicht vom Ordnungsdienst zugelassen wurde und so nur vor der Choreo stand. Die Müllsackbahnen war eine Sache über die es Diskussionen gab, waren doch viele Leute für einzelne Müllsäcke für das Wasser. Der Gazzettavorwortschreiber setzte sich aber mit seiner Bahnenidee durch. Eine Fehlentscheidung, wie sich am Spieltag zeigte.

Verwirrung gab es um den Spieltermin, denn der Samstag war der 20.04. und man hatte Angst an diesem Tag ein Derby auszurichten, weil man immer noch politische Auseinandersetzungen befürchtete. Das sich bereits die Fanszene der Rauten im Wandeln begriffen war und die politische Ebene nicht mehr gegeben war, hatten die offiziellen Stellen nicht mitbekommen und so verlegte man das Spiel auf den Freitagabend.

Der damals kein Regelspieltag war und so erlebten wir eines der wenigen Freitagabendspiele in der damaligen Zeit mit.

Bei einem der Spiele vorher erlebten wir, wie man die damals noch manuelle Südkurvenanzeigentafel abfotografierte damit man einzelne Spielstände im Volkspark einblenden konnte. Man machte damals – meine ich – alle Ergebnisse von 5-0 bis 0-5 inklusive 5-5.

Am Spieltag brach man schon gegen 9 Uhr (meine ich, allemal viel zu früh) in den Volkspark auf und begann mit dem Choreoaufbau gegen 10 oder 11. Paulchen hatte noch ein schönes Plakat „Gästekurve“ für die Nordkurve gemalt, was aber leider beinah niemand gesehen hat, weil die Rauten mal wieder schnell zeigten, dass sie keinen Humor hatten und das Teil sofort abrissen, als sie für ihre Choreo eingelassen wurden.

Sowieso wurde es da einmal kurz brenzlig, denn auch die selbstgemalten Tapeten, welche Rautenwerbebanden überlagerten fielen dem Vandalismus der Rauten zum Opfer, aber der Ordnungsdienst stellte sich dann dazwischen und so blieben viele Tapeten erhalten.

Wie unschuldig Ultra damals noch war, zeigt sich daran, dass es zwar erneut eine organisierte Anreise gab (ich meine selbst schon über Othmarschen), aber mit Pendelbussen und einen Marsch oder so gab es nicht. Auch die Rauten haben sich nicht etwa morgens früh zum Stadionverteidigen getroffen, sondern marschierten in Kleingruppen nach persönlichem Gusto zum Stadion. So auch die vier schwarzgekleideten Typen, die den Schal verkehrt herum trugen (war damals voll hipp) und vor dem Gästeeingang rumprollten. Was mit einer gewissen Entspanntheit und einem „Jaja“ beantwortet wurde.

Eine Story gab es aber noch: Der Brandschutz. Der unsägliche Stadionmanager der Rauten wollte wohl nix anderes als unsere Choreo verhindern, als er Nachmittags die Brandschutzbeauftragte der Hamburger Feuerwehr auf den Plan rief und diese nun sagte, dass Zettel und Papier und Plastik nun gar nicht ginge und alles verbieten wollte. Das ganze war an Absurdität nicht zu überbieten, denn nach ihren Worten dürfe keine Brandlast in das Stadion eingebracht werden und selbst Programmhefte seien zu viel. Das die Dame entweder zum ersten Mal ein Stadion von Innen sah oder aber ihre Arbeitskarte bei den Rauten zum Saufen benutzte, war jedem sofort klar.

Aber solche Ereignisse sind wahrscheinlich auch für den Folienstyle der Rauten verantwortlich, denn ich denke mal, dass die Stoff nahezu nicht mehr machen könnten.

