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Das Märchen von den laschen Vereinen

Liebe Leser,
morgen ist der große Tag, wo über ein Sicherheitskonzept entschieden werden soll, welches laut Prof. Dr. Feltes in einem Interview von heute mit Spiegel Online wie folgt charakterisiert:

„Wie Watzlawick in seiner „Anleitung zum Unglücklichsein“ schon sagte: Mehr vom Selben hilft nicht. Genauso ist es bei diesem Papier. Dort werden mehr und schärfere Reaktionen gefordert. Dabei haben wir keine Erkenntnis darüber, ob die derzeitigen Sanktionen überhaupt wirken oder Sinn machen.“

Das ganze Interview ist lesenswert.

Vorbemerkung: All diese Überlegungen, die nun folgen lassen die richtigen Überlegungen über die Deliquenz des Fußballfans etc. außer Acht. Sie begeben sich in die Gedankenwelt der Hardliner.

Nun wollen wir doch aber mal fragen, warum gibt es diese Veranstaltung morgen eigentlich? Da wird häufig auf den „Druck der Politik“ hingewiesen und dieser besteht auch, äußern sich doch die üblichen Verdächtigen mit den Namen Schünemann, Caiffier und Friedrich ständig zu dem Thema. Und wenn man mal die Argumentationen hinter dem Populismus so sieht, dann kommen immer zwei Hauptargumente „mehr Gewalt“ und „Vereine, DFB, DFL kommen ihren Pflichten nicht nach und setzen Stadionverbote nicht konsequent durch“.

Zu dem ersten Argument ist genug geschrieben worden. Es stimmt einfach nicht, wie Rafael Buschmann, Mike Glindmeier und Sara Peschke eindrucksvoll auf Spiegel Online beweisen. Dazu muss man nichts schreiben.

Aber selbst wenn man dieses Argument nicht gelten lassen will, das zweite würde ja in der Logik der Sicherheitsfanatiker und Repressionisten reichen. Daher ist es doch mal spannend, einen Blick darauf zu werfen, denn auch unser Innensenator Neumann nutzt das Argument und lässt sich in einer Polizeizeitung im Vorwort wie folgt aus:

„DFL, DFB und Vereine werden dieser Verantwortung nicht immer gerecht – etwa bei der Durchsetzung von Stadionverboten.“

Und da wir nicht davon ausgehen, dass unsere Politiker die Unwahrheit sagen, machten wir es uns zur Aufgabe, zu ergründen, wie man denn zu dieser Feststellung kommt. Auch gerade, da die Aussage doch jeden überrascht, der bereits einmal Stadionverbot hatte. Irgendwer muss doch was wissen? Fragen wir also mal breit nach:

Einmal natürlich bei Sven. Immerhin ist der Sicherheitsbeauftragter unseres Vereines und müsste doch etwas wissen. Sven sagt dazu Folgendes: „Ich denke, ich kann für alle Kollegen Sicherheitsbeauftragte sprechen, dass es bundesweit kein nennenswertes oder auch nur wahrnehmbares Problem mit nicht durchgesetzten Stadionverboten gibt“.

Dann fragten wir über die BAFF-Verbindung Fanprojektler aus ganz Deutschland, aber auch denen ist nicht bekannt, dass ein Verein ein bereits verhängtes Stadionverbot nicht durchgesetzt habe. Es soll mal eine Ausnahme gegeben haben, aber so richtig weiß das niemand.

Zwischenfazit: Nach allen Quellen, die wir haben, gibt es kein Problem mit der Durchsetzung von bereits verhängten Stadionverboten.

Kluge Menschen von BAFF sagten dann, nein nein, die meinen ja auch etwas Anderes. Nämlich dass zu wenig Stadionverbote erteilt würden, wenn man es in der Relation zu den Ingewahrsamnahmen und den Strafverfahren sehe. Aber bevor wir weiter spekulieren, warum fragen wir nicht mal direkt nach?

Gesagt, getan, und einfach mal die Pressestelle der Hamburger Innenbehörde und des Niedersächsischen Innenministeriums angeschrieben (und zwar am 05.12.12). Sinngemäß stellten wir folgende Fragen: Habt ihr eine Untersuchung, die beweist, dass zu wenig Stadionverbote erteilt werden und hier nicht konsequent gehandelt wird von den Vereinen? Wenn ja, ist diese öffentlich zugänglich? Und habt ihr Erkenntnisse über die Hamburger bzw. Niedersächsischen Vereine?

Machen wir es kurz: Die Hamburger Pressestelle hielt es nicht für nötig, auch nur ein Pieps von sich zu geben. Bis heute gab es keine Antwort auf diese Email.

Anders die Niedersachsen. Das muss man jetzt einfach mal loben, egal was da nun als inhaltliche Antwort gekommen ist.

Am nächsten Morgen rief ein freundlicher Mitarbeiter an und meinte, er müsse noch mal nachfragen, was genau ich (@headnutHH) denn meine. Ob ich denn den ZIS-Bericht kenne? Ja, sagte ich, den kenn ich. Naja, da seien ja sehr viele Zahlen drin und wenn man Strafverfahren mit Stadionverboten und Stadionverbotsprüfverfahren mit Stadionverboten vergleiche, dann zeige sich da ja eine Diskrepanz. Dem ist wohl so, sagte ich, aber wenn man so die Stadionverbotsrichtlinie so sähe, dann sei ja auch nicht jeder Polizeikontakt gleich einem Stadionverbot. Ja, dies stimme wohl, aber er werde mir etwas Schriftliches liefern. Auch für Niedersachsen vom Fachreferat.