Der Abend kam und die Choreo lief ganz okay. Die Hamburg Fahne riss beim Hochziehen (das hat aber niemand gesehen) und unten im Bereich der Mülltütenfahnen saß eine Gruppe Rauten, die es unglaublich lustig fand die Bahnen absichtlich zu zerreißen. Sie fanden es auch lustig jedes Tor aggressiv zu feiern und ihre Schals provokant zu zeigen und Siegesgesten zu machen. Ihr Pech, dass es einige Leute nach dem Spiel witzig fanden ihnen einen auf die Fresse zu geben. Nein, ich heiße das nicht gut und finde es bis heute Scheiße, aber mein Mitleid mit diesen Idioten hält sich auch in sehr engen Grenzen.

Eine abschließende Anekdote zu der Hamburg Fahne: Diese passt auch nicht in unser neues Stadion und ist genau noch einmal zum Einsatz gekommen: Beim 1-1 in Karlsruhe. Sie ist schweineschwer und existierte zumindest bis vor kurzem noch. Der hochgeschätze Gröni hatte sie in seinen Keller verfrachtet und ist laut eigenem Bekunden selbst einmal mit ihr umgezogen, aber benutzt haben wir sie nie wieder. Und das obwohl das nähen des Derbyrisses mir einen Samstag meines Lebens und ganz viel Fleisch meines Daumens gekostet hat. Denn genäht wurde der sehr dicke Stoff mit einer Pferdenadel und die Dinger sind sehr schwergängig.

Das Spiel war eine einzige Katastrophe. Meggle hatte vor dem Spiel große Töne gespuckt, wir bekamen sofort einen Elfmeter zugesprochen, den Meggle vor der Nordkurve verballerte. Danach spielten eigentlich nur noch die Rauten und unsere einzige Beschäftigung war uns zu fragen, was denn eigentlich passiert wäre, hätten sie noch zwei Tore mehr geschossen. Verdient wäre es an diesem Abend gewesen, der FC fand nicht statt.

Alleine deswegen würde ich jedem Spieler, der vor so einem Derby große Töne spuckt den Kopf abreißen. Maul halten, auf dem Platz geben, was man kann. Nicht mehr und nicht weniger erwarte ich von jedem Profi. Und vielleicht reicht es ja mal. Aber große Töne spuken und dann einen Elfer versemmeln, das ist scheiße hoch 10.

Zurück kam ich auf der Ladefläche des damaligen Fanladenbusses, der vollkommen überfüllt war und damals einen VIP Parkschein besaß. Im Fanladen lagen wir dann enttäuscht rum und begannen das, was Fußballfans so machen, wenn sie enttäuscht sind. Wir begannen zu saufen. Und das nicht zu knapp.

Nie wieder in meinem Leben möchte ich jedoch von 11 bis 22 Uhr in diesem Stadion weilen. Das ist bis heute ein Trauma. Und obwohl der 19.04.2002 eigentlich ein Tag mit angenehmem Wetter war, haben wir nur gefroren. So zügig ist es in diesem Stadion.

Nebenbei: Wer alle zwei Wochen in dieses Stadion pendelt, sich grundsätzlich bei beinah jedem Wetter den Arsch abfriert und das noch toll findet, der ist entweder blind vor Liebe oder total verrückt. Wahrscheinlich selbst ist er beides. Alleine schon der Gedanke, dass die nächsten Auswüchse der Zivilisation (Kneipe genannt) Kilometer entfernt sind, lässt mich schon wieder erschaudern.

Und um uns alle vollkommen vor dem Wochenende zu desillusionieren gibt es morgen ein Blick auf die halben Derbys.

Und dann war da noch…

Werbung für die Aktion des Zeckensalons. Bin ich drum gebeten worden, mache ich gerne, finde ich gut die Aktion, sollen alle mitmachen. Man lese bitte hier.

Ein Kommentar

  1. ottoerich ottoerich

    Dank je für die schönen Berichte. Wir sollten mal gemeinsam um die Alster laufen, dann kannst du noch mehr erzählen. Oder den HH-Marathon – für endlos Geplauder 😉

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