Das ist doch mal Service, dachte ich.

Zwischenzeitlich hatte der heißgeliebte @dicht mal in den Archiven gebuddelt und eine Evaluierung durch den DFB von Januar 2009 hervorgezaubert. Diese bezieht sich auf die neun Monate vor dem Januar 2009, sagt selber, dass sie deswegen nicht 100 % aussagekräftig sei, aber es gibt anscheinend keine weitere. Den Kernsatz der – leider nicht öffentlich vorliegenden – Evaluierung wollen wir euch nicht vorenthalten:

„Seit April 2008 wurden insgesamt 835 Stadionverbote von der Polizei angeregt, die in 795 Fällen auch umgesetzt wurden. Dies entspricht einer Quote von 95,2 % und scheint zu belegen, dass die „Qualität“ der Anträge der Polizei sehr gut ist. Die Angst der Behörden, die Vereine würden nach der Neuregelung der Richtlinien die Mehrzahl der von der Polizei angeregten Stadionverbote nicht umsetzen, hat sich nicht bestätigt.“

Diese Evaluierung ist damals nebenbei auch an die Innenminister gegangen. Okay. Das ist drei Jahre her und vielleicht sind die Vereine ja nachlässig geworden. Aber wen man auch fragte auf Fanseite, von einer neueren Evaluierung wusste niemand. Weder Fanprojektler, noch Sicherheitsbeauftragte, noch die Menschen, die mit dem DFB, der DFL am Tisch sitzen.

Hoffen wir also auf Niedersachsen. Und wir wurden nicht enttäuscht. Man bezieht sich wirklich auf folgenden Absatz im ZIS-Bericht: „Die 1.035 erteilten, bundesweit wirksamen Stadionverbote resultieren aus einer Gesamtanzahl von ca. 15.400 Prüffällen (8.140 Strafverfahren, 7.298 freiheitsentziehende Maßnahmen, bei teilweise zu berücksichtigender Personenidentität).

Dies deutet auf eine sehr weitgehende Zurückhaltung der Polizeibehörden und der Vereine in der Umsetzung dieses Instrumentariums hin.“

Mehr – außer ein paar knackigen Pressemitteilungen von Herrn Schünemann – haben die leider auch nicht auf Lager. Klar, das liest sich ja auch auf den ersten Blick so, dass gerade mal irgendwas um die 8 % von Prüfungsverfahren zu Stadionverboten führen. Das erscheint wenig. Auf den ersten Blick. Und dann steht da noch etwas von Zurückhaltung der Vereine.

So liebe Leser, wer findet nun die Fehler? (Und wir nehmen mal zur Vereinfachung an, dass diese Daten stimmen.)

Fehler 1: Strafverfahren und freiheitsentziehende Maßnahmen werden zusammengerechnet und als Datenbasis genommen. Dabei weist die Stadionverbotsrichtlinie ausdrücklich darauf hin, wann ein Stadionverbot zu erteilen ist. Eine Ingewahrsamnahme (dies ist eine mögliche freiheitsentziehende Maßnahme) oder ein Ermittlungsverfahren an sich reicht eben NICHT zwingend aus. Man lese § 4 Absatz 3 der entsprechenden DFB-Richtlinie.

Fehler 2: Da steht nicht nur etwas von einer weitgehenden Zurückhaltung der Vereine. Vielmehr ist zu lesen: „Dies deutet auf eine sehr weitgehende Zurückhaltung der Polizeibehörden und der Vereine in der Umsetzung dieses Instrumentariums hin.“

Nun kombiniert diesen Satz doch mal mit der oben gewonnenen Erkenntnis, dass 95 % der von der Polizei angeregten Stadionverbote durch die Vereine umgesetzt wurden. Welche Weglassung ist dann zulässig? „…eine sehr weitgehende Zurückhaltung der Vereine in der Umsetzung…“ oder doch nicht eher „eine sehr weitgehende Zurückhaltung der Polizeibehörden in der Umsetzung..“ Richtig, eher doch die zweite Variante.
Und dann haben Herr Schünemann und Konsorten schlichtweg den falschen Adressaten für ihr Gepolter. Sie müssten in ihrem eigenen Haus eine weniger zurückhaltende Praxis anmahnen. Macht sich nur aus zwei Gründen schlecht: 1. Die Praktiker würden ihnen wahrscheinlich richtig auf das Dach steigen und damit zeigen, dass der Innenminister keine Ahnung hat und 2. das gute Image als Hardliner wäre weg. Und 3. würden die Polizeigewerkschaften wahrscheinlich noch meckern, denn wir wissen ja: Die Polizei macht keine Fehler.
(Es sei nur kurz angerissen, dass man natürlich auch schon die Schlussfolgerung des ZIS Berichtes sehr gut in Frage stellen kann.)

Fehler 3: Ein Prüffall ist ungleich einem durch die Polizei angeregten Stadionverbot. Und genau diese Zahl hält die ZIS nicht vor. Kurz: Sie geht von einer vollkommen unzulässigen Datenbasis aus um den Vereinen eine Zurückhaltung vorzuwerfen.

Fazit des Ganzen?

Prof. Dr. Feltes und seinem Eingangszitat hat Recht. Wenn ich nicht endlich beginne, richtige Statistiken zu führen, Wirkungen zu untersuchen und ernsthaft mich mit Mechanismen auseinandersetze, werde ich immer nur das Falsche tun.

5 Kommentare

  1. Ach Momo, doch es macht Sinn. Es bereitet nämlich Artikel wie den deinen vor.

